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Daniela Weingärtner
Grundsätzliches weiter auf die lange Bank
geschoben
Informeller EU-Gipfel in Hampton
Court
Konkrete Beschlüsse wurden auf dem
informellen EU-Gipfel im britischen Hampton Court am 27. Oktober
nicht gefasst. Obwohl die Liste drängender Probleme lang ist,
blieb die der Lösungsvorschläge kurz. Der scheidende
Bundeskanzler Gerhard Schröder zeigte sich dennoch
optimistisch, dass die Gemeinschaft auf dem kommenden Gipfel eine
Einigung über die Finanzplanung von 2007 bis 2013 erreichen
könne. Deutlich machte das Treffen vor allem eines: Es hakt in
Europa - nicht nur an dieser Ecke.
Als der britische Premier Tony Blair am 26.
Oktober vor dem Europaparlament in Straßburg auftrat, glich er
einem Buchhalter, der die Kluft zwischen Soll und Haben mit
Erklärungen zu füllen versucht. Vier Monate zuvor hatte
er an gleicher Stelle in einer fulminanten Rede angekündigt,
dass Europa eine Richtungsdebatte brauche und einen Neuanfang. Auf
beides warten Parlamentarier und Beobachter seither
vergeblich.
Als habe er sein Amt nicht zum ersten Juli
sondern gerade eben erst übernommen, steckte Blair sechs
Politikfelder ab, mit denen sich die Staats- und Regierungschefs
auf dem informellen Gipfeltreffen in Hamp-ton Court bei London
befassen sollten. Nach einer Grundsatzdebatte über "Chancen
und Herausforderungen der Globalisierung" sollte für diese
Bereiche ein gemeinsamer Nenner gefunden werden. Ganz oben auf der
Liste steht der Bereich Forschung und Entwicklung. Ein
größerer Teil des EU-Budgets soll hineinfließen,
auch dieser Vorschlag ist nicht neu und wurde von Blair bereits in
seiner Juni-Rede vorgestellt.
Besonderes Augenmerk will der Brite auch der
Energiepolitik widmen. Der Markt müsse liberalisiert werden,
um Strom billiger zu machen. Mehr Energie-effizienz sei ebenso
wichtig wie die Entwicklung sauberer Technologien wie Biomasse.
Doch auch die Kernenergie möchte Blair wiederbeleben - sehr
zur Empörung der grünen Abgeordneten im Europaparlament.
Unter den Mitgliedsstaaten, die mehrheitlich einen Ausstieg aus der
Atomenergie anstreben, war darüber beim Treffen in Hampton
Court ebenfalls kein Konsens zu erzielen.
Die Universitäten sollen im weltweiten
Vergleich wieder konkurrenzfähig werden. Blair setzt dabei auf
mehr Praxisorientierung und enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft.
Einwanderungspolitik spielt ebenfalls eine Schlüsselrolle. Sie
könne zwar den Geburtenrückgang in der EU nicht
wettmachen aber, wenn sie kontrolliert stattfinde, zum
Wirtschaftswachstum beitragen. In Hampton Court trat dieser Aspekt
in den Hintergrund. Vor allem der spanische Regierungschef Zapatero
bestand darauf, dass über unkontrollierte Einwanderung
gesprochen wurde. Beim Schutz der europäischen
Außengrenzen müssten die Lasten künftig besser
verteilt werden, fordert er.
Um Arbeits- und Familienleben besser
vereinbar zu machen, setzt Blair nicht auf einheitliche
EU-Gesetzgebung, sondern auf die Methode der so genannten "offenen
Koordinierung". Danach orientieren sich die Mitgliedsstaaten
freiwillig an den Ländern, bei denen das System am besten
funktioniert. In der Vergangenheit erwies sich aber nationale
Beharrlichkeit stets als zählebig und das gute Beispiel konnte
wenig ausrichten. Schließlich will Blair einen
Globalisierungsfonds einrichten, der die Effekte von
Umstrukturierungen und Modernisierungen mildern soll. Als Beispiel
nennt er Umschulungsmaßnahmen nach der Schließung des
Rover-Konzerns in Großbritannien. Es sei dabei nicht darum
gegangen, nötige Strukturbereinigungen zu verhindern. Vielmehr
sei den Menschen dabei geholfen worden, sich an die neue Situation
anzupassen. Die meisten seiner Kollegen konnte der Brite nicht
für diese Idee erwärmen. Er sei gegen die künstliche
Lebensverlängerung unwirtschaftlicher Branchen, sagte der
dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen bei dem
Treffen am Donnerstag. "Abschottung wird langfristig keinen
Arbeitsplatz sichern." Nettozahlerländer wie Deutschland,
Schweden und Holland lehnen den Fonds ab, weil sie neue finanzielle
Belas- tungen auf sich zukommen sehen.
