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Martin Gerner
Zwischen Mohnfeldern und
Männerdomänen
Afghanstan: Frauen kämpfen bei den
Parlamentswahlen am 18. September um mehr politische
Teilhabe
Sohaila Alkozai schlägt die Zeitung auf und
ist empört. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass ihr
Foto als Parlamentskandidatin mit Namen vorne auf Seite zwei
erscheint. Statt dessen muss sie bis Seite acht blättern, um
ihr Abbild zu finden "Die haben mich betrogen", schimpft sie, "ich
werde Protest einlegen. Keiner meiner Anhänger kann mich jetzt
auf der Seite wiederfinden, die ich angekündigt hatte."
Die "Zeitung" über die Sohaila Alkozai
schimpft ist in Wahrheit ein Vordruck des offiziellen Stimmzettels
für Kabul. Weil sich über 600 Kandidaten allein in der
Hauptstadt beworben haben - weit mehr als die UN kalkuliert hatte -
hat der Stimmzettel nunmehr das Format einer Tageszeitung und ist
16 Seiten stark. Damit auch Analphabeten sich im Dschungel von
Köpfen und Namen finden können, hat jeder Kandidat ein
Symbol zugelost bekommen. Bei Sohaila Alkozai ist es eine
Schiefertafel, wie sie Kinder in Afghanistan noch mit zur Schule
bringen. Sie sieht da-rin ein gutes Omen. "Schule und Bildung sind
zwei meiner Steckenpferde im Wahlkampf. Nur über die Erziehung
bekommt unser Volk wieder Selbstvertrauen."
An diesem Nachmittag wird es eng im
Wohnzimmer von Sohaila. Zunächst erscheint eine Gruppe von
Lehrerinnen aus einem Vorort von Kabul. Sie wollen die Kandidatin,
deren Plakat sie in der Stadt gesehen haben, näher kennen
lernen. Etwas später kommt eine Hand voll Männer in
Jacket, darunter der "pirhan tambon", der traditionelle
Weithosenanzug. Sohaila räumt wie selbstverständlich
ihren Sofa-Platz und rutscht für die Männer auf einen
unbequemeren Stuhl. Dann beginnt ein vorsichtiges Gespräch,
etwa so, wie wenn sich jemand seiner neuen Nachbarschaft vorstellt.
"Mein Vater ist aus Kandahar, meine Mutter aus der Provinz Parwan",
fängt Sohaila an. "Für mich spielt die Herkunft keine
Rolle. Ob jemand Paschtune oder Tadschike ist, ist mir egal. Mir
geht es um das Wohl aller Afghanen." Die Gesichter im Kreis
verraten einen Rest von Skepsis. In einem Frage-Antwort-Spiel
werden die biographischen Daten der Kandidatin überprüft.
Beim Tee entspannt sich die Atmosphäre.
Einer der bärtigen Herren, der sich als
Dozent an der Universität vorstellt, erklärt in
getragenem Ton, seine Stimme Sohaila geben zu wollen: "Männer
haben in diesem Land in all den vergangenen Jahren die
Verantwortung gehabt. Und was haben sie daraus gemacht? Krieg und
Zerstörung. Ich denke, jetzt ist es Zeit, einmal Frauen das
Vertrauen zu schenken." Sohaila Alkozai bedankt sich für die
warmen Worte. "Sechs bis sieben Tausend Stimmen brauche ich
für einen Sitz im Parlament", rechnet sie vor, als die
Gäste gegangen sind. "Mehr als zweihundert Stimmen haben mir
die zugesagt, die eben hier waren. Ich habe ihnen Wahlzettel in die
Hand gedrückt. Sie machen ab sofort in der Stadt Werbung
für mich."
