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Ulrike Winklhofer
Der Nachwuchs will sich nicht vertrösten und
"zulabern" lassen
Die Ähnlichkeit von Jugendparlamenten mit
der Politik der Erwachsenen ist einer der häufigsten
Kritikpunkte
Es war kein Zufall, dass am Anfang der Kinder- und
Jugendpartizipation in der Kommune die Gründung von
Jugendgemeinderäten stand. Die Initiatoren orientierten sich
bei der Etablierung einer Jugendvertretung erst einmal an den
Politikmodellen der Erwachsenen. So wurde 1985 in der Stadt
Weingarten ein repräsentatives Gremium gewählt, in dem
Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren die junge
Bevölkerung in ihrer Heimatstadt vertreten sollten. In
regelmäßigen Sitzungen, zumeist unter Leitung des
Oberbürgermeisters, waren sie aufgefordert, sich mit ihren
Anliegen und Ideen in die Kommunalpolitik einzubringen.
Heute existieren repräsentative Gremien wie
Jugend(gemeinde)räte, Kinder- und Jugendbeiräte oder
Jugendparlamente in einer Vielfalt von Beteiligungsmodellen. In der
Praxis haben sich zwar vor allem projektorientierte Formen
durchgesetzt, die sich auf ein Thema konzentrieren, zeitlich
überschaubar angelegt sind und mit kreativen Methoden wie zum
Beispiel Videoarbeit oder Modellbau arbeiten können. Doch auch
repräsentative Gremien konnten ihren Platz behaupten. Eine
bundesweite Erhebung des Deutschen Jugendinstituts im Jahr 1998
ermittelte einen Anteil von 20 Prozent, eine aktuelle Studie der
Bertelsmann Stiftung im Jahr 2004 kam zu dem Ergebnis, dass 25
Prozent der beteiligungsaktiven Kommunen Jugendparlamente,
Jugendräte und ähnliche Gremien anbieten. In der
Datenbank des Deutschen Kinderhilfswerks (www.kinderpolitik.de)
finden sich aktuell 220 Einträge zu repräsentativen
Gremien für Kinder und Jugendliche in Städten und
Gemeinden in der ganzen Bundesrepublik.
Mit Seriösität zum Erfolg
Dahinter verbergen sich ganz unterschiedliche
Organisationsformen. Gewählt wird zum Teil in allgemeinen
Wahlen, zum Teil aber auch in den Schulen; etliche Gremien arbeiten
mit einem Delegationsprinzip, so dass Schulen und
Jugendeinrichtungen Vertreter entsenden. Auch die interne
Organisation unterscheidet sich nach Sitzungshäufigkeit,
Anzahl von Arbeitskreisen und Mitarbeit in Ausschüssen,
Anbindung an Politik und Verwaltung sowie in der pädagogischen
Begleitung. Angesprochen wird zumeist eine Altersgruppe von 12- bis
18 oder von 14- bis 18-Jährigen; die meisten aktiven
Jugendlichen sind zwischen 15 und 18 Jahren alt.
Repräsentative Gremien bieten eine Reihe von Vorteilen:
Ihre Ähnlichkeit mit den kommunalpolitischen Strukturen
führt dazu, dass viele Erwachsene und Politiker diese
Beteiligungsform als seriös anerkennen. Jugendliche
plädieren gerne für ein solches durch Wahl oder
Delegation legitimiertes Parlament, da sie sich davon die
größte Durchsetzungskraft versprechen. Tatsächlich
besteht von Seiten der Politiker eine hohe Bereitschaft, diese
Gremien anzuerkennen und auch strukturell abzusichern. Die meisten
dieser Modelle erhalten ein Antragsrecht im Stadt- oder
Gemeinderat, etwa die Hälfte auch ein Rederecht; zumeist
verfügen die Gremien über einen eigenen (kleinen)
Etat.
Die Ähnlichkeit dieser Gremien mit den erwachsenen
Politikformen ist jedoch auch einer der häufigsten
Kritikpunkte: Es wird ihnen vorgehalten, zu wenig jugend- und schon
gar nicht kindergerecht zu sein, zu wenig Nähe zur
Jugendkultur und entsprechend jugendgemäßen Aktionsformen
zu haben und zu wenig kreative und konkrete Handlungsansätze
zu bieten. Die Form beinhaltet, dass sich politische Beteiligung
auf Sitzungen, Diskussionen und das Verfassen von Anträgen
konzentriert und damit für viele Jugendliche nicht attraktiv
ist. In der Tat schaffen es Jugendparlamente nicht besonders gut,
junge Leute quer durch alle Bevölkerungsgruppen anzusprechen.
Mit diesen Gremien werden eher Jugendliche mit höherer
Schulbildung, Kinder aus Familien mit höherem sozialen Status
und teilweise auch mehr Jungen als Mädchen angesprochen. Sie
sind nicht geeignet, "politikferne" Jugendliche an Politik
heranzuführen. In der Praxis werden sich eher die bereits
Engagierten oder auch Jugendliche, die schon Erfahrung als Klassen-
oder Gruppensprecher gesammelt haben, für ein solches Amt
interessieren.
Welche Erfahrungen können Jugendliche in solchen Gremien
machen? Gelingt es, sie auf diese Weise an Politik
heranzuführen?
