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Thomas Veser
Weiße Emotionen auf Dünensand
Die Geschichte des weltweit größten
Bauhausensembles in Tel Aviv
Wie ein natürlicher Gürtel umgeben Palmen und
Bougainvillea-Sträucher den makellos weißen Würfel
im Zentrum von Tel Aviv. Horizontale Streifen aus dunklen Steinen
schmücken den Eingangsbereich der dreistöckigen Villa,
und auch die Tür- und Fensterrahmen aus massivem Holz sind
Art-Déco-Vorbildern nachempfunden. Als der aus Deutschland
eingewanderte Architekt Richard Kauffmann in den frühen
30er-Jahren im Auftrag eines Arztes das Gebäude entwarf, sah
er auf allen Etagen Balkone vor. Darüber angebrachte
Schutzdächer mildern während der heißen Sommermonate
die Sonnenwirkung ab und lassen im Winter, wenn die Sonne tiefer
steht, genügend Strahlen zu.
Nach dem früheren Besitzer Kroskal-Haus genannt,
gehört die Villa jetzt dem israelischen Kunstmäzen Dov
Gottesman, der sie in ein privates Museum der Gegenwartskunst
umgewandelt hat. Lediglich die Fassaden ließ Gottesman
originalgetreu restaurieren. Das Gebäudeinnere ist modern. Dov
Gottesmans perfekt renovierte Traumvilla mit Meerblick gehört
zu den stadttypischen Gebäuden im Bauhaus-Stil, den
Architekten aus europäischen Ländern seit den frühen
30er-Jahren in das damalige Mandatsgebiet Palästina gebracht
hatten. Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstreckten sich am
heutigen Standort der Stadt Tel Aviv Sanddünen. 1925 entwarf
der Schotte Sir Patrick Geddes dann den ersten Plan für eine
gelenkte Stadtentwicklung. Er lehnte sich an die englische
Gartenstadt-Bewegung an und sah ein von Grünflächen
eingefasstes, funktionales Tel Aviv vor. Tatsächlich umgesetzt
wurden nur wenige Teile seines Entwurfs. Auf der Flucht vor dem
aufstrebenden Faschismus emigrierten immer mehr Architekten aus
Europa in das Mandatsgebiet. Joseph Neufeld und Carl Rubin, die bei
Erich Mendelsohn in Deutschland studiert hatten, schufen
Gebäude mit sanftem, heiteren und optimistischem Ausdruck. Bei
ihren Bauwerken stark auf Komfort und Lebensqualität des
Individuums bedacht, zeigten Sam Barkai und Shlomo Bernstein, dass
sie durch die Schule des frühen Le Corbusier gegangen waren.
Das Ergebnis war eine Vielfalt von Gestaltungsmerkmalen an den
Gebäuden, die ausnahmslos den in Weimar und später in
Dessau entwickelten Bauhaus-Prinzipien der Einfachheit und des
Minimalismus entsprachen. "Aus dem Schaum einer Welle und einer
Woge baute ich mir eine weiße Stadt, wie sie so luftig, wie
sie so gespült - wie sie so schön", verklärte der
Dichter Natan Alterman die Neugründung, die seither
"weiße Stadt" genannt wird. Sie war gedacht als
europäisch inspirierter Gegenentwurf zu den benachbarten
arabischen Ortschaften mit ihrem lärm- und
schmutzerfüllten Gassengewirr.
Allerdings bemerkten die Architekten schnell, dass man im Nahen
Osten nicht so bauen kann wie in Mitteldeutschland. Statt
großer Glasfenster versahen sie die Gebäude mit kleinen
Fenstern, gerne mit Bullaugen, um die Bewohner vor der Sonnenhitze
zu schützen. Nach orientalischer Art statteten sie Häuser
mit Patios aus. Ventilationsschlitze in den geschwungenen
Balkonbändern und Loggien sorgten für
Luftzirkulation.
Mit der Gründung des Staates Israel 1948 wandten sich die
Architekten dann allerdings abrupt vom Bauhaus-Stil ab. Um die
Mieter zu schützen, fror die Regierung den Mietzins ein.
