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Christian Thiele
"Überwiegend ruhig, aber nicht stabil"
Ein Truppenbesuch bei der NATO-Friedenstruppe
KFOR im Kosovo
In der Abflughalle D gibt es heute keine Cola,
der Automat ist kaputt. An der Wand hängen Poster von
Jagdbombern, in einem Regal liegen Spielekartons: Mensch ärger
Dich nicht, Kniffel, Vier gewinnt. Hier muss man Zeit totschlagen.
In den abgesessenen Polstern dösen ein paar Offiziere, ein
Militärpfarrer hört Musik über seinen Ipod. Eine
knarzige Lautsprecherstimme ruft zum Boarding: Zivilisten zuerst,
Abflughalle bitte ordentlich zurücklassen! Zu Fuß geht es
aufs Rollfeld, von der Gangway aus ein letzter Blick auf den
Flughafen Hannover: Die Maschine rechts daneben muss bestimmt nach
Mallorca - wir, im feldgrauen Airbus A 310 "Kurt Schumacher",
dürfen nach Pristina. Pristina im Kosovo.
Reihe eins ist für Jens Spahn und
Begleitung reserviert. Der 25-Jährige aus Münster ist der
jüngste CDU-Abgeordnete im Bundestag. Gedient hat er nicht,
aber als stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss
beschäftigt er sich mit Bundeswehrfragen - "rund 50 Prozent
meiner Zeit", sagt er. Das Verteidigungsministerium hat ihm deshalb
eine Informationsreise organisiert: Drei Tage Truppenbesuch im
Kosovo.
Gut zweieinhalb Stunden später setzt die
Maschine auf dem Rollfeld in Pristina auf, das
Begrüßungskommando für den Herrn Abgeordneten steht
parat. Der für das Besuchsprogramm zuständige
Oberleutnant sagt: "Wir verlegen jetzt per Hubschrauber nach
Prizren, da haben Sie 45 Minuten Verfügungszeit, ehe dann der
Kommandeur berichtet!" Der "Organisationssprech" der Soldaten hat
es dem Abgeordneten schnell angetan. Schon am nächsten Tag
wird Jens Spahn um eine "Verlegung" fragen - wenn er vom
Abendbrottisch in die Kneipe will.
Flapflapflapflapflap: Die Rotorblätter
der zwei Bell-Helikopter zersäbeln die Frühlingsluft, es
geht über braune Hügel und aufgelassene Weinberge
Richting Südwesten, Richtung Prizren. Links und rechts steile
Bergketten, bis 2.000 Meter hoch, knapp oberhalb der Baumgrenze
liegt Schnee in kleinen Flecken. "Das könnte so ein
schönes Land sein", seufzt ein Offizier. Eine Art Schweiz, nur
kleiner.
Doch das Kosovo ist alles andere als die
Schweiz: Es ist Europas offene Wunde. Sie schwärt, sie eitert,
ihre Schmerzen strahlen weit aus - und die Bundeswehr versucht
gleichzeitig, Salbe, Arzt und Pflaster zu sein.
In Titos Jugoslawien war das mehrheitlich von
Albanern bewohnte Kosovo ein relativ unabhängiger Teil
Serbiens. Als nach Titos Tod und dem Zerfall des Ostblocks den
jugoslawischen Republiken der Kitt verloren ging, definierten die
Ultrationationalisten um Slobodan Milosevic das Kosovo zu
slawisch-serbischem Herzland. Von Belgrad geführte Polizei-
und Armeeeinheiten terrorisierten die Provinz, auf Anschläge
der Albaner-Guerilla UCK folgten immer grausamere serbische
Operationen - bis 1999 die NATO die Belgrader Truppen aus dem
Kosovo bombte.
Seitdem hängt die Provinz politisch in
der Luft, der Weltsicherheitsrat zaudert: Für die
Eigenstaatlichkeit - das wollen die Albaner - ist es zu früh,
für die Reintegration - das wollen die Serben - viel zu
spät. Also muss die NATO-Friedenstruppe KFOR Zeit kaufen. Rund
17.000 Soldaten aus 34 Ländern schützen nun die Albaner
vor den Serben und die Serben vor den Albanern. Für die
Bundeswehr ist es der größte Auslandseinsatz: Vor fast
sechs Jahren kamen die Soldaten - wann sie wieder gehen, weiß
keiner: "Überwiegend ruhig, aber nicht stabil" sei die Lage,
steht in den Berichten des Verteidigungsministeriums für den
Bundestag - Verschlusssache, nur für den
Dienstgebrauch.
