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Ulrike Schuler
Wie sich die Zeiten ändern...
Die Linke und die NATO - ein schwieriges
Verhältnis
Als eine "weitsichtige und weise" Entscheidung
bezeichnete der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen,
Winfried Nachtwei, am 21. April im Bundestag den deutschen
NATO-Beitritt. Wie sich die Zeiten ändern. Dabei war die
Forderung nach Auflösung der Militärbündnisse und
Austritt aus der NATO gerade bei den aus den sozialen Bewegungen
hervorgegangenen Grünen lange Grundkonsens. Mit dem Eintritt
in die Regierungskoalition und der schrittweisen Akzeptanz von
Militäreinsätzen durch die Mehrheit der Grünen
milderte sich ihre Skepsis.
Im grünen Grundsatzprogramm von 2002
wurde die neue Haltung mit dem Satz "Ein einseitiger Austritt
Deutschlands aus der NATO ist abzulehnen" auch offiziell
manifestiert. Doch auch wenn die Grünen eine Wandlung
vollzogen haben, bleibt die Haltung der nicht parteilich gebundenen
Linken in der Bundesrepublik gegenüber der NATO auch nach der
Auflösung des Ost-West-Konflikts ablehnend.
Das Misstrauen der Linken gegenüber der
NATO reicht weit zurück. In den Anfängen der
Bundesrepublik war die Position gegen eine Wiederbewaffnung
keineswegs einer Minderheit vorbehalten, die Mehrheit rechnete
nicht mit der Gründung einer neuen deutschen Armee, hatten die
Alliierten den Deutschen doch strikten Antimilitarismus verordnet.
In Umfragen hätten sich bis zu 80 Prozent der Bevölkerung
aus unterschiedlichen Motiven gegen eine Wiederbewaffnung
ausgesprochen, stellt der Politologe und Friedensaktivist Andreas
Buro fest. "Der junge Deutsche, der seinen Widerwillen gegen die
Uniform bekundete, war 1949 durchaus lobenswert. Ein Jahr
später wurde er zum Angeklagten", schreibt der
französische Sozialwissenschaftler Alfred Grosser in seinem
Buch "Geschichte Deutschlands seit 1945".
Als sich die Westalliierten unter dem
Eindruck des sich verschärfenden Ost-West-Gegensatzes für
eine Wiederaufrüstung entschieden und die Regierung Adenauer
für eine kompromisslose Westbindung eintrat, formierte sich
die erste Protestwelle der Friedensbewegung der jungen Republik.
Diese "Ohne-mich-Bewegung" wurde keineswegs nur von der Linken
getragen, sondern auch von konservativen, liberalen und
religiösen Kräften unterstützt. Ein wichtiges
Argument war neben der Ablehnung der Remilitarisierung die
Befürchtung, mit der Westbindung die Chance auf eine
Wiedervereinigung zu verspielen. Ein neutrales Deutschland ohne
eigene Streitkräfte war die Forderung der verschiedenen
Gruppen.
"Das war der erste Höhepunkt der
Friedensbewegung, und die NATO wurde als federführende
Organisation zum Symbol für die Politik der Aufrüstung
der Bundesrepublik", sagt Andreas Buro. Die Protestler hätten
Westbindung und Aufrüstung als Einheit gesehen, der
NATO-Beitritt habe für sie den Einstieg in die Aufrüstung
bedeutet, erklärt Buro das negative Bild des
Verteidigungsbündnisses. Dass der Protest nicht nur von linken
Randgruppen getragen wurde, sondern bis in die Mitte der
Gesellschaft reichte, zeigte der Rücktritt von
CDU-Bundesinnenminister Gustav Heinemann. Im Oktober 1950 gab er
aus Protest gegen die Remilitarisierungspolitik des Bundeskanzlers,
die er als Abkehr vom Prinzip der Wiedervereinigung interpretierte,
sein Amt auf. Heinemann gründete ein Jahr später die
"Notgemeinschaft für den Frieden Europas", die sich eine
Verhinderung der Aufrüstung zum Ziel setzte, und 1952 die
"Gesamtdeutsche Volkspartei" (GVP).
Die zweite Hälfte der 50er-Jahre war
bestimmt durch die Debatte um eine Ausstattung der Bundeswehr mit
Atomwaffen. Sie wird Ausgangspunkt für die Kampagne "Kampf dem
Atomtod", die von Gewerkschaften, SPD und evangelischer Kirche
initiiert wurde. Die Spitze der Sozialdemokraten verordnete der
Partei dann allerdings 1959 in Bad Godesberg eine Umorientierung in
Richtung große Koalition und versuchte, die pazifistischen
Kampagnen abzuwürgen. Für die Sozialdemokratie war damit
der Weg zur Akzeptanz der NATO eingeschlagen. "Viele Genossen
fragten sich jedoch, warum die Losungen, die vorher ihre eigenen
waren, nicht mehr gelten sollten", sagt Buro. Also engagierten sich
viele Sozialdemokraten auch weiterhin in der neu entstehenden
Ostermarschbewegung, die gegen Atomwaffen in Ost und West
protestierte. "Während der Widerstand gegen die
Wiederbewaffnung in den 50er-Jahren von Großorganisationen
bestimmt wurde, konstituierte sich 1960 mit dem ersten Ostermarsch
eine eigenständige neue soziale Bewegung", sagt Buro, der
Mitbegründer der Ostermärsche war.
