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Tobias von Heymann
Killersoldaten sind nicht gefragt
Die Diskussion um die Wehrpflicht
Auch 15 Jahre nach Ende des Kalten Krieges geht
die Diskussion um die künftige Struktur der Bundeswehr
unvermindert weiter. Vor allem die Zukunft der Wehrpflicht steht
neben der Frage nach den künftigen Aufgaben der Armee und
deren Grenzen im Zentrum der politischen Debatte. Während die
kleineren Parteien Bündnis90/Grüne und FDP hierzu bereits
eindeutige Standpunkte vertreten, entwickeln vor allem die SPD,
aber auch Teile der CDU gerade modifizierte Positionen zu
möglichen weiteren Reformen.
So vielschichtig Gegner und Befürworter
der bisherigen Praxis argumentieren - die Zahlen bleiben für
beide Seiten die gleichen: So sollen in der Bundeswehr im Jahr 2010
insgesamt bis zu 252.000 Soldaten in drei Hauptbereichen dienen:
Rund 35.000 bei mobilen Einsätzen, 70.000 als Stabilisierungs-
und zirka 106.000 als Unterstützungskräfte. Sie soll sich
künftig aus etwa 195.000 Berufssoldaten und 55.000
Wehrpflichtigen zusammensetzen, von denen 30.000 ihren
neunmonatigen Grundwehrdienst ableisten und sich 25.000 als
freiwillig länger Dienende (FLD) verpflichten. Somit liegt die
Zahl der "typischen" Wehrdienstleistenden dann bei rund zwölf
Prozent der Gesamttruppenstärke.
Auf der politischen Ebene bezog sich die
rot-grüne Bundesregierung lange im Wesentlichen auf die
Empfehlungen der "Weizsäcker-Kommission", die Ende Mai 2000
ihren Bericht vorgelegt hatte. Darin sprach sich die Mehrheit des
Gremiums letztlich für ein Beibehalten des hergebrachten
Modells aus: "Die Kommission hat die Vor- und Nachteile von
Freiwilligen- und Wehrpflichtigen-Streitkräften eingehend
erörtert. (…) Eine drastisch verkleinerte Bundeswehr
hätte den Übergang auf ein reines Freiwilligensystem nahe
gelegt. Die Kommission ist aber der Meinung, dass sich die
zukünftige Bundeswehr nicht ausschließlich auf
Freiwillige stützen kann. Angesichts andauernder
äußerer Ungewissheiten sollte die Struktur der
Streitkräfte flexibel angelegt sein und über
Aufwuchspotenzial und Regenerationsfähigkeit verfügen.
Wehrpflichtige werden weiterhin gebraucht - auch wenn in deutlich
kleinerer Zahl als bisher."
Doch im Zuge des weit reichenden
Reformprozesses bei den Streitkräften von der Territorial- hin
zur Einsatzarmee entwickelten sich auch die
gesamtgesellschaftlichen Sichtweisen auf die allgemeine Wehrpflicht
weiter. Wenige Jahre später, nach den Bundestagswahlen im
Oktober 2002, verabschiedete die Bundesregierung aus SPD und
Bündnis90/Grüne einen Koalitionsvertrag, der das Thema
erneut auf die Tagesordnung setzte. "Nach der weitgehenden
Umsetzung der im Jahr 2000 eingeleiteten Bundeswehrreform, aber
noch vor Ende der laufenden 15. Legislaturperiode, muss erneut
überprüft werden, ob weitere Strukturanpassungen oder
Änderungen bei der Wehrverfassung notwendig sind, um den sich
weiterentwickelnden nationalen und internationalen Verpflichtungen
gerecht zu werden", macht sich die Koalition zur Aufgabe. Was am
Ende dieses Prozesses als Ergebnis herauskommt, ist noch
offen.
