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Christoph Seils
Das Prinzip heißt: Hinten anstellen
Junge Politiker haben es schwer, sich einen
Platz zu erkämpfen
Man möchte meinen, der Weg von Niels Annen in den Bundestag
sei vorgezeichnet gewesen. Er ist mit 16 Jahren in die SPD
eingetreten. Von 2001 bis 2004 war er Juso-Bundesvorsitzender. Er
sitzt im Bundesvorstand der SPD. Mit seinen 32 Jahren ist Niels
Annen also schon ein alter Hase in der Politik. Dennoch musste er
in diesem Jahr, nachdem es am 18. September überraschend
vorgezogene Neuwahlen gibt, kämpfen, um Direktkandidat im
Hamburger Wahlkreis Eimsbüttel zu werden. Und er muss nun
darum kämpfen, diesen Wahlkreis auch zu gewinnen. Einen
sicheren Listenplatz hat Niels Annen nicht. "Es gibt in der SPD
keinen Automatismus", sagt er. "Es ist nicht so, dass für
einen Juso-Vorsitzenden ein Platz im Bundestag reserviert ist."
Generation 60 plus hat das Sagen
Es ist vielmehr so, dass es junge Politiker in diesem Jahr bei
der Kür von Direktkandidaten und der Aufstellung von
Landeslisten besonders schwer hatten. Vor allem in der SPD, in der
mit Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Hans Eichel oder
Peter Struck die Generation 60 plus den Wahlkampf prägt. Aber
nicht nur in der SPD ist dies so. Alle Parteien räumen dem
politischen Nachwuchs wenig Chancen ein. Mit Edmund Stoiber
führt ein 63-Jähriger die CSU-Liste für den
Bundestag an. In Berlin bewirbt sich der langjährige
Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen mit ebenfalls 63
Jahren erstmals um ein Direktmandat. Auch der mögliche
künftige Außenminister, der Liberale Wolfgang Gerhardt,
hat schon vor eineinhalb Jahren seinen 60. Geburtstag gefeiert.
Fast scheint es so, als drängten in diesem Jahr mehr denn je
altbewährte Politikrecken jenseits der 60 in den Deutschen
Bundestag. Über das "Methusalem-Komplott" auf den
Kandidatenlisten spottete deshalb bereits die konservative
Tageszeitung "Die Welt", über verkalkende Parteien die linke
"tageszeitung" (taz).
Der 16. Deutsche Bundestag wird aller Voraussicht nach
älter werden als sein Vorgänger. Als sich dieser im
Oktober 2002 konstituierte, betrug das Durchschnittsalter der
Abgeordneten exakt 49,28 Jahre. Während auf dem Arbeitsmarkt
über 50-Jährige kaum noch gefragt sind, steuern Politiker
in diesem Alter auf den Höhepunkt ihrer politischen Karriere
zu. Etwa 45 Prozent der 603 Abgeordneten war zwischen 50 und 60
Jahren alt. Nur 101 Abgeordnete waren unter 40, lediglich 21
Abgeordnete unter 30.
Mit 30 Jahren müssen Menschen im Job schon eine Menge
Verantwortung übernehmen, in den Parteien jedoch gelten sie
bis zum Alter von 35 Jahren als Jugendliche und gehören den
Jugendorganisationen an. Für den politischen Nachwuchs gilt
das Prinzip sich hinten anzustellen. Ein Bundestagsmandat stellt
den Höhepunkt einer langjährigen politischen Karriere
dar, auch Ochsentour genannt. Seiteneinsteiger sind die Ausnahme.
Junge Kandidaten haben in der Regel nur eine Chance, wenn sie
altgediente Parteifreunde niederkämpfen. Die SPD habe "zu
wenig junge Leute" aufgebaut, klagt Niels Annen, die Partei brauche
eine Verjüngung, einen Generationenwechsel. Nur in einer
Kampfkandidatur und mit einem innerparteilichen Wahlkampf konnte
sich Niels Annen die SPD-Kandidatur im Wahlkreis
Hamburg-Eimsbüttel erstreiten. Er profilierte sich als treuer
Anhänger von Rot-Grün und ging auf Distanz zu
Schröder. Mit Erfolg. Mit 58 zu 31 Stimmen setzte sich der
Historiker und Ex-Juso-Chef gegen die stellvertretende
Landesvorsitzende Dorothee Stapelfeld durch. Eigentlich ist
Eimsbüttel traditionell ein sozialdemokratischer Wahlkreis,
mit 51 Prozent ging dieser 2002 an die SPD. Doch in diesem Sommer
gibt es wenig, auf das sich Sozialdemokraten verlassen können
und so weiß auch Niels Annen, ausruhen gilt im Wahlkampf
nicht.
Natürlich gibt es auch schon junge Politiker und
Politikerinnen, die in ihren Parteien etabliert sind und sich
deshalb keine Sorgen um den Einzug in den Bundestag machen
müssen. Die grüne Anna Lührmann etwa, die vor drei
Jahren mit 19 Jahren die jüngste Bundestagsabgeordnete aller
Zeiten war und seit einem Jahr sogar im wichtigen
Haushaltsausschuss des Parlaments mitarbeitet. Sie wird wieder ins
Parlament einziehen. Auch der 25-jährige Jens Spahn (CDU) aus
Ahaus wird keine Probleme haben, sein Direktmandat zu verteidigen.