Besitzer vernachlässigten ihre Immobilien aus Geldmangel. Tel
Avivs weiße Pracht zerfiel allmählich. Die typischen
Balkone wurden nicht selten zugebaut, und an den
rußgeschwärzten Fassaden tauchten immer mehr Klimaanlagen
auf. Wer es sich leisten konnte, ließ sich in den Vororten
nieder. Warum die "weiße Stadt" in wenigen Jahren fast
völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwand,
begründet die Geografin und Architekturhistorikern Shlomit
Gross so: "Es gab im Straßenbild einfach zu viele dieser
geschwungenen Formen, die Menschen waren dadurch total
übersättigt und stuften die Gebäude schließlich
als wertlos ein", glaubt Gross, die mit ihrem Mann Micha an der
Dizengoff-Strasse ein auf die Bauhaus-Geschichte spezialisiertes
Buchgeschäft mit Ausstellungsraum betreibt.
Diese Auffassung teilte offenbar auch die Verwaltung, die dem
Niedergang lange tatenlos zusah. Erst nachdem der
Architekturhistoriker Michael Levin mit deutlichen Worten vor dem
drohenden Verlust des Architekturerbes gewarnt hatte, warfen die
Verantwortlichen zu Beginn der 90er-Jahre das Ruder herum und
wiesen in einem Masterplan erstmals Schutzzonen aus. Und erst als
die UNESCO 2003 ein Drittel der 4.000 Gebäude im Bauhaus-Stil
auf die Welterbeliste nahm, setzte sich der bis zu diesem Zeitpunkt
nur selten benutzte Begriff "Bauhaus-Architektur" an Stelle der
allgemeinen Bezeichnung "internationaler Stil" durch.
Israel bekannte sich offiziell zu einer Architekturform, die
ihre Wurzeln in Deutschland hatte. Da auch Israel die
Welterbekonvention von 1972 unterzeichnet hat, ist der Staat
verpflichtet, das weltweit größte Bauhausensemble mit
eigenen Kräften und angemessen zu schützen.
Denkmalschützerisch besonders wertvolle Gebäude sollen
nun systematisch renoviert werden. Aber das erweist sich als
schwierig, da rund 90 Prozent der Häuser in Privatbesitz sind
und die Eigentümer nur selten über genügend
Finanzmittel verfügen. Mittlerweile bereiten der Staat Israel
und die Stadt den Aufbau eines Fonds für Renovierungskredite
zu günstigen Konditionen vor. Erklärtes Ziel ist es, die
Bauhaus-Viertel wieder zu einer begehrten Wohngegend aufzuwerten.
Davon ist man gegenwärtig noch weit entfernt, da mehr als die
Hälfte der Tel Aviver immer noch "kaum ahnt, welche
Architekturschätze ihre Stadt birgt", schätzt Shlomit
Gross.
Dass diese Bewegung, der Israel eine UNESCO-Welterbestätte
verdankt, in starkem Maße ausgerechnet von Deutschland
ausging, scheint viele Angesprochene freilich kaum zu beeindrucken.
"Unser Staat wurde ja von Einwanderern aus der ganzen Welt
aufgebaut", erwidert eine ältere Frau, "da ist es doch nur
normal, dass auch aus Deutschland Beiträge gekommen sind."
Durchgängig besser informiert zeigen sich jüngere
Gesprächspartner, die nicht nur über das Bauhaus und die
UNESCO-Ernennung im Bilde sind, sondern das Architekturerbe
durchweg positiv sehen. Zwei junge Frauen in einem Café am
Rehov Nahalat Binyamin, Tel Avivs einziger autofreier Straße,
an der sich etliche Bauhaus-Gebäude erheben, sprechen gar von
"Schätzen und Hoffnung für die Zukunft". Und auf die
Frage, was er angesichts des renovierten Kroskal-Hauses empfinde,
meint ein jüngerer Mann spontan: "Weiße Emotionen auf
Dünensand."
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