Michael Münch
Zwischen Machos und Quote: die emanzipierte
Armee
Seit fünf Jahren: Frauen leisten Dienst an
der Waffe
Schwitzend quälen sich die Soldaten über den
Hindernisparcours, robben durch tiefen Schlamm, um
anschließend in der Meeresbrandung zentnerschwere Boote auf
ihren Schultern zu tragen. Stets das eigene Scheitern vor Augen,
werden sie von gnadenlosen Ausbildern zu immer neuen
Höchstleistungen angetrieben. Unter den Rekruten befindet sich
auch Lieutenant Jordan O'Neil, die erste Frau, die das knallharte
Ausbildungsprogramm der US Navy Seals über sich ergehen
lässt - zumindest in Hollywood. Denn Jordan O'Neil heißt
im wahren Leben Demi Moore und ist die Hauptdarstellerin in "Die
Akte Jane". Der Film zeigt das Ringen einer Frau um
Gleichberechtigung in einer reinen Männerwelt, natürlich
mit Erfolg. Während ein Rekrut nach dem anderen aufgibt,
übersteht O'Neil die Ausbildung und die Schikanen ihrer
männlichen Kameraden. Sie stellt ihre physische und psychische
Stärke unter Beweis und wird zum anerkannten Mitglied der
Eliteeinheit.
Zugegeben, die Gleichstellung zwischen Soldatinnen und Soldaten
verläuft nicht immer derart reißerisch, dennoch ist sie
in den Armeen der meisten Staaten allgegenwärtig und hat auch
das Gesicht der Bundeswehr in den letzten fünf Jahren
nachhaltig gewandelt. Dabei galt das Thema Frauen und Truppendienst
in der Bundesrepublik lange Zeit als Tabu. Nach 1945 hieß es
nicht nur "nie wieder Krieg", sondern ebenso "nie wieder Frauen in
Uniform". Ihr missbräuchlicher militärischer Einsatz
während des "Totalen Krieges" galt den Verfassungsvätern
als Lehre. Militärische Karrieren - abgesehen von zivilen
Funktionen in der Bundeswehrverwaltung - blieben Frauen fortan per
Grundgesetz verwehrt.
Erst seit 1975 steht ausgebildeten Ärztinnen und
Apothekerinnen die Sanitätsoffizierslaufbahn offen. 1991 wurde
Frauen zusätzlich der Einsatz in den Militärmusikkorps
ermöglicht. Doch sowohl der Sanitäts- als auch der
Militärmusikdienst findet für Soldatinnen ohne Ausbildung
an der Waffe statt. Hinzu kam, dass sich über Jahrzehnte in
den Köpfen der meisten Soldaten Vorurteile über Frauen in
der Armee eingenistet hatten: Das vermeintlich schwache Geschlecht
könne den Gefechtsdienst nie und nimmer bewältigen,
psychisch sei es nicht stark genug belastbar und zudem
schädlich für die Kameradschaft.
Richterspruch aus Luxemburg
Zeit für einen Sinneswandel, meinte die Elektronikerin
Tanja Kreil und bewarb sich 1996 für den Truppendienst bei der
"Waffeninstandhaltung". Fachlich war die damals 19-Jährige
hierfür bestens geeignet, dennoch wurde ihre Bewerbung
abgelehnt. Begründung: Artikel 12a, Absatz 4 des Grundgesetzes
verbiete Frauen den Dienst an der Waffe. Kreil empfand dies als
Diskriminierung und reichte Klage beim Verwaltungsgericht Hannover
ein. Ihre Argumentation basierte auf einer EG-Richtlinie aus dem
Jahr 1976. Demnach sei die "Gleichbehandlung von Männern und
Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung" zu
gewährleisten. Die geschlechtsspezifische Begründung der
Bewerbungsablehnung von Tanja Kreil wäre somit
unzulässig. Das Verwaltungsgericht erkannte die Brisanz der
Klage und bat 1998 den Europäischen Gerichtshof um eine
Auslegung jener Richtlinie. Dürften nationale Rechte, welche
die Verteidigung eines souveränen Staates regelten, einfach so
ausgehebelt werden? Ja, meinten die Luxemburger Richter zwei Jahre
später und entschieden in ihrem Urteil vom 11. Januar 2000 die
uneingeschränkte Anwendung der Gemeinschaftsrichtlinie auch
auf die deutschen Streitkräfte.
