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Sandra Schmid
Die alten Hasen scheuchen
Erfolge und Niederlagen jugendlicher
Parteigründer
Jugendliche gründen eine Partei und ziehen
damit in den Stadtrat ein - das klingt unglaublich, ist aber wahr.
Und es ist in Deutschland schon zwei Mal passiert: im Osten und im
Westen des Landes. "Future! - die Jugendpartei" gründete sich
1997 und ist seit 1999 im Magdeburger Stadtrat vertreten. Anfangs
mit nur einem Sitz, seit der Kommunalwahl im Juni 2004 mit zwei
Ratsmitgliedern. Dem westlichen Pendant "Peto" - was auf lateinisch
so viel bedeutet wie "ich fordere" - gelang ebenfalls 1999 der
Einzug in den Rat der nordrhein-westfälischen Kleinstadt
Monheim.
Zwei Räte stellte "Future!" in ihrer
ersten Amtsperiode. Bei den Kommunalwahlen im Oktober vergangenen
Jahres schafften die Jugendlichen dann ein sensationelles Ergebnis:
Sie gewannen fast dreimal so viele Stimmen wie bei der Wahl davor
und wurden mit 16,6 Prozent drittstärkste Fraktion im
Stadtrat.
So wenig auch das rheinische Städtchen
Monheim mit Magdeburg, der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts,
gemeinsam hat, so sehr scheint sich zumindest die
Entstehungsgeschichte der beiden Jugendparteien zu ähneln.
Begonnen hat es jeweils mit einer verrück-ten Idee. Im Sommer
1997 planten Mitarbeiter des Magdeburger Stadtmagazins
"Günther" eine Titelstory: Sie wollten testen, wie die
Magdeburger auf eine Jugendpartei reagieren würden. So bauten
sie sich mit einem Stand auf dem alten Marktplatz auf und taten so,
als seien sie die neue Jugendpartei. "Es war eigentlich ein Gag",
sagt Michael Stage, heute Partei- und Fraktionsvorsitzender von
"Future!", im Rück-blick. Doch die Magdeburger reagierten gar
nicht so irritiert auf die neue Partei wie angenommen. Im
Gegenteil: Sie wurde so interessiert aufgenommen, dass zwei der
"Günther"-Mitarbeiter auf die Idee kamen, Ernst zu machen mit
dem Plan einer Parteigründung. Denn dass Jugendliche in der
Politik nicht genügend Gehör finden - diese Meinung
teilten sie schon länger.
Im November 1997 war es schließlich
soweit: Sie mieteten einen Saal im AMO, einem Kultur- und
Kongresszentrum in Magdeburg. Rund 100 Menschen zwischen 14 und 45
Jahren folgten dem in den Medien verbreiteten Aufruf zur
Parteigründung. Michael, damals noch ein 16-jähriger
Schüler, war einer davon. Manche der Interessierten kamen
damals sogar aus Bayern und sind quer durch die Republik gefahren,
nur um die Partei aus der Taufe zu heben und deren programmatischen
Grundlagen mitzubestimmen. Das Parteiprogramm, das man noch heute
auf der "Future!"-Website findet, stammt aus dieser Zeit. Ein
Kernthema: die Reform des Bildungssystems. Noch bevor die
Ergebnisse der ersten PISA-Studie Deutschland schockten und
zeigten, wie dringend das Bildungswesen reformiert werden muss,
forderte die Magdeburger Jugendpartei schon die
Gemeinschaftsschule, Schulpflicht ab fünf Jahren und eine
Nachmittagsbetreuung für die Schüler.
