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"Irgendwann ist die Kraft zum Mitmachen
erschöpft"
Interview mit Willfried Penner, Wehrbeauftrager
des Deutschen Bundestages in den Jahren 2000 bis 2005
Willfried Penner, bis vor wenigen Tagen
Wehrbeauftragter des Bundestages, sieht in der Bundeswehr, die seit
15 Jahren in einem ständigen Transformationsprozess steckt,
gewisse Ermüdungserscheinungen. "Zu einem guten Gelingen von
Veränderungen gehört auch die Möglichkeit, den
Betroffenen Luft zum Atemholen zu lassen. " Er kritisiert, dass der
Umbau der Streitkräfte von vornherein nicht tief genug
angelegt worden sei: "Mich haben Soldaten angesprochen, die schon
länger dabei sind: Also, jetzt beginne ja wieder eine Reform,
und sie müssten mir sagen, dass verschiedene
Veränderungen aus den 90er-Jahren immer noch nicht
abgeschlossen sind."
Das Parlament: Im Jahresbericht 2004
heißt es, dass die Fragen der Soldaten nach dem Sinn und Ziel
ihres Auftrages zunehmen. Ist das ein Zeichen für Löcher
im Konzept der "Inneren Führung"?
Willfried Penner: Es ist wahr, dass
sich die Frage nach dem Sinn des Einsatzes stellt, je weniger sich
der Sinn des Einsatzes für den einzelnen Soldaten offenbart.
Ein Beispiel ist Afghanistan. Da bin ich der Überzeugung, dass
man der Sinnfrage erhöhte Aufmerksamkeit widmen muss, weil
dort der Bundeswehr-Einsatz durch Gefährdungen im Zusammenhang
mit Drogenkriminalität in Mitleidenschaft gezogen werden kann.
Und zweitens denke ich, dass die Stärkung der regionalen,
zumeist auch mit dem Drogenunwesen verwobenen Autoritäten
Unsicherheiten schaffen kann, was die moralische
Unterfütterung des Einsatzes der Bundeswehr angeht. Wenn Sie
so wollen, ist das natürlich ein Kernelement der "Inneren
Führung", dafür Sorge zu tragen, dass der Soldat bei der
Erledigung dienstlicher Aufträge auch als Mitmacher begriffen
wird und nicht nur als bezahlter Dienstleister, der Angelegenheiten
des Staates, welcher Art auch immer, zu erledigen hat.
Das Parlament: In diesem Konzept
spielt der Bereich der politischen Bildung eine besondere Rolle,
und Sie sind wie das Bundesverteidigungsministerium der Auffassung,
dass dieser Bereich aktuellen Gegebenheiten angepasst werden muss.
Wie könnte ein solch reformiertes Konzept aussehen?
Willfried Penner: Die politische
Bildung braucht nach meiner Überzeugung nicht so sehr
strukturell überarbeitet werden. Es geht vielmehr darum, dass
politische Bildung auch einen angemessenen Platz in der Ausbildung
der Soldaten findet und sich nicht nur auf sparsame Vermittlung von
Institutionenkunde beschränkt. Politische Bildung ist ein
Vehikel zum Selbstverständnis des Staatsbürgers in
Uniform und muss demzufolge bei der Bundeswehr zeitlich ausreichend
Platz haben.
Das Parlament: Welche Rolle kann Ihrer
Meinung nach der Wehrbeauftragte in diesem Zusammenhang
spielen?
Willfried Penner: Das Gesetz
formuliert es so, dass der Wehrbeauftragte tätig wird, wenn
ihm Umstände bekannt werden, die auf Verletzungen der
Grundsätze der "Inneren Führung" hindeuten. Die
Konsequenz daraus ist, dass der Wehrbeauftragte gegenüber
seinem Auftraggeber, insbesondere gegenüber dem Deutschen
Bundestag, seine Stimme zu erheben hat und ihn auf bestimmte
Mängel aufmerksam macht. Ganz abgesehen davon, dass er auch
das Bundesverteidigungsministerium samt nachgeordneten Stellen auf
Mängel aufmerksam machen kann.
Das Parlament: Das Konzept des
"Staatsbürgers in Uniform" als zentraler Bestandteil der
"Inneren Führung" wird in den Diskussionen um eine Reform der
Bundeswehr und die neuen internationalen Herausforderungen zum Teil
als nicht mehr ausreichend für die Praxis der
Auslandseinsätze bezeichnet. Teilen Sie diese
Einschätzung?
