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Daniela Weingärtner
"Sonnenscheinrichtlinie" ohne Sonne
Schutz von Arbeitnehmern vor optischer
Strahlung
Die Debatte über die Richtlinie zum Schutz der Arbeitnehmer
vor optischer Strahlung führten die europäischen
Abgeordneten streckenweise mit einem Gesprächspartner, der
sich gar nicht im Raum befand: den Medienvertretern der
Boulevardpresse. Die hatten im Vorfeld über die
"Sonnenschein-Richtlinie" gewettert, die es künftig
Fußballern untersage, in kurzen Hosen Richtung Gegner-Tor zu
stürmen oder Kellnerinnen im Biergarten dazu verdonnern werde,
hoch geschlossene Dirndl zu tragen. Nach einer hitzigen Debatte
sprachen sich die Abgeordneten am 6. September mit knapper Mehrheit
dafür aus, gesamteuropäisch nur Mindestvorschriften
für optische Strahlung festzulegen. Bei natürlichen
Strahlungen sollen die Mitgliedsstaaten selber darüber
entscheiden, welche Verpflichtungen den Arbeitgebern auferlegt
werden sollen.
In der aufgeheizten Debatte hatte Verkehrskommissar Jaques
Barrot wenig Chancen, mit seinen ruhigen Argumenten für den
Vorschlag des Rates zu werben. Neueste Forschungsdaten, so Barrot,
machten deutlich, dass künstliche und natürliche
Strahlung dem Organismus Schaden zufügen könne. Deshalb
sei die Kommission verpflichtet, für künstliche
Strahlenquellen entsprechende Grenzwerte festzulegen.
Zusätzlich sei es aber wichtig, die Arbeitnehmer über die
Gefahren der natürlichen Sonneneinstrahlung aufzuklären
und ihnen einfache und angemessene Schutzkleidung zur
Verfügung zu stellen.
Das polemische Begleitkonzert der Medien übertönte
fast die Argumente, die von Abgeordneten für die neue
Arbeitsschutz-Richtlinie vorgebracht wurden. Der ungarische
Konservative Csaba Öry, der für den Parlamentsbericht
verantwortlich zeichnet, erinnerte daran, dass schon die
Römischen Verträge festschreiben, dass neben den
Mitgliedsstaaten die Gemeinschaft für den Gesundheitsschutz am
Arbeitsplatz zuständig sein solle.
Eine entsprechende Rahmenrichtlinie, die die Verantwortung des
Arbeitgebers für Risikoprävention und die Gesundheit der
Mitarbeiter festlegt, gibt es seit 13 Jahren. Seither sind für
den Schutz vor Vibrationen, Lärm und elektromagnetischen
Strahlungen bereits EU-Vorschriften erlassen worden. Das Gesetz
über optische Strahlung soll das Paket nun abrunden.
Viele Abgeordnete wiesen in der Debatte auf die Gefahren hin,
denen im Freien arbeitende Menschen ausgesetzt sind. Der britische
Labourabgeordnete Stephen Hughes sagte, in Großbritannien habe
sich die Hautkrebsrate seit den 80er-Jahren verdoppelt und liege
nun höher als in Australien.
Die deutsche Sozialdemokratin Karin Jöns erinnerte daran,
dass die CDU/CSU-Abgeordneten den drei anderen Richtlinien zum
Arbeitsschutz zugestimmt hätten. In Bezug auf die
natürliche Strahlung werde dem Arbeitgeber in dem neuen Gesetz
vor allem eine ausführliche Information seiner Mitarbeiter
über die Risiken abverlangt.
Die liberale Fraktion, die Christdemokraten und die
Konservativen sehen aber genau darin eine Bevormundung des
einzelnen Bürgers, der sich selber um seine Gesundheit
kümmern solle. "Nanny type regulation" - Babysitter-Richtlinie
nannte die irische Konservative Avril Doyle den Ansatz von Rat und
Kommission. Und die Liberale Elizabeth Lynne sagte, sie habe den
Abschnitt über Sonneneinstrahlung im Gesetzentwurf
zunächst für einen Witz gehalten. "So machen wir uns in
der Öffentlichkeit lächerlich. Dieses Bemuttern geht zu
weit."
Örys Vorschlag, die Richtlinie im Kern nicht zu
verändern, die Details für den Schutz vor
natürlicher Strahlung, sprich Sonneneinstrahlung, aber dem
nationalen Gesetzgeber zu überlassen, stieß im Parlament
auf geteiltes Echo. Während einige Konservative einen
völlig neuen Vorschlag mit mehr Spielraum verlangt hatten,
wollten die Grünen und einige Sozialisten auch natürliche
Strahlung in der Richtlinie berücksichtigt sehen. Am Ende
stimmte eine knappe Mehrheit für Örys Entwurf. Viele
Abgeordneten hatten den Wunsch, die "Sonnenscheinrichtlinie"
endlich aus den Schlagzeilen zu holen und sich weitere
hämische Kommentare über die Eulenspiegeleien der
Brüsseler Bürokraten zu ersparen. Der Rat hat nun drei
Monate Zeit, Stellung zu nehmen. Stimmt der Rat nicht zu, beginnt
ein Vermittlungsverfahren.
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