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Claudia Heine
Mehr als ein Kummerkasten
Der Wehrbeauftragte des Deutschen
Bundestages
Die "Ohne-mich-Bewegung" zu Beginn und die
"Paulskirchen-Bewegung" in der Mitte der 1950er-Jahre waren
keinesfalls Splittergruppen. In ihnen vereinte sich ein breites
Protestpotential quer durch alle Parteien und
Bevölkerungsschichten mit dem Ziel, eine Wiederbewaffnung der
Bundesrepublik zu verhindern. Noch war die Erinnerung an die
unrühmliche Rolle, die die Wehrmacht während des
Nationalsozialismus gespielt hatte, überaus präsent. Es
war der gesellschaftlichen Konflikt jener Zeit, und Konrad
Adenauer, Verfechter einer auch militärischen Einbeziehung der
Bundesrepublik in das westliche Bündnissystem, versank
seinetwegen fast zwei Jahre im Umfragetief. Vor allem die USA
drängten vor dem Hintergrund neuer militärischer
Ost-West-Konflikte wie dem Korea-Krieg aber auf einen westdeutschen
Wehrbeitrag. Eine Bewaffnung, das wurde deutlich, war nur auf der
Basis einer umfassenden Militärreform möglich. Nur ein
solch totaler Neubeginn konnte erfolgreich sein. Seinen Ausdruck
fand er im Konzept der "Inneren Führung". Mit diesem Prinzip
sollte verhindert werden, dass noch einmal eine deutsche Armee zu
einem "Staat im Staate" jenseits parlamentarischer Kontrolle werden
kann. Die neue Bundeswehr verstand sich fortan als integraler
Bestandteil der demokratischen Gesellschaft, deren Werte vor dem
Kasernentor nicht Halt machen. Sie sollten vielmehr auch dahinter
den Alltag der Soldaten, als "Staatsbürger in Uniform",
bestimmen. Um über die Durchsetzung dieser Prinzipien zu
wachen, schuf sich das Parlament eine bis dahin in Deutschland
unbekannte Kontrollinstanz: Nach geheimer Wahl durch die
erforderliche absolute Mehrheit trat 1959 der erste Wehrbeauftragte
des Bundestages sein Amt an.
Zunächst betrachtete man den Wehrbeauftragten in
Bundeswehrkreisen misstrauisch als "Aufpasser" oder "Vormund". Und
natürlich ist es seither seine Aufgabe, "aufzupassen" und auf
die Einhaltung der Grundrechte der Soldaten und des Prinzips der
Inneren Führung zu achten: In Artikel 45b GG heißt es:
"Zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan des Bundestages bei
der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle wird ein
Wehrbeauftragter des Bundestages berufen." Seine Aufgaben
beschränken sich jedoch nicht darauf, im Auftrag des
Parlaments die Streitkräfte zu kontrollieren. Das
Wehrbeauftragtengesetz weist ihm darüber hinaus die Rolle
einer besonderen Petitionsinstanz zu. Alle Soldaten,
unabhängig vom Dienstgrad, haben demnach das Recht, sich
einzeln und ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an den
Wehrbeauftragten zu wenden. Sie können in ihren Eingaben
grundsätzlich alles vortragen, was sie nach subjektiver
Beurteilung als ungerecht empfinden, angefangen vom
Führungsstil des Vorgesetzten bis hin zu Besoldungs- oder
Bekleidungsfragen. Sanktionen müssen sie deswegen nicht
befürchten, denn sie genießen den Schutz des
Petitionsrechts. Auch in diesem Petitionsrecht drückt sich ein
Prinzip der Inneren Führung aus, denn es versteht die Soldaten
nicht als bloße Befehlsempfänger, sondern als
mitverantwortliche Träger von Rechten und Pflichten.
Die Zuordnung des Amtes zum Parlament ermöglicht dem
Wehrbeauftragten eine unabhängige Position gegenüber der
Bundeswehr. Doch damit nicht genug. Er soll in einem viel
umfassenderen Sinn unabhängig in seiner Arbeit sein, weshalb
er nicht gleichzeitig ein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und
keinen Beruf ausüben sowie kein politisches Mandat innehaben
darf. Die Amtszeit wurde bewusst auf fünf Jahre festgelegt, um
ihn auch von parteipolitischen Entwicklungen unbeeinflusst zu
lassen. Eine solche Unabhängigkeit bedeutet jedoch nicht, dass
der Wehrbeauftragte sich eindeutigen Positionen verweigert.
Willfried Penner, von 2000 bis 2005 Wehrbeauftragter, definierte
sein Amtsverständnis so: "Es ist seine Aufgabe, Hinweise zu
geben, wo es um Probleme der Inneren Führung oder um
Rechtsverletzungen geht. Aber politisch zu kommentieren, das ist
nicht seine Aufgabe." Ein Wehrbeauftragter solle sich davor
hüten, sich von parlamentarischen Mehrheits- oder
Minderheitenmeinungen instrumentalisieren zu lassen, sagte Penner
weiter. Und doch ist der Wehrbeauftragte mehr als ein Hinweisgeber,
ist der jährliche Wehrbericht mehr als eine Mängelliste
über den inneren Zustand der Bundeswehr. Jenseits
parteipolitischer Bekenntnisse, aber dennoch deutlich
äußert sich zum Beispiel der Wehrbericht 2004 zu einer
gesellschaftlichen Debatte über das Für und Wider der
Folter. Sie hatte sich entwickelt, nachdem Bilder von folternden
amerikanischen Soldaten aus dem Irak bekannt geworden waren. In
diesem Zusammenhang erklärte auch ein Professor der
Universität der Bundeswehr in München, Folter und die
Androhung von Folter seien legitime Mittel im Kampf gegen
Terroristen. Im Wehrbericht heißt es dazu: "Der demokratische
Rechtsstaat darf sich unter keinen Umständen der Mittel von
Verbrechern bedienen. Das gilt auch für die Bundeswehr."
