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Aschot Manutscharjan
Mit Stolz Frieden schaffen
Der vergessene UN-Einsatz im Kaukasus
Wenn es darum geht, die Auslandseinsätze
der Bundeswehr aufzuzählen, wird ein Auftrag gerne vergessen:
Das kleine deutsche Kontingent im Kaukasus steht nach wie vor im
Schatten der großen Einsätze in Afghanistan und auf dem
Balkan. Nur bei tragischen Ereignissen, im Falle von
Entführungen oder gar dem Tod eines Soldaten, rückt der
Einsatz im Land des "Goldenen Fließes" kurzfristig ins
Rampenlicht der Öffentlichkeit. Unser Autor besuchte die
deutschen Soldaten des UNOMIG-Einsatzes 1998 und 2001.
Während des Zerfallsprozesses der
Sowjetunion brachen sich lange verdrängte
Nationalitätenkonflikte Bahn. Als die frühere
Sowjetrepublik Georgien ihre Unabhängigkeit erklärte,
proklamierte auch die zu dem Land gehörende Autonome Republik
Abchasien 1991 ihre Souveränität. Im Kampf gegen die
separatistischen Bestrebungen der abchasischen Minderheit setzten
die georgischen Politiker allein auf militärische Mittel, um
die "Abtrünnigen" zurück zu zwingen. Der Krieg in der
georgischen Provinz Abchasien verlief jedoch nicht nach Plan: Im
Sommer 1993, als sich der georgisch-abchasische Krieg einer
Entscheidung zu nähern schien, schaltete sich unerwartet
Moskau ein. Die russische Armee nutzte das Machtvakuum und besetzte
kurzerhand das Grenzgebiet entlang des Flusses Inguri, das die
beiden verfeindeten Parteien voneinander trennte. Danach versuchte
der Kreml, die russische Militärpräsenz in der Region
durch ein UN-Mandat abzusichern. Nachdem dies nicht gelungen war,
erklärte Moskau seine Truppen zu "Friedensstiftenden
Kräften" (FSK) der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten
(GUS). Allerdings weigerten sich die übrigen GUS-Partner, die
"Friedensstiftenden Kräfte" mit eigenen Truppen zu
unterstützen.
Da die georgische Führung dem Kreml
unterstellte, Russland stehe auf Seiten der Abchasen, forderten sie
von der UNO neutrale Beobachter an. Der UN-Sicherheitsrat fand
schließlich einen Kompromiss: Eine Beobachtermission (United
Nations Observer Mission in Georgia - UNOMIG) sollte von nun an die
Einhaltung des Waffenstillstandsabkommens kontrollieren, das zuvor
von den Kriegsparteien in Moskau unterzeichnet worden war.
Darüber hinaus erhielten die UN-Beobachter den Auftrag, die
Tätigkeit der FSK vor Ort zu überwachen.
Offiziell installiert wurde die UNOMIG durch
die Sicherheitsrats-Resolution 858 vom 24. August 1993. Laut dem in
Moskau geschlossenen Abkommen dürfen die georgische und die
abchasische Kriegspartei in der Sicherheitszone 1 - also je
zwölf Kilometer hinter der Grenze - nur mit Schusswaffen
(Pistole, Kalaschnikow) ausgestattete Polizeikräfte
unterhalten. In die Zone 2, die ebenfalls je zwölf Kilometer
breit ist, dürfen weder schwere Militärtechnik und noch
Waffen mit einem Kaliber von mehr als 89 Millimeter verbracht
werden. Russland übernahm die militärische
Überwachung des Abkommens und richtete Kontrollpunkte in den
Sicherheitszonen ein.
Die Militärbeobachter der Vereinten
Nationen halten sich insgesamt in drei Sektoren auf: in Suchumi,
Gali und Sugdidi. Seit 1994 beteiligt sich auch die Bundeswehr an
dem UNOMIG-Einsatz: Bislang haben 220 Bundeswehrsoldaten an der
Mission teilgenommen. Zurzeit stellt die Bundeswehr drei
Militärbeobachter, drei Militärärzte und fünf
Sanitäter, die die UNOMIG-Soldaten medizinisch betreuen. Den
Steuerzahler hierzulande kostet dieses Engagement jährlich
über 1,1 Millionen Euro.
