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Karl-Otto Sattler
"Das hat richtig weh getan"
Stavenhagen kämpft mit den Folgen des
Bundeswehr-Abzugs
Die zwei Hasen, die zwischen Bahngleisen
herumhüpfen, lassen sich vom Motorengeräusch des Autos
nicht stören. Während der Besichtigungsfahrt durch das
400 Hektar große Gelände deutet in einer anderen Ecke
Hauptfeldwebel Hans-Georg Kunisch auf eine Kläranlage: "Die
hat höchsten ökologischem Standard, der Bau hat eine
Million Euro gekostet." Kurze Zeit danach steigt Chauffeurin
Gabriele Fritz aus dem Wagen und streift durch weitläufige
Hangar- und Werkstatthallen, in denen einst Fahrzeuge und
Fluggerät gewartet wurden: "Diese Räume sind doch
geradezu ideal für Firmenansiedlungen, nach einer
Instandsetzung sind die Gebäude noch gut zu gebrauchen", meint
die Bauamtsleiterin im Rathaus von Stavenhagen.
Die Tour führt an einem tristen
ehemaligen Flughafentower und einer weitgehend leerstehenden Klinik
vorbei, deren medizinische Ausrüstung vom Feinsten war. In
einer Bar im Offiziersclub, ein Soldat hat Kaffee serviert,
erläutert Kunisch: "Die Sportvereine im Ort konnten die
Anlagen gegenüber mitbenutzen." Das sind: eine moderne Halle
mit Kraftraum, eine 400-Meter-Kunststoffbahn, ein Groß- und
Kleinspielfeld, ein Beachvolleyballtreff. Im Offiziersclub lud
Stavenhagens Bürgermeister Bernd Mahnke zu Empfängen, der
Stadtrat tagte schon mal dort, Unternehmen richteten Betriebsfeiern
aus.
Ein paar Kilometer außerhalb von
Stavenhagen liegt die Kaserne Basepohl mit dem schönen Namen
"Mecklenburgische Schweiz". Oder genauer gesagt das, was von diesem
NVA- und Bundeswehrstandort übrig geblieben ist, nämlich
noch rund 500 "Dienstposten": ein Logistik-Bataillon und eine
Instandsetzungseinheit, so Kommandeur Axel Gutzmann. Ende der
Achtziger waren es 4.500 NVA-Militärs, im Jahr 2000 dann 1.300
Soldaten und Offiziere der Bundeswehr. Viele Kontakte zu den Leuten
in der Stadt bestehen heute nicht mehr, "die Soldaten fahren am
Wochenende meist heim", erzählt Gutzmann. 2007 rücken
weitere 300 Mann ab, Anfang 2010 knipst der letzte das Licht aus.
Wie spielt sich so eine Abwicklung konkret ab? Der Oberstleutnant
trocken: "Wir erhalten den Marschbefehl, und dann sind wir weg."
Was Gutzmann nüchtern konstatiert, sorgt in Stavenhagen mit
noch 7.000 Seelen für eine Mischung aus Niedergeschlagenheit,
Zorn, Hochspannung und Tatendrang: Die Auflösung des Standorts
trifft in der "Reuterstadt" einen Lebensnerv, der Name erinnert an
den hier geborenen niederdeutschen Dichter Fritz Reuter.
Im Rathaus, einem schick hergerichteten alten
Schloss, sitzen Mahnke, Bauamtschefin Fritz und der bei der
privaten Berliner GKU-Standortentwicklungs-GmbH akquirierte
professionelle Konversionsmanager Hartmut Röder und berichten
vom lokalen Thema Nummer eins - nämlich von der
wirtschaftlichen und städtebaulichen Bewältigung des
Militärabzugs und vom Kampf um die Ansiedlung neuer Firmen.
Der Bürgermeister: "Wir haben ein Drittel unserer Einwohner
eingebüßt, zudem fehlen uns jährlich 15 Millionen
Euro durch Kaufkraftverluste und durch weggebrochene Aufträge
an Unternehmen." Fritz: "Alles ist inzwischen
überdimensioniert, Kindergärten, Schulen und Sportanlagen
sind zu groß, Wohnungen stehen leer, das zieht sich wie ein
roter Faden durchs ganze Leben."
Röder lobt, "dass Stavenhagen bei der
Konversion Vorreiter in Mecklenburg-Vorpommern ist". Bei einer
Konferenz mit Verteidigungsminister Peter Struck und Rathauschefs
aus Kommunen, die von Standortschließungen betroffen sind,
wurde Stavenhagen jüngst in Bonn als positives Beispiel
präsentiert. Aber ob die Konversion tatsächlich gelingt,
muss sich erst noch erweisen. Mit zwei ansiedlungswilligen
Unternehmen stehe man ernsthaft in Verhandlungen über
Verträge zum Kauf von Flächen auf dem Kasernenareal, so
Röder, zudem hätten 30 weitere Firmen prinzipiell
Interesse bekundet.
