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Jens Mattern
"Die Hoffnung stirbt zuletzt"
Polen hat einen neuen Präsidenten - die
Regierungsbildung stockt
In Polen ist die angekündigte
Regierungsbildung zwischen der nationalkonservativen Partei "Recht
und Gerechtigkeit" (PiS) und der liberalkonservativen
"Bürgerlichen Plattform" (PO) vorerst gescheitert. Nach einer
Wahlschlacht, die schon im März ihren Anfang nahm, nach der
Parlamentswahl und den Präsidentschaftswahlen in zwei
Urnengängen, haben die künftigen Koalitionspartner
Schwierigkeiten, sich zusammenzusetzten. In der stärkeren
Postion ist die PiS. Sie hat wider Erwarten die Parlamentswahl mit
26,99 Prozent gewonnen (die PO hat 24,14 Prozent erreicht) und
stellt mit dem eher unscheinbaren Bildungsexperten Kazimierz
Marcinkiewicz den Premier. Jedoch gilt der Parteichef Jaroslaw
Kaczynski als eigentlicher Machthaber im Hintergrund.
Entgegen den Umfragen siegte sein
Zwillingsbruder Lech Kaczynski in der Stichwahl zum
Präsidenten am 23. Oktober mit 54,04 Prozent. In der ersten
Tour erreichte sein Herausforderer Donald Tusk von der PO noch die
meisten Stimmen.
Aber auch der Posten des Sejm-Marschalls, wie
der Parlamentspräsident in Polen gennant wird, wurde am
vergangenen Mittwoch mit einem PiS-Politiker, Marek Jurek, besetzt
- entgegen einer Abmachung, wonach Bronislaw Komorowski (PO)
Parlamentspräsident werden sollte. Allerdings wollte die PiS
von der PO zuvor eine Koalitionszusage, die diese wiederum nicht
gewähren wollte. In der Kampfabstimmung erhielt Jurek fast die
doppelte Stimmanzahl des Sejms - die Bauernpartei PSL und die
radikalen Parteien "Liga Polnischer Familien", die
"Selbstverteidigung", die Hauspartei des radikalen Bauerns Andrzej
Lepper, stimmten für den euroskeptischen
Nationalkonservativen.
Der Pakt mit dem antiliberalen Andrzej Lepper
ist nicht der einzige Grund für die Niederlage und die
Verärgerung der PO-Politiker, jedoch ein gewichtiger. Leppers
"diszipliniertes" Elektorat auf dem Land, das ihm bei der ersten
Tour der Präsidentschaftswahlen 15 Prozent der Stimmen
bescherte, stimmte bei der Stichwahl nach Aufforderung Leppers
für Lech Kaczynski. Als Dank dafür kündigte Lech
Kaczynski an, dass Lech Balcerowicz in seinem Amt als Chef der
Nationalbank nicht mehr bestätigt werde. Somit kann Leppers
Appell "Balcerowicz muss abtreten" in die Tat umgesetzt werden. Der
Ökonomieprofessor ist durch seine harte Reformpolitik als
Finanzminister Anfang der 90er-Jahre bei den weniger wohlhabenden
Polen verhasst.
Auch von der Gewerkschaft Solidarnosc und den
Ultrakatholiken erhielt Lech Kaczynski Unterstützung: Der
xenophobe Medienpriester Tadeusz Rydzyk attakierte Donald Tusk, er
würde eine "Ideologie der Reichen" verkörpern.
Die Angst vor dem "liberalen Experiment", die
auch von Lech Kaczynski geschürt wurde, ist nach polnischen
Analysen ausschlaggebend für den Sieg des
Nationalkonservativen gewesen.
Tusk schien in den letzten Fernsehdebatten
erschöpft, auch die Idee, zweimal das Wahlplakt zu
ändern, diente nicht seiner Glaubwürdigkeit: In der
letzten Version wurde eine blasse EU-Fahne durch eine polnische
ersetzt, zudem ein polnischer Trachtenträger ins Bild
eingebaut.
"Lech Kaczynski hat gewonnen, weil er redlich
ist, denn dies ist das Wichtigste", erklärte ein Berater der
PiS in der Wahlnacht. Tusk sei ein "gefärbter Fuchs", der
seine Ansichten wechsle, das würden die Leute nicht
honorieren.