In der zweiten Hälfte der 60er-Jahre
spielte das Thema Vietnamkrieg zunehmend eine Rolle. Mit dem
Entstehen der Studentenbewegung formierten sich verschiedenste
kommunistisch oder sozialistisch orientierte Gruppen, für die
die Kritik an den USA und an der NATO zu ihrer ablehnenden Haltung
gegenüber dem Kapitalismus gehörte. "Die NATO galt als
Teil des kapitalistischen Systems, das bekämpft werden
müsse", sagt Buro über die Einstellung vieler Linker in
den 60er- und 70er-Jahren. Eine Haltung, die sich heute eher bei
den Autonomen wiederfindet. Die Ein-Punkt-Bewegung der Pazifisten,
die sich zu Protesten gegen die Aufrüstung versammelte, verlor
während der Zeit der Entspannungspolitik in den 70er-Jahren an
Bedeutung.
Die Wiederauferstehung der Friedensbewegung
wurde 1979 vom NATO-Doppelbeschluss ausgelöst. Ab 1983 sollten
in der Bundesrepublik Pershing-II-Raketen und Cruise Missiles
aufgestellt werden, während der Sowjetunion gleichzeitig
Verhandlungen über eine Rüstungsbegrenzung angeboten
wurden. Die Nachrüstung mit atomaren Mittelstreckenraketen
löste in weiten Teilen der Bevölkerung Ängste vor
einem Atomkrieg aus, der Deutschland als Erstes auslöschen
würde. Hunderttausende fanden sich in den 80er-Jahren zu
Demonstrationen und in lokalen Friedensgruppen zusammen, um eine
Rücknahme des NATO-Doppelbeschlusses und Initiativen zu
weltweiter Abrüstung zu fordern.
"In den Augen der Friedensbewegung war die
NATO ein grundsätzlich gefährlicher Gewaltapparat, der
auf eine Militarisierung der Politik drängte", sagt Buro.
"Dieses Bild hat sich bis 1989 auch nicht geändert." Diese
Haltung spiegelte sich auch bei den 1980 gegründeten
Grünen wider, die eine ihrer stärksten Wurzeln in der
Friedensbewegung haben. Im Bundesprogramm von 1980 hieß es:
"Der Ausbau einer am Leitwert Frieden ausgerichteten Zivilmacht
muss mit der sofort beginnenden Auflösung der
Militärblöcke, vor allem der NATO und des Warschauer
Paktes einhergehen." Besonders Petra Kelly und der Ex-General Gert
Bastian wurden zu grünen Galionsfiguren, denen Abrüstung
Herzensthema und die Politik der NATO ein Dorn im Auge
waren.
"Für die Grünen war der Protest
gegen die Raketenstationierungen nach dem NATO-Doppelbeschluss
gründungsrelevant", sagt der Bundestagsabgeordnete
Hans-Christian Ströbele über seine Partei. Viele
Grüne hätten eine Tradition als Demonstranten vor den
Stationierungsstandorten gehabt. Zwar habe die SPD-Linke moderater
ein Beschneiden der Macht der NATO gefordert, aber für die
übrige Linke sei die Forderung nach einem Austritt aus der
NATO selbstverständlich gewesen. "Raus aus der NATO,
Klassenkampf im eigenen Land", sei ein beliebter Protestslogan
gewesen, erinnert sich Ströbele. "Es war auch lange Meinung
der Grünen, dass die NATO ein aggressives Bündnis ist,
das im Ost-West-Konflikt eine eskalierende Rolle gehabt hat", sagt
Ströbele, der die Anfänge der Grünen miterlebt hat
und bis heute als kompromissloser Kriegsgegner und eifriger
Friedensdemonstrant gilt. Bis 1990 habe die Meinung vorgeherrscht,
die NATO müsse in einen Sicherheitspakt wie die OECD
überführt werden, der für alle offen und nicht auf
den Gegensatz zum Ostblock ausgerichtet sein sollte. Auch danach
habe die Mehrheit der Grünen das Bündnis zumindest
aufweichen oder überflüssig machen wollen, so
Ströbele.
Unter anderem wegen dieser Haltung zur NATO
galten die Grünen bei der SPD als nicht-regierungsfähig.
Sie seien "nicht akzeptabel" und "unkalkulierbar", wenn sie ihre
Beschlüsse zur Außen- und Sicherheitspolitik nicht
änderten, äußerte 1989 der außenpolitische
Sprecher der SPD, Karsten Voigt, in der "tageszeitung"
(taz).
