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"In der Schule kann man keine Weltrevolution
anzetteln"
Interview mit Peter Stawowy, Chefredakteur der
Jugendzeitschrift "Spiesser"
Das ist das letzte, was Jugendliche sein wollen:
spießig. Den Machern von "Spiesser", dem größten
Jugendmagazin in den neuen Bundesländern, ging es bei dieser
Titelwahl auch eher um Ironie. Vor über zehn Jahren
gründete sich die Zeitschrift als Freizeitprojekt
sächsischer Schüler - und wächst immer weiter. Peter
Stawowy bildet zusammen mit seiner Kollegin Berit Tolke die
Chefredaktion.
Das Parlament: "Spiesser" ist nicht
gerade ein Name, bei dem man an junge Leute denkt. Wie kam es zu
dem Titel?
Peter Stawowy: Wir wollen schon im
Titel etwas Ironie rüberbringen. Natürlich möchte
niemand ein Spießer sein, das sind immer nur die anderen. Aber
wenn man mal kritisch in sich hineinhört, findet wohl jeder an
sich selbst auch etwas Spießiges.
Das Parlament: Was nichts kostet, ist
auch nichts wert, heißt es. Warum wird der "Spiesser"
kostenlos an Schulen verteilt?
Peter Stawowy: Wir sind vor elf Jahren
aus einem Zusammenschluss von mehreren
Schülerzeitungsredaktionen entstanden und wussten:
Schüler bezahlen für eine Zeitung, die an der eigenen
Schule gemacht wird, aber nicht für ein
überörtliches Blatt. Irgendwann wurde aus dem
Freizeitprojekt etwas Professionelles. Da war schon etabliert, dass
es nichts kostet. Das Anzeigenaufkommen könnte zwar immer
besser sein, aber es reicht aus, um 15 feste und etliche freie
Mitarbeiter zu finanzieren.
Das Parlament: Ist der "Spiesser"
bewusst ein ostdeutsches Blatt? Sind die Jugendlichen hier
anders?
Peter Stawowy: Das hat mit der
Entstehungsgeschichte und dem Vertrieb des Blattes zu tun. Wir sind
als kleiner Verlag in Sachsen gestartet. Mittlerweile sind wir mit
einer Gesamtauflage von 300.000 Stück auch in Thüringen,
Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin vertreten. Die Jugendlichen
sind hier nicht anders als anderswo. Aber sie antworten zum
Beispiel auf die Frage, wo sie ihre berufliche Zukunft sehen, zu 60
Prozent: Nicht hier in Sachsen. Das ist in Nordrhein-Westfalen wohl
anders, das Problem der Abwanderung stellt sich im Westen nicht so
drängend wie hier. Wir fahren auch nicht diese
Individualisierungsgeschichte, bei der jeder Leser einzeln
angesprochen wird und man immer "Du" schreibt statt
"Ihr".
Das Parlament: Können Sie denn in
Ihrer Zielgruppe mit etablierten Jugendzeitschriften wie "Bravo"
konkurrieren?
Peter Stawowy: Das ist eine ganz
andere Sache. "Bravo" ist ein Boulevard-Blatt für Jugendliche.
Wir legen Wert auf die regionale Nähe. Deshalb haben wir
unterschiedliche Beiträge aus den jeweiligen
Bundesländern, in denen wir erscheinen. Wenn wir Personen und
Projekte vorstellen, dann achten wir darauf, dass sie aus unseren
Regionen stammen. Natürlich gibt es ein paar Stars, mit denen
wir uns auch befassen, aber wir wollen doch näher dran sein an
unseren Lesern. Wir lassen sie nicht allein, sondern nehmen sie an
die Hand. Der "Spiesser" ist ausgesprochen serviceorientiert, gibt
Tipps für die Wohnungssuche, macht auf Beratungsstellen
für alle möglichen Fragen aufmerksam und greift
natürlich auch das Freizeitverhalten von Jugendlichen
auf.
Das Parlament: Verstehen Sie sich auch
als politisches Magazin?
Peter Stawowy: Ja, eindeutig, aber
nicht parteipolitisch. Und es interessiert uns auch nicht so sehr
die große Politik, sondern das, was Jugendliche an ihr
wahrnehmen. Andere Medien erschlagen einen oft mit einer Fülle
von Informationen, die man gar nicht einordnen kann, wenn die
Grundlagen dazu fehlen. Wir versuchen, die Themen auf die
Interessen von Jugendlichen runterzubrechen. Zur Bundestagswahl
haben wir beispielsweise eine Schülerin und eine Lehrerin
gefragt, was sie täten, wenn sie Bundeskanzler wären. Wer
die Antworten der Schülerin gelesen hat, wird hoffentlich auch
die Meinung der Lehrerin registriert haben, also eine andere
Sichtweise. Und dann haben sie auch noch die Möglichkeit, per
Internet ihre Meinung dazu abzugeben.
Das Parlament: Das klingt ja nach
pädagogischem Ansatz.
Peter Stawowy: Wir wollen schon eine
aktive Leserschaft. Wir wollen die Leute dazu bewegen,
verantwortlich mit ihrer Gesellschaft umzugehen. Dazu gehört,
dass sie eine Möglichkeit bekommen, sich ihre eigene Meinung
zu bilden. Ich muss dem Leser nicht erklären, ob es gut oder
schlecht ist, dass es Gewerkschaften gibt und ihnen am Ende sagen,
dass sie überflüssig sind, wie das zur Zeit modern ist.
Ich muss dem Leser vielmehr zeigen, was die Gewerkschaften machen,
dann kann er sich selbst ein Urteil bilden. Unsere Zielgruppe sind
ohnehin Schüler, die sich interessieren und engagieren. Denen
muss man in keiner Weise sagen, was sie denken sollen. Die wollen
wissen, wo sie sich sonst noch einbringen können.
