Christoph Spöckner
Wer ist das Volk?
Damals ... vor 15 Jahren am 31. Oktober: Das
kommunale Ausländerwahlrecht wird für verfassungswidrig
erklärt
In Deutschland lebende Ausländer dürfen bei
Kommunalwahlen nicht an die Urnen. Das entschied das
Bundesverfassungsgericht am 31. Oktober 1990 einstimmig. Die
Karlsruher Richter erklärten damit das bestehende
Kommunalwahlrecht für Ausländer in Schleswig-Holstein und
Hamburg für mit dem Grundgesetz unvereinbar.
Der Zweite Karlsuher Senat gab mit dieser Entscheidung einer
Klage der Bundestagsfraktion der Union und der bayerischen
Staatsregierung statt. Während die Bonner Koalition aus
CDU/CSU und FDP das Urteil begrüßte, forderte die SPD
eine Verfassungsänderung, weil eine europäische Einigung
ohne ein kommunales Wahlrecht für Ausländer undenkbar
sei. Für die beiden betroffenen SPD-geführten
Landesregierungen in Kiel und Hamburg war das Urteil der Karlsruher
Richter keine politische, sondern nur eine rechtliche Niederlage.
Für die zukünftige Ausländerpolitik müssten
nach Ansicht des damaligen Kieler Innenministers Hans-Peter Bull
(SPD) nur andere Mittel gewählt werden.
Kiel und Hamburg hatten argumentiert, man wolle auch
Ausländer an Wahlen beteiligen, weil dieses Recht Deutschen in
anderen Staaten teilweise gewährt werde. In drei
EG-Ländern, nämlich Dänemark, Irland und den
Niederlanden, konnten zur damaligen Zeit Ausländer
grundsätzlich an Kommunalwahlen teilnehmen. Voraussetzung war,
dass sie volljährig und schon eine bestimmte Zeit dort
gemeldet waren - je nach Land zwischen sechs Monaten und fünf
Jahren.
In ihrer Begründung schrieben die Verfassungsrichter, dass
das kommunale Ausländerwahlrecht gegen den Artikel 28 des
Grundgesetzes verstoße, in dem es heißt: "In den
Ländern, Kreisen und Gemeinden muss das Volk eine Vertretung
haben [...]". Mit dem Begriff "Volk" sei aber nur das Staatsvolk,
also das deutsche Volk, gemeint. In der Urteilsbegründung
heißt es: "Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt, dass das
Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland Träger und Subjekt
der Staatsgewalt ist. Damit wird für das Wahlrecht, durch
dessen Ausübung das Volk in erster Linie die ihm zukommende
Staatsgewalt wahrnimmt, nach der Konzeption des Grundgesetzes die
Eigenschaft als Deutscher vorausgesetzt." Die Verfassung fordere
eine einheitliche demokratische Legitimation: "Wahlen, bei denen
auch Ausländer wahlberechtigt sind, können demokratische
Legitimation nicht vermitteln." Folglich sei nicht nur
ausgeschlossen, das Ausländer sich an Kommunalwahlen
beteiligen. Auch bei Bundestags- und Landtagswahlen sei ein
Ausländerwahlrecht nicht zulässig.
Schleswig-Holstein und Hamburg waren anderer Meinung: Sie sahen
es als gegeben an, dass sich der Volksbegriff durch den wachsenden
Ausländeranteil der Bevölkerung verändert habe.
Die Karsruher Richter gingen auf diesen Einwand ein und wiesen
darauf hin, dass man durch eine Verfassungsänderung, die den
Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft erleichtere, der
Ausübung politischer Rechte besser Rechnung tragen könne.
Ausländer blieben so nicht endgültig von Wahlen
ausgeschlossen. Bisher konnten sie nur über so genannte
Ausländerbeiräte Einfluss auf das politische Leben
nehmen. Aufgabenstellung und Zusammensetzung dieser Räte, die
nur beratende Funktion haben, sind allerdings je nach Bundesland
sehr unterschiedlich.
Um Ausländern mehr Partizipationsmöglichkeiten zu
geben, hatten die beiden SPD-Regierungen in Kiel und Hamburg die
Regelungen gegen den Widerstand der CDU eingeführt. In
Schleswig-Holstein hätten so 7.000 Ausländer, die seit
mindestens fünf Jahren in Deutschland leben, mitentscheiden
können. Doch schon im Oktober 1989 hatte Karsruhe mit einer
einstweiligen Verfügung verhindert, dass die Ausländer
bei der Kommunalwahl im März 1990 ein Kreuz machen
durften.
In Hamburg hätte es bedeutet, dass etwa 90.000
Ausländer, die seit mindestens acht Jahren in Deutschland
leben, an den Wahlen zu den Bezirksversammlungen teilnehmen
können.
Die SPD zeigte sich im Gegensatz zur Bundesregierung
enttäuscht über das Urteil, kündigte aber an, eine
Grundgesetzänderung zu initiieren. Und auch die rot-grüne
Regierung in Hannover versprach, eine neue Lösung für das
Problem zu suchen.
Auf europäischer Ebene hatte eine Mehrheit der
EG-Mitgliedsstatten sich schon damals dafür ausgesprochen,
dass ein europaweites Kommunalwahlrecht für EU-Ausländer
eingeführt werden sollte. Umgesetzt wurde das allerdings erst
1994, als der Vertrag von Maastricht und die darin vorgesehene
Unionsbürgerschaft in Kraft traten.
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