Wie überall im Leben gibt es auch bei
der Bundeswehr Hundertprozentige und Nicht-ganz-Hundertprozentige.
Oberstleutnant Georg Schatz* ist ein
Hundertfünfzigprozentiger: Kalte blaue Augen, stoppelkurzes
Haar, er spricht Kommandodeutsch. In anderen Bataillonen mögen
die Männer abends Bier bekommen, ohne Schutzweste herumlaufen
- bei ihm gibt es so was nicht. Aber vielleicht darf es so was bei
ihm auch nicht geben: Denn Schatz leitet das Einsatzbataillon in
und um Prizren. Und wenn die Stimmung wieder hochkocht wie im
März letzten Jahres, dann sind Schatzens Männer
buchstäblich an vorderster Front. "Wir machen rund um die Uhr
Patrouillen, halten die neuralgischen Punkte 24 Stunden lang unter
Beobachtung - wir würden sofort sehen, wenn etwas
hocheskaliert", sagt Schatz.
Das Gewehr im Anschlag
Schatz führt die Besucher durch das alte
Serbenviertel im Südosten Prizrens: Vorneweg zwei Soldaten mit
Gewehr im Anschlag, einer sichert nach hinten ab. In engen, steilen
Gassen haben sich die Häuser an den Hang geschmiegt, man muss
sich weit über die groben Pflastersteine beugen beim Anstieg.
Unten mäandert die Bistrica durch die Stadt: Hier muss es mal
schön gewesen sein. Jetzt klirren Scherben von Dachziegeln
unter den Füßen. Wie hohle Augenlöcher starren
angekokelte Löcher aus den Fassaden. Versprenkeltes Weiß
einer Kloschüssel, in tausend Teile zerborsten. "Das meiste
hier wurde nach 1999 zerstört. Aber dann kam im März 2004
ein Ultimatum, die Bewohner hatten zehn Minuten zum Verlassen der
Häuser - und dann ist nachhaltige Zerstörungsarbeit
geleistet worden", sagt Schatz nüchtern.
Zuerst sollten die internationalen Truppen
hier die Albaner vor dem Hass der Serben schützen. Dann
sollten sie die Serben vor der Rache der Albaner schützen.
Jetzt gibt es so gut wie keine Serben mehr zu beschützen. "Die
Hasen vom Amselfeld" hatte der "Spiegel" nach den März-Unruhen
getitelt - mit kalter Wut zitieren die Soldaten noch heute die
schmähende Schlagzeile. Natürlich konnten sie die Serben
nicht beschützen. Aber es war schließlich die Politik,
die ihnen zu wenig Soldaten zur Verfügung gestellt hatte, und
die noch mit der falschen Ausrüstung. Es war die Politik, die
da von der Übergabe der Kommandohoheit an die
schwachbrüstige UN-Polizei faselte. Und es ist die Politik,
die bis heute noch keine Formel für das Kosovo gefunden
hat.
Die Soldaten verstehen sich als Teil eines
Parlamentsheeres: Der Bundestag hat zu entscheiden, wieso wohin wie
viele Soldaten gehen. Deshalb halten sie gegenüber dem Herrn
Abgeordneten den Mund, wenn es um die Politik geht. Nur zaghaft,
erst abends in der Kneipe äußern sie ihre Meinung. Dass
es verhältnismäßig ruhig geblieben sei nach der
Selbstauslieferung von Premierminister Ramush Haradinaj an das
Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, liege an zwei Dingen: Die
Albaner rechneten mit schnellen Fortschritten bei den Verhandlungen
über den Kosovo-Status bei der UNO; und sie glaubten, dass die
Richter in Den Haag den früheren UCK-Führer Haradinaj als
Unschuldigen wieder heimschickten. "Aber wenn das nicht so kommt -
tja dann..." sagt ein Hauptmann und zieht die Stirn in
Falten.