Die Bundeswehr ist Teil dieses Rechtsstaates, und die Existenz
eines Wehrbeauftragten sowie sein jährlicher Bericht sind ein
Ausdruck dessen. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sagte
anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Amtes 1999:
"Wenn Umfragen zeigen, dass über 75 Prozent der
Bevölkerung die Bundeswehr als ?positiv' einschätzen,
dann liegt das nicht zuletzt auch an der überzeugenden Arbeit
der Wehrbeauftragten, die die Anliegen der Soldaten nach innen und
außen immer konstruktiv aufgenommen und vertreten haben."
Mitunter mussten sie sie auch vor Angriffen in Schutz nehmen. Mitte
der 1990er-Jahre verteidigte die Wehrbeauftragte Claire
Marienfeld-Czesla, die erste Frau in diesem Amt, die Bundeswehr vor
dem Vorwurf, in besonderer Weise rechtsradikal unterwandert zu
sein: "Gewaltbereitschaft, Fremdenfeindlichkeit und
Rechtsextremismus haben in der Gesellschaft allgemein zugenommen.
Es wundert mich deshalb nicht, dass sie auch im Verhalten einzelner
Soldaten der Bundeswehr stärker als je zuvor zutage getreten
sind." Auch Willfried Penner verteidigte im Dezember 2004, im
Zusammenhang mit Missshandlungsfällen in einer Kaserne in
Coesfeld, die Armee. Dort hatten Ausbilder mit
Grundwehrdienstleistenden Geiselnahmen und Gefangennahmen
nachgestellt, bei denen massiv Gewalt ausgeübt worden war.
"Die Bundeswehr ist keine Armee der Schleifer und Drangsalierer",
sagte Penner vor dem Bundestag, ohne seine Kritik an den
Vorfällen zu verschweigen. Gefangennahme und Geiselnahme seien
als Ausbildungsteil ausdrücklich untersagt, und "wer dagegen
verstößt, macht sich eines Vergehens schuldig".
Neben den grundsätzlichen Problemen der Inneren
Führung oder der Missachtung von Grundrechten bearbeiten die
Wehrbeauftragten in der Hauptsache Eingaben über ganz
alltägliche Bedürfnisse der Soldaten. Da macht auch der
Wehrbericht 2004 keine Ausnahme. Von den insgesamt 6.154 Eingaben
bezieht sich der größte Teil (über 4.000) auf den
Bereich Menschenführung, Wehrrecht und soldatische Ordnung
sowie auf Personalangelegenheiten. Aber hat der Wehrbeauftragte
eine solche Fürsorgepflicht überhaupt zu erfüllen?
In einem Vortrag vor der Militärakademie in Sofia im März
2005 begründete Willfried Penner, warum das seiner Meinung
nach so ist: "Der Wehrbeauftragte ist dafür zuständig,
weil Fürsorge ein wichtiges Führungsmittel, ein Element
der Inneren Führung ist."
Umfangreiche Rechte
Für die Bearbeitung der Eingaben stehen dem
Wehrbeauftragten umfangreiche Informationsrechte zur
Verfügung. So hat er gegenüber dem
Bundesverteidigungsminister und allen ihm unterstellten
Dienststellen das Recht auf Auskunft und Akteneinsicht. Er kann
also jederzeit Stellungnahmen zu den Beschwerden verlangen und sich
einschlägige Unterlagen vorlegen lassen. Darüber hinaus
kann er Zeugen und Sachverständige anhören, sowie
jederzeit und unangemeldet alle Truppen, Stäbe, Einrichtungen
und Verwaltungsstellen der Bundeswehr besuchen. Ein solches
Truppenbesuchsrecht steht nur dem Wehrbeauftragten persönlich
zu. Nach Abschluss der Überprüfung kann der er die
zuständigen Stellen, bei denen Mängel festgestellt
wurden, bitten, Regelungen zu treffen, um die Mängel
künftig zu beseitigen. Das nennt sich "Anregungsbefugnis".
Solche Anregungen sind keine verbindlichen Weisungen oder Befehle,
weshalb dem Amt mitunter zu geringe Einflussmöglichkeiten
unterstellt werden. Schon allein die Existenz eines
unabhängigen Parlamentsbeauftragten wirke sich präventiv
auf das Führungsverhalten vieler Vorgesetzter aus, so die
Gegenposition. Die Möglichkeit des Wehrbeauftragten, Einfluss
zu nehmen, zeigt sich also weniger in einer rechtlich verbindlichen
Autorität als in dem moralischen Gewicht des Amtes. Dennoch
beklagte Willfried Penner Ende vergangenen Jahres: "Die von mir
festgestellten Mängel werden von der politischen Führung
der Bundeswehr weitestgehend bestätigt. Abhilfe wird jedoch
nicht überall oder nur in Ansätzen geleistet. Bei dieser
Reaktion darf es nicht bleiben." Den nächsten Wehrbericht wird
Reinhold Robbe, seit dem 12. Mai 2005 im Amt, präsentieren. Er
ist der erste Wehrdienstverweigerer auf diesem Posten. Auf sein
Resümee darf man gespannt sein.
Claudia Heine arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
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