Willfried Penner: Nein, diese
Einschätzung teile ich nicht. Sie wird auch von einer
großen Mehrheit der Soldaten nicht geteilt. Im Gegenteil:
Soldaten, egal welcher Dienstgrade, die im Ausland gewesen sind,
haben mich immer wieder wissen lassen, dass das Leitbild vom
Staatsbürger in Uniform und das Prinzip der Inneren
Führung gerade dort ganz wichtig gewesen sei, um den
vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden.
Das Parlament: Und dennoch hat das
Bild des "Staatsbürgers in Uniform" durch die Vorfälle in
Coesfeld erhebliche Kratzer bekommen. Die Würde und
Persönlichkeitsrechte der Soldaten wurden offensichtlich
missachtet.
Willfried Penner: Ein noch so ideales
Leitbild ist nicht vor Gefährdungen gefeit. Es ist
unbestreitbar, dass es Verstöße gegen die Rechtsordnung
auch in der Bundeswehr gibt. Aber das, was über Coesfeld
anfänglich berichtet worden ist, konnte einer näheren
Prüfung nicht standhalten. Von den 18 Soldaten, die
vorläufig des Dienstes enthoben worden sind, sind 13
inzwischen wieder in den Dienst zurückgekehrt. Das bedeutet
nicht, dass im Zusammenhang mit der allgemeinen Grundausbildung
keine Fehler passieren. Ganz im Gegenteil. Es sind
Regelverstöße passiert, denn Gefangennahme, Geiselnahme,
Verhöre sind ausdrücklich als praktische
Ausbildungselemente in der allgemeinen Grundausbildung
verboten.
Das Parlament: Das Auffällige an
den Misshandlungsfällen in Coesfeld war, dass sich keiner der
Betroffenen weder bei Ihnen noch bei den zuständigen
Vertrauensleuten gemeldet hat.
Willfried Penner: Wir haben einen Teil
der Grundwehrdienstleistenden selbst angehört. Und dabei hat
sich herausgestellt, dass sie zum einen über ihre Rechte nicht
informiert waren. Zum anderen haben sie teilweise das Ganze
für nicht so gravierend gehalten. Natürlich hat es den
einen oder anderen gegeben, den das in besonderer Weise getroffen
hat. Wiederum andere haben das als selbstverständlich im
Zusammenhang mit militärischer Ausbildung empfunden. Also, das
Bild ist uneinheitlich. Aber keiner der Betroffenen hat das
Ereignis für so gravierend gehalten, entweder den
Wehrbeauftragten direkt oder die Vertrauenspersonen
einzuschalten.
Das Parlament: Sie haben zu Beginn
Ihrer Amtszeit einmal gesagt, dass der Schwerpunkt der Eingaben
sich nicht auf grundsätzliche Fragen konzentriert. Hat sich
das gewandelt?
Willfried Penner: Nein. Es geht immer
um ganz konkrete Sorgen, Nöte, Schwierigkeiten und zwar
zumeist im individuellen Bereich. Es geht ganz selten um allgemeine
Fragen. Dies spielt am Rande eine Rolle, wenn zum Beispiel
Unteroffiziere älterer Prägung vortragen, ihre Laufbahn
sei bei den Reformen in der jüngeren Vergangenheit schlecht
weggekommen. Aber zumeist geht es um Darstellung von Interessen,
von Sorgen im höchst eigenen Bereich. Diese sind
natürlich unterschiedlich, weshalb die Berichte bei aller
Bemühung um Struktur so etwas wie einen Flickenteppich
darstellen. Das schließt nicht aus, dass es jedes Jahr
Schwerpunkte gibt. Im vergangenen Jahr hatten wir zum Beispiel sehr
viele Eingaben zum Aspekt des
Auslandsverwendungszuschlags.
Das Parlament: Sie sind fünf
Jahre Wehrbeauftragter des Bundestages gewesen. Inwiefern
spiegelten sich die neuen Belastungen der Soldaten im Ausland in
Briefen an Sie wider?
Willfried Penner: Nach meinem Eindruck
der Zahl nach überraschend zurückhaltend. Natürlich
erreichen uns auch Eingaben aus dem Einsatz und solche, die den
Einsatz betreffen. Auch da spiegelt sich der gesamte
militärische Alltag wider. Das fängt an bei
unzureichender Bekleidung oder unzureichender Ausstattung mit
Gerät und hört auf mit Klagen über unzureichende
Kommunikationsmöglichkeiten in die Heimat. Und nicht zu
vergessen, Sorgen, was die künftige Verwendung in der Heimat
angeht, wenn die Soldaten hören, dass wieder eine
Veränderung der Bundeswehr ins Haus steht. Also auch da wird
sehr viel Konkretes vorgetragen.
