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Daniela Weingärtner
Wie viel Sicherheit muss sein?
Terrorbekämpfung kontra
Bürgerrechte
Die vergangene Woche stand in Straßburg, in
Brüssel und beim Innenminister-Treffen in Newcastle im Zeichen
der Terrorbekämpfung. Doch die problematischen Fragen bleiben
ungeklärt auf dem Tisch: Was wiegt schwerer: das
Sicherheitsbedürfnis der Menschen oder die Bewahrung der
Bürgerrechte? Sollen die Regierungen im Eilverfahren Tatkraft
zeigen oder soll der langwierige demokratische Weg durch die
Institutionen - Kommission, Rat und Parlament - eingehalten werden?
Nach einer Debatte im Europäischen Parlament berieten
vergangene Woche die EU-Innen- und Justizminister in Newcastle.
Das Parkgelände der berühmten
Pferderennbahn von Newcastle lieferte den Fernsehjournalisten
vergangene Woche beim EU-Ministertreffen traumhafte Bilder:
Flatternde Europafahnen vor grün bewaldeten Rasenflächen.
Doch direkt daneben konnten die Kameras auch Szenen einfangen, die
eher einem Alptraum zu entstammen schienen.
Wo sonst stolze Pferdebesitzer ihre
Prachtexemplare vorführen, patroullierte berittene Polizei.
Scharfschützen mit Maschinengewehren waren auf den
Dächern postiert, alle Zugänge waren mit schweren
Eisenpollern gesichert, die im Ernstfall einem mit Sprengstoff
gefüllten Lastwagen standhalten würden. Eine martialische
Aufrüstung, die man eher im Gazastreifen oder in Bagdad
erwarten würde als in einer nordenglischen Kleinstadt.
Niemandem blieb die Leibesvisitation erspart - egal ob angemeldeter
Journalist oder Politiker.
Die deutsche Justizministerin Brigitte
Zypries (SPD) war geschockt über die Sicherheitsvorkehrungen.
Das habe sie noch bei keinem Ministertreffen erlebt. Auch
inhaltlich gab es bei der Veranstaltung einige Dissonanzen. Dem
Gastgeber, der britischen Regierung, gelang es offenbar nicht, die
gegensätzlichen Positionen bei den anstehenden Streitpunkten
in Newcastle einem Kompromiss näher zu bringen. Vorrangiges
Ziel der Briten ist es, noch unter ihrer Präsidentschaft bis
zum Ende des Jahres eine EU-Vereinbarung zur so genannten
Vorratsdaten-Speicherung zu erreichen, nach der Telefon- und
Internetdaten künftig EU-weit länger gespeichert werden.
Vor allem die nordischen Länder haben grundsätzliche
Bedenken, dass damit zu sehr in die Privatsphäre der
Bürger eingegriffen werden könne. Unklar ist aber auch,
ob und inwieweit EU-Parlament und Kommission an einem derartigen
Gesetzgebungsverfahren beteiligt würden oder ob der Rat eine
Rahmenvereinbarung anstrebt.
Die Briten hätten ursprünglich am
liebsten einen Rahmenbeschluss der Regierungen ohne
Parlamentsbeteiligung erwirkt. Auch die deutsche Seite sieht die
Zuständigkeit auf der intergouvernementalen Ebene, aber es
gibt auch inhaltliche Vorbehalte gegen die britischen
Pläne.
Der französische liberale
Europaparlamentarier Jean-Marie Cavada, Vorsitzender des
Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und
Inneres im EU-Parlament, nahm teilweise an den Ratsberatungen in
Newcastle teil. Er signalisierte, dass nach den Anschlägen in
Madrid und London im EU-Parlament mehr Verständnis herrsche,
dass Daten für Ermittlungen bei terroristischen Straftaten
länger aufbewahrt werden müssten. Allerdings sei es
unerlässlich, dass das EU-Parlament dazu nicht nur
angehört werde, sondern mitentscheide.
