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Daniela Weingärtner
Sozialmodell kontra Binnenmarkt
Streit um Einsatz von lettischen Bauarbeitern in
Schweden
Die Stimmung im Straßburger Plenarsaal war am 25. Oktober
äußerst gespannt. "Wenn einzelne Mitglieder dieses Hauses
glauben, ich werde auf den Knien rutschen, um einzelne
Mitgliedsstaaten oder einzelne Mitglieder dieses Hauses nicht zu
verprellen, dann muss ich Sie enttäuschen", warf
Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy trotzig in den Raum. Er habe
nichts gegen den schwedischen Sozialstaat, so der Ire weiter, aber
über die Regeln des Binnenmarktes dürften sich auch die
schwedischen Gewerkschaften nicht hinwegsetzen. "Wir sind gegen das
System McCreevy", blaffte Martin Schulz, der deutsche Fraktionschef
der Sozialdemokraten, zurück.
Stein des Anstoßes ist eine kleine Schule in Vaxholm, einem
Vorort von Stockholm. Die lettische Firma Laval hatte vergangenes
Jahr den Auftrag erhalten, das Gebäude zu renovieren. Anders
als Deutschland hat Schweden keine Beschränkung für den
Einsatz von Arbeitskräften aus Osteuropa erlassen. Die Letten
wollten sich also ans Werk machen. Da trat die Gewerkschaft der
schwedischen Bauarbeiter auf den Plan und verlangte den Abschluss
eines Tarifvertrages. Als Laval sich weigerte, blockierten die
schwedischen Gewerkschafter die Baustelle solange, bis die Letten
pleite waren. Der Fall wird demnächst vor dem
Europäischen Gerichtshof verhandelt.
McCreevy ist also keine direkt handelnde Person im Vaxholm-Fall.
Allerdings ließ er sich bei einem Besuch in Schweden zu der
Bemerkung hinreißen, die Kommission werde die Letten vor
Gericht unterstützen. Als Binnenmarktkommissar müsse er
sich schließlich für den freien Dienstleistungsverkehr in
der Union einsetzen. In Schweden brach daraufhin ein Sturm der
Entrüstung los. Demnächst sind Wahlen. In einem Brief an
die Kommission drohte der schwedische Minister für Handel und
Industrie, Thomas Östros, die Regierung in Stockholm werde
Schlüsselprojekte der Kommission wie die geplante
Dienstleistungsrichtlinie nicht länger unterstützen. Im
schwedischen Establishment fürchtet man, Brüssel wolle
die Axt an das schwedische System der Tarifverträge legen -
und damit an den schwedischen Sozialstaat schlechthin.
Aufgeschreckt sind freilich auch die Gewerkschafter in anderen
EU-Ländern. Sollte Laval vor dem Europäischen Gerichtshof
Recht bekommen, wäre ein Präzedenzfall geschaffen. In
letzter Konsequenz gehe es hier um das Streikrecht, sagt der Chef
des Europäischen Gewerkschaftsbundes EGB, John Monks. "Mit
seiner Parteinahme liefert McCreevy den Euroskeptikern doch nur
Argumente frei Haus", sagte er.
McCreevy hat vor dem Parlament in Straßburg nicht den
Versuch gemacht, diesem Eindruck entgegenzutreten. "Die lettischen
Beschwerden sind nicht weniger wichtig als andere, weil Lettland
ein neuer und kleiner Mitgliedsstaat ist. Die lettischen
Gewerkschafter dürfen genauso erwarten, dass wir uns für
ihre Rechte einsetzen wie die schwedischen." Die Kommission
versuche mit dieser Politik die Arbeitnehmer in den
unterschiedlichen Mitgliedsstaaten gegeneinander auszuspielen,
schimpfte Schulz.
Unterstützt wurde der Binnenmarktkommissar in der
dreistündigen Debatte von den Liberalen und Konservativen. Es
sei das gute Recht der Kommission, sich für die
Dienstleistungsfreiheit stark zu machen, sagte Hans-Gerd
Pöttering, der Vorsitzende der EVP-Fraktion. Die Schweden
hätten es versäumt, von der Entsenderichtlinie Gebrauch
zu machen, die Mindestlöhne im Baugewerbe auch in Schweden
garantieren könne. Im Vaxholm-Fall gehe es weder um den
schwedischen Sozialstaat noch um die Dienstleistungsrichtlinie, so
Pöttiering.
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