Doch als "Future!" erstmals in den Stadtrat
gewählt wurde, musste die Partei solche Ideale vorerst zur
Seite schieben und sich mit der Wirklichkeit beschäftigen. Und
die hieß in Magdeburg vor allem Abwanderung: Rund 70.000
Menschen hatten seit der Wende die Stadt verlassen, darunter viele
junge Familien mit Kindern. Die Folgen bekamen auch die Schulen zu
spüren - und Michael, der als einziges Ratsmitglied im
Stadtrat saß. Er musste mitentscheiden, welche Schulen
geschlossen oder zusammengelegt werden sollten. Kein leichter
Einstieg in die Politik für den damals 18-Jährigen, zumal
er schnell die Erfahrung machen musste, wie schwer es ist und wie
lange es dauern kann, eigene Vorstellungen in der Politik
durchzusetzen: "Es ist frustrierend, wenn man erlebt, wie eine gute
Idee zerredet wird und am Ende nichts davon übrig bleibt",
sagt er.
Auch in Monheim verlief für "Peto" der
Anfang im Rat nicht gerade einfach. Die anderen Parteien
beäugten misstrauisch die jungen politischen Quereinsteiger,
die vermeintlich aus einer Laune heraus eine Partei gegründet
und auf Anhieb so viele Stimmen errungen hatten - so etwas hatte es
in Monheim noch nie gegeben. Die Parteigründung im Dezember
1998 war für die meisten ein verrückt klingende Idee
gewesen: Eltern und Lehrer quittierten sie entweder mit
nachsichtigem Lächeln oder ungläubigem Staunen. Doch
Daniel Zimmermann, heute Fraktionsvorsitzender, und seine Freunde
ließen sich nicht beirren: "Wir wollten einfach etwas
Sinnvolles tun", erklärte der damals 17-Jährige nach dem
ersten Wahlsieg.
Dabei war keiner der Gymnasiasten vorher
politisch aktiv gewesen, Daniel hatte sogar das Fach Politik in der
Schule abgewählt. Aber in Monheim gab es vieles, was aus Sicht
der Jugendlichen nicht gut lief: Kaum Möglichkeiten, nachts
mit dem Bus von der Disko nach Hause zu kommen, schlecht ausgebaute
Radwege, zu wenig Sportplätze. Und vor allem keinen Ort, an
dem sich Jugendliche treffen konnten. In ihrem ersten Antrag im
Stadtrat forderte "Peto" dann auch gleich ein Jugendcafé.
Obwohl der Antrag nach langen Diskussionen angenommen wurde, gibt
es bis heute keine zufrieden stellende Lösung: Zwar
können die Jugendlichen mittlerweile einen Raum im
öffentlichen Kulturzentrum nutzen, allerdings nur einmal in
der Woche. Zu wenig, findet die Partei. "Wir wollen einen Club, der
täglich geöffnet ist", erklärt Daniel. Das Thema
wird daher demnächst wieder auf die Agenda gesetzt. Für
Politik braucht man einen langen Atem, das hat der 23-Jährige,
der nebenbei in Köln Französisch und Physik studiert,
schnell gemerkt.
Auch wenn sich die Monheimer Jugendpartei
recht pragmatisch auf die Kommunalpolitik konzentriert und nicht
wie "Future!" mit einem Sprung in die Landespolitik liebäugelt
- die Mitglieder beider Parteien haben oft die Erfahrung gemacht,
wie es ist, Ideen zu entwickeln, in den Ausschüssen Zuspruch
zu bekommen und bei der Abstimmung im Rat dennoch zu scheitern.
"Peto" wollte vergünstigte Bustickets für Monheimer
Schüler, "Future!" plante, eine Mauer für einen
Graffiti-Wettbewerb freizugeben. Beide Vorschläge fanden keine
Mehrheit. "Schade", findet Michael, "dass es oft nur darum geht,
Argumente gegen etwas zu finden, anstatt sich konstruktiv zu
überlegen, wie es doch gehen kann."
