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Karl-Otto Sattler
Durchstarten im Nachwuchscamp
Betonen eigene politische Akzente: Die
Jugendverbände der Parteien
Philipp Mißfelder überlegt eine Weile,
bis er sagt: "Klar, Konkurrenz belebt das Geschäft", man
treffe zuweilen in Talkshows aufeinander, "aber
Auseinandersetzungen finden eigentlich weniger statt". Junge
Politiker seien "heutzutage eher pragmatisch und nicht so sehr
ideologisch ausgerichtet", meint der Vorsitzende der Jungen Union
(JU). Auch Björn Böhning zögert einen Moment mit der
Antwort auf die Frage, ob denn die Jungsozialisten die JU und den
Nachwuchs anderer Parteien zu bekämpfen pflegen.
Natürlich habe er schon "mit
Mißfelder die Klingen gekreuzt", erläutert der
Juso-Vorsitzende, aber auf dieser Ebene seien die Konflikte nicht
stark ausgeprägt, "wir greifen eher die CDU als die Junge
Union an". Vorrangig drehe es sich darum, sagt Nike Wessel,
"über die eigene Partei etwas durchzusetzen". Bei
Podiumsdiskussionen, so die Sprecherin der Grünen Jugend,
"grenzen wir uns von anderen Verbänden sauber ab, wir zoffen
uns jedoch nicht persönlich". Johannes Vogel, Vorsitzender der
Jungen Liberalen (JuLis) meint: "Einfluss nehmen kann man nur
über die Mutterpartei." Und wie sieht es bei Solid aus, der
Jugendorganisation der Linkspartei? "In Wahlkämpfen streiten
wir uns zuweilen bei Debatten in Jugendzentren, das ist
interessant", sinniert Sprecher Marco Heinig, "aber im Grunde
findet dieser Kampf gegeneinander nicht statt." Und warum nicht?
Heinig: "Das ist eine gute Frage."
Andere Akzente
Man könnte durchaus erwarten, dass es
zwischen den fünf Verbänden kräftig zur Sache geht.
Schließlich agieren die politischen Lager als Gegner, und da
müss-te dies beim Nachwuchs erst recht der Fall sein. Junge
Leute stehen ja von Natur aus im Ruf, es mit Sturm und Drang statt
mit abgeklärtem Taktieren zu halten.
Am ehesten präsentiert sich die JU, der
gemeinsamer Nachwuchsverband von CDU und CSU, als Spiegelbild der
Mutterparteien. Bei ökonomischen, steuerlichen und sozialen
Themen sei man "sehr wirtschaftsliberal", erklärt
Mißfelder, "wir stehen dem Wirtschaftsflügel der Union
nahe und haben manchmal harte Konflikte mit den
Sozialausschüssen". Der 26-jährige Geschichtsstudent, der
neuerdings dem Bundestag angehört, sagt: "Politisch hat Angela
Merkel bei uns ein großes Standing." Im Innern verfolge die JU
einen "Law-and-order-Kurs". Bei Menschenrechten trete man
energischer als die Union auf, "die sich eher diplomatisch
zurückhält". Als "betont marktliberal" definiert auch
Johannes Vogel die JuLis, da sei man voll auf FDP-Linie, etwa bei
der Staatsverschuldung oder der Finanzierung der Sozialsysteme.
Aber die FDP geriere sich zu sehr als reine Wirtschaftspartei, da
setzten die JuLis andere Akzente mit ihrem Engagement für
Bürgerrechte, gegen den Großen Lauschangriff, für
Datenschutz, gegen die Ausweitung von DNA-Proben über schwere
Delikte hinaus. Der 23-jährige Politikstudent: "Wir sind ein
Tick sozialliberaler als die FDP."
Klar dem linken Flügel der SPD ordnet
Böhning die Jusos zu: "Wir stehen in kritischer
Solidarität zur Partei." Der 27-jährigen Politologe, der
zur Zeit an seiner Promotion arbeitet, spricht nicht von
theoretischen Entwürfen, für welche die Jusos dereinst
eine gewisse Berühmtheit erlangt hatten. Böhning
hält es mit der "Philosophie der Praxis", wenn er die Politik
seines Verbands skizziert: Ausbildungsplatzabgabe, Nein zum
"Rasieren des Sozialstaats unter dem Deckmantel der
Generationenfrage", Ausbau des Bafögs, gegen
Studiengebühren, das sind markante Beispiele. Auf Distanz geht
Böhning zum "Netzwerk", einem Bündnis von
SPD-Abgeordneten meist mittleren Alters, die im Bundestag indes
noch als jung gelten: "Die sind zu angepasst, die standen bei der
Agenda 2010 Gewehr bei Fuß."