Auch wenn der UNOMIG-Einsatz zu den kleineren
Missionen zählt, gehört er doch zu den
gefährlicheren. Neben der "normalen"
Beschaffungskriminalität wird das Leben der
Militärbeobachter durch die Kriegsparteien bedroht.
Während der Patrouillenfahrten sterben immer wieder Soldaten
durch schwere Panzerminen, die georgische Partisanen auf der Route
vergraben haben, die die Streifen passieren müssen. Schwere
Verletzungen sind an der Tagesordnung. Hinzukommen
Entführungen, auch von Bundeswehrangehörigen, zuletzt
Anfang Juni 2003. Trauriger Höhepunkt aus deutscher Sicht: Am
8. Oktober 2001 wurde ein deutscher Oberstabsarzt beim Abschuss
eines UN-Hubschraubers getötet.
"Wir helfen hier einen Krieg zu verhindern",
sagte 1998 Oberbootsmaat Sven Christiansen dem Autor. Bei seinen
Patrouillenfahrten hatte Christiansen nur ein Sprechfunkgerät
bei sich, Waffen sind auch zur Selbstverteidigung nicht erlaubt.
"Wir wollen einen kleinen, aber wichtigen Beitrag zum Frieden
leisten", stimmte ihm sein Kamerad Heiko Dittkrist aus Bad
Zwischenahn zu.
Auch Korvettenkapitän Uwe Seiffert aus
dem Marineamt Rostock wollte nicht zu den Schreibtischhelden
gehören. Er war schon dreimal in Georgien im Einsatz: "Wir
können den georgisch-abchasischen Konflikt nicht lösen,
aber wir tragen doch dazu bei, ein erneutes Ausbrechen der
Kampfhandlungen zu verhindern". Drei Jahre später, im Oktober
2001, war die Motivation der deutschen UNOMIG-Soldaten ungebrochen.
Die Bundeswehr habe nach der Wende völlig neue Aufgaben
übernommen, und "ich wollte dabei sein", sagte
Sanitäterin Tanja Mauersberger aus dem Marinestützpunkt
Olpenitz dem Autor im Sektor Gali (Abchasien). Und Hauptmann Klaus
Peter Prommern aus Neubrandenburg hatte immer schon eine Aufgabe im
Ausland gesucht: "Ich bin stolz darauf, einer von drei deutschen
Militärbeobachtern hier bei der UNO zu sein".
Abchasien - ein subtropisches Gebiet am Rande
Europas mit 40 Grad im Schatten und einer Luftfeuchtigkeit von 80
Prozent. In den ersten Jahren mussten die UNOMIG-Angehörigen
noch einen Stahlhelm und eine kugelsichere Weste tragen, selbst
während der Patrouillenfahrt in einem rundum geschlossenen und
gepanzerten Fahrzeug. Lange konnte die deutsche
Standardausrüstung mit der Motivation und dem Engagement der
Bundeswehrsoldaten nicht mithalten. Die Stiefel waren für den
Einsatz im subtropischen Klima ungeeignet. Deshalb kauften sich die
deutschen Soldaten auf eigene Kosten bei den US-Streitkräften
leichtere Sommerstiefel - auch gebraucht, wie bei armen Verwandten
üblich. Der deutsche Fleckentarnanzug trieb den Frauen und
Männern den Schweiß nur so aus den Poren. Bis in den
Herbst 2001 - also sieben Jahre nach Beginn des Einsatzes -
besaßen die deutschen Soldaten keine tropentaugliche
Ausrüstung.