Der Bundesregierung blieb somit nichts anderes übrig als
die (widerwillige) Umsetzung des Urteils. "Zukünftig sind die
Streitkräfte in ihrer ganzen Vielfalt für den
freiwilligen Dienst von Frauen geöffnet.", verkündete der
damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) vor fünf
Jahren, am 1. Juni 2000. In seinem so genannten Eckpfeiler-Papier
gab Scharping die Richtung für eine Reform der Bundeswehr vor:
Die Armee des 21. Jahrhunderts sollte kleiner werden, effizienter
und emanzipierter. Am 7. Juni 2000 folgte schließlich der
Kabinettsbeschluss "für die konzeptionelle Neuausrichtung der
Bundeswehr". Konkret bedeutete dies: Frauen zu den Waffen, sofern
sie denn wollten. Der bundespolitische Grundstein für den Weg
zur vollkommenen Gleichberechtigung von Soldatinnen und Soldaten
war jedenfalls gelegt.
Doch schon bald machten Witze über "Flintenweiber" in
Kampfstiefeln mit Absätzen die Runde in den Kasernen. Ebenso
die Aussagen eines Oberstleutnants, wonach man die Frauen, "die zur
Bundeswehr gehen wollen, ruhig lassen sollte, da sie zu Hause auch
nur vergewaltigt werden", ließen starke Integrationsprobleme
befürchten. Eine Männerdomäne per Gesetz
abzuschaffen war die eine Sache, sie aus den Köpfen der
Betroffenen zu verbannen offensichtlich eine andere. Bereits kurz
nach dem Kabinettsbeschluss zeigten Umfragen des
Sozialwissenschaftlichen Dienstes der Bundeswehr, dass zwei Drittel
der Soldaten durch den Einsatz von Frauen vermehrt Probleme im
Dienstalltag erwarteten. Allerdings konnten sich im Gegenzug 75
Prozent der Befragten Soldatinnen in der eigenen Einheit gut
vorstellen, sofern für sie keine Sonderbedingungen gelten. Die
Umfrageergebnisse machten also Zweierlei deutlich: Die Integration
der Frauen in die Bundeswehr würde nicht reibungsfrei
ablaufen. Jedoch war die große Mehrheit der Soldaten bereit,
diese Herausforderung unter der Voraussetzung der vollkommenen
Gleichberechtigung anzunehmen.
Nur die Frauen schienen sich der Herausforderung nicht stellen
zu wollen. Der Run des schönen Geschlechts auf die
Männerbastion Kaserne blieb aus. Begleitet von einer
ausufernden medialen Berichterstattung, traten gerade einmal 244
Rekrutinnen im Januar 2001 den Dienst an der Waffe an.
"Ernüchtert" nahm man im Verteidigungsministerium diese Zahl
zur Kenntnis. Wurde die angestrebte Emanzipation nun seitens der
Frauen boykottiert? Wohl kaum. Denn von 2001 bis 2005 erhöhte
sich die Anzahl von 5.000 Sanitätssoldatinnen auf mehr als
16.000 Soldatinnen, verteilt auf die unterschiedlichsten
Truppenteile.
Die steigende Tendenz wird zusätzlich durch das im Januar
2005 in Kraft getretene Gesetz zur Gleichstellung von Soldatinnen
und Soldaten verstärkt. Die nun festgesetzten Frauenquoten von
50 Prozent im Sanitätsdienst sowie 15 Prozent in den sonstigen
Laufbahnen werden in den kommenden Jahren die bevorzugte
Einstellung von Bewerberinnen zur Folge haben. Die Bundeswehr
käme damit in Zukunft auf einen vergleichbaren Frauenanteil
wie die US-Army.
Dabei steht für 90 Prozent der zukünftigen Soldatinnen
die Unteroffiziers- beziehungsweise Mannschaftslaufbahn ganz oben
auf der Karrierewunschliste, vorwiegend im Stabsdienst oder in
einer Kampftruppe. Bei den Offiziersanwärterinnen sind dagegen
Laufbahnen im Führungsdienst sowie im technischen oder
fliegerischen Dienst am begehrtesten.
Immerhin gelingt es über 80 Prozent der Frauen in ihrem
bevorzugten Tätigkeitsbereich zum Einsatz zu kommen. Ein
Wunschtraum, der sich im übrigen für Tanja Kreil nicht
erfüllte. Nach der Urteilsverkündung des
Europäischen Gerichtshofes, zog sie ihre Bewerbung bei der
Bundeswehr zurück und arbeitet nun als Anlagenelektronikerin
bei Siemens. Offenbar hatte ihr das vierjährige
"Bewerbungsverfahren" die Lust am Armeeleben genommen.
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