Im Hauptanbaugebiet des
Schlafmohns
Über die Landebahn des Flughafens von
Faizabad trottet ein Esel mit einem alten Mann auf seinem
Rücken über die Start- und Landebahn. Absperrungen gibt
es außer einer kleinen Mauer keine. Gleich neben dem Rollfeld
haben Soldaten der Bundeswehr ihr Feldlager bezogen. Faizabad ist
die Haupststadt der Provinz Badakhshan. Eines der deutschen Teams
für den Wiederaufbau (Provincial Reconstructions Team - PRT)
ist hier zu Hause. Badakhshan ist auch Hauptanbaugebiet des
Schlafmohns. Zurzeit wird die neue Saat gestreut. Mit bloßem
Auge kann man die Mohnfelder nicht erkennen. An diesem Morgen
erreicht ein Notruf das deutsche PRT. Mitten auf einer der
Ausfallstraßen wurde eine Mine, versteckt in einem Kochtopf,
entdeckt. Keine Taliban oder Al Kaida. Wie sich herausstellt, will
ein Kandidat verhindern, dass ein Mitbewerber in seiner eigenen
Hochburg auf Stimmenfang geht. "Politik wird immer noch als Kampf
verstanden, sagt Anisa Nabiyar dazu. Die 32-jährige studierte
Lehrerin ist eine von neun Kandidatinnen in ihrer Provinz für
die Volksvertretung. "Viele verstehen nicht, dass es einfach
ausreicht, einen anderen Kandiaten zu wählen, um den
Missliebigen zu verhindern." Sie schränkt ein, dass es dabei
nicht immer mit fairen Mitteln zugeht: "Unter den Kandidaten
befinden sich Ungebildete genauso wie Anführer bewaffneter
Milizen oder der alten islamischen Jamiat-Partei. Die einen wiegeln
auf, die anderen schüchtern ein. Oft reißen sie meine
Wahlplakate von der Wand, kurz nachdem wir sie aufgehängt
haben."
Anisa Nabiyar arbeitet für ein
afghanisches Büro, das Mikro-Kredite an soziale Projekte
vergibt. Sie hat einen winzigen Toyota-Transporter angemietet. Auf
der Windschutzscheibe prangt ihr Foto. Mit Fahrer und einem
Begleiter müht sie sich durch die abenteuerlichen Berge und
Schluchten des Hochlandes von Badakhshan, vorbei an steil
abfallenden Klippen und reißenden Gewässern.
Durchschnittstempo 20 Stundenkilometer. Biblische Gestalten ziehen
vorbei, eingehüllt in staubige Wolldecken. Nach einer Stunde
ist eine Schule erreicht. In Eile werden alle Lehrer und
älteren Schüler in einen Klassenraum gebeten. Es ist eng,
einige stehen auf Stühlen, ihre Köpfe ragen bis unter die
Decke. Anisa Nabiyar hält eine kurze Ansprache. "Die Burka
spielt hier erst mal keine Rolle", sagt sie angesprochen auf das
westliche Klischee. Sie trägt sie - notgedrungen - selbst.
"Wichtig sind Kliniken und Frauenärzte. Hier sterben viele
Frauen, weil ihre Männer sie nicht zum Arzt lassen. Das
betrifft Schwangerschaften oder auch Opium. Nicht nur Männer
sind abhängig. In ihrer Sucht verkaufen Familien in den
entlegenen Dörfern Teppiche und Geschirr um an den Stoff zu
kommen."
In einer Plastiktüte, die fast auf dem
Boden schleift, trägt Anisa Nabiyar ihre Flugblätter mit
sich herum. Die Hälfte der Menschen weiß nicht,
wofür die Wahlen gut sind und was überhaupt gewählt
wird, meint Anisa Nabiyar. Der Gouverneur habe ihr ein Auto zum
Transport im Wahlkampf versprochen, aber das habe sie nie bekommen,
klagt sie. Der UN-Wahlorganisator in Faizabad findet, man sei viel
besser gerüstet als im vergangenen Jahr zu den
Präsidentschaftswahlen. "Eine Kandidatin kam ganz aus dem
Norden Badakhshans. Sie war schwanger und hatte einen
achttägigen Marsch hinter sich. Mit blutigen Füßen
kam sie im Büro an, um sich als Kandidatin registrieren zu
lassen." Solche außergewöhnlichen Geschichten gibt die UN
gerne an die ausländischen Medien weiter. Offenbar aber hat
man vergessen, die Kandidaten, die vielfach an Orte gelangen, an
die keiner der 20.000 UN-Mitarbeiter kommt, mit
Informations-Material auszustatten. So verstaubt ein Teil der
bunten UN-Kalender, die in Form eines Kinderbuches den Wahlmodus
für Jung und Alt erklären.
Im UN-Büro in Faizabad wird gepackt:
Stimmzettel und Wahlurnen für die Bergregionen, namentlich
für Pamir, der nördlichen Landzunge, in der die
kirgisische Minderheit zu Hause ist. Esel werden beladen und
bringen das Material in einem Wochenritt in entlegene Schluchten.