Der 28-jährige Bundestagsabgeordnete Daniel Bahr aus
Münster gilt bei den Liberalen bereits als der Experte
für Gesundheits- und Sozialpolitik und als Nachwuchstalent mit
Karrierechancen. Katja Kipping ist sogar Spitzenkandidatin der
Linkspartei.PDS in Sachsen. Bislang saß die 27-Jährige
für ihre Partei im sächsischen Landtag.
In der Regel jedoch müssen die jungen Kandidaten in
spannenden Kampfkandidaturen zwischen Jung und Alt gehen. In der
Passauer CSU etwa konnte sich der 30-jährige Andreas Scheuer
nach einem kurzen heftigen innerparteilichen Wahlkampf um die
Direktkandidatur gegen den 63-jährigen ehemaligen
Verteidigungs-Staatssekretär Klaus Rose durchsetzen. Auch
Thomas Bereiß galt als Außenseiter, doch dem
30-jährigen Landesvorsitzenden der Jungen Union in
Baden-Württemberg gelang auf der Mitgliederversammlung im
Wahlkreis Sigmaringen-Zollernalb mit 643 zu 376 Stimmen ein
Überraschungssieg gegen den örtlichen Landrat. Kai
Gehring musste bei den Grünen zehn Konkurrenten ausstechen und
sieben Wahlgänge über sich ergehen lassen. Am Ende konnte
er sich sogar gegen den Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei
durchsetzen und sich den 8. Platz auf der
nordrhein-westfälischen Landesliste sichern. Nun wird
gerechnet und gehofft. "Wenn die Grünen knapp unter sechs
Prozent bekommen, würde es noch reichen", erklärt der
27-jährige Diplom Sozialwissenschaftler.
Trotz seines jungen Alters hat Kai Gehring schon eine Ochsentour
durch seine Partei hinter sich. Mit mehreren Wahlkämpfen, viel
innerparteilicher Gremienarbeit und noch mehr innerparteilicher
Ranküre. Schon wenige Wochen nach seinem Eintritt in die
Partei stand er als 20-Jähriger 1998 in seiner Heimatstadt
Essen im Wahlkampf hinterm Infostand und warb für die
Ökosteuer oder den Atomausstieg. Natürlich hätten es
junge Kandidaten bei den Grünen traditionell etwas einfacher,
es gäbe "eine große Solidarität mit Jüngeren",
sagt Kai Gehring. Doch auch die Grünen kommen in die Jahre,
werden älter. "Niemand bekommt einen Listenplatz geschenkt",
fügt er hinzu. Im Gegenteil. Es gehört schon ein gewisses
Maß an Abgeklärtheit dazu, einen Wahlkrimi mit sieben
Abstimmungen, knappen Ergebnissen und Kungeleien hinter den
Kulissen durchzustehen. "Ich bin mit großer Gelassenheit in
die Kandidatur hineingegangen. Ich hatte nicht viel zu verlieren",
sagt Kai Gehring. In Bundestag will er sich, wenn es denn klappen
sollte, für Kinder, Familie, Bildung und Hochschulen
engagieren. Doch bis zum 18. September muss er noch zittern.
Andreas Jung wird nicht zittern. Alles andere als ein deutlicher
Sieg im Wahlkreis Konstanz wäre eine Sensation. Obwohl die
Universitätsstadt inzwischen einen grünen
Oberbürgermeister hat, ist der Wahlkreis, zu dem auch die
umliegende Region gehört, fest in CDUHand. Bereits im
vergangenen Jahr hatte der 30-jährige Rechtsanwalt und
langjährige Aktivist der Jungen Union entschieden, sich um die
Direktkandidatur zu bewerben. Der Wahlkreis war frei geworden, weil
der langjährige örtliche Abgeordnete, wichtige
Strippenzieher im Berliner Politikbetrieb und ehemalige
Staatssekretär, Hans-Peter Repnik, sich mit 62 Jahren aus der
großen Politik zurückziehen will.
Nur ein Kandidat ist ungewöhnlich
Um so überraschter war Thomas Jung, dass sich kein
Mitbewerber fand und er von seinen Parteifreunden fast einstimmig
nominiert wurde. Nun macht der Nachwuchspolitiker Wahlkampf,
tingelt durch Altenheime, Fußgängerzonen und
örtliche Betriebe, erklärt überall, warum nach
sieben Jahren Rot-Grün nun die CDU ran muss. Und er bereitet
sich innerlich schon ein bisschen auf Berlin vor. Im
Wirtschaftsausschuss des Bundestages würde er gerne
mitarbeiten oder im Umweltausschuss. Aber Andreas Jung sagt auch,
"das wird man sehen". Er weiß genau, als Neuling im Parlament
und als Neuling in der Unionsfraktion muss er bescheiden sein. Doch
das gilt nur am Anfang. Seine Parteifreunde in Konstanz und
Umgebung sagen: "Das ist einer mit Perspektive", berichtet Andreas
Jung. Wie bei seinem Vorgänger Hans-Peter Repnik, der 33 Jahre
alt war, als er 1980 als junger Abgeordneter erstmals in den
Bundestag einzog.
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