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Claudia Heine
Reise mit Hindernissen
Visa-Untersuchungsausschuss beendet seine
Arbeit
Es waren skandalträchtige Schlagworte, die
der Vorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) noch vor Beginn der
Untersuchung bemühte. Als "einwanderungspolitischen
Triebtäter" etwa bezeichnete er den Staatsminister im
Auswärtigen Amt, Ludger Volmer (Grüne). In ihm und
Außenminister Joschka Fischer sah die Opposition die
Hauptverantwortlichen für den zweifellos unbestrittenen
Visamissbrauch. Man wolle, so Uhl, "eine moderne Form des
Sklavenhandels" aufdecken.
Es hatte den Anschein, als seien manche
Mitglieder des Visa-Untersuchungsausschusses mit ihren Gedanken
woanders. Dabei absolvierten sie gerade den parlamentarischen
Höhepunkt ihrer monatelangen und von einem erheblichen
Arbeitspensum getragenen Untersuchung: Am 7. September
präsentierten sie dem Plenum des Bundestages ihren über
800 Seiten starken Sachstandsbericht, der die Ergebnisse aus
über 58 Zeugenbefragungen und 1.600 Aktenordnern
zusammenfasste. Es war die letzte Sitzung des Parlaments vor den
Neuwahlen, es war der letzte Tagesordnungspunkt des Tages, dessen
Zenit mit dem Schlagabtausch zwischen Bundeskanzler Schröder
und seiner Herausforderin Merkel schon einige Stunden zurück
lag. Irgendwie schien die Luft raus, die Monate zuvor so heftig in
diesen Ausschuss hineingepumpt woren war.
Eine neue Form von Menschenhandel, gar
"Sklavenhandel", hatte die Opposition Ende vergangenen Jahres am
rot-grünen Horizont entdeckt. Möglich geworden durch eine
Visapraxis an deutschen Botschaften, für die die Politik der
Bundesregierung seit 1998 verantwortlich gewesen sei, so der
Vorwurf von Union und FDP. Handelnde Hauptpersonen:
Außenminister Joschka Fischer, Innenminister Otto Schily und
der damalige grüne Staatsminister im Auswärtigen Amt,
Ludger Volmer.
Im Zentrum der Debatte stand, neben anderen
Erlassen von 1999, der von Union und FDP so genannte Volmer-Erlass
vom März 2000. Das von Volmer angeregte und von Fischer
unterzeichnete Dokument des Auswärtigen Amtes (AA) hatte den
Ermessensspielraum der deutschen Vertretungen im Ausland erheblich
erweitert. In der Prüfung von Reisezweck und
Rückkehrbereitschaft, Voraussetzungen für eine
Visumserteilung, wurden die Auflagen gelockert. Im Zweifel sollten
die Botschaftsmitarbeiter für die Reisefreiheit der
Antragstellenden entscheiden. Tatsächlich waren die
Visa-Anträge seitdem vor allem in Osteuropa erheblich
angestiegen, besonders dramatisch an der Botschaft in Kiew.
Tatsächlich hatte das Bundeskriminalamt (BKA)
Visa-Erschleichungen als neue Form der Schleuserkriminalität
festgestellt. Union und FDP machten deshalb vor allem die
Erlasslage des AA verantwortlich, massenhaften Missbrauch von
Einreisegenehmigungen begünstigt zu haben. Auf diese Weise sei
nicht nur Schwarzarbeit und Zwangsprostitution begünstigt,
sondern auch die Sicherheit der Bundesrepublik insgesamt
gefährdet worden. Ihnen ging es um die politische
Verantwortung des Außenministers.
"In dubio pro libertate": Um diesen Satz des
Erlasses drehte sich seitdem die Spirale der Zeugenvernehmungen und
Aktendurchsichten. Hat er die Beamten in den Visastellen nun von
der Pflicht entbunden, Anträge ausreichend auf ihre
Glaubwürdigkeit zu prüfen oder nicht? Die Opposition und
mit ihr einige der vernommenen Zeugen bejahten dies. Die
Regierungsparteien, andere Zeugen an ihrer Seite, verneinten
dies.
Nicht weiter ungewöhnlich ist deshalb,
dass die Bewertung der Ergebnisse, die der Sachstandsbericht
enthält, je nach Perspektive, eine völlig andere ist.
Für Rot-Grün steht fest: "Eine Gefährdung der
Sicherheit der Bundesrepublik hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben."