Zurzeit ist noch ein gutes Durchkommen. Mit dem Wahltag wird aller
Wahrscheinlichkeit nach der erste Schnee einsetzen. Die Stimmzettel
werden dann zum Auszählen in Faizabad eintreffen, wenn alle
anderen Urnen längst geleert sind.
Schwere Zeiten für Frauen in
Kandahar
In einem kleinen Hinterhof gibt ein
dicklicher Mann mit Krücke ein paar jungen Frauen und
Männern Anweisungen: "Ihr müsst mehr nach vorne spielen,
zum Publikum, und lauter." Niamatullah Nalan ist Leiter der
einzigen Theatergruppe von Kandahar. In diesen Tagen übt er
für einen Auftritt in Kabul. In Kandahar kann er mit seinem
Ensemble nicht öffentlich auftreten. "Es gibt kein Theater in
der Stadt. Die meisten Menschen halten das für eine
verächtliche Kunst. Ebenso werden meine Schauspieler,
insbesondere die Frauen in der Gruppe, behandelt. Selbst unter der
Burka werden sie angepöbelt", so Nalan.
"Die Lage für Frauen war noch nie so
schlecht in Kandahar wie jetzt", pflichtet Qamar Wakili bei. Die
57-Jährige ist nach 23 Jahren wieder in ihrer Heimatstadt
politisch aktiv. 1982 war sie mit ihrer Familie emigriert. "Damals
war es für uns ein Risiko, nicht der kommunistischen Partei
beizutreten", sagt sie. Über Pakistan gelangte die Familie
nach Deutschland. Lange wohnte Qamar Wakili im beschaulichen
niedersächsischen Leer, wo sie ihre Kinder großzog und
eine Umschulung zur Verkäuferin machte. Anfang 2002 ging sie
auf Bitten der Karsai-Regierung als Staatssekretärin in das
zerstörte Kabul zurück. Diesen Sommer schließlich
kam ein Anruf aus ihrer Heimatstadt, man brauche in Kandahar noch
unbedingt Kandidatinnen.
Wie kann eine Frau Wahlkampf machen in einer
Provinz, in der zuletzt eine Hand voll talibankritischer
Geistlicher ermordert wurden, in der Frauen so gut wie nicht in der
Öffentlichkeit zu sehen sind und in der jeglicher Austausch zu
fehlen scheint, weil man Ausländer mit der Lupe suchen muss?
"Die Plakate mit meinem Foto hänge ich erst eine Woche vor der
Wahl auf", erklärt sie eine Vorsichtsmaßnahme. "Ich
versuche pragmatisch zu handeln und Vorbild zu sein." Vor
dreißig Jahren, damals noch als junge Frau, die erste in der
Familie, die studiert hatte, ging Qamar Wakili für den
Frauenverein "De Mermonu Tulana" in Kandahar von Tür zu
Tür und warb für Alphabetisierung und das Recht von
Mädchen auf Schulunterricht. Das verlangte schon damals Mut.
"Aus dieser Zeit kennen mich die Menschen, das ist mein Kapital in
diesem Wahlkampf", sagt sie. Als geborene Atzeksei gehört sie
einem der drei größten paschtunischen Stämme an.
Nach ihrem Großvater, einem reichen Khan, ist im Süden
der Stadt ein Stadtpark benannt. Auch das hilft. "Gottes Wille,
nationale Einheit und soziale Gerechtigkeit", ist der Slogan auf
ihrem Flugblatt. "Ich setze mich dafür ein, dass der
Süden und die Paschtunen bei der Vergabe der internationalen
Hilfsgelder nicht benachteiligt werden", erklärt
sie.
Qamar Wakili mietet ein Restaurant an,
lädt zu einem Essen für 200 Leute und stellt sich in
einer Rede vor. Ein paar Tage später steht ein Konvoi mit zwei
Wagen vor der Tür; er fährt sie nach Spin Boldak, ins
Grenzgebiet zu Pakistan. "Ich muss da raus", sagt sie, "ich bin
schließlich Kandidatin für die ganze Provinz, nicht nur
für die Stadt Kandahar." Sie hatte in den Vortagen einmal
über ihre Angst geredet. Es scheint ganz so, als wirke diese
bei ihr als treibende Kraft.
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