|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Hartmut Hausmann
Im Nichts verschwunden ohne jede Spur
Europarat debattiert über das Schicksal
verschollener Menschen
Ein Mensch verschwindet spurlos - und kein Gericht, keine
Behörde und keine Polizeistation gibt den Angehörigen
Auskunft über sein Schicksal. Niemand weiß, ob dieser
Mensch tot oder lebendig ist, ob er auf Jahre im Gefängnis
sitzt oder nie mehr wiederkommen wird. Das Phänomen
verschwundener Menschen ist kein Relikt von Militärdiktaturen
Mittel- und Südamerikas, sondern ereignet sich auch mitten in
Europa. Mit einer Debatte zum Verschwinden von Menschen hat der
Europarat den Blick auf ein Thema gelenkt, für das es im
Internationalen Recht noch immer keine ausreichenden
Schutzregelungen gibt. Das Verhalten von Staaten, die ihre
wichtigste Funktion, den Schutz und das Wohlergehen ihrer eigenen
Bürger ins Gegenteil umkehren, ist von besonderer
Heimtücke, sagte der Delegationsleiter der deutschen
Bundestagsabgeordneten Rudolf Binding in Straßburg in seiner
Abschiedsrede vor der Parlamentarischen Versammlung des
Europarates. Wer das "Verschwinden lassen" als Regierung aktiv
betreibt oder, wie häufig geschehen, durch
paramilitärische Verbände zumindest duldet, macht sich
selbst zum Mörder. Die so verschwundenen Bürger tauchen
nach ihrer Ermordung, irgendwo verscharrt oft nur durch Zufall
wieder auf. Länder, die diese - nur mit Mord und Folter selbst
gleichzusetzenden Menschenrechtsverletzungen - begehen, können
allerdings bisher wegen Lücken im internationalen Recht kaum
zur Rechenschaft gezogen werden.
Berichterstatter Christos Pourgourides aus Zypern gab in der
Aussprache zu bedenken, dass dies nicht nur ein in
Militärdiktaturen oder Pseudodemokratien Lateinamerikas
bekanntes Phänomen sei, sondern auch in Europa keinesfalls der
Vergangenheit angehöre. Mehr als 2.000 Fälle sollen sich
allein in Zypern ereignet haben als Folge des Versuchs, die Insel
an Griechenland anzugliedern und der anschließenden Besetzung
des Nordens durch die Türkei. Zahlreiche Fälle wurden
auch aus der Türkei im Zusammenhang mit den gewaltsamen
Auseinandersetzungen des Militärs mit der kurdischen
Unabhängigkeitsorganisation PKK bekannt. In dem vom russischen
Militär besetzten Tschetschenien hat der bisherige deutsche
Europaratsberichterstatter Rudolf Bindig im Jahr 2004 insgesamt 415
Fälle von Entführten und Verschwundenen dokumentiert. In
den ersten drei Monaten dieses Jahres verschwanden bereits 52
Menschen auf unbekannte Weise. Auch in der Ukraine wurden vor dem
jüngsten Machtwechsel derartige Verbrechen registriert - wie
etwa an dem Journalisten Heorhiy Gongadze. Alles Fälle aus
Mitgliedsländern des Europarates, die sich offiziell der
Achtung der Menschenrechte verpflichtet haben. Dazu kommen noch
rund 5.000 vermisste Menschen in Armenien und Aserbaidschan. Ihr
Schicksal ist in Folge der kriegerischen Auseinandersetzung um die
Enklave Nagorno-Karabach bis heute nicht geklärt. Und auch in
Weißrussland verschwinden noch immer Journalisten und
Geschäftsleute sowie in Ungnade gefallene Parlamentarier und
Minister.
Die Parlamentarische Versammlung machte auf ihrer letzten
Sitzung deutlich, dass sie es nicht bei der Kritik belassen will.
Sie unterstützt die Bemühungen der allen Mitgliedsstaaten
offen stehenden "Intersessionalen Arbeitsgruppe" der Vereinten
Nationen, einen Übereinkommensentwurf zu schaffen. Dieses
Papier soll von der Menschenrechtskommisson der UNO im
Frühjahr 2006 verabschiedet werden. Neben einer eindeutigen
Definition des "Verschwindenlassens von Menschen" sollen die
Staaten verpflichtet werden, derartige Menschenrechtsverletzungen
zu verhindern, zu untersuchen und auch zu bestrafen. Der Status von
Angehörigen der Opfer soll ebenfalls verbessert werden.
Die Definition soll so umfassend sein, dass sie auch Taten
umfasst, die von nichtstaatlichen Akteuren, wie
paramilitärischen Gruppen, Todesschwadronen und organisierten
kriminellen Gruppen begangen werden. Familienangehörige der
Verschwundenen sollen als separate Opfer des Verschwindenlassens
anerkannt werden und das Recht erhalten, über das Schicksal
ihrer Angehörigen informiert zu werden. Das Verbrechen,
Menschen verschwinden zu lassen, soll künftig nicht mehr
verjähren können. Und die Täter sollen sich bei
späteren Verfahren in Zukunft auch nicht mehr auf eines
berufen können: Einen "höheren Befehl".
Zurück zur
Übersicht
|