Solid, die Abkürzung von
sozialistisch-linksdemokratisch, nimmt im Gründungsmanifest
Bezug auf ein Zitat von Karl Marx: Es gelte, "alle
Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes,
ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen
ist". Das lässt viel Raum, und so sagt Marco Heinig: "Wir
haben viele linke Strömungen zu bieten, von
linkssozialdemokratisch bis anarchistisch." Offenbar ein bunter
Haufen. Der 23-jährige Student der Geschichte und Philosophie
präzisiert die Linie an Beispielen: Solid lehnt
Regierungsbeteiligungen der Linkspartei ab, "weil so
außerparlamentarische Aktivitäten neutralisiert werden".
Man sei strikt gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Und "von
der Kita bis zur Uni muss der Zugang für junge Leute frei
zugänglich sein".
Als "links von der Partei" beschreibt die
23-jährige Nike Wessel die Grüne Jugend. Vor allem beim
Thema Globalisierung "sind wir ein superlinker Verband".
Stärker als die Mutterpartei mache man Front gegen
Kriegseinsätze der Bundeswehr, auf Koalitionen nehme man
weniger Rücksicht. Nach dem 18. September fiel der Nachwuchs
mit dem Appell an die Grünen auf, mit der Linkspartei zu
verhandeln. Die Studentin der Literaturwissenschaft: "Die
Ächtung kann ich nicht nachvollziehen."
In Gesprächen mit den fünf
Politikern ist es nicht einfach, das "Jugendspezifische"
herauszukristallisieren. Wessel freut sich, dass man im
Wahlprogramm der Grünen die Forderung nach mehr Demokratie in
der Schule durchgesetzt habe, was konkret auf Heranwachsende
gemünzt ist. Die von den Jusos angestrebte
Ausbildungsplatzabgabe tangiert ebenfalls speziell junge Leute.
Aber bei der von den JuLis propagierten Abschaffung der Wehrpflicht
sieht das schon anders aus: Dabei geht es nicht nur darum, jungen
Männer Zwangsdienste an der Knarre zu ersparen, dieser
Vorstoß berührt vielmehr das Konzept der Bundeswehr als
solches.
Marco Heinig hegt Zweifel, "ob es so etwas
wie eine eigenständige Jugendpolitik überhaupt gibt":
Wenn sich Solid für den Erhalt eines Parks als Treffpunkt von
Jugendlichen einsetze und gegen den Bau eines Einkaufszentrums an
diesem Platz protestiere, "dann ist die Kommunalpolitik als Ganzes
gefordert". JU und JuLis rücken die
"Generationengerechtigkeit" in den Vordergrund. Doch das
Plädoyer für Schuldenabbau und mehr private Vorsorge
für Krankheit und Alter zielt auf die Substanz der Architektur
von Staatsfinanzen und Sozialversicherung. Philipp Mißfelder:
"Rentenerhöhungen gehen zu Lasten der jungen Generation." Nike
Wessel wiederum verortet Generationengerechtigkeit in erster Linie
beim an sich altersunabhängigen Prinzip der Nachhaltigkeit,
"damit Heranwachsende später noch eine intakte Umwelt
haben".
In der öffentlichen Wahrnehmung
vermittelt sich nicht der Eindruck, dass die Jugendverbände in
ihren Mutterparteien viel Einfluss haben. Gleichwohl verweisen die
Vorsitzenden auf Erfolge. Mißfelder rechnet es nicht zuletzt
dem Druck der JU an, dass im Unionsprogramm die Verminderung der
Staatsverschuldung und die Kapitaldeckung der Pflegeversicherung
stark betont werden. Dieser Tage landeten die Jung-Konservativen
einen Paukenschlag, als sie ihren Bundeskongress nutzten, um gegen
Angela Merkels Willen in der Partei eine Debatte über die
Ursachen des schlechten Ergebnisses von CDU und CSU am 18.
September durchzusetzen. Und mit dem Appell, Friedrich Merz als
strikt wirtschaftsliberalen Politiker an die Spitze der
Unions-Bundestagsfraktion zu berufen, forderte man Merkel erst
recht heraus.
Das Nein der SPD zu Studiengebühren
schreibt Björn Böhning vor allem dem Einsatz der Jusos
zugute, "auch die Reichensteuer war ursprünglich unsere Idee".
Nach der Bundestagswahl sorgte Böhning für Aufsehen, als
er auf Gegenkurs zu Franz Müntefering ging: Nicht dessen
Favorit Kajo Wasserhövel, sondern die Linke Andrea Nahles
müsse das Amt des SPD-Generalsekretärs übernehmen,
verlangten die Jusos mit Nachdruck.
Das FDP-Konzept des Bürgergelds sei
anfangs von den JuLis entwickelt worden, hebt Johannes Vogel
hervor, auch könne man sich die Renaissance des Themas
Bürgerrechte in der Partei an die Fahnen heften. Marco Heinig
verbucht die konsequente Absage der Linkspartei an
Bundeswehreinsätze im Ausland auf dem Konto von
Solid.
