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Manfred Funke
Wohlstand für die Volksgenossen
Eine Konsumgeschichte der NS-Diktatur
Weniger den Bürgern als vielmehr den
"Volksgenossen" in der "Volksgemeinschaft" sollten die Verbesserung
der Lebensverhältnisse und die organisierte Schaffensfreude
während der NS-Diktatur zugute kommen. So sollten vom
staatlichen Wohnungsbau vor allem junge, "biologisch wertvolle
Leute" profitieren. Blieb allerdings der erhoffte Kindersegen aus,
waren diese "bevölkerungspolitischen Blindgänger" (Robert
Ley, Leiter der Deutschen Arbeitsfront, DAF) aus den Wohnungen
wieder zu entfernen.
Über eine Fülle solcher
ideologischen Zweckbezüge zwischen politischer Animation,
sozialer Bestechung, Verführung und Gewalt, zwischen Friedens-
und Kriegswirtschaft im Bann von Angst, Belohnung, Zucht und
Ordnung informiert Wolfgang König, Professor für
Technikgeschichte an der Technischen Universität Berlin, in
seinem neuen Buch. Er rekonstruiert Wahn und Wirklichkeit der
Propaganda-Mythen um die "Volksprodukte" Radio
("Volksempfänger"), Fernsehen, Volkswohnungen,
Volkskühlschränke und Volkstourismus.
So konnten jährlich mehr als 100.000
Deutsche eine staatlich subventionierte Schiffsreise mit der
Organisation "Kraft durch Freude" (KdF) machen. Auf Rügen
(Prora) wollte Hitler das größte Seebad der Erde
errichten. Beim Stapellauf der KdF-Schiffe "Wilhelm Gustloff" und
"Robert Ley" versprach er, dass der Nationalsozialismus "unseren
Volksgenossen alles das zugänglich" machen werde, "was
früher Vorrecht einer begrenzten Lebens- und Volksschicht
war".
Wie weit dies gelang oder misslang, hat
König aus 22 Konzern-, Firmen- und Staatsarchiven erschlossen.
Königs Nachweis der zusätzlich verwendeten
Spezialliteratur zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte
umfasst 34 Seiten. Die genaue Darstellung der Wohlstandssymbole,
ihrer Herstellung, Verteilung und Akzeptanz im Volk bewährt
sich als Auskunftei bis hin zu Angaben über Betriebskosten und
Ratenzahlungen beim Erwerb eines "Volksempfängers" (79,20
Reichsmark). Indoktrination per Unterhaltung hieß der Auftrag
des Rundfunks. Über ihn waren die Massen jederzeit für
Hitler und seine Paladine erreichbar.
Bei aller Hochachtung vor Königs
Erforschung der deutschen Konsumgesellschaft auf rassischer
Grundlage verwundern zuweilen die Urteilssicherheit des Autors und
manche seiner Schlussfolgerungen. Zum Beispiel, wenn er das "Volk"
auf die Arbeiterschaft reduziert und dem "Mittelstand" zuspricht,
vornehmlich die sozialen Errungenschaften abgeschöpft zu
haben. Wozu zählte aber etwa die Arbeiteraristokratie bei
Krupp? Wozu gehörten die Facharbeiter bei Siemens, Bosch, bei
I.G. Farben? Die Monteure in Flugzeughallen und die Spezialdreher
in Waffenschmieden? Zumal die alten Schranken von Bildung und
Besitz im Modernisierungsgefüge einer neuen "völkischen
Leistungselite" durchlässiger wurden.
"Die Volksprodukte entsprachen den
Konsumwünschen der Bevölkerung", konstatiert König.
Doch habe es zur "sozialen Segregation" geführt, "dass sich
die Menschen keinen Volksempfänger leisten und keinen
Volkswagen ansparen konnten". Aber: Einen "Volksempfänger" gab
es fast in jedem Haus. Und da für viele das Auto ohnehin
Vision blieb, in der sich aber auch die gemeinsame Hoffnung auf ein
Fahrzeug erhielt, war Segregation schwerlich die Folge konsumptiver
Unzufriedenheit. Eher wohl die Reaktion auf skandalöse
Korruption der neureichen Partei-Bonzen ("Wenn das der Führer
wüsste!").
Überhaupt stand die Bevölkerung in
den ersten sechs Jahren der Diktatur noch viel zu sehr unter dem
Erfahrungsdruck des Massenelends am Ende der Weimarer Republik. Nur
wer "Versailles" und "Weimar" als zeitgenössisches Trauma
überschlägt, kann sich heute über subjektiv
selektierte Erinnerungen an die so genannten "guten Seiten" des
NS-Regimes empören. Wie es sich für einen jüngeren
Wissenschaftler gehört, findet auch König (Jahrgang 1949)
solcherlei "Stammtische" degoutant. Aber das Volk war eben kein
Inbegriff demokratischer Gesittung, sondern ein Kollektiv aus
Einzelinteressen ("Was ist mir das wert? Was habe ich davon?") in
der Diktatur explodierender Geschäftigkeit und diabolischer
Propaganda. Diese vermochte lange das Scheitern der
Improvisationsstrategien auf dem zivilen Sektor zu
überblenden. Erst der Krieg machte die exzessive
Überdehnung der deutschen Kräfte und den Mangel an
Rohstoffen evident.
Am Schluss gerät König ins
Spekulative: "Die nationalsozialistischen Visionen und die
bundesrepublikanische Realität bezogen sich teilweise auf die
gleichen Konsumphänomene, wenn auch in gänzlich
unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten." Gibt es
Verbindungslinien, fragt König, zwischen der
Motor-Hitlerjugend, den Erfahrungen des motorisierten Krieges und
der Automobilisierung sowie dem Tourismus in der
Bundesrepublik?
Natürlich gibt es diese - aber
ideologisch gänzlich indifferent. In jedem Herrschaftssystem
wollen die Menschen besser leben und mehr vom Leben haben. So
suchte seit 1917 der Sozialismus seine Überlegenheit den
Massen durch Versprechungen von Volksdemokratie und Wohlstand zu
beweisen. Beim Wettkampf der Systeme verhieß Nikita
Chruschtschow die baldige Überholung des westlichen
Lebensstandards. In der DDR geriet das ewige Versprechen
verbesserten Konsums zum Streckmittel der Agonie.
Insgesamt hat Wolfgang König methodisch
diszipliniert wohlgefüllte Materialdepots angelegt. Sie sollen
nach Wunsch des Autors Ausgang für weitere Forschungen zur
deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sein. Dafür gibt
er ein hohes Niveau vor.
Wolfgang König
Volkswagen, Volksempfänger,
Volksgemeinschaft. "Volksprodukte" im Dritten Reich. Vom Scheitern
einer nationalsozialistischen Konsumgesellschaft.
Verlag F. Schöningh, Paderborn 2004;
310 S., 36,- Euro
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