"Wenn die Bundeswehr nicht gehen würde,
wären wir eine der glücklichsten Städte
Deutschlands", sagt der Bürgermeister. Aber so ist es eben
nicht mehr. Die mathematische Größe von 15 Millionen Euro
Kaufkraftminus und der statistische Bevölkerungsrückgang
haben ganz konkrete Gesichter. So absolvierten in der Kaserne 48
junge Leute aus der Region eine Ausbildung in technischen Berufen,
im Landkreis Demmin mit einer Erwerbslosenquote von 30 Prozent kein
Pappenstiel. Damit ist es vorbei. "Richtig erschreckend", findet
Ludwina Stelzer den ökonomischen Niedergang. Wenn die Chefin
des Pfanni-Werks nach Feierabend durch die Fußgängerzone
bummelt, "dann bin ich in den Geschäften als Kunde oft allein,
früher war das anders". Geschlossen haben ein Buchladen, eine
Kinderboutique, ein Bäcker, andere Geschäfte haben hart
zu kämpfen: Zur allgemeinen Wirtschaftsschwäche kommt
eben noch das Verschwinden des Militär-personals hinzu. Bei
Pfanni mit 300 Beschäftigten gehen täglich Bewerbungen
ein, "aber ich kann nichts machen", sagt Stelzer, "ich muss die
Unterlagen zurückschicken".
"Das hat richtig weh getan": Mehrfach
fällt bei Gerhard Wolff dieser Satz, wenn er von der
Zeitenwende der Standortschließung spricht. Der Elektromeister
erzählt in seinem Geschäft inmitten von
Kühlschränken, Staubsaugern und Kaffeemaschinen von
goldenen Zeiten: "Damals kauften Offiziersfamilien oft bei mir ein,
die haben gutes Geld verdient, jetzt schauen kaum noch Soldaten
vorbei." Der Handwerker mit 17 Beschäftigten erhielt ehedem 15
Prozent seiner Aufträge von der Kaserne, "das war eine sichere
Bank, dafür gibt es keinen Ersatz". In Stavenhagen ist kaum
noch was los, "vergangenes Jahr haben wir zwei Eigenheime gemacht,
das wars". Margit Kühn, Chefin der in Stavenhagen
ansässigen 300-köpfigen Zentrale der nordostdeutschen
Supermarktkette Netto: "Der ganze Mittelstand leidet, schließt
die Kaserne, gehen eben auch die Familien der Militärs."
Kühn ist persönlich auch eine "Bundeswehrbetroffene", wie
sie sagt: Ihr Mann ist Pilot und schiebt mittlerweile in
Göttingen Dienst.
Das Hauptopfer der Anfang 2001 von Rudolf
Scharping Knall auf Fall verkündeten Auflösung Basepohls
heißt Eckhard Beyer. Der Geschäftsführer der
kommunalen Wohnungsverwaltung sitzt nun auf einem Schuldenberg von
6,5 Millionen Euro und muss zudem mit Mindereinnahmen von
jährlich einer Million Euro jonglieren. "Der Abzug war unser
Drama", resümiert Beyer an seinem Schreibtisch eine fast
abenteuerlich anmutende Geschichte. Früher zu NVA-Zeiten und
dann in der Bundeswehr-Ära logierten viele Militärs in
ursprünglich eigens für sie errichteten Plattenbauten. In
den Neunzigern investierte die Bonner Hardthöhe 40 Millionen
Euro in Basepohl, hat Bürgermeister Mahnke einmal
ausgerechnet. Und wenn so viel Geld locker gemacht wird, "dachten
wir natürlich, die Armee ist uns für 100 Jahre sicher",
erinnert sich Beyer. So erwarb denn 2000 sein Unternehmen 700
Wohnungen von der Bundesvermögensverwaltung, wobei deren
damalige Eile Beyer im Rückblick verdächtig vorkommt. Per
Zweckbindung verpflichtete Berlin die Gesellschaft im Vertrag
sogar, 120 Wohnungen für Bundeswehrbedienstete zu reservieren.
Und kurze Zeit später dann aus heiterem Himmel Scharpings Aus
für die Kaserne: Heute stehen 22 Prozent von Beyers Wohnungen
leer. Das Unternehmen reichte gegen den Bund mit dem Vorwurf
arglistiger Täuschung Klage vor Gericht ein, doch daraus wurde
nichts.
Mehrere Plattenbauten werden nun abgerissen,
das kostet über eine Million Euro, bezahlt mit Geldern aus dem
Stadtumbau Ost. Beyer: "Das ist eine gewaltige Wertvernichtung".