Das Parlament: Solche Einsätze
stellen ja nicht nur vor Ort eine Belastung dar, sondern wirken
sich auch auf das familiäre Umfeld der Soldaten aus. Welche
Erkenntnisse liegen Ihnen hierüber vor?
Willfried Penner: Es sind insbesondere
Soldaten und Soldatinnen in jüngeren Verbindungen mit Kindern,
die sich in der Vergangenheit über die Dauer des Einsatzes
beschwert haben. Diese Klagen haben aber nachgelassen, weil die
Bundeswehr, was die Dauer angeht, nachgesteuert hat. Trotzdem
bleiben die jüngeren Soldaten mit kleineren Kindern nach wie
vor eine Gruppe, die bei Auslandseinsätzen besonders, auch
psychisch, gefordert wird und deshalb entsprechend betreut werden
muss. Wir haben im vergangenen Jahr jedoch nur vereinzelte Eingaben
zu diesem Thema bekommen.
Das Parlament: Die Frage der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielt in den Jahresberichten
eine wichtige Rolle. Ist der Soldatenberuf mittlerweile ein Beruf
wie jeder andere?
Willfried Penner: Vor allem die
weiblichen Soldaten melden sich mit ihren Interessen. Und diese
Interessen sind ganz klar definiert: der Wunsch, Beruf und Familie
miteinander zu vereinbaren. Und wie geschieht das? Sie melden
nachdrücklich Teilzeitbeschäftigung an. Zweitens: Sie
möchten gerne mit dem Partner, manchmal ist es ja auch ein
Soldat, familiär zusammenleben. Drittens spielt das Thema
Kinderbetreuung eine zentrale Rolle. Wenn Sie so wollen, ist die
Bundeswehr insoweit nicht anders als die Gesellschaft. Sie hat auf
diesem Sektor ähnliche Antworten zu geben.
Das Parlament: Im Jahresbericht
heißt es weiter, dass die gewaltigen Umstrukturierungen, denen
die Bundeswehr seit einigen Jahren ausgesetzt ist und in der
Zukunft sein wird, von vielen Soldaten als Bedrohung empfunden
werden. Können Sie das erläutern?
Willfried Penner: Die Bundeswehr
erlebt seit 15 Jahren ständig neue Schritte tiefgreifender
Reformen. Irgendwann einmal ist die Kraft zum Mitmachen
erschöpft. Deshalb habe ich einen Appell an die
Verantwortlichen gerichtet, zu bedenken, dass man diese
Fähigkeit seitens der Bundeswehr und der Soldaten nicht
überschätzen darf. Zu einem guten Gelingen von
Veränderungen gehört auch die Möglichkeit, den
Betroffenen Luft zum Atemholen zu lassen. Nur so können sie
wieder Kraft schöpfen, um neue Herausforderungen zu
meistern.
Das Parlament: Kann sich die
Bundeswehr eine solche Atempause leisten?
Willfried Penner: Ich bin der
Überzeugung, dass versäumt worden ist, die notwendigen
Veränderungen in der Bundeswehr schon zu Beginn der 90er-Jahre
tief genug anzulegen. Das hat dazu geführt, dass die Reformen
schrittweise stattgefunden haben, mit dem Ergebnis, dass jeder
Schritt für sich eine weitgehende Veränderung der
Bundeswehr und Soldaten mit sich gebracht hat. Das ist es, was die
eigentliche Belastung ausgelöst hat. Um eine Zahl zu nennen:
1999 war die Bundeswehr über 600.000 Mann stark; sie ist in
Schritten immer kleiner gemacht worden. Und im Jahre 2010 soll sie
250.000 Mann umfassen. Und dieser unaufhörliche
Veränderungsprozess, der sich allein in der Reduktion der
Truppenstärke zeigt, hat die Bundeswehr über die
Maßen beansprucht. Nicht zu reden davon, dass sie in dieser
Zeit Einsatzarmee geworden ist; nicht zu reden davon, dass sie sich
in dieser Zeit für Frauen in jeder Verwendung geöffnet
hat. Ich denke nicht, dass die Reformen zu spät angefasst
worden sind. Ich bin aber der Meinung, dass die Reformen von Anfang
an nicht konsequent genug waren, um zu verhindern, dass nicht noch
weitere Reformschritte unverzichtbar sein werden. Wenn man von
vornherein, nach der Wende 1989/90, gesagt hätte, wir
reduzieren die Bundeswehr auf 260.000 Mann, dann wäre das ein
Ziel gewesen, das man in einem Schritt, aber nicht in einem Jahr
hätte zustande bringen können. So aber ist die Bundeswehr
schrittweise kleiner gemacht worden: 370.000, 310.000; 280.000,
250.000. Und jeder dieser einzelnen Schritte hat bedeutet, dass die
gesamte Organisation verändert worden ist. Wenn man sich
ständig in diesem Veränderungsprozess befindet, ohne eine
Ende absehen zu können, dann ergibt sich so etwas wie eine
Ermüdung. Mich haben Soldaten angesprochen, die schon
länger dabei sind: Also, jetzt beginne ja wieder eine Reform,
und sie müssten mir sagen, dass verschiedene
Veränderungen aus den 90er-Jahren immer noch nicht
abgeschlossen sind.