Bei den Koalitionsverhandlungen 1998 habe die
NATO keine große Rolle gespielt, sagt der Grüne
Ströbele: "Man hat das Thema ausgespart, weil man wusste, dass
das mit der SPD nicht verhandelbar war." Viel bedeutender sei die
Frage gewesen, ob sich die Bundeswehr mit grüner Zustimmung an
einem Krieg beteiligt. "Mit der Zustimmung zu den
NATO-Einsätzen im Kosovo und in Afghanistan setzte sich bei
der Mehrheit der Grünen eine pragmatische Haltung durch, die
das NATO-Bündnis nicht aufgeben wollte", berichtet der
Bundestagsabgeordnete. Ströbele ist bis heute bei seiner
NATO-kritischen Haltung geblieben. "Ich bin damit allerdings nicht
mehrheitsrepräsentativ bei den Grünen", sagt
er.
Außerhalb des Parlaments hat die Kritik
an der NATO jedoch nicht an Schärfe verloren. Gerade das sich
nach dem Ende des Ost-West-Konflikts reformierende
Militärbündnis liefert der Linken Anlass zu Protest. "Die
neue NATO hat ihre engen Grenzen des Einsatzes im Vertragsgebiet
und zur Verteidigung beiseite gewischt und entwickelt sich zu einem
Interventionsinstrument für bestimmte wichtig erscheinende
Interessen", rügt Buro. Zudem hätte der Einsatz der NATO
im Kosovo gezeigt, dass die neue NATO aus internationalem Recht
ausbreche. "Im Falle wichtiger Interessen kümmert sie sich
nicht um die Charta der Vereinten Nationen", meint Buro. Die USA
würden die NATO zunehmend als Instrument ihrer aggressiven
Militärpolitik missbrauchen, so die Kritik der
Friedensbewegung.
Galten der Linken die NATO-Einsätze im
Kosovo 1999 und in Afghanistan 2001 ohne UN-Mandat als Beleg
für die "interventionistische Orientierung der NATO", waren
die NATO-Luftangriffe auf serbische Stellungen in Bosnien 1994/95
Anlass für eine Spaltung in so genannte Bellizisten und
Pazifisten. Die einen fanden den NATO-Einsatz angesichts der
Massaker an den bosnischen Muslimen gerechtfertigt, die anderen
lehnten weiterhin militärisches Vorgehen ab.
Eine besonders massive Mobilisierung
löste der drohende Krieg der USA gegen den Irak aus. Da die
NATO in der Irak-Kriegsfrage gespalten war, richteten sich die
Protestierenden weniger gegen die NATO, sondern explizit gegen den
Alleingang der USA ohne völkerrechtliche Legitimation und ihre
"coalition of the willing". Zum ersten Mal deckte sich die Haltung
der Friedensbewegung mit der der Regierung, die dem Irak-Krieg
ebenfalls ablehnend gegenüber stand. Eine grundsätzliche
Änderung der skeptischen Haltung gegenüber der NATO ergab
sich jedoch nicht, zumal sie von großen Teilen der Linken als
Vollstreckungsorgan der USA angesehen wird. "Für mich lassen
sich NATO und USA nicht trennen", formuliert auch Christian
Ströbele.
Eine Abschaffung der NATO wird jedoch von
Seiten der Friedensbewegung nur noch selten als Forderung laut.
"Das ist so unrealistisch, dass sie heute eher die Linie vertritt,
so viel Abrüstung wie möglich und so viel zivile
Konfliktbewältigung wie möglich", sagt Buro. Zudem
zeichnet sich eine in verteidigungs- und außenpolitischen
Fragen zunehmend selbstbewusstere EU ab, die die Bedeutung der NATO
schwächen könnte. Die neue EU-Verfassung ist für die
Pazifisten ein Thema geworden, das ihnen unter den Nägeln
brennt. Insbesondere Artikel I-41, der die EU-Mitglieder
verpflichtet, "ihre militärischen Fähigkeiten
schrittweise zu verbessern". Auch die geplante Einrichtung einer
Rüstungsagentur stößt auf Empörung.
"Die Kritik an der EU ist, dass sie auch auf
den Zug der Militarisierung der Politik aufspringt", sagt Buro.
"Dahinter steckt die politische Auffassung, dass die EU-Staaten
nicht aus der NATO rausgehen, sondern daneben ein eigenes
Sicherheitssystem entwickeln", interpretiert Ströbele die
EU-Verfassungsartikel. "Dass die EU sich von der
US-Militärpolitik, die eher aggressiver geworden ist,
löst, finde ich fortschrittlich", sagt Ströbele: "Aber
das darf nicht dazu führen, dass Europa auch auf Militär
setzt und sich in eine aggressive Richtung entwickelt."
Ulrike Schuler arbeitet als freie Journalistin in
Berlin.
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