Der Kaufpreis von 6,5 Millionen Euro wurde seinerzeit über
Kredite finanziert. Dieser Schuldenbuckel, hinzuzurechnen ist ein
Zuschuss von einer Million Euro aus dem Rathaussäckel für
die Wohnungsgesellschaft, ist die zentrale pekuniäre Hypothek
des Bundeswehr-Weggangs, die auf der Stadt lastet: Weil diese Summe
bei dem kommunalen Unternehmen verbucht ist, taucht das Minus nicht
im Etat der Gemeinde auf. Nur so wird der mit einem gewissen Stolz
vorgetragene Hinweis von Schultes Mahnke verständlich, die
Stadt sei schuldenfrei.
Bei Peter Struck registriert der
Bürgermeister durchaus Aufgeschlossenheit gegenüber den
Problemen von Gemeinden, denen die Armee Adieu sagt. Der Zorn
über Scharping scheint indes noch nicht verraucht zu sein. Als
2001 das Fallbeil über Basepohl niederging, gab Mahnke aus
Protest einen erst vier Wochen zuvor von Scharping verliehenen
Orden zurück. Demos fanden statt, eine sieben Kilometer lange
Lichterkette reihte sich von der Ortsmitte hinaus bis zur Kaserne.
Alles vergeblich.
Der Bürgermeister: "Mittlerweile gehen
wir mit der dieser Herausforderung konstruktiv und offensiv um."
Und das heißt: Unternehmen sollen auf das Areal. Nun
gehört es zu den lokalen Paradoxien, dass sich Mahnke, Fritz
und Röder für ihr Konversionsprojekt gar nicht unbedingt
abrackern müssten. In Stavenhagen arbeiten schließlich
bereits 2.300 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, eine
aktive Wirtschaftsförderung hat Netto, Pfanni, Transportfirmen
und andere Betriebe angelockt. Warum sollte man also nicht der
Bundesregierung die Verantwortung für das schrittweise
leerwerdende Gelände weit draußen überlassen? Zumal
der Kampf um Neuansiedlungen angesichts der
Wirtschaftsschwäche und des interkommunalen Konkurrenzkampfs
um Ansiedlungen kein Zuckerschlecken ist.
Mahnkes Argument: "Die Renaturierung der
Kaserne würde rund zehn Millionen Euro kosten" - auch wenn
dieses Geld von Hans Eichel aufgebracht werden müsste. Genauso
teuer würde es, auf 40 Hektar Konversionsgelände
Straßen, Strom, Heizungs- und Wasserversorgung sowie
Abwassersysteme auf den neuesten Stand zu bringen. Der
Bürgermeister: "Man muss diese Chance ergreifen." Nach dem
Vorliegen einer Machbarkeitsstudie hat er für die ersten 20
Hektar, die schon frei sind, ein Finanzierungskonzept auf den Weg
gebracht: 90 Prozent der knapp fünf Millionen Euro
Erschließungskosten stammen aus einem Fördertopf der
Schweriner Landesregierung, fünf Prozent will die Stadt
übernehmen, fünf Prozent soll die Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben (BImA) tragen, die Nachfolgerin der
Bundesvermögensverwaltung. Konversionsmanager Röder: "Im
Frühjahr 2006 ist der erste Spatenstich, 2007 soll die
Erschließung fertig sein." Allerdings wird noch mit der BImA
darum gerungen, zu welchem Preis Berlin die Grundstücke auf
dem momentan teil- und später vollerschlossenen Areal an
Investoren verkauft. Mahnke und Röder meinen, die BImA
müsse da noch runtergehen. Vor allem aber: Es müssen
Unternehmen gefunden werden, die sich niederlassen wollen - bei
Bedarf würde Kommandeur Gutzmann sogar einen Teil des noch
genutzten Terrains vorzeitig räumen. Das Rathaus wirbt auf
Fachmessen, bei Präsentationstagen in der Kaserne, im Internet
und mit Broschüren. Mahnke vergisst nicht den Hinweis, dass
die Gewerbesteuer in Stavenhagen extrem niedrig sei und dass Firmen
von bürokratischem Kram weitgehend verschont
würden.
"Die Stadt betreibt die
Wirtschaftsförderung professionell", lobt Netto-Chefin
Kühn. Aber natürlich sei die Konversion angesichts der
Konkurrenz um Firmenansiedlungen schwierig. Der Schultes zeigt sich
optimistisch, dass es mit neuen Arbeitsplätzen klappen
könne. Zu den Blickfängen in Mahnkes Büro
gehört die kleine Nachbildung eines Panzers. Diese Gabe eines
früheren Kommandeurs in Basepohl sorgt dafür, dass dem
Rathauschef das Thema nie aus dem Blick-feld gerät - ein
Geschenk aus jenen Tagen, als die Welt in Stavenhagen noch in
Ordnung war.
Karl-Otto Sattler arbeitet als freier Journalist in
Berlin.
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