Was dann passieren kann, haben die Soldaten
im März 2004 erlebt: Busseweise kamen junge Männer in
Prizren an, per Handy organisierte man sich, es flogen
Molotowcocktails. Schnell brannte das Serbenviertel am Hang, dann
das orthodoxe Priesterseminar unten am Fluß, dann zog der Mob
ein paar Kilometer weiter, die Bistrica entlang zum
Erzengel-Gabriel-Kloster. Insgesamt wurden damals 19 Menschen
getötet, bis zu 900 verletzt, 4.500 vertrieben - auch bei den
UN-Polizisten und KFOR-Soldaten gab es über 100 Verletzte.
"Die Warnschüsse wurden mit spöttischem Johlen
quittiert", erzählt Schatz, die paar argentinischen
UN-Polizisten mit ihren paar Tränengaskartuschen drängte
man einfach ab - verhältnismäßig höflich, aber
verhältnismäßig bestimmt. Unter den Soldaten
erzählt man sich, dass die Rädelsführer nach getaner
Arbeit insgesamt 20.000 Euro verteilt hätten. Aber wer
weiß das schon, Quittungen mit Umsatzsteuernachweis finden
sich im Kosovo eher selten.
Hauptmann Knut Maier* ist heute unterwegs ins
Roma-Viertel: Die bulligen olivgrünen Bundeswehrautos rumpeln
von Schlagloch zu Schlagloch, am Weges-rand schwelen matte
Flämmchen über Haufen aus Kartons und Flaschen -
Müllentsorgung auf kosovarisch. Ein paar aneinandergenagelte
Bretter ergeben hier eine Wand, ein paar rostige Metallplatten ein
Dach.
Maier ist ein höflicher Mensch: Er
klopft an, stellt sich vor, bittet um den Pass, und dann kommen die
Fragen: Haben die Kinder denn keine Schuhe? Gibt es irgendwo Holz
für den Herd? Was kosten die Herztabletten für die Oma?
Für einen Soldaten unübliche Fragen, die Maier an diesem
Morgen stellt. Aber für Maier sind es die üblichen
Fragen, wenn er durch Prizren fährt. Die Straßen hier
sind mal vereist, mal verschlammt, mal verstaubt - aber Maiers
Fragen sind immer die selben: Er will wissen, was die Leute
brauchen und was sie haben. Wenn sie mehr brauchen als sie haben,
dann können sie zu Maiers Leuten gehen. Sie bekommen einen
Kubikmeter Holz oder ein paar Euro für Schuhe oder ein
Lebensmittelpaket mit Mehl und Öl, Reis und Nudeln, Zucker und
Salz. "Ich mache die Arbeit gerne, denn man kann ja auch wirklich
helfen", sagt Maier. Manchmal koste es zwar Überwindung. "Aber
dann trinke ich abends halt ein Bier mehr und kann auch gut
schlafen."
Cimic heißt das, wofür Maier
verantwortlich ist - zivil-militärische Kooperation - das
Modewort bei den jüngsten Bundeswehreinsätzen. Denn wenn
sie Kindergärten baut, deutsche Rentenanträge
ausfüllt und Lebensmittel verteilt, kann die Bundeswehr a) dem
"Tagesschau"-Publikum in Deutschland vermitteln, dass sie den
Frieden fördert. Und b) gewinnt sie so die Herzen der
Bevölkerung im Einsatzland. "Force Protection spielt
natürlich eine Rolle", sagt Oberstleutnant Jürgen
Schipkowski - nett sein als Truppenschutz. "Wenn ich mit dem
Cimic-Abzeichen am Ärmel unterwegs bin, kann ich eigentlich
die Waffe daheimlassen."
Gerade hat er Windeln eingekauft, für
300 Euro - denn Babies sind die Zukunft, das ist auch im Kosovo so.
"Aber die Gelder fließen nicht mehr so", sagt Schipkowski: Zu
Anfang des Kosovo-Einsatzes hatte die Bundeswehr noch ein ganzes
Cimic-Bataillon hier - jetzt ist es nur noch eine Kompanie. Balkan
ist out, der Afghanistan-Einsatz geht vor. Da schlägt die
Stunde des Abgeordneten: "Sag mal", sagt Spahn zu seinem
Mitarbeiter, "da können wir doch mal ein
Fraktionsrundschreiben machen - vielleicht kommt da was
zusammen..."