Für die Diskussion dieser Fragen soll ein Blick auf die
Erwartungen und Motive geworfen werden, mit denen sich Erwachsene
und Jugendliche im Kontext dieser Beteiligungsmodelle begegnen. Den
Erwachsenen und Politikern, die zumeist die Initiative für die
Gründung ergreifen, geht es um die Integration der
nachwachsenden Generation in das politische System. Sie erhoffen
sich, Jugendliche möglichst dauerhaft für die Mitarbeit
in gesellschaftlichen und politischen Organisationen zu gewinnen.
Negative Einstellungen zu politischen Institutionen sollen abgebaut
und Wissen über das politische System vermittelt werden. Nicht
zuletzt geht es aber auch um die Optimierung kommunalpolitischer
Planungen und Entscheidungen, die durch eine Beteiligung der direkt
Betroffenen erreicht werden soll.
In diesem Punkt können sich Jugendliche und Erwachsene
grundsätzlich treffen: Jugendliche, die sich für ein
solches Amt zur Verfügung stellen, wollen mit ihrem Engagement
etwas bewegen. Die Themen, für die sie sich engagieren wollen,
haben sie zwar vielleicht schon in groben Umrissen für ihren
Wahlkampf definiert, doch in der konkreten Politik müssen sie
noch die richtigen Ansatzpunkte und konkreten
Handlungsmöglichkeiten finden. Häufig besteht auch die
Erwartung der Erwachsenen, ganz allgemein etwas über die
Interessen und Anliegen der jungen Generation vor Ort zu erfahren.
Das bedeutet nicht nur, dass die Mitglieder des Jugendparlaments
ihre Themen kreieren, sondern auch, dass sie einem allgemeinen
Vertretungsanspruch gerecht werden müssen. Daraus kann einige
Unzufriedenheit und Frustration über mangelnden Kontakt zur
Basis und das Desinteresse anderer Jugendlicher entstehen.
Partizipationsmodelle lösen die Frage der Beteiligung
zunächst auf der Strukturebene: Mit der Initiierung eines
Modells wird der organisatorische und strukturelle Rahmen für
Beteiligung geschaffen. Damit ist noch nicht geklärt, mit
welchen politischen Fragen sich die Heranwachsenden befassen
können und welche Einflussmöglichkeiten ihnen dabei
zugestanden werden. Vorliegende Studien und Erfahrungsberichte
zeigen, dass der Bereich der Freizeitgestaltung oft stark im
Vordergrund steht: Vorschläge für Kinder- und
Jugendtreffs, die Planung von Freizeitstättenen oder
Skaterbahnen, aber auch die Ausstattung der Schulen und des
öffentlichen Nahverkehrs mit Forderungen nach Nachtlinien und
günstigen Preisen beschäftigt die Gremien. Es ist
allerdings kritisch zu sehen, wenn sich die
Beteiligungsmöglichkeiten auf wenige kinder- und
jugendspezifische Bereiche beschränken. So werden abgegrenzte
Gestaltungsspielräume zugestanden, eine Einmischung in die
"große" Politik aber verhindert.
Im besten Falle entwickelt sich durch die Erfahrungen im
Jugendparlament ein realistisches Demokratieverständnis, und
Entscheidungsprozesse sind durch gute Kommunikation, klare
Strukturen und Spielregeln gekennzeichnet. Im Zentrum steht dabei
eine der Zauberformeln der Beteiligungsbewegung: ernst genommen
werden. Das bedeutet symmetrische Kommunikationsstrukturen, von
Politikern nicht von oben herab behandelt zu werden, nicht
"zugelabert" und vertröstet zu werden.
Spaß muss es machen
Politisches Engagement muss für Jugendliche eine zentrale
Voraussetzung erfüllen: Beteiligung muss Spaß machen.
Spaß ist dabei nicht das Gegenteil von Ernst. Gemeint ist
vielmehr die Freude an der eigenen Wirksamkeit und die Erfahrung,
sich in neuen Handlungsfeldern kompetent zu erleben. Die Ergebnisse
der Beteiligungsaktivitäten sind wichtig, es ist bedeutsam,
wie viel von den eigenen Ideen oder von unkonventionellen
Vorschlägen übrig bleibt, wie mühsam der Weg durch
die bürokratischen Instanzen ist. Doch in der Erfahrungsbilanz
zählen nicht nur die Ergebnisse, sondern der gesamte Prozess.
Dazu gehört das Erleben von Freundschaft und gelungener
Kooperation im Team, interessante Leute kennen zu lernen und sich
in der Gruppe wohl zu fühlen. Dazu gehört aber auch, neue
Herausforderungen erfolgreich zu meistern: die Rolle als
Sprecherin, ein Auftritt in der Öffentlichkeit, Verhandlungen
mit dem Bürgermeister. Zu erleben, im Rahmen erwachsener
Öffentlichkeit ernst genommen zu werden - das hat eine andere
Qualität als im privaten Rahmen, auch wenn das Verhältnis
mit den Eltern durch partnerschaftliche Kommunikation geprägt
ist.
Jugendliche sind heute schon früh gefordert, den eigenen
Lebenslauf zu gestalten.
Das Engagement für Beteiligung in der Kommune ist für
sie im Kontext dieser Anforderung auch ein biografisches Projekt.
Es stellt einen Baustein dar in der Gestaltung der eigenen
Biografie und muss als solches auch Sinn machen. Wenn es gelingt,
Erfahrungen im Sinne von Wirksamkeit, neuen
Handlungsmöglichkeiten und erweiterten Kompetenzen bereit zu
stellen, wird das Projekt eines Jugendparlamentes als gelungen
bewertet werden.
Dr. Ulrike Winklhofer arbeitet als Wissenschaftlerin am
Deutschen Jugend Institut (DJI) in München.
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