Uneinig ist man sich in den polnischen Medien
über die Folgen der Kampagne, die der übereifrige
Medienberater Jacek Kurski Anfang Oktober losgetreten hatte. Kurski
wurde zwar von den Kaczynskis entlassen, nachdem er behauptet
hatte, Tusks Großvater hätte in der Wehrmacht gedient;
damit sorgte Kurski im Lager der "Bürgerlichen Plattform" und
vor allem bei Donald Tusk für Empörung. Recherchen des
Fernsehsenders TVN belegten jedoch, dass Józef Tusk 1944
einige Monate einem Wehrmachtsregiment bei Aachen angehört
hatte, bevor er zu den Westalliierten überlief. Zuvor war er
in dem Hamburger Konzentrationslager Neuengamme inhaftiert.
Für eine differenzierte Betrachtungsweise der schwierigen
Situation der kaschubischen Volksgruppe, zu der Tusks Familie
gehört, aber auch die der Schlesier, war im Wahlkampf um die
Präsidentschaft wenig Raum.
Die Brüder Kaczynski hingegen
können den Anspruch erheben, "richtige" Polen zu sein. Ihre
Eltern hatten am Warschauer Aufstand 1944 teilgenommen, Lech
Kaczynski hat als Oberbürgermeister der Stadt Warschau mit der
Gründung eines Museum über den Aufstand viel Zuspruch
erfahren. Seine scharfen Äußerungen gegenüber
Deutschland versuchte er in der letzten Woche zu relativieren,
seinen Widerstand gegen ein in Berlin geplantes Zentrum gegen
Vertreibungen unterstrich er jedoch erneut.
Während Lech Kaczynski schon mehre
politische Ämter - darunter das des Justizministers -
bekleidete, blieb Jaroslaw, der habilitierte Jurist und Stratege,
stets Oppositionspolitiker. Dennoch gilt er als der mächtigste
Mann Polens. Er ist der Architekt der "vierten Republik", der
Vision einer gerechteren Nation, in der kommunistische Untaten und
die postkommunistischen Verstrickungen bei der Privatisierung von
Staatsbetrieben aufgedeckt und bestraft werden.
Bei der Wählerschaft, die sich zum
großen Teil aus der eher schwächer gebildeten
Landbevölkerung zusammensetzt, stehen aber momentan andere
Sorgen an. Viele Radiohörer erklärten nach der Wahl, dass
sie sich von der PiS vor allem eine Überwindung der "Teilung"
des Landes in einen wohlhabenderen Westen und einen ärmeren
Osten wünschten; auch Polen A und Polen B genannt. Die
Gewerkschaft Solidarnosc erwartet nun Taten in Form von allgemeinen
Sozialpaketen, verbessertem Kündigungschutz und dem Erhalt von
Staatsbetrieben.
Der mitregierenden PO - so die Koalition doch
noch zustande kommt - kann als schwächerem Koalitionspartner
die Rolle des Buhmanns zufallen, wenn sich die vielfältigen
Versprechungen nicht einhalten lassen.
So drohen im Bankensektor bald mehrere
tausend Stellenstreichungen: Die anstehende Fusion der
Hypovereinsbank mit der Unicredito wird auch die beiden
konkurrierenden polnischen Universalbanken BPH und Pekao SA zu
einer Großbank zwangsvereinigen. Der einst angekündigte
Widerstand der PiS-Politiker wurde in letzter Zeit wieder
zurückgenommen. Die soziale Misere wird jedoch sicherlich der
liberalen Politik der PO verantwortet werden. Auch der schwierige
Bereich Gesundheitswesen soll den Liberalkonservativen
überantwortet werden.
Das Innenministerium, das Justizministerium
mit der Generalstaatsanwaltschaft und das Ministerium für
Geheimdienstangelegenheiten sollen jedoch unter der Kontrolle von
PiS stehen. Der designierte Ministerpräsident Marcinkiewicz
erinnerte daran, dass die Wähler seine Partei aus einem
Sicherheitsbedürfnis gewählt haben. Die Übernahme
des Innenministeriums durch den künftigen Vizepremier Jan
Rokita machte die PO jedoch zur Koalitionsbedingung.
Am Montag, dem 31. Oktober, muss
Marcinkiewicz eine Ministerriege aufstellen und eine Regierung
bilden - die PO verweigerte jedoch nach der Kampfabstimmung
über den Sejm-Marschall weitere Gespräche. Nach Aussagen
der PiS kommen keine Bündnisalternativen mit anderen Parteien
in Frage, nur die Möglichkeit einer Minderheitsregierung. Eine
Alternative wären nach polnischer Verfassung Neuwahlen am 15.
Januar 2006, wie es der scheidende Staatspräsident Aleksander
Kwasniewski bereits vorschlug. Kwasniewski appellierte jedoch an
beide Parteien, zu einer Einigung zu kommen. "Die Hoffnung stirbt
zuletzt", zitierte Kwasnieski ein russisches Sprichwort.
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