Das gilt besonders für die SPD: Mitte
November 2005 wollen die Sozialdemokraten auf ihrem Bundesparteitag
einen Beschluss zum Thema fassen, noch im Sommer soll eine
Arbeitsgruppe einen Leitantrag für den Parteivorstand
erarbeiten. Während sich Bundesverteidigungsminister Peter
Struck bereits mehrfach für den grundsätzlichen Erhalt
der bisherigen Praxis ausgesprochen hat, mehren sich in der Partei
die Stimmen, die die Wehrpflicht zumindest aussetzen wollen. Der
Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels (SPD) und Mitglied des
Verteidigungsausschusses gehört selbst zu den
Pflicht-Befürwortern. "Im Grunde stehen wir beim Parteitag vor
drei Möglichkeiten. Entweder stimmt eine Mehrheit für den
Ausstieg oder es bleibt alles, wie es ist - oder wir entscheiden
uns für eine dritte Variante", sagt er. Er selbst spricht sich
für das bisherige Verfahren aus. "Kein Privatunternehmen muss
regelmäßig um 70.000 junge Männer aus einem Jahrgang
werben", argumentiert Bartels. So hoch sei die Zahl der Soldaten,
die jedes Jahr aus der Armee ausschieden und durch neue ersetzt
werden müssten: "Diesen hohen Bedarf deckt die Bundeswehr am
besten aus der Breite der Gesellschaft und allen sozialen
Schichten." Außerdem entscheide sich ein Teil der Eingezogenen
erst während ihres Dienstes für eine mehrjährige
militärische Laufbahn, wenn sie den Truppenalltag von innen
kennen lernten. Auch zeige ein Blick in Länder, die die
Wehrpflicht bereits abgeschafft hätten, keine guten Erfolge:
Hohe Kosten für die Nachwuchswerbung wie auch ein deutliches
Absinken der eingebrachten Qualifikationen der Bewerber seien
negative Folgen. Daher sollten auch in Zukunft alle männlichen
Volljährigen wie bisher gemustert und beim Kreiswehrersatzamt
erfasst werden. Darüber hinaus stelle der obligatorische
Dienst junger Männer an der Waffe nicht zuletzt eine "wichtige
Klammer zwischen Gesellschaft und Bundeswehr" dar. Allerdings sagt
er auch mit Blick auf den Parteitag: "Als Teil der staatlichen
Sicherheitsvorsorge müssen wir die Wehrpflicht
weiterentwickeln und anpassen." Dazu gehöre auch, das Element
der Freiwilligkeit zu stärken. "Beispielsweise sind auf dem
Balkan oder bei Marineeinsätzen am Horn von Afrika Soldaten
dabei, die dafür ihren Grunddienst um sechs auf 15 Monate
verlängert haben. Das halte ich für eine sehr gute
Regelung. Diese Männer gehen einmal in einen Auslandseinsatz -
und dann buchstäblich wieder nach Hause", sagt
Bartels.
Diesem Ansatz widerspricht jedoch Winfried
Nachtwei, sicherheitspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion
von Bündnis90/Grüne. In seiner Partei ist ein Ausstieg
aus der Wehrpflicht als Teil des Parteiprogramms unumstritten.
"Ihre Bedeutung für die Integration der Armee in die
Gesellschaft wird immer geringer. Sie ist nicht mehr legitimierbar
und vor allem jüngeren Menschen gegenüber nicht mehr
plausibel zu machen", sagt er. "Die gegenwärtige
Rest-Wehrpflicht ist für die nötige Qualität und
Quantität der Streitkräfte keineswegs mehr nötig.
Auch mit einer Freiwilligen-Armee können diese Ziele
gewährleistet werden." Er fordert daher ein Aussetzen der
Wehrpflicht und auch einen "generellen Verzicht auf die Musterung".
Schon jetzt gehe der Anteil der Binnenwerbung für Nachwuchs
über den obligatorischen Dienst zurück, und längst
nicht alle freiwilligen und geeigneten Bewerber könnten einen
Job bei der Truppe bekommen. Stattdessen schlägt er einen
zwölf bis 24-monatigen Kurzdienst vor, der Männern wie
Frauen offen stehen soll. Auch seien die Möglichkeiten, die
entsprechenden Zielgruppen anzusprechen, noch um Einiges
optimierbar und nicht ausgeschöpft. Wichtig sei vor allem, die
Attraktivität des Arbeitsplatzes Bundeswehr zu erhöhen.
Und das nicht nur materiell, sondern auch ideell. "Eine
Freiwilligen-Armee im Dienste und für die Ziele der Vereinten
Nationen hat da ganz andere Möglichkeiten als eine
Interventionsarmee mit grenzenlosem Auftrag", sagt Nachtwei. So
hätten die USA trotz enormer Prämien heute
größte Nachwuchs-Probleme, wie sich am Beispiel des
Irak-Krieges zeige. "Der entscheidende Punkt ist hier die Klarheit
und vor allem Begrenztheit des Auftrags der Bundeswehr. Die
Kernverantwortung für eine zurück-haltende Einsatzpolitik
liegt beim Parlament, der gesamtgesellschaftlichen
Öffentlichkeit und der militärischen Spitze." Abgesehen
davon erteile die Bundeswehr durch ihr Prinzip der inneren
Führung, das auf den Staatsbürger in Uniform in einer
demokratischen Armee setzt, eine klare Absage an ein
Söldnertum, wo absoluter Befehl und Gehorsam gelten.