Das Parlament: Und das interessiert
die Jugendlichen?
Peter Stawowy: Sie haben uns noch
nichts Gegenteiliges berichtet, allerdings auch keine Anregungen
zur Themenwahl gegeben. Das ist aber typisch am Zeitschriftenmarkt.
Ich denke, der Leser nimmt das auf, was man ihm ansprechend
darbietet. Wir haben genügend Schüler in der Redaktion,
um das richtige Gefühl zu haben. Wenn wir in der
Redaktionskonferenz beraten, was wir zur Landtagswahl machen
können, sagt zum Beispiel einer: Oh, wie langweilig, die
Politiker labern doch nur rum und machen sich wichtig. Dann kommt
die Frage zurück: Weißt Du denn, was ein Politiker den
ganzen Tag so macht? Und dann begleiten wir den
Ministerpräsidenten einen Tag lang, damit der Leser weiß,
was ein Politiker so macht.
Das Parlament: Gibt es denn
überhaupt spezielle politische Themen für die
Jugendliche?
Peter Stawowy: Das ist so eine Frage.
Was betrifft die Jugendlichen an PISA, außer dass sie von den
Medien ständig reingeballert bekommen, sie wären zu
schlecht in der Schule? Aber der Abiturient betrachtet seinen
Notendurchschnitt und überlegt sich: Wo kann ich damit was
studieren? Was kann der denn schon an den Ergebnissen von PISA
ändern? Der macht doch nicht die Lehrpläne! Die Leser
müssen von uns das bekommen, was sie anderswo nicht finden.
Also: Wie läuft das mit Bundeswehr und Zivildienst oder was
macht man im Sozialen Jahr oder wie bewirbt man sich richtig um
einen Ausbildungsplatz. Wir freuen uns, wenn wir
Kooperationspartner haben, mit denen wir schwierige Themen
aufbereiten können. Bei der EU-Erweiterung zum Beispiel war
das die Sächsische Staatskanzlei.
Das Parlament: Was ist wichtiger, die
politische Bildung oder die allgemeine Lebensberatung?
Peter Stawowy: Beides ist wichtig.
Auch unterhaltsame Geschichten. Die Politisierung findet über
die Themen statt. Wir können übrigens auch damit leben,
dass nicht jeder Leser immer alles liest. Mancher nimmt auch nur
das Preisrätsel heraus.
Das Parlament: Also es juckt Ihnen gar
nicht in den Fingern, sich zu globalen Themen zu
äußern?
Peter Stawowy: Das bekommen die
Jugendlichen doch anderswo zur Genüge. Klar weiß ich,
dass man sich auch in mancher Schülerzeitung gern zu Krieg und
Frieden äußert. Da wird dann schon mal gerne George W.
Bush aus dem Amt geschrieben. Aber wir wollen die Leser nicht
belehren und auch keine Weltpolitik machen. Wir geben ihnen nicht
vor, für welche Themen sie sich interessieren sollen, um von
sich behaupten zu können, sie seien politische
Menschen.
Das Parlament: Können Sie sich
vorstellen, politisch unkorrekt zu sein?
Peter Stawowy: Was heißt das
denn? Ach ja, die Anti-Haltung. Aber das heißt doch schon
wieder, eine Meinung vorzugeben. Es gibt immer welche, die finden,
wir könnten frecher sein. Aber unsere Zeitung liegt an Schulen
aus. Da kann man nicht zur Weltrevolution aufrufen oder so. Ich
weiß auch nicht, ob die Leser das wollen. Das hat ja schon
wieder mit Belehrung zu tun. Wir haben eine Kolumne drin, in der
ein Kollege seine Meinung äußert, das reicht.
Das Parlament: Wie stellen Sie sich
bei der Themenauswahl auf die unterschiedlichen Lesergruppen
ein?
Peter Stawowy: Wir haben bei Umfragen
festgestellt, dass unsere Leserschaft ziemlich
gleichmäßig gedrittelt ist in Gymnasiasten,
Mittelschüler und Berufsschüler. Wir informieren
über Studiengänge genauso wie über
Ausbildungsberufe, stellen das Handwerk vor. Ansonsten lautet unser
Anspruch: die Leser eher etwas mehr fordern als zu wenig. Wir
nehmen in Kauf, dass mancher beim Lesen einer Geschichte aussteigt,
weil sie ihm zu schwierig erscheint. Aber dann liest er eben andere
Artikel. Und durchgeblättert hat er die Ausgabe bestimmt;
vielleicht bleibt er an einem Thema hängen, das er sonst nicht
wahrgenommen hätte.
Das Parlament: Vorhin haben Sie
gesagt, der "Spiesser" sei kein ausgesprochen ostdeutsches Produkt.
Können Sie sich denn auch vorstellen, an westdeutschen Schulen
vertreten zu sein?
Peter Stawowy: Wir sind mit der
aktuellen Entwicklung sehr zufrieden. Der "Spiesser" würde
auch im Westen funktionieren, da bin ich ganz sicher. Aber wir sind
ein kleiner Verlag. Wir können uns nicht leisten, mal eben
bundesweit auf den Markt zu kommen. Theoretisch fehlt ja noch
Mecklenburg-Vorpommern. Ob wir da auch noch hingehen, weiß ich
jetzt noch nicht. Und auch der Rest der Republik ist für uns
nicht tabu, aber das lassen wir jetzt wirklich noch
offen.
Das Interview führte Astrid Pawassar.
Sie arbeitet als freie Journalistin in Dresden.
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