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Das Parlament
Nr. 44 / 31.10.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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"In der Schule kann man keine Weltrevolution anzetteln"

Interview mit Peter Stawowy, Chefredakteur der Jugendzeitschrift "Spiesser"
Das ist das letzte, was Jugendliche sein wollen: spießig. Den Machern von "Spiesser", dem größten Jugendmagazin in den neuen Bundesländern, ging es bei dieser Titelwahl auch eher um Ironie. Vor über zehn Jahren gründete sich die Zeitschrift als Freizeitprojekt sächsischer Schüler - und wächst immer weiter. Peter Stawowy bildet zusammen mit seiner Kollegin Berit Tolke die Chefredaktion.

Das Parlament: "Spiesser" ist nicht gerade ein Name, bei dem man an junge Leute denkt. Wie kam es zu dem Titel?

Peter Stawowy: Wir wollen schon im Titel etwas Ironie rüberbringen. Natürlich möchte niemand ein Spießer sein, das sind immer nur die anderen. Aber wenn man mal kritisch in sich hineinhört, findet wohl jeder an sich selbst auch etwas Spießiges.

Das Parlament: Was nichts kostet, ist auch nichts wert, heißt es. Warum wird der "Spiesser" kostenlos an Schulen verteilt?

Peter Stawowy: Wir sind vor elf Jahren aus einem Zusammenschluss von mehreren Schülerzeitungsredaktionen entstanden und wussten: Schüler bezahlen für eine Zeitung, die an der eigenen Schule gemacht wird, aber nicht für ein überörtliches Blatt. Irgendwann wurde aus dem Freizeitprojekt etwas Professionelles. Da war schon etabliert, dass es nichts kostet. Das Anzeigenaufkommen könnte zwar immer besser sein, aber es reicht aus, um 15 feste und etliche freie Mitarbeiter zu finanzieren.

Das Parlament: Ist der "Spiesser" bewusst ein ostdeutsches Blatt? Sind die Jugendlichen hier anders?

Peter Stawowy: Das hat mit der Entstehungsgeschichte und dem Vertrieb des Blattes zu tun. Wir sind als kleiner Verlag in Sachsen gestartet. Mittlerweile sind wir mit einer Gesamtauflage von 300.000 Stück auch in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin vertreten. Die Jugendlichen sind hier nicht anders als anderswo. Aber sie antworten zum Beispiel auf die Frage, wo sie ihre berufliche Zukunft sehen, zu 60 Prozent: Nicht hier in Sachsen. Das ist in Nordrhein-Westfalen wohl anders, das Problem der Abwanderung stellt sich im Westen nicht so drängend wie hier. Wir fahren auch nicht diese Individualisierungsgeschichte, bei der jeder Leser einzeln angesprochen wird und man immer "Du" schreibt statt "Ihr".

Das Parlament: Können Sie denn in Ihrer Zielgruppe mit etablierten Jugendzeitschriften wie "Bravo" konkurrieren?

Peter Stawowy: Das ist eine ganz andere Sache. "Bravo" ist ein Boulevard-Blatt für Jugendliche. Wir legen Wert auf die regionale Nähe. Deshalb haben wir unterschiedliche Beiträge aus den jeweiligen Bundesländern, in denen wir erscheinen. Wenn wir Personen und Projekte vorstellen, dann achten wir darauf, dass sie aus unseren Regionen stammen. Natürlich gibt es ein paar Stars, mit denen wir uns auch befassen, aber wir wollen doch näher dran sein an unseren Lesern. Wir lassen sie nicht allein, sondern nehmen sie an die Hand. Der "Spiesser" ist ausgesprochen serviceorientiert, gibt Tipps für die Wohnungssuche, macht auf Beratungsstellen für alle möglichen Fragen aufmerksam und greift natürlich auch das Freizeitverhalten von Jugendlichen auf.

Das Parlament: Verstehen Sie sich auch als politisches Magazin?

Peter Stawowy: Ja, eindeutig, aber nicht parteipolitisch. Und es interessiert uns auch nicht so sehr die große Politik, sondern das, was Jugendliche an ihr wahrnehmen. Andere Medien erschlagen einen oft mit einer Fülle von Informationen, die man gar nicht einordnen kann, wenn die Grundlagen dazu fehlen. Wir versuchen, die Themen auf die Interessen von Jugendlichen runterzubrechen. Zur Bundestagswahl haben wir beispielsweise eine Schülerin und eine Lehrerin gefragt, was sie täten, wenn sie Bundeskanzler wären. Wer die Antworten der Schülerin gelesen hat, wird hoffentlich auch die Meinung der Lehrerin registriert haben, also eine andere Sichtweise. Und dann haben sie auch noch die Möglichkeit, per Internet ihre Meinung dazu abzugeben.

Das Parlament: Das klingt ja nach pädagogischem Ansatz.

Peter Stawowy: Wir wollen schon eine aktive Leserschaft. Wir wollen die Leute dazu bewegen, verantwortlich mit ihrer Gesellschaft umzugehen. Dazu gehört, dass sie eine Möglichkeit bekommen, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Ich muss dem Leser nicht erklären, ob es gut oder schlecht ist, dass es Gewerkschaften gibt und ihnen am Ende sagen, dass sie überflüssig sind, wie das zur Zeit modern ist. Ich muss dem Leser vielmehr zeigen, was die Gewerkschaften machen, dann kann er sich selbst ein Urteil bilden. Unsere Zielgruppe sind ohnehin Schüler, die sich interessieren und engagieren. Denen muss man in keiner Weise sagen, was sie denken sollen. Die wollen wissen, wo sie sich sonst noch einbringen können.