Indes: Die Jugendverbände - teils
Parteigliederungen, teils organisatorisch eigenständig - sind
nicht gerade ein starker Machtfaktor. Das hat auch mit einem
simplen Umstand zu tun: Nur zum Teil gehören deren Mitglieder
der jeweiligen Partei an: Man will sich auch für junge Leute
öffnen, die vor einem Parteibuch zurückschrecken. Dann
kann man in Parteigremien allerdings nicht mitdiskutieren und
mitstimmen. Was Mißfelder formuliert, trifft auch auf die
Konkurrenz zu: "Auf CDU-Parteitagen gibt es zu wenige
JU-Vertreter." Zwei Drittel der 130.000 JU-Mitglieder zahlen keine
Beiträge bei CDU oder CSU. 12.000 der 60.000 Jusos, ein
Drittel der 10.000 Julis, knapp die Hälfte der 6.000
Jung-Grünen und gar drei Viertel der 1.500 Solid-Leute sind
nicht bei den Mutterparteien eingeschrieben. Außerdem ist nur
eine Minderheit unter dem Nachwuchs wirklich aktiv. Ausnahme ist
Solid: "Wir schleppen keine Karteileichen mit", betont deren
Sprecher Marco Heinig.
Zudem bindet der Einsatz außerhalb von
Parteigremien viele Kräfte, etwa bei Jugendcamps und
Seminaren. Aber nicht nur das. Mit peppigen Auftritten tun sich
besonders die JuLis hervor. Vogel: "Wir machen das provokant." Vorm
Kanzleramt am Bungeeseil baumeln: "Das soll zeigen, dass die Jugend
am seidenen Faden hängt". Wie die JuLis schätzt auch die
JU das Verteilen von Kondomen: "Das ist schwer beliebt",
erzählt Mißfelder. Als Werbematerial verkauft die JU
Tassen und T-Shirts mit dem Aufdruck "Black ist beautiful", auf dem
Land veranstalten Ortsgruppen auch mal
Fußballturniere.
Jusos, Solid und Grüne Jugend mischen in
gesellschaftlichen Initiativen kräftig mit. Die Jusos arbeiten
häufig mit Antifa-Gruppen und Gewerkschaften zusammen:
"Letzteres müssen wir noch forcieren", so Böhning. Um
rechten Tendenzen in den neuen Ländern entgegenzutreten,
betreiben Jusos dort zuweilen eigene Jugendtreffs. Auch Marco
Heinig findet es erschreckend, "wie stark junge Leute im Osten in
ländlichen Regionen nach rechtsaußen driften". Gegen
solche Entwicklungen macht Solid in Jugendclubs, mit
Straßentheater und mit CD-Musik gegen Rechts mobil. Nike
Wessel: "Die Grüne Jugend lebt geradezu von Aktionen." Ob
gegen Castor, gegen Neonazis, gegen Bushs Kriegspolitik, "in Berlin
findet keine größere Demo ohne uns statt".
Die Medien interessieren sich jedoch eher
für junge Gesichter in Parteivorständen, in Parlamenten
und an Kabinettstischen. So sorgte die Wahl der Fraktionsspitze der
Grünen im Bundestag für Wirbel, weil die Jüngeren
den Durchmarsch Älterer kritisierten. Freilich begehrten jene
auf, die bereits über 30 sind - und die sind der Grünen
Jugend schon entwachsen. Jusos waren auch bei der Auswahl der neuen
SPD-Minister gar nicht erst im Spiel: Nun soll der 46-jährige
Sigmar Gabriel den "Generationswechsel" symbolisieren.
Über ihre Präsenz in Gemeinde- und
Stadträten können sich die Jugendverbände nicht
beklagen. Höheren Orts sieht es jedoch anders aus.
Mißfelder und Böhning rechnen in den Bundestagsfraktionen
von Union und SPD lediglich knapp zehn Prozent der Abgeordneten dem
JU- oder Juso-Spektrum zu, Vogel zählt unter den 61
Freidemokraten immerhin acht JuLis. Unter den Parlamentariern der
Linkspartei und der Öko-Partei sitzt hingegen keiner, der bei
Solid oder bei der Grünen Jugend aktiv mitmacht; Anna
Lührmann, mit 22 Jahren jüngste Abgeordnete im
Bundes-tag, gehörte einmal zeitweise dem Vorstand des
grünen Nachwuchses an.
Mit einer Proporzregelung, die den Jungen
direkt den Weg in Parlamente ebnet, mag sich niemand anfreunden.
Björn Böhning: "Für junge Leute ist es nicht
attraktiv, über eine Quote gewählt zu werden."
Karl-Otto Sattler arbeitet als freier
Journalist in Berlin.
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