Obwohl der Deutsche Bundestag seine
Streitkräfte mit Friedensmissionen bereits nach Somalia,
Kambodscha und den Irak geschickt hatte, mussten sie sich
Tropenkleidung ausleihen: von Frankreich, wie im Fall der deutschen
Hubschrauber-Piloten im Irak oder eben von den USA. Die
Bundesrepublik Deutschland als eine der reichsten Nationen der Welt
schien sich nicht um die konkrete Ausstattung ihrer Soldaten zu
kümmern, die auch bei Friedenseinsätzen ihr Leben
riskieren. Dabei bettelten Generäle schon seit Mitte der
1990er Jahre um Tropenuniformen. Immerhin erlebte der Autor bei
seinem zweiten UNOMIG-Besuch im Herbst 2001 eine angenehme
Überraschung: Glück-lich zeigten die Soldaten ihre neuen
Tropenuniformen her. Auch der Kontakt mit den Daheimgebliebenen war
jetzt einfacher möglich: "Wir können unsere Familien
jetzt über eine Sondernummer via New York oder per Internet
erreichen."
Obwohl die deutschen Blauhelme von allen
Kameraden ausnahmslos respektiert wurden, von Russen und Indern
ebenso wie von Polen und Franzosen, blieben sie seltsam
zurückhaltend. Der tschechische Oberstleutnant Jaroslaw Luisek
zählte die Deutschen 1998 in einem Gespräch mit dem Autor
"zu den besten hier". Sie seien "professionell, diszipliniert,
verlässlich". Sein ungarischer Kollege schätzte besonders
ihre Unteroffiziere: "Gute Freunde, immer ansprechbar." In die
multinationale Anerkennung mischte sich Rätselraten
darüber, warum manche Bundeswehroffiziere "seltsam gehemmt"
wirkten. Zuwenig Erfahrung mit UN-Einsätzen? Warum nahm ein
deutscher Offizier den willkürlichen Befehl eines rangniederen
UN-Kollegen hin, obwohl alle Nationen gleichberechtigt sind? Und
weshalb hing vor jedem nationalen Gruppenquartier neben der
UN-Fahne die des Heimatlandes - nur nicht bei den Deutschen? "Sie
müssen sich doch nicht dafür entschuldigen, dass sie
dabei sind", wunderte sich ein Osteuropäer über einen
Stil, den der damalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe
(CDU) als "Kultur der Zurückhaltung" einüben
ließ.
Drei Jahre später waren die deutschen
Soldaten nicht mehr so "zurückhaltend". Sie waren endlich
angekommen in der Normalität der Auslandseinsätze im
Kreis befreundeter Nationen. Die Soldaten wurden wegen ihrer
Leistung, aber auch als Deutsche respektiert. Oberstabsarzt Dieter
Eißing meinte dazu: "Von der Geschichte merkt man
überhaupt nichts mehr." Und Hauptmann Prommern
bestätigte: "Als Deutscher habe ich absolut keine Probleme,
wir werden in der Mannschaft und von der einheimischen
Bevölkerung geschätzt."
Auf dieses Wohlwollen sind vor allem die
UNOMIG-Soldaten angewiesen, schließlich tragen sie keine
Waffen. Der britische Oberstleutnant Andrew Marriott,
Sektor-Kommandeur in Sugdidi und ein erfahrener Ausbilder, will
eigentlich nicht über die Qualität seiner internationalen
Truppe sprechen. "Aber über die deutschen Soldaten kann ich
eines sagen: Während der anderthalb Jahre, die ich als
Kommandeur hier bin, haben sich alle Deutschen, die hier waren, als
gute Soldaten erwiesen. Bei der UNOMIG gehören die Deutschen
zu denen, die gute Ausbildungsstandards mitbringen und eine gute
Professionalität." Tatsache ist, dass die Bundeswehr ihre
Soldaten nicht unvorbereitet zur UNOMIG schickt. Neben der
Sprachausbildung kommen Berufs- und auftragsgebundene Praktika
hinzu.
Als der UN-Hubschrauber mit Oberstabsarzt
Dieter Eißing an Bord im Oktober 2001 zu einem Patrouillenflug
über der abtrünnigen georgischen Provinz Abchasien abhob,
konnte niemand ahnen, dass es kein Wiedersehen geben würde.
