Die Wirklichkeit pfeift auf die Sehnsucht des
Menschen
Interview mit Smudo, dem Sänger der
Fantastischen Vier
Smudo, 37, Sänger und Texter der
Fantastischen Vier und einer der Pioniere des deutschen Hip-Hop,
über Politik und Pop und darüber, wie man Jugendliche
auch politisch erreicht.
Das Parlament: Smudo, Du hast einmal
gesagt, dass man einem Musiker, wenn er eine politische Aussage
macht, mehr Glauben schenkt als einem Politiker. Ist das wirklich
so - und wenn ja warum?
Smudo: Der Politiker hat ein
schlechtes Image. Er hat mit dem Verdacht zu leben, unehrlich zu
sein, Versprechen nicht einzuhalten und durch wirtschaftliche
Erwägungen manipulierbar zu sein. Künstlern nimmt man
eine Aussage eher ab, weil man ihnen einen gewissen Idealismus
unterstellt.
Das Parlament: Wenn Bob Geldof und
Bono sich für einen Schuldenerlass für Afrika einsetzen,
folgen ihnen nicht nur Millionen Jugendliche. Auch Tony Blair,
Jacques Chirac oder Thabo Mbeki reden mit ihnen über
Entwicklungshilfe und Aids-Bekämpfung. Geht das nicht ein
bisschen weit?
Smudo: Wenn ich jetzt Bob Geldof
wäre, fände ich die Frage eine Beleidigung - nach dem
Motto "Jetzt lassen sich also Politiker herab und reden mit so
einem dahergelaufenen zotteligen Popstar!" Warum sollte ein Musiker
nicht in manchen Sachfragen kompetenter sein als ein Politiker? Es
ist doch dem jahrzehntelangen Wirken von Bob Geldof und seinen
Helfern zu verdanken, dass das Thema Armut populär geworden
ist. Jetzt kommt auch der Politiker nicht mehr drumrum. Die
Reihenfolge ist entscheidend: Es gab eine Initiative außerhalb
der Politik, die dazu geführt hat, dass die Politik sich das
Thema zu eigen gemacht hat.
Das Parlament: Die öffentliche
Meinung ist angesichts von Hartz, Haushaltsloch und fünf
Millionen Arbeitslosen deutlich gegen die SPD gekippt. Wie siehst
Du das?
Smudo: Ich rechne es der Regierung
hoch an, dass sie den Wähler ohne Rücksicht auf die
Gefährdung seiner Wiederwahl aufrüttelt und klarstellt,
dass Wachstum nicht immer wächst. Die Bevölkerung geht
zurück; der Osten ist offen; wir leben nicht mehr so stark auf
Kosten der Entwicklungsländer. Kurz: Die Zeit, in der man auf
Kredit leben und immer einfach so weitermachen konnte, ist vorbei.
Dazu kommt noch, dass die ganze Welt vom globalen Terror, der
Globalisierung und der Internet-Investment-Hysterie rechts
überholt wird. Auf derart komplexe Sachverhalte gibt es keine
einfachen Antworten.
Das Parlament: Eine neue
rot-grüne Koalition wird es aller Voraussicht nach nicht
geben. Was ist, wenn die SPD Juniorpartner in einer Großen
Koalition wird?
Smudo: Wenn man das politische
Geschehen wie ein Drama oder einen Kinofilm konsumiert, generiert
der Begriff "Große Koalition" Hoffnung auf Frieden, Einigkeit
und nach Gemeinsamkeit - nach einem Happy-End. Die Wirklichkeit
kennt keine Drehbuch-Regeln und pfeift auf die Sehnsucht des
Menschen. Ich glaube, dass eine Große Koalition durch ihre
Breite zu politischer Lähmung führen und rechts- wie
linksextremen Parteien enormen Zulauf bescheren
würde.
Das Parlament: Wenn man eure Texte
hört, sind die nicht ausnehmend politisch. Dennoch tretet ihr
auf Festivals wie "berlin05" auf, deren erklärtes Ziel es ist,
Jugendlichen Politik nahe zu bringen. Warum?
Smudo: Wir machen keine politischen
Songs, sind aber alle vier politische Menschen. Unserer Texte
stellen das Individuum in den Mittelpunkt und rufen gelegentlich zu
Eigenständigkeit und zur Übernahme von Verantwortung auf.
In weiterem Sinne ist auch das ein Appell, politisch aktiv zu
werden.
Das Parlament: Immer wieder ist von
der Politikverdrossenheit der Jugend zu hören. Erlebt Ihr Eure
Fans so?
Smudo: In einer erlebnisgesteuerten
Konsumwelt ist es schwer zu vermitteln, dass eine Gesellschaft
komplex ist und niemals ohne Probleme existieren wird. Man steht
nicht im Stau - man ist der Stau. Und so eine Gesellschaft
verwaltet sich nicht von selbst, sondern muss aus sich selbst
heraus verwaltet werden.
Das Parlament: ...und das ist für
junge Leute nicht spannend?
Smudo: Auf den ersten Blick sieht die
Jugend politikverdrossen aus. Andererseits sehe ich aber bei
Veranstaltungen wie "berlin 05" mit großer Freude, wie viele
Kids eben doch politisches Interesse haben.
Das Parlament: Gesetzt den Fall, dass
das politische Interesse erst mal fehlt - gibt es einen Weg, es zu
wecken?
Smudo: Ein markiger Spruch reicht
nicht. Ich glaube, man muss immer wieder vermitteln, dass eine
Gesellschaft eine komplizierte Sache ist und wie wichtig Toleranz
ist, auch wenn sie nicht immer einfach ist. Aber wer Kinder erzieht
- und das sind nicht nur Eltern - sollte jede Gelegenheit nutzen
darzustellen, dass es sehr befriedigend sein kann, sich für
etwas zu engagieren. Regelrecht "politisches Interesse" wird sich
daraus vielleicht entwickeln.
Das Parlament: Hast Du einen Eindruck,
wie attraktiv die Linkspartei für Jugendliche ist? Immerhin
kommt da eine neue Gruppe, die verspricht, alles anders zu
machen...
Smudo: "Jetzt ist Schluss", "Wir
machen alles anders" und ähnliches sind
Rattenfängerargumente, die auf kurzsichtige Wähler sicher
großen Eindruck machen. Und dass Jugendliche zuweilen auf
einfache Parolen hereinfallen, weiß jeder, der mal jung war -
aber muss man das wirklich beklagen? Wer genauer hinsieht, wird
schnell erkennen, dass Leute wie Gregor Gysi oder Oskar Lafontaine
vor allem in einem gut sind: darin, ihre als Kampfgeist getarnten
Machtinteressen durchzusetzen. Der Vergleich mit den Grünen
hinkt außerdem: Die standen neben ihrem rebellischen
Äußeren für Umweltbewusstsein und Friedenspolitik
und waren politisch klar einzuordnen.
Das Interview führte Jeannette Goddar
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