|
|
Michael Münch
Wehrdienst nach dem Kosovo-Krieg von Juli 1999
bis April 2000
Erinnerungen
Am 5. Juli 1999 befand ich mich in scheinbar guter Gesellschaft.
Ich war umgeben von lauter frisch gebackenen Abiturienten, die ihre
erste große Hürde im Leben genommen hatten. Nicht ganz
ohne Naivität saßen wir in einem sichtlich
überfüllten Unterrichtsraum der Karl-Günher-Kaserne
im thüringischen Sondershausen, ohne auch nur zu ahnen, was
das Soldatenleben im 4. Raketenartilleriebataillon 132 mit sich
bringen würde. Doch während die Diskussion über
unsere Leistungskurse noch in vollem Gange war, schrie ein
Fähnrich: "Ihr Gehirn haben Sie hoffentlich an der Wache
abgegeben, denn in Zukunft übernehmen wir das Denken für
Sie!" Wir, damit meinte er 20-jährige Offiziersanwärter
und Unteroffiziere, die bis vor einem Jahr selber noch
"Schulterglatzen" (also Rekruten ohne Rangabzeichen) waren. Es
folgte ein mit unfreiwilliger Komik versehener Abriss von dem, was
uns die nächsten acht Wochen in der Grundausbildung erwarten
würde. Anleihen aus dem Film "Full Metal Jacket" waren dabei
in der Sprache des Fähnrichs unverkennbar. Erst als wir um
Mitternacht immer noch mehr oder weniger erfolgreich den
Gleichschritt übten und uns das Wecken für fünf Uhr
angekündigt wurde, war auch dem Letzten das Lachen
vergangen.
In den kommenden Wochen zogen unsere Ausbilder das komplette
Rekrutenprogramm durch: Gefechtsmärsche, Formaldienst, Sport,
Waffenkunde, ABC-Schutzübungen und das besonders verhasste
Biwak - scherzhaft auch "Bundeswehrinternes Wohnen außerhalb
der Kaserne" genannt. Wer geschickt genug war, konnte sich per
Truppenarztbesuch um den ein oder anderen Marsch drücken und
erhielt zudem das Universalheilmittel "Mobilat". Insbesondere kurz
vor den Biwaks war das Wartezimmer stets gut besucht. Hatte man
sein Leiden glaubhaft genug geschildert, konnte das Leben im Felde
nicht nur bundeswehrintern, sondern vor allen Dingen kasernenintern
erlernt werden. Eigens hierfür hatten unsere Ausbilder ein
Zeltlager auf dem Dachboden der Kaserne errichtet. Wir
Gesundgebliebenen krochen stattdessen durch distelüberwucherte
Felder, schossen auf gesichtslose "Pappkameraden" und erstickten in
der prallen Mittagssonne fast unter den übelriechenden
ABC-Masken.
Doch gegen wen wir uns da eigentlich in der Gefechtsausbildung
wappneten, konnte kein Vorgesetzter sagen. "Früher hieß
der Feind Rot-Land und kam immer aus dem Osten. Heute heißt er
Blau-, Gelb- oder Grünland und kommt mal aus dem Norden, mal
aus dem Süden oder aus dem Westen.", meinte unser
Gruppenführer. Sehr diplomatische Antwort. Überhaupt
achtete man sehr auf die "political correctness". Im
Politikunterricht wurde mit keiner Silbe erwähnt, dass sich
die Bundeswehr zu Beginn des Kosovo-Krieges im März 1999
erstmals in ihrer Geschichte aktiv an Kampfhandlungen beteiligt
hatte. Die humanitären Aufgaben der SFOR- und KFOR-Soldaten
wurden da schon ausführlicher erläutert.
Schließlich sollte der Kosovo-Konflikt auch für uns
bald näher rücken. Allerdings in einer Form, die wir so
nicht erwartet hatten. Nach der Grundausbildung wurde unser
Bataillon auf den Truppenübungsplatz Munster in die
Lüneburger Heide versetzt. Die Aufgabe für die kommenden
zwei Monate lautete: Ausbildungsunterstützung für das
dritte KFOR-Bundeswehrkontingent. Doch wie bitteschön sollte
ein Haufen Gefreiter altgediente Soldaten auf einen Auslandeinsatz
in der instabilsten Region Europas vorbereiten? "In den kommenden
Wochen werden Sie das Leben im Krisengebiet simulieren.
Hierfür müssen Sie Ihr ganzes Schauspieltalent
aufbringen.", meinte der befehlshabende Oberst. So eigneten wir uns
schleunigst ein paar Brocken "Phantasieserbisch" an und
schlüpften fortan in die Rollen von Kosovaren, Serben und
Verwundeten. An unterschiedlichen Stationen sollten wir die
KFOR-Soldaten in möglichst knifflige Situationen bringen.
Dabei war es für die "Auszubildenden" sichtlich harte Arbeit,
uns Schwerverletzte aus verunglückten Fahrzeugen zu bergen
oder eine drohende Schlägerei zwischen den verschiedenen
ethnischen Gruppen zu verhindern. Nur wenige Soldaten
"deeskalierten" die Situationen fehlerfrei. Selbst gestandene
Offiziere stießen oft an ihre Grenzen und mussten sich Kritik
an ihrem Verhalten gefallen lassen. Wir konnten uns dagegen
über das Lob der Vorgesetzten freuen, die unseren
ungewöhnlichen Einsatz mit dienstfreien Tagen und einem
Ausflug nach Hamburg belohnten.
Zurück in Sondershausen begann unsere eigentliche
Ausbildung an den MARS-Raketenwerfern. Genervt übten wir jeden
Tag stundenlang das Ausrichten der Raketenbatterie sowie das Be-
und Entladen der Werfer. Die Computersteuerung aus den 70er-Jahren
kapierte jedoch niemand so recht. Glücklicherweise schienen
die Anwohner der Kaserne Mitleid mit uns zu haben. Es hagelte
Beschwerden wegen der Lärmbelästigung, so dass unsere
Übungen schließlich auf ein Minimum reduziert wurden.
Fortan hieß es nahezu jeden Tag: Technischer Dienst. Konkret
bedeutete dies Autowaschen, vorzugsweise mit Hilfe der Waschanlage
in der 20 Kilometer entfernten Kyffhäuser-Kaserne in Bad
Frankenhausen. Erst Anfang April 2000 konnten wir unser
militärisches Wissen in die Praxis umsetzen. Wir kehrten nach
Munster zurück, diesmal jedoch mit acht MARS-Raketenwerfern im
Gepäck. So führten wir für die nächsten zwei
Wochen erneut Krieg gegen einen unsichtbaren Gegner namens
Blau-Land, bevor es am 30. April 2000 auch für uns hieß:
"Abgänger!"
Michael Münch studiert an der TU Chemnitz und absolviert
derzeit ein Praktikum bei "Das Parlament".
Zurück zur
Übersicht
|