Der Berliner Politikwissenschaftler und
EU-Experte Andreas Maurer hält einen derartigen Fonds
ebenfalls für das falsche Signal: "Damit schießt sich die
Kommission doch ein Eigentor. Einerseits wollen sie die neuen
Herausforderungen offensiv angehen. Und dann lassen sie sich mit
dem neuen Fonds auf die französische Logik ein, dass
Globalisierung doch eine schlimme Sache ist."
Die EU-Kommission legte in Hampton Court ein
15-seitiges Positionspapier vor. Darin sind die bekannten Probleme
in der EU wie Arbeitslosigkeit, Überalterung, geringes
Wachstum, dazu die technologische Revolution in Asien mit ihrem
Drohpotential für die europäische Wirtschaft noch einmal
ausführlich zusammengefasst. Die Liste der
Lösungsvorschläge fällt wesentlich kürzer aus.
Neben dem Globalisierungsfonds setzt die Kommission vor allem auf
weitere Marktöffnung, zum Beispiel für Telekommunikation,
Energie, Finanzdienstleistungen und allgemeine
Dienstleistungen.
Tony Blair bekam in Straßburg schon
einen Vorgeschmack darauf, was ihn erwartet, wenn er die Debatte um
die Dienstleistungsrichtlinie wieder neu lostritt. Die Abgeordneten
aus dem linken Lager reagierten mit Pfiffen und Buhrufen. Ihre
Kollegen aus den konservativen Fraktionen schwiegen unbehaglich,
denn auch sie stoßen mit der so genannten
"Bolkestein-Richtline" zu Hause in den Wahlkreisen auf
Ablehnung.
Beifall fand dagegen der Vorschlag, die
Bürokratie auf europäischer Ebene weiter abzubauen.
Vergangene Woche hatte Günter Verheugen einen Plan vorgelegt,
wie er in den kommenden drei Jahren 220 Gesetzestexte vereinfachen,
zusammenfassen oder ganz streichen will. Insgesamt sollen 15.000
Seiten Text gründlich überarbeitet, benutzerfreundlicher
und lesbarer gemacht werden. Auch hier ist der Politologe Andreas
Maurer aber skeptisch: "Das hat es in den 90er-Jahren schon mal
gegeben. Damals hatten sich unter anderem Großbritannien,
Frankreich und Deutschland beteiligt. Die überbordende
EU-Gesetzgebung ist doch ohnehin ein Mythos. Es gibt weniger als
200 Rechtsakte pro Jahr, die Hälfte davon sind Routine wie
technische Standards oder neue Quoten in der Agrarpolitik."
Für den Dezembergipfel, kurz vor Ende der Britischen
Präsidentschaft, hat Tony Blair statt Orientierungsdebatten
handfeste Ergebnisse versprochen. Er will die im Juni am britischen
Widerstand gescheiterte Finanzplanung für die Jahre 2007 bis
2013 zum Abschluss bringen. Im Juni hatten sich die Briten vor
allem den Unmut der neuen Mitgliedsländer zugezogen, deren
Strukturhilfen ohne Finanzplanung blockiert wären. Er
fühle sich den Neulingen als Ratspräsident besonders
verpflichtet, erklärte Blair letzte Woche in Straßburg.
"Aber die Chancen steigen, wenn wir uns vorher über die
Richtung einig sind."
Dieses Ziel wurde vergangene Woche in Hampton
Court nicht erreicht. Stattdessen flackerte der Streit über
Handelskommissar Mandelsons Mandat bei der Welthandelsrunde wieder
auf. Frankreichs Präsident Jacques Chirac drohte mit einem
Veto, wenn die Kommission weitere Zugeständnisse bei den
Agrarsubventionen anbieten sollte. Kommissionspräsident
Barroso lobte dennoch die freundschaftliche Atmosphäre des
Treffens. Für den Dezembergipfel setzte er allerdings
deutliche Maßstäbe: "Der richtige Rahmen für eine
Einigung über den EU-Haushalt ist nun gesetzt. Der Erfolg des
Dezember-Gipfels wird daran gemessen werden, ob die britische
Präsidentschaft einen Kompromiss erreichen kann."
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