"Killersoldaten sind definitiv nicht gefragt und das ist auch nicht
das Menschenbild, das die Bundeswehr vertritt", so
Nachtwei.
Ähnliche Positionen vertritt hier auch
die FDP. "Wir wollen die Wehrpflicht nur aussetzen und nicht
abschaffen. Denn das hieße, dass das Grundgesetz geändert
werden müsste. Ein Aussetzen ließe sich dagegen per
Gesetz verwirklichen", sagt Günther Nolting,
verteidigungspolitischer Sprecher der liberalen Bundestagsfraktion.
"Seit 1990 hat sich die Sicherheitslage insgesamt verbessert.
Staaten, die früher Mitglied des Warschauer Paktes oder der
Sowjetunion waren, sind teilweise heute sogar Mitglieder der NATO.
Daher ist eine politisch begründete Wehrpflicht nicht mehr zu
rechtfertigen", sagt Nolting. Außerdem stelle der Dienst an
der Waffe einen tief greifenden Eingriff in das Leben von
Jugendlichen dar: "Das kann kein ewig währendes Prinzip sein."
Schon in der kommenden Legislaturperiode könnte dieser
Ausstieg eingeleitet werden, allerdings "ohne plötzlichen
Bruch". Sollte sich rein hypothetisch einmal die Lage wieder
verschlechtern, ließe sich die allgemeine Wehrpflicht leicht
wieder einführen.
Wie jeder andere Beruf im Bereich Sicherheit
- zum Beispiel Feuerwehr, Polizei oder Bundesgrenzschutz -
müsse sich auch eine Armee um ihren Nachwuchs selbst
kümmern. "Das lässt sich machen, wenn man möchte",
ist sich der FDP-Politiker sicher. "Insgesamt muss dafür aber
die Attraktivität des Dienstes erhöht werden", stimmt er
seinem Kollegen Nachtwei zu. "Da stellen sich dann konkrete Fragen:
Wie sieht der Arbeitsplatz in der Kaserne aus und wie sind sie
ausgestattet, wie gestaltet sich das berufliche Umfeld und wie ist
die Qualität der Ausbildung, wie lange dauern Einsätze
und wie oft kommen sie auf den Einzelnen zu?", kommt Nolting zu
praktischen Aspekten. Daneben müsse das Einstiegsgehalt
für Soldaten angehoben und mehr
Beförderungsmöglichkeiten geschaffen werden. So macht
sich Nolting für ein eigenes Besoldungsrecht der Bundeswehr
stark, für das künftig nicht mehr das Bundesinnen-,
sondern das Verteidigungsministerium verantwortlich sein sollte.
Auch müsse nicht nur der nach wie vor bestehende Unterschied
des Soldes in Ost und West beseitigt sowie die besonderen
Belastungen bei Auslandseinsätzen besser honoriert werden.
Darüber hinaus müssten für solche Aufträge mehr
besser geschützte Fahrzeuge angeschafft und mehr für die
Sicherheit der Soldaten getan werden.
Das von Befürwortern der bisherigen
Wehrpflicht-Praxis ins Feld geführte Argument der auf diese
Weise automatisch sichergestellten gesellschaftlichen Integration
der Streitkräfte beurteilt Günther Nolting skeptisch.
"Nach der Akzeptanzkrise Ende der Achtzigerjahre ist das Ansehen
der Bundeswehr heute so groß wie nie. Die Philosophie der
deutschen Armee hat sich insgesamt bewährt, und zwar nicht nur
das Modell der inneren Führung. Sie ist kein Staat im Staat
geworden." Bei Gesprächen habe er "sehr nachdenkliche Soldaten
erlebt", vor allem, wenn sie aus Einsätzen zurückgekommen
seien. "Das sind keine Rambos wie vielleicht bei einer
Söldnertruppe, solche Leute kann der Bund auch nicht
gebrauchen", sagt Nolting.
Entscheidend für die Einbindung in der
Gesellschaft sei neben der "Kultur der militärischen
Zurückhaltung", die Rolle der Armee als Parlamentsarmee. "Mir
kommt der Ruf nach Militär immer sehr schnell. Doch die
internationale Verantwortung für den Frieden ist hoch, da darf
es keinen Automatismus geben. Wir brauchen zuerst politische
Lösungen, bevor es als allerletztes Mittel zum Einsatz kommt."