Es geht zurück ins Feldlager, zur
Besichtigungstour durch die Quartiere. Am Eingangstor stehen zwei
Wachposten, grimmige Gesichter, volle Montur - aber sie verstehen
kein Wort. Der Fahrer seufzt und zwingt sich ein paar Brocken
russisch ab: Es sind die Männer vom georgischen Wachbataillon,
und bei der diensthabenden Schicht ist wieder mal keiner dabei, der
auch nur ein Wort englisch oder gar deutsch spräche. "Ich
verstehe das nicht", schimpft ein Oberst: "Wenn ich auch nur privat
Urlaub in Georgien machen will, dann muss ich mir das in Berlin
genehmigen lassen, vom Führungsstab der Streitkräfte -
und hier spielen die unsere Bewacher. Aber das ist eben politisch
so gewollt."
Jens Spahn, der Politiker, kommt ins
Grübeln: Einerseits sei so viel Multinationalität doch
positiv. "Schon alleine damit die Soldaten sehen, dass es auch
nicht überall besser ist als bei uns." Aber wenn er sich
klarmacht, dass der Schutz von Bundeswehrsoldaten abhängt von
georgischen Rekruten, die sich im Ernstfall nicht verständlich
machen können - "dann muss man vielleicht doch auch mal auf so
ein Angebot von georgischer Seite verzichten", sagt
Spahn.
Es ist später Nachmittag, im Feldlager
sieht es ein bisschen aus wie im Club Med: Einige Soldaten joggen
mit rotem Kopf die Drei-Kilometer-Runde am Zaun entlang, am
Sportplatz spielen sie Beachvolleyball. Plick-plock-plick-plock
tönt es aus dem Lazarettzelt: Tischtennis, es gibt gerade
nichts zu tun. Ein Rudel von sonnenbebrillten Italienern schlendert
plappernd durch die Straßen, die Hände in den
Hosentaschen, die Barette so scheps auf dem Kopf wie
Karnevalskäppis - aber immer ein freundliches "Ciao" auf den
Lippen. Ein paar Deutsche, einzeln oder in Zweiergrüppchen,
alle in tadelloser Uniform, die Hand geht zum Gruß an die
Kappe.
Eine Niedersachsen-Fahne, gelbe Ortsschilder
mit schwarzer Schrift: "Senden", "Donauwörth": Inseln von
Heimat in der Fremde. Draußen, jenseits des Lagerzaunes,
flackern die Müllfeuer - hier steht an jedem zweiten Zelt eine
Batterie von Mülltonnen: blau für Papier, grün
für Glas, schwarz für den Rest. "Das Recht folgt der
Fahne", sagt ein Offizier - auf Bundeswehrterritorium wird der
Müll getrennt, und selbst wenn es im Kosovo ist.
Im Stabsgebäude sind die Ergebnisse vom
letzten Bundesligaspieltag angeschlagen - gleich neben den
Öffnungszeiten für die Frauensauna, der internationalen
Vergleichstabelle für Dienstränge und den
Aufforderungsplakaten, doch bitte langsam und vorsichtig
autozufahren. Im dritten Stock hat der Kommandeur zum Briefing
geladen: Brigadegeneral Richard Rossmanith, ein Bayer. Die Nato hat
den Kosovo in vier Sektoren aufgeteilt - rund um Prizren hat
Rossmanith das Sagen, denn er befehligt die multinationale Brigade
Südwest. Damit unterstehen ihm nicht nur rund 8.000 Soldaten
aus einem Dutzend Nationen - sondern auch rund die Hälfte des
Kosovo mit 594 Kommunen und 830.000 Einwohnern, 90 Prozent davon
Albaner.
Seine Oberstleutnante hat er bunte
Powerpoint-Präsentationen vorbereiten lassen, dem Abgeordneten
wird der Einsatz als Multimedia-Show serviert. Es geht um den
Bevölkerungsmix: gelbe Balken, das sind die Albaner, rote
Balken, das sind die Serben. Die roten Balken sind kürzer
geworden über die Jahre, fast überall im Kosovo: "Die
Masse der Serben hat das Kosovo doch schon 1999/2000 verlassen, da
passierte jeden Tag mehrfach, was dann einmalig im März 2004
passierte: In Prizren brannte es laufend", sagt Rossmanith. Man
merkt: Obwohl die März-Unruhen ein Jahr her sind; obwohl ein
ganz anderes Bundeswehrkontingent damals im Kosovo war und die
jetzigen Soldaten damals noch in ihren Heimatkasernen für den
Einsatz trainierten - der Bundeswehr steckt die Sache noch in den
Knochen. Den Vorwurf, sie habe zu wenig getan, sei schlecht
vorbereitet gewesen, den hört keine Truppe gern.