Obwohl der Hubschrauber mit zwei Raketen abgeschossen wurde und es
keine Überlebenden gab, nahm die deutsche Öffentlichkeit
kaum Notiz von der Tragödie im Kaukasus. Der erste deutsche
Soldat, der seit dem Zweiten Weltkrieg während eines Einsatzes
ums Leben am, gehörte zur Beobachtermission der Vereinten
Nationen in Georgien (UNOMIG). Die politische Führung des
Bundesministeriums für Verteidigung empfahl den
zuständigen Stellen, kein "Fahnenbegräbnis" zu
organisieren. Erst Verteidigungsminister Peter Struck brach mit
dieser "Politik des Schweigens": Die im Rahmen von
Auslandseinsätzen im Dienst für ihr Vaterland und den
internationalen Frieden gefallenen deutschen Soldaten werden
seitdem mit mehr Respekt verabschiedet.
Jeden Tag aufs Neue müssen die
UNOMIG-Soldaten das Grenzgebiet zwischen Georgien und Abchasien
durchkämmen, um festzustellen, ob die Konfliktparteien
widerrechtlich Waffen in ihr Gebiet geschmuggelt haben. Die Gefahr
ist allgegenwärtig: Seit 1994 sind mehr als ein dutzend Mal
Soldaten als Geiseln genommen worden. Eine Bodenpatrouille wurde
getötet, als sie eine von georgischen Partisanen vergrabene
Mine überfuhr. Und in Suchumi wurde ein Bus, besetzt mit
Beobachtern, darunter auch Deutsche, von Abchasen mit einem
Granatwerfer beschossen. Trotzdem befand im Herbst 2001 eine
Bundeswehrkommission, dass es sich bei der UNOMIG um "einen
einfachen Einsatz handelt, der nicht mehr gefährlich" sei. Der
Kommentar eines Militärarztes vor Ort lautete damals: "Das
stimmt nicht. Wir leben in ständiger Angst vor
Entführungen. Wir sind unbewaffnet und völlig auf den
russischen Militärschutz angewiesen." Keine große Hilfe,
denn die russischen Einheiten wurden an wenigen Stellen
zusammengezogen und kontrollieren nicht die gesamte
Konfliktregion.
Belastend seien zudem die Lebensbedingungen
der Einheimischen: "Sie haben keinen Strom, kein Wasser, sind
schlecht ernährt", erzählte Sanitätsoffizier
Eißing kurz vor seinem Tod. Die Bürokraten in der Heimat
rührt das alles nicht. Schon vor dem Abschuss des
UN-Hubschraubers hatten die Soldaten erfahren müssen, wie die
Beamten im fernen Verteidigungsministerium die Gefahren ihres
Einsatzes beurteilen: Kurzerhand reduzierten sie den
Auslandszuschlag für Georgien pro Einsatztag von 180 auf 150
Mark - "wegen geringerer Gefährdung". Die Deutschen seien
jedoch nicht des Geldes wegen hier, versicherte Jörg
Rotermund, Hauptfeldwebel aus Augustdorf. "Nein, die finanzielle
Seite hat mich nicht motiviert, sondern ich wollte Erfahrungen bei
einem UN-Einsatz sammeln. Das ist mein Beitrag für die
Menschheit." Trotzdem, die "Unterstufung" wegen angeblich
mangelnder Bedrohung hat die Soldaten tief getroffen,
schließlich wissen sie nur zu gut um die Gefahren. Einen
politisch vielleicht nicht ganz korrekten Vergleich konnte man
immer wieder in Abchasien hören: "Für den Flug des
Verteidigungsministers Scharping nach Mallorca musste der
Steuerzahler 100.000 Mark hinblättern, unser Geld kürzt
er dagegen ohne mit der Wimper zu zucken."
Dr. Aschot Manutscharjan arbeitet als freier Journalist in
Berlin.
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