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"Visionen vom Weltuntergang"
Interview mit dem Politikprofessor Wilfried von
Bredow
Von der NATO habe es unterschiedliche
Wahrnehmung innerhalb der Linken gegeben, sagt der Politologe
Wilfried von Bredow. Je nach Epoche und politischer Orientierung
galt sie als Hebel zur Bedrohung der Sowjetunion, als Vertiefer der
Spaltung zwischen Ost und West oder als Organisator
lebensbedrohlicher Rüstungsprozesse. Heute würde sie
jedoch als weniger bedrohlich wahrgenommen, meint der Professor von
der Universität Marburg.
Das Parlament: Wieso ist die NATO
für große Teile der Linken ein so beliebtes
Hassobjekt?
Wilfried von Bredow: Da muss man
verschiedene Epochen unterscheiden. Die NATO war in der Mitte der
50er-Jahre in den Augen vieler Linker eine Organisation, die die
sicherheitspolitische Spaltung in Europa vertiefte. Der Beitritt
der Bundesrepublik zur NATO bereitete allen Hoffnungen gerade auch
der Linken, zu einer Wiedervereinigung unter eher sozialistischen
Vorzeichen zu kommen, endgültig ein Ende. Etwas später
stationierte die NATO in Europa Nuklearwaffen - das war in den
Augen vieler Linker und Pazifisten eine Bedrohung der Sicherheit in
Europa. Deswegen gab es die Kampagnen gegen die NATO und die
zeitweise diskutierte Atombewaffnung der Bundeswehr. Zu Beginn der
80er-Jahre erschien sie den Linken in der Auseinandersetzung um den
NATO-Doppelbeschluss als eine ganz "gefährliche Organisation",
als es um die Atomwaffen ging, die auf deutschem Boden stationiert
werden sollten. Das war in den Augen vieler Linker eine extreme
Verunsicherung der sicherheitspolitischen Situation, die zu ganz
heftigen Protesten führte.
Das Parlament: Also erschien die NATO
den Linken weniger als Verteidigungsbündnis, sondern als
aggressive Organisation?
Wilfried von Bredow: Es gibt
verschiedene linke Wahrnehmungen von der NATO. Je näher die
Wahrnehmung an der sowjetischen oder DDR-Betrachtungsweise dran
war, desto mehr galt die NATO als ein Hebel zur Bedrohung der
Sowjetunion und des Sozialismus. Dann gab es nationale Linke, die
in der NATO ein Instrument zur Vertiefung der Spaltung gesehen
haben. Und dann gab es die eher emotionalen Linken, die sowohl die
NATO als auch den Warschauer Pakt wegen ihrer Rüstungsprozesse
für lebensbedrohlich hielten. Das ging in den 80er-Jahren bis
hin zu Visionen von einem Weltuntergang.
Das Parlament: Heute haben Teile der
Linken wie beispielsweise die Mehrheit der Grünen ein recht
entspanntes Verhältnis zur NATO. Wird die NATO nicht mehr
ernst genommen?
Wilfried von Bredow: Heute ist die
NATO in dem Sinne keine Bedrohung mehr. Dennoch gibt es
Diskussionen darüber, welche Funktion die NATO heute hat.
Für die einen ist die NATO anachronistisch geworden und man
sollte sie am besten abschaffen und europäische
Sicherheitslösungen, die viel weniger auf militärischen
Mitteln basieren, anstreben. Für andere ist die NATO ein
Mittel der USA, um in Europa ihren Einfluss zu behalten, und wird
als amerikanisches Instrument sehr negativ wahrgenommen. Dann gibt
es noch die Leute - nicht nur auf der Linken -, die meinen, dass es
viel günstiger wäre, ein völlig neues Design der
Sicherheitslandschaft anzustreben. Da würde die NATO dann in
der jetzigen Gestalt keine große Rolle mehr spielen, weil sie
beispielsweise ein Hindernis für den Aufbau einer
europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
wäre.
Das Parlament: Wird die Kritik an der
NATO abgelöst durch Bedenken gegenüber der
europäischen Sicherheitspolitik, wie beispielsweise der neuen
EU-Verfassung?
Wilfried von Bredow: Ich glaube, das
ist nur für eine ganz kleine Gruppe in der Linken ein Thema.
Bei der Diskussion über die EU-Verfassung geht es um alle
möglichen Probleme. Dass nun die europäische Sicherheits-
und Verteidigungspolitik und die gemeinsame Außenpolitik, die
sich so langsam herausbildet eine Militarisierung Europas bedeuten
- wie man in manchen linken Publikationen lesen kann - das wird nur
von ganz wenigen ernst genommen.
Das Parlament: Der heutigen NATO wird
von der Linken vorgeworfen, sich von einem
Verteidigungsbündnis zur globalen Interventionsorganisation zu
entwickeln. Ein berechtigter Vorwurf?
Wilfried von Bredow: An diesem Vorwurf
ist nicht alles falsch, weil es innerhalb der NATO einzelne
Mitglieder gibt, die sich solche Einsätze im Sinne eines
westlichen Weltordnungskonzepts vorstellen können. Das sind
insbesondere die USA. Viele europäische NATO-Mitglieder sind
da sehr viel vorsichtiger. Richtig ist, dass die NATO kein
Bündnis mehr ist, das einen Abschreckungsauftrag
gegenüber einer anderen Nuklearmacht hat, und richtig ist
auch, dass die NATO nicht mehr ein Verteidigungsbündnis ist,
mit dem die Territorien der Mitgliedsstaaten gegen einen Angriff
verteidigt werden sollen. Die NATO ist ein sicherheits- und
militärpolitisches Bündnis geworden, das ein sehr breites
Spektrum von Aufträgen auch außerhalb des
NATO-Territoriums anzunehmen bereit ist. Das sind Missionen wie in
Darfur und anderen Krisenregionen der Welt. Da muss man von Fall zu
Fall entscheiden, ob solche Einsätze sinnvoll und legitim sind
oder nichts anderes als der Ausdruck nationaler Interessen der
Mitglieder. Wenn die NATO Letzteres akzeptieren würde,
hätte sie keine große Zukunft, dann würde sie
relativ schnell auseinander fallen.
Das Parlament: Spekulativ gefragt:
Hätte eine neutralisierte, unbewaffnete Bundesrepublik, die
nicht Mitglied der NATO ist, die Ost-West-Konfrontation abmildern
können?
Wilfried von Bredow: Das glaube ich
nicht, weil ein neutralisiertes, nicht-paktgebundenes Deutschland
zum Hauptfeld der politischen Auseinandersetzungen zwischen Ost und
West geworden wäre. Es wäre ein instabiles Land an der
Grenze zwischen Ost und West gewesen und hätte dann keine
Pufferfunktion gehabt. Das wäre garantiert für den
Ost-West-Konflikt, insbesondere für die Entspannungspolitik,
sehr negativ gewesen.
Das Interview führte Ulrike Schuler
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