Weder gebe es Belege für einen massenhaften
Kriminalitätsanstieg, noch ließe sich ein Zusammenhang
zwischen "Unregelmäßigkeiten bei der VisumsErteilung" und
Schwarzarbeit, Prostitution und Menschenhandel nachweisen. Zahlen
für diesen behaupteten Zusammenhang sucht man in dem
umfangreichen Bericht tatsächlich vergebens. Statt dessen
heißt es im Kapitel über legendierte Schleusungen:
"Erkenntnisse zum Umfang illegaler Schleusungen sind schwer zu
gewinnen. Dies beruht darauf, dass es sich bei der legendierten
Schleusung um ein so genanntes ,Kontrolldelikt' handelt, dessen
statistische Erfassung schwierig ist." Kontrolldelikte sind
Straftaten, die erst durch Kontrollen der Behörden erfasst
werden - und ohne Kontrolle bleiben sie eben unbemerkt. Und weiter
stellt der Ausschuss fest: "Ähnliche Schwierigkeiten bereitet
die Frage nach Verbleib und Schicksal der geschleusten Personen
nach ihrer Einreise in den Schengen-Raum." Die Polizeiliche
Kriminalstatistik (PKS) könne dafür keine hinreichenden
Erkenntnisse liefern, denn sie enthält nur bekannt gewordene
Straftaten und keine Angaben über das Dunkelfeld. Der Bericht
resümiert, dass nur eine Dunkelfeldforschung hier
entsprechende Aufklärung bieten könne, Untersuchungen in
diesem Zusammenhang aber nicht existierten.
Auch die Opposition räumt in ihrem
Sondervotum ein: "Die Höhe des tatsächlichen materiellen
Schadens für Deutschland ist umstritten. Über die Zahlen,
die Schwarzarbeit, Schleuserkriminalität und
Zwangsprostitution widerspiegeln, gibt es unterschiedliche
Auffassungen, auch unter Experten." Dennoch lässt sie keinen
Zweifel: "Das Auswärtige Amt und Bundesminister Joseph Fischer
haben durch eine verfehlte und ideologisch motivierte Visa-Politik
Schleppern und Menschenhändlern ihr Handeln
erleichtert."
Der von der Opposition vermutete Skandal,
nachdem die Erlasslage des AA direkt für eine Zunahme von
Menschenhandel und Schwarzarbeit verantwortlich sei, lässt
sich nicht belegen. Unbestreitbar ist indessen, dass das AA durch
unklare Formulierungen in verschiedenen Erlassen dazu beigetragen
hat, die Situation an deutschen Botschaften zu verschärfen.
Menschenschlangen, Abfertigung im Minutentakt, Überforderung
der Mitarbeiter und nicht zuletzt Visamissbrauch in großem
Umfang gehen auch auf das Konto so schwammiger Sätze wie "im
Zweifel für die Reisefreiheit". Viel zu lang hat es zudem
gedauert, bis auf die Mängel entsprechend reagiert wurde -
auch deshalb, weil offenbar innerhalb des Außenministeriums
erhebliche Kommunikations- und damit Organisationsmängel
existierten. Dies alles ist durch die Arbeit des Ausschusses
öffentlich gemacht worden. Es waren mehr als nur
"Versäumnisse", wie es die Koalitionsfraktionen in ihrer
Bewertung formulieren. Dafür ist Fischer zu Recht in
Rechtfertigungszwang geraten. Sein Zögern, sich zu den
Vorgängen zu äußern, hat sein Image als beliebtester
Politiker des Landes zeitweise beschädigt. Dauerhaft
diskreditieren konnte der Ausschuss aber weder ihn noch
Innenminister Schily, dessen Behörde zwar die Visa-Praxis
jener Zeit kritisiert aber letztendlich nichts Konkretes dagegen
unternommen hatte.
In die Geschichte wird der
Visa-Untersuchungsausschuss aber aus einem ganz anderen Grund
eingehen. Erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik wurden
Sitzungen eines solchen Gremiums live im Fernsehen übertragen.
Über zwölf Stunden konnte man dabei zusehen, wie Joschka
Fischer sich in Demut übte, Fehler seines Ministeriums, auch
persönliche, einräumte und sich dennoch nicht aus der
Ruhe bringen ließ. Seine Vernehmung blieb der Höhepunkt
des Ausschusses. Anschließend verloren die Medien nach und
nach das Interesse, bis sich die Gedanken sämtlicher Politiker
und Berichterstatter nur noch um eines drehten: um die Neuwahlen
des Bundestages.
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