Dann aber müsse das gesamte Parlament mehrheitlich dahinter
stehen und auch die ganze Opposition müsse beteiligt sein.
"Auch eine Freiwilligenarmee darf keine Regierungsarmee werden,
jeder einzelne Abgeordnete muss in die Verantwortung gezogen sein,
wenn er mit "Ja" oder "Nein" stimmt", so Nolting. Insofern weise
das Parlamentsbeteiligungsgesetz ("Entsendegesetz") vom Dezember
2004 in die richtige Richtung. Allerdings mahnt er Nachbesserungen
an. "Der Bundestag sollte einen Entsendeausschuss einsetzen, der
sich nur mit Fragen der Eilbedürftigkeit, bei Gefahr im Verzug
wie beispielsweise bei Geiselnahmen im Ausland befasst und in dem
alle Bundestagsfraktionen vertreten sind", schlägt der
FDP-Politiker vor. An der Pflicht, wie bisher das Parlament dann
darüber zu informieren, dürfe sich aber nichts
ändern.
Anders als die Grünen und die Liberalen
möchte die CDU/CSU die Wehrpflicht beibehalten - allerdings
sieht auch sie erheblichen Reformbedarf. "Für uns stellt sich
vor allem die Frage, wie man das jetzige System neu justieren
kann", sagt Christian Schmidt, verteidigungspolitischer Sprecher.
Kürzer als die derzeitig obligatorischen neun Monate
dürfte der Dienst aber nicht dauern. "Der gegenwärtige
Rahmen ist für die Bundeswehr die absolute Untergrenze. Sonst
haben wir nur die Ausbildung, aber keine einsatzfähigen
Soldaten mehr." Jeder, der die Wehrpflicht aussetzen wolle,
müsse zuerst nachweisen, wie und zu welchem Preis.
"Freiwilligenarmee heißt auch höhere Kosten", warnt er.
Das oft zitierte "dänische Modell" mit relativ hohem
Basis-Sold hält er daher nicht für übertragbar. Auch
brächten junge Rekruten durch ihre Kenntnisse und
Fähigkeiten "frischen Wind" in die Truppe und damit eine
Vielschichtigkeit, die eine "intelligente Armee" zur Folge habe. Um
das gleiche Potenzial für das "Abenteuer Berufsarmee"
anzusprechen, seien sehr teure Programme für eine höhere
Attraktivität nötig. Stattdessen wirbt er für sein
Reform-Konzept einer Art Heimatschutz: "Innere und äußere
Sicherheit sind nicht mehr zu trennen, die Zonen vermischen sich
immer stärker. Dadurch steigt die Bedeutung eines Schutzes im
Inneren, der aber keine soldatische Aufgaben mehr zu erfüllen
hat." Für dieses Modell schlägt er eine Art
zivil-militärische Zusammenarbeit auf nationaler Ebene vor,
bei der allerdings im Krisen- oder Katastrophenfall die
Kommandostrukturen eindeutig klar sein müssten. "Das Resultat
könnte eine sicherheitspolitische Dienstpflicht sein, die den
Wehrgedanken auf den allgemeinen Bereich Sicherheit für unsere
Gesellschaft ausweitet. So könnte der Katastrophenschutz
stärker als bisher zur Möglichkeit für Männer
ausgebaut werden, den Dienst abzuleisten", sagt er. Dazu müsse
die Bundeswehr aber auch klar wissen, wohin sie sich entwickeln
soll: "Ist sie ein besseres Technisches Hilfswerk oder eine Armee,
die kämpfen kann?" Gerade hier kritisiert er an der
Bundesregierung ein "Stück Beliebigkeit". Schmidt: "Bis heute
fehlt ein verbindliches Dokument für den Einsatzrahmen der
Bundeswehr. Sie bräuchte dringend ein neues Weißbuch.
"Militärische Einsätze müssen die absolute Ausnahme
bleiben, wir dürfen uns nicht daran gewöhnen. Es gibt
kein Axiom, dass Deutschland immer überall dabei sein muss,
auch wenn die internationale Gemeinschaft das fordert." Wichtig sei
daher, politisch mehr in die NATO zu investieren. Besser als nur
militärische Optionen sei, Entwicklungshilfe und
präventive Diplomatie noch stärker in die
Sicherheitspolitik einzubeziehen. "Und wenn im Extremfall wirklich
einmal Völkerrecht mit Gewalt durchgesetzt werden muss, ist
das dann das Verschulden der Politik und nicht der Soldaten", sagt
der Parlamentarier.
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