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Mirko Heinemann
Kompromisslos Politik machen
Nichtregierungsorganisationen sind attraktiv
für Jugendliche: Die Hemmschwelle für eine Mitarbeit ist
niedrig
Die Umwelt retten und Spaß dabei haben - wollt ihr das
auch?" So lautet der Aufruf im Internet, und rund 20 Jugendliche
haben sich an diesem Freitag auf den Weg in die Berliner
Greenpeace-Zentrale gemacht. Sie wollen bei einer "JAG" mitmachen.
JAGs sind die "Jugend-Aktions-Gruppen", kleine, selbst organisierte
Einheiten, die im Namen von Greenpeace aktiv sind.
Der Raum im zweiten Stock des dunklen Altbaus ist gut
gefüllt, die Aktivisten sitzen um einen großen Tisch in
der Mitte. Sie sind zwischen 14 und 20 Jahre alt, die meisten sind
Mädchen. An der Wand hängt ein Plakat, auf dem steht:
"Gesicht zeigen für die Wale." Auf einem anderen Plakat weisen
Ernie und Bert aus der Sesamstraße auf die Gefährlichkeit
von Dieselruß hin. "Hat jemand was mitgebracht?", fragt die
17-jährige Johanna in die Runde. Eine Teilnehmerin hält
einen Zeitungsartikel in die Höhe, den sie vorlesen
möchte. Darin werden die Gefahren von Pestiziden für die
Gesundheit der Verbraucher erörtert. Moderatorin Johanna weist
darauf hin, dass an den "nächsten zwei Mittwochs" bei
Greenpeace Filme über Hiroshima gezeigt werden. Der dritte
Tagesordnungspunkt widmet sich technischen Fragen: "Hat jemand die
Kinderschminke gesehen?"
Greenpeace Deutschland gibt es seit 25 Jahren. 2.700 Menschen
engagieren sich hier ehrenamtlich, mehr als eine halbe Million
Menschen sind Förderer. In den 1.700 so genannten "Greenteams"
arbeiten sogar Kinder mit, die von volljährigen,
ehrenamtlichen Greenpeace-Aktivisten betreut werden. Bundesweit
sind derzeit 48 JAGs registriert. Sie organisieren sich selbst und
dürfen eigene Themen setzen. Bei der Aktionsplanung und bei
der Gewährung von Sachmitteln können sie auf
Unterstützung der Mutterorganisation zählen, wo es
Ansprechpartner für die Jugendlichen gibt. Die Jugendgruppen
treffen sich in der Regel ein Mal pro Woche, diskutieren und planen
mehr oder weniger spektakuläre Aktionen, mit denen sie
Umwelt-Themen in