So unangenehm Niederlagen sind: Die
Mitglieder von "Future!" sind sich sehr wohl bewusst, dass zwei
Ratsmitglieder eben keine Mehrheit sind. Daher geht es für
Michael, der nach seiner Banklehre an der Magdeburger Uni den
Studiengang "Cultural Engineering" belegt hat, darum, so
überzeugend wie möglich für seine Ideen zu werben
und Mitstreiter in anderen Fraktionen zu finden. Ab und zu klappt
das, und dann sind die Ratsmitglieder Michael und Martin Altmann
stolz. Wie kürzlich, als es gelang, die Mehrheit für ein
vergünstigtes Schwimmbad-Familienticket zu gewinnen. Aber
solche Momente sind selten.
Das gilt auch für "Peto", auch wenn die
Partei mitlerweile über sieben Sitze im Rat verfügt und
damit Abgeordnete in jeden Ausschuss, in die Beiräte der
Verkehrs- und der Bäderbetriebe sowie ins Kuratorium der
Sparkassen-Stiftung entsendet. "Jetzt bekommt endlich nicht nur der
Heimatverein Geld aus der Stiftung, sondern es werden auch
Pfadfinder-Jugendreisen unterstützt", sagt Daniel.
Fragt man Daniel und Michael nach der
politischen Orientierung der beiden Jugendparteien, so wird man
keine eindeutige Antwort bekommen. "Wir sind nicht links, wir sind
nicht rechts, wir sind vorne", lautet der Slogan von "Peto".
Michael von "Future!" formuliert es so: "Wir wollen uns nicht in
dieses gängige Links-Rechts-Schema einordnen - wir sind
einfach die Jugend." Und tatsächlich scheinen Jugendthemen
eine recht heterogene Mitglieder- und Wählerschicht
anzusprechen. Gemeinsam zu arbeiten, funktioniert allerdings nur,
wenn die Positionen nicht zu weit auseinander liegen, diese
Erfahrung hat Michael gemacht: "Am Anfang waren Vertreter aller
Gruppierungen dabei, auch ganz Extreme. Die Hoffnung, dass man
dennoch etwas miteinander erreichen kann, hat sich aber schnell
zerschlagen", erinnert sich der 24-Jährige. "Zum Glück
haben sich die Radikalen dann wieder verabschiedet."
182 Mitglieder hat die Monheimer Jugendpartei
im Moment. Doch noch vor einem Jahr sorgten sich Daniel und seine
Mitstreiter, wie es nach den Kommunalwahlen weitergehen sollte.
Zwei Stadträte hatten angekündigt aufzuhören, weil
sie sich mehr auf ihr Studium konzentrieren wollten. Die
Gründungsmitglieder wurden älter und neue Mitglieder
daher dringend gesucht. Jugendparteien - und auch die lokalen
Gruppen der Jugendgruppen der Parteien - haben oft ein
Nachwuchsproblem: Viele Mitglieder kommen schnell in ein Alter, in
dem nach Schulabschluss, mit dem Studiums- oder Arbeitsbeginnt ein
Ortswechsel häufig notwendig ist.
"Future!" erhofft sich einen
Mobilisierungsschub vom Landtags-Wahlkampf im März 2006.
Bisher gelang es ihnen, vor Wahlen neue Mitstreiter zu finden. Eine
Hürde bleibt dennoch: "Viele interessieren sich für
unsere Politik, scheuen sich aber davor, in eine Partei
einzutreten", sagt Michael. Es klingt etwas resigniert: Nur 35
Mitglieder hat die Partei gegenwärtig, auf zehn Helfer kann
sich die Jugendpartei im Wahlkampf verlassen. "Peto" hatte mehr
Glück. Im letzten Jahr traten etwa 60 neue Mitglieder ein, die
meisten davon Schüler. Das macht den Monheimern Mut. Sie
wissen, dass nur wenn sich die Partei verjüngt, "Peto" das
halten kann, wofür sie angetreten ist: Für frischen Wind
im Stadtrat zu sorgen.
Die Autorin arbeitet als Journalistin in Berlin.
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