Ausgangsverbot für die
Soldaten
Aber Konsequenzen hat die Bundeswehr dennoch
gezogen - Lessons learned, wie so etwas die Militärs nennen:
Oberst Gerd Krause* zählt auf: Es gibt heute mehr bewegliche
Operationen, die einzelnen Nationen wechseln sich häufiger ab
- die Deutschen mit den Spaniern, die Spanier mit den Italienern.
Logistiker, Fernmelder und Pioniere, die sich früher nur auf
ihre Spezialfunktionen konzentrierten, üben jetzt wieder
häufiger das Schießen - als Alarmreserven, wenn
Verstärkung nötig ist. Außerdem mehr Dialog: Krause
zeigt Dias von Soldaten, wie sie mit orthodoxen Popen und
muslimischen Imamen Hände schütteln, an kleine
Mädchen Puppen verteilen, Kommunalpolitikern das Lager
zeigen.
Immer noch haben die Soldaten Ausgangsverbot.
Nur für dienstliche Notwendigkeiten darf das Lager verlassen
werden - ein Großteil der Soldaten jedoch bleibt ein halbes
Jahr lang einkaserniert. Also geht es zum Abendessen in die
Kantine, ein oktoberfestgroßes Metallzelt. Die Deutschen
reihen sich vom Feldwebel bis zum Brigadegeneral brav in die
Schlange ein, platzieren sich an Achtertischen, es gibt Brot,
Wurst, Salat. "Ein italienischer General würde sich hier nie
anstellen", knurrt ein Oberleutnant, "aber die haben ja auch ihr
eigenes Offizierskasino."
Ein paar Schritte weiter zum Gute-Nacht-Drink
in die "San-Shine-Bar". Sanitätssoldaten haben die Kneipe
gebaut - daher der Name. An der Decke hängt eine Discokugel,
aus den Boxen röhrt "Footloose". Es wird gedartet, es wird
geflirtet. Einer hat Geburtstag und bedankt sich in
radebrecherischem Englisch bei den deutschen und italienischen
Kameraden fürs Geschenk: Seine Worte verstehen die meisten,
die spendierten Biere verstehen alle. Zwei, drei davon darf jeder
trinken, wenn er sie verträgt - aber für einen Rausch
verhängt der Kommandeur schon mal vierstellige Geldbußen.
"Wir haben hier zwar kein Alkoholproblem, aber wer zu Hause gerne
mal zur Tasse langt, den kriegst Du auch hier nicht trocken", sagt
ein Oberst. Um punkt halb elf die letzte Runde, vom DJ Paulchen
Panthers "Wer hat an der Uhr gedreht?" - und die Truppe geht
schlafen.
Lehren aus den März-Unruhen
Die gravierendsten Lehren aus dem
März-Unruhen demonstriert am nächsten Tag Hauptmann Klaus
Schlosser.* Schlosser befehligt, zusammen mit einem
österreichischen Kameraden, die Task Force Dulje
nordöstlich von Prizren. Von der guten Küche spannt ihm
ein wenig der Feldrock über dem Bauch - ein gemütlicher
Mann mit breitem westfälischen Akzent. Aber wenn er, in
Begleitung dreier schwergepanzerter Soldaten, durch die staubigen
Gassen von Orahovac läuft, ist Schlosser auf der Hut: "Das
geht hier ganz schnell: Der Dorfplatz ist leer, und drei Minuten
später ist er schwarz vor Menschen. Und wenn die dann so ernst
gucken, weiß ich nie: Führen die was im Schilde, oder
sind die nur traurig von einer Beerdigung." Deshalb hat Schlosser
Vorkehrungen getroffen.
Es gackern die Hühner, ein Hund
döst im Schatten, eine Mutter wippt ihr Baby im Arm - bis
Stiefeltritte den Hang hinabpoltern: Drei, vier, fünf, sechs
grüne Wesen stürmen die Gasse herab, auf dem Kopf Helme
mit Vollvisier, in den Händen Schlagstock und Schild. Sie
zerren zwei Rollen Stacheldraht über das Pflaster, von hinten
rollt ein Transportpanzer heran, aus dem Wasserwerfer auf dem Dach
tröpfelt es - wie Speichel aus dem Mund eines Jagdhundes. In
wenigen Augenblicken ist die Gasse abgeriegelt, hier kommt keiner
mehr durch. Alles nur Übung diesmal. Aber im Ernstfall
könnten so die serbischen Familien oben am Hang vor dem
Albanermob beschützt werden, "so schnell kann keiner
schlucken", sagt Schlosser.