Das Parlament: Und das interessiert die Jugendlichen?

Peter Stawowy: Sie haben uns noch nichts Gegenteiliges berichtet, allerdings auch keine Anregungen zur Themenwahl gegeben. Das ist aber typisch am Zeitschriftenmarkt. Ich denke, der Leser nimmt das auf, was man ihm ansprechend darbietet. Wir haben genügend Schüler in der Redaktion, um das richtige Gefühl zu haben. Wenn wir in der Redaktionskonferenz beraten, was wir zur Landtagswahl machen können, sagt zum Beispiel einer: Oh, wie langweilig, die Politiker labern doch nur rum und machen sich wichtig. Dann kommt die Frage zurück: Weißt Du denn, was ein Politiker den ganzen Tag so macht? Und dann begleiten wir den Ministerpräsidenten einen Tag lang, damit der Leser weiß, was ein Politiker so macht.

Das Parlament: Gibt es denn überhaupt spezielle politische Themen für die Jugendliche?

Peter Stawowy: Das ist so eine Frage. Was betrifft die Jugendlichen an PISA, außer dass sie von den Medien ständig reingeballert bekommen, sie wären zu schlecht in der Schule? Aber der Abiturient betrachtet seinen Notendurchschnitt und überlegt sich: Wo kann ich damit was studieren? Was kann der denn schon an den Ergebnissen von PISA ändern? Der macht doch nicht die Lehrpläne! Die Leser müssen von uns das bekommen, was sie anderswo nicht finden. Also: Wie läuft das mit Bundeswehr und Zivildienst oder was macht man im Sozialen Jahr oder wie bewirbt man sich richtig um einen Ausbildungsplatz. Wir freuen uns, wenn wir Kooperationspartner haben, mit denen wir schwierige Themen aufbereiten können. Bei der EU-Erweiterung zum Beispiel war das die Sächsische Staatskanzlei.

Das Parlament: Was ist wichtiger, die politische Bildung oder die allgemeine Lebensberatung?

Peter Stawowy: Beides ist wichtig. Auch unterhaltsame Geschichten. Die Politisierung findet über die Themen statt. Wir können übrigens auch damit leben, dass nicht jeder Leser immer alles liest. Mancher nimmt auch nur das Preisrätsel heraus.

Das Parlament: Also es juckt Ihnen gar nicht in den Fingern, sich zu globalen Themen zu äußern?

Peter Stawowy: Das bekommen die Jugendlichen doch anderswo zur Genüge. Klar weiß ich, dass man sich auch in mancher Schülerzeitung gern zu Krieg und Frieden äußert. Da wird dann schon mal gerne George W. Bush aus dem Amt geschrieben. Aber wir wollen die Leser nicht belehren und auch keine Weltpolitik machen. Wir geben ihnen nicht vor, für welche Themen sie sich interessieren sollen, um von sich behaupten zu können, sie seien politische Menschen.

Das Parlament: Können Sie sich vorstellen, politisch unkorrekt zu sein?

Peter Stawowy: Was heißt das denn? Ach ja, die Anti-Haltung. Aber das heißt doch schon wieder, eine Meinung vorzugeben. Es gibt immer welche, die finden, wir könnten frecher sein. Aber unsere Zeitung liegt an Schulen aus. Da kann man nicht zur Weltrevolution aufrufen oder so. Ich weiß auch nicht, ob die Leser das wollen. Das hat ja schon wieder mit Belehrung zu tun. Wir haben eine Kolumne drin, in der ein Kollege seine Meinung äußert, das reicht.

Das Parlament: Wie stellen Sie sich bei der Themenauswahl auf die unterschiedlichen Lesergruppen ein?

Peter Stawowy: Wir haben bei Umfragen festgestellt, dass unsere Leserschaft ziemlich gleichmäßig gedrittelt ist in Gymnasiasten, Mittelschüler und Berufsschüler. Wir informieren über Studiengänge genauso wie über Ausbildungsberufe, stellen das Handwerk vor. Ansonsten lautet unser Anspruch: die Leser eher etwas mehr fordern als zu wenig. Wir nehmen in Kauf, dass mancher beim Lesen einer Geschichte aussteigt, weil sie ihm zu schwierig erscheint. Aber dann liest er eben andere Artikel. Und durchgeblättert hat er die Ausgabe bestimmt; vielleicht bleibt er an einem Thema hängen, das er sonst nicht wahrgenommen hätte.

Das Parlament: Vorhin haben Sie gesagt, der "Spiesser" sei kein ausgesprochen ostdeutsches Produkt. Können Sie sich denn auch vorstellen, an westdeutschen Schulen vertreten zu sein?

Peter Stawowy: Wir sind mit der aktuellen Entwicklung sehr zufrieden. Der "Spiesser" würde auch im Westen funktionieren, da bin ich ganz sicher. Aber wir sind ein kleiner Verlag. Wir können uns nicht leisten, mal eben bundesweit auf den Markt zu kommen. Theoretisch fehlt ja noch Mecklenburg-Vorpommern. Ob wir da auch noch hingehen, weiß ich jetzt noch nicht. Und auch der Rest der Republik ist für uns nicht tabu, aber das lassen wir jetzt wirklich noch offen.


Das Interview führte Astrid Pawassar. Sie arbeitet als freie Journalistin in Dresden.

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