Diese Auffassung teilt EU-Kommissar Franco
Frattini. Er kündigte für den Herbst zwei
Gesetzesentwürfe an: Einen zur Datenspeicherung und einen
zweiten, der den gesamten Datenschutz im zwischenstaatlichen
Bereich regeln soll. Damit würde eine Lücke geschlossen,
auf die Datenschützer und Bürgerrechts-Organisationen
schon lange hinweisen. Denn der Datenschutz ist bislang
unterschiedlich geregelt, je nachdem ob eine Institution wie zum
Beispiel Europol zwischenstaatlich angesiedelt ist oder ob
Gemeinschaftsrecht greift, wie bei der Weitergabe von
Passagierdaten.
Am 7. September hatte der britische
Innenminister Charles Clarke in Straßburg das Programm
für die sechs Monate britischer Ratspräsidentschaft
vorgestellt. Er hatte daran erinnert, dass es derzeit eine
Vertrauenskrise zwischen der Union und ihren Bürgern gebe.
"Ich glaube, dass ein tiefer Grund für diese Zweifel darin
liegt, dass die Union sich nicht genügend um praktische
Lösungen für die drängendsten Probleme kümmert.
Dabei meine ich vor allem organisierte Kriminalität,
einschließlich des Drogen- und Menschenhandels, illegale
Einwanderung und Asylmissbrauch und den Kampf gegen den
Terrorismus."
Der für Justiz und Inneres
zuständige EU-Kommissar Franco Frattini hatte klargestellt,
dass es entsprechende EU-Gesetze schon gebe - sie würden aber
oft von den Mitgliedsstaaten nur zögernd umgesetzt. Er werde
künftig alle sechs Monate auf einer Liste die Länder
nennen, die hinterher hinken. Frattini hatte aber auch vor falschem
Aktionismus gewarnt: "Wir brauchen eine Vision, die unsere Werte
bewahrt, nicht Notstandsmaßnahmen. Der Führer der
liberalen Fraktion, Graham Watson, hatte den britischen
Innenminister kritisiert: "Ich stimme nicht mit Clarke
überein, dass die Schutzrechte der Opfer schwerer wiegen als
die Menschenrechte der Terroristen. Auch verdächtige
Terroristen haben Rechte. Die Logik des Wilden Westens führt
zu Fällen wie dem Tod des jungen Brasilianers in der Londoner
U-Bahn."
Clarke hatte darauf hingewiesen, dass der
Abschiebung von Einwanderern, die sich in der EU strafbar gemacht
haben, Artikel 3 der Europäischen Konvention für
Menschenrechte entgegen stehe. Beim Innenministerrat wiederholte er
diese Kritik. Spätestens nach den Anschlägen vom Juli in
London müssten die Richter zur Kenntnis nehmen, dass die
Balance zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der
europäischen Bürger und dem Schutzbedürfnis von
Flüchtlingen vor Abschiebung nicht mehr gewährleistet
sei. EU-Kommissar Frattini ergänzte: "Wir reden nicht
darüber, Richter zu beeinflussen." Doch der Artikel 3 der
Menschenrechtskonvention müsse künftig so interpretiert
werden, dass Straftäter auch dann in ihre Herkunftsländer
abgeschoben werden könnten, wenn die Menschenrechtslage dort
nicht europäischen Standards entspreche.
Der britische Innenminister warnte, dass sich
in Großbritannien die Stimmen mehrten, die aus der
Europäischen Konvention für Menschenrechte austreten
wollten. Vertreter aller Parteien im Parlament hatten zuvor
erklärt, die Verhältnismäßigkeit der Mittel
müsse erhalten bleiben, damit sich Europa nicht zur
Unkenntlichkeit verändere. Man dürfe sich nicht
europäische Lebensart und europäische Werte durch ein
paar Terroristen kaputt machen lassen. Der derzeitige
Ausnahmezustand auf der britischen Insel steht zu solchen
Beteuerungen in krassem Widerspruch. So soll der Sondergipfel der
Staats- und Regierungschefs im Oktober nicht, wie es der Routine
entspräche, in Brüssel, sondern an einem bislang
ungenannten Ort in England stattfinden. Ein trotziges "Business as
usual", dessen psychologisch aufbauende Wirkung zumindest
zweifelhaft erscheint.
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