Nach den März-Unruhen hat die Bundeswehr
Hunderte von so genannten CRC-Ausrüstungen angeschafft,
"Crowd-and-riot control", zur Eindämmung von
Massenansammlungen und Aufständen: Schoner für
Ellenbogen, Brust und Unterleib - der Herr Abgeordnete nimmt die
Einladung zu ein paar Stockschlägen an, Prügel zu
Testzwecken. Parlament und Regierung haben letzten Sommer sogar das
Chemiewaffenübereinkommen modifiziert - damit die Soldaten
auch Pfefferspray, Gummigeschosse und Reizgas einsetzen
können. "Früher gab es nur Warnschüsse in die Luft
oder ernsthaftes Feuer", sagt Schlosser. "Jetzt können wir
über die komplette Eskalationsleiter gehen - das wirkt
deeskalierend." Zum Beispiel neulich, als zwei Streithähne mit
Mistgabeln aufeinander losgingen und damit das halbe Dorf in Tumult
zu stürzen drohten - nach einer Prise Pfefferspray herrschte
Ruhe. Die Soldaten sind stolz auf die Ausrüstung,
"Österreicher, Schweizer, Amis - keiner hat da besseres zu
bieten", sagt einer. Jens Spahn ist zufrieden: "Die Soldaten haben
was sie brauchen." Widersprechen mag keiner.
Erst bei den Heeresfliegern im
Außenlager Toplicane wird Klartext geredet: "Brennkammer"
heißt hier die Kneipe, der Oberstleutnant drückt die
Türe hinter sich zu und lässt die Soldaten allein zur
Aussprache mit dem Abgeordneten. Man hockt in durchgesessenen
Polstergarnituren, in der Heimat wäre das gut für den
Flohmarkt. Die Soldaten meckern: Der Auslandsverwendungszuschlag
ist gekürzt worden; die Handyverbindungen sind teuer und
laufend unterbrochen; die Feldpost dauert zu lang; wichtige
Küchenanlagen seien seit Wochen ausgefallen: "Die Firma will
nicht kommen, weil es denen hier zu gefährlich ist.
Gleichzeitig wird uns der AVZ gekürzt, weil es hier angeblich
nicht mehr gefährlich ist - da stimmt doch was nicht",
schimpft einer.
Jens Spahn beschwichtigt. Er könnte sich
jetzt empört geben, mit breiter Brust Briefe ankündigen
an den Minister und andere Verantwortliche aus der Regierung,
schließlich ist er ja Opposition - aber Spahn beschwichtigt.
Die Mittel seien schließlich knapp - und das elementar
Notwendige hätten die Soldaten ja wohl, oder? Knurren, dann
fragt einer, wie lange die Politik noch Truppen hier zu halten
gedenke - fünf bis zehn Jahre, schätzt Spahn. "Dann
sorgen Sie aber bitte mal für anständige Ausrüstung,
das sind doch hier alles Provisorien." Spahn bedankt sich für
die offenen Worte. Aber jetzt muss er zum Flughafen.
Statt im Airbus geht es in der Transall
zurück nach Deutschland. Seit mehr als 40 Jahren sind die
Maschinen im Einsatz, altes, schweres Fluggerät. Den
Gästen werden Ohrstöpsel verteilt, Jens Spahn gibt noch
ein Interview. Wegen der Handyverträge werde er den
Staatssekretär um Stellungnahme bitten. Den
Auslandsverwendungszuschlag? Klar, auch das werde er ansprechen -
"aber ändern kann ich da auch nichts". Bald ist Spahn heiser,
die Transall zwingt ihn, so laut zu sprechen. Generell seien die
Soldaten ja wenig larmoyant, das habe ihm gefallen. "Ein paar
Klagen gehören zum Truppenbesuch dazu, die müssen sich ja
auch jenseits der Dienstwege mal auskotzen können."
* Die Namen der so markierten Soldaten wurden aus
Sicherheitsgründen von der Redaktion geändert.
Christian Thiele arbeitet als freier Journalist.
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