Emmeram Weis
"Die Sardelle zwischen den Walen"
Eine Geschichte Koreas auf knappstem
Raum
Größer kann der Kontrast zwischen beiden koreanischen
Ländern, die nun seit 60 Jahren geteilt sind, kaum ausfallen:
Während der Wandel des Südens zu einem modernen und
demokratischen Industriestaat erfolgreich voran ging, sorgen
Atomprogramme, Menschenrechtsverletzungen und Hungersnöte des
Nordens regelmässig für negative Schlagzeilen. Dennoch
versucht das abgeschottete Land immer wieder, dem mächtigen
Amerika die Stirn zu bieten. Mit dem vorliegenden Büchlein
deckt der Verlag die Geschichte eines bislang oft
vernachlässigten Landes ab.
Über welche politische Sprengkraft historische Themen
für den Nationalstaat verfügen, demonstrierte ein
heftiger Streit, der 2004 zwischen koreanischen und chinesischen
Historikern nicht ohne staatliche Mitwirkung entbrannte: War das
Kokuryo-Reich ein Vorläufer der sich bildenden koreanischen
Nation oder eine in das chinesische Reich integrierte ethnische
Minderheit? Sollen mit diesem Vorstoß historische
begründete territoriale Ansprüche eines künftig
wiedervereinigten Koreas frühzeitig abgewehrt werden?
Nationalistisch geprägte Geschichtsinterpretationen
beherrschen auch die Frage, welchen Anteil der Kulturtransfer des
damals fortgeschritteneren Korea auf das japanische Archipel
beträgt und inwieweit die japanische Kultur auf Eigenleistung
fußt.
Die Autoren zeigen den mühsam und mitunter sehr blutigen
Weg der Nationwerdung und Unabhängigkeit des koreanischen
Volkes: Er ist wegen der nicht vollzogenen Wiedervereinigung bis
heute nicht abgeschlossen. Trotz der Fülle schriftlicher
Quellen gibt es erstaunlich wenig Literatur über die
Geschichte Koreas. Möglicherweise steht die Historiegrafie
noch zu sehr in einer Tradition, die Korea nicht als
unabhängige Nation identifiziert.
Obwohl sich Korea gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach
westlichem Muster entwickelte, trugen soziale Spannungen,
Flügelkämpfe zwischen Reformern und restaurativen
Kräften dazu bei, dass Korea in den Strudel der expansiven
imperialistischen Mächte geriet, aus dem es sich nicht mehr
selbst befreien konnte. Japan setzte sich im Kampf um die
Vorherrschaft in Nordostasien durch und zwang Korea in eine
demütigende Kolonialisierung und radikale Assimilation.
Unzählige Koreaner starben in japanischen Bergwerken, an der
Kriegsfront im amerikanischen Bombenhagel auf japanische
Städte und infolge der Atombombenabwürfe auf Hiroshima
und Nagasaki.
Ihre "Befreiung" konnten die Koreaner kaum genießen; rasch
wurde ihr Land zu einem Frontstaat des Kalten Krieges zwischen der
Sowjetunion und den USA. Der katastrophale Korea-Krieg mit seinem
Doppelcharakter als Bürger- und Stellvertreterkrieg
zementierte die Teilung des Landes. Das südkoreanische Regime
rechtfertigte seine diktatorischen Maßnahmen mit dem von den
USA zugewiesenen Staatsziel der militärischen und
ideologischen Eindämmung des Kommunismus.
Das umfassende Korruptionsnetzwerk der Elite, die dominante
Rolle der Sicherheitsdienste und des Militärs, die gezielte
Förderung der Schwer- und chemischen Industrie, die Schaffung
von leistungsfähigen Chaebol (Konglomerate) und die
Interdependenzen zwischen Staat und Wirtschaft belasteten einen
Großteil der Bevölkerung. Das von den USA geduldete
brutale Vorgehen der Staatsmacht gegen die Studentendemonstrationen
löste die "Volksmassen-Bewegung" aus. Die kritische Distanz,
die heute ein Großteil der jüngeren koreanischen
Parlamentsabgeordneten gegenüber den USA einnimmt, stammt aus
dieser Zeit.
Heute wird Korea gern als "Musterschüler" einer
erfolgreichen Demokratisierung bezeichnet. Nordkorea hingegen
gehört inzwischen zu den ärmsten Ländern der Welt:
Energie- und Lebensmittelknappheit stehen einem unbedingten
Überlebenswillen einer von der Außenwelt isolierten
Führung gegenüber. Zaghafte wirtschaftliche Reformen nach
chinesischem Vorbild deuten möglicherweise einen vorsichtigen
Kurswechsel an. Der vom Süden angeregte Dialog
("Sonnenscheinpolitik") könnte eine allmähliche
Annäherung herbeiführen.
Das Buch weckt den Appetit auf mehr. Leider erlaubt der eng
gesteckte Rahmen nur eine komplexe, bisweilen unklare Darstellung
der koreanischen Geschichte, zumal keine Landkarte beigefügt
ist. Am aktuellen Tagesgeschehen interessierte Leser vermissen die
Nennung der von China angestoßenen Sechser-Gespräche
unter Einbeziehung von Japan, USA und Russland: Diese sind
zunächst darauf angelegt, Nordkorea von der Entwick-lung
eigener Atomwaffen abzuhalten; allerdings könnten sie
künftig die Keimzelle für eine weiter zu fassende
ostasiatische Sicherheitsarchitektur bilden.
Marion Eggert und Jörg Plassen
Kleine Geschichte Koreas.
becksche reihe, Bd. 1666.
Verlag C.H. Beck, München 2005; 190 S., 10,90
Euro
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