Das Parlament: Eine solche Bezugnahme
auf die Bundeswehr-Reform ist nur ein Beispiel. Mischt sich der
Wehrbeauftragte von heute mehr in politische Entscheidungsfragen
ein als noch vor 20 Jahren?
Willfried Penner: Der Wehrbeauftragte
sollte sich hüten, zu sehr in die Rolle des politischen
Präzeptors zu schlüpfen. Es ist seine Aufgabe, Hinweise
zu geben, wo es um Probleme der Inneren Führung oder um
Rechtsverletzungen geht. Aber politisch zu kommentieren, das ist
nicht seine Aufgabe. Das würde den Wehrbeauftragten zu einer
Institution in politischen Alltagsauseinandersetzungen machen, der
er nicht gewachsen ist. Er hat ein abgeleitetes Recht nach dem
Parlament und er tut gut daran, das immer zu bedenken. Sonst findet
er sich nachher als Partei einmal auf der und einmal auf der
anderen Seite wieder. Es ist ja sowieso nicht ganz einfach, diesem
sehr abstrakten Auftrag gerecht zu werden. Es ist ja klar, dass der
Wehrbeauftragte, der notwendigerweise, weil es seinem Auftrag
entspricht, Kritisches vorzubringen hat, der Mehrheit damit keinen
Gefallen tut. Umgekehrt muss er sich hüten, sich von der
Minderheit instrumentalisieren zu lassen. Das ganze muss ein
Wehrbeauftragter in seinen Widersprüchen aushalten
können. Aber er darf eines nicht tun: Er darf sich nicht als
selbständige Institution in der politischen Auseinandersetzung
zwischen Bundestagsgruppen einerseits und der Bundesregierung
andererseits verstehen.
Das Parlament: Sehen Sie im Zuge der
Bundeswehrrreform auch Handlungsbedarf für das Amt des
Wehrbeauftragten?
Willfried Penner: Nein, da sehe ich
keinen Handlungsbedarf. Egal ob die Bundeswehr eine
Freiwilligenarmee wird oder eine Wehrpflichtarmee bleibt: Die
Institution des Wehrbeauftragten bleibt davon
unberührt.
Das Parlament: Als Sie Ihr Amt
antraten, haben Sie gesagt, Sie möchten nicht nur der
Kummerkasten der Soldaten sein. Inwiefern hat sich das
realisiert?
Willfried Penner: Ja, es ist wahr: Ich
habe mich weder als Vater der Soldaten verstanden noch als Mutter
der Kompanie. Das wäre auch etwas gewagt gewesen. Ich bin der
Beauftragte des Deutschen Bundestages und habe daran auch nie einen
Zweifel gelassen. Ich kann mich über das Maß an
gewachsenem Vertrauen bei der Bundeswehr und den Soldaten nicht
beklagen, ganz im Gegenteil. Nach fünf Jahren kann ich
feststellen: Meine Interpretation des Amtes haben Bundeswehr und
Soldaten verstanden. Und es hat das Vertrauen in die Institution
und vielleicht in den Amtsträger sogar
gestärkt.
Das Parlament: Die Zahlen der Eingaben
sind in den vergangenen Jahren, im Verhältnis zur
tatsächlichen Stärke der Bundeswehr überproportional
gestiegen. Sehen sie darin einen Zusammenhang zu den neuen
Herausforderungen, denen die Soldaten während ihrer
Auslandseinsätze ausgesetzt sind?
Willfried Penner: Nein. Sicherlich
machen die Eingaben, die die Auslandseinsätze betreffen, einen
Teil aus. Aber sie sind nicht Schwerpunkt der Eingaben. Eindeutiger
Schwerpunkt der Eingaben ist seit einigen Jahren der Themenblock
Personalangelegenheiten; das sind ungefähr 30 bis 35 Prozent.
Und dies hat mit den Einsätzen kaum zu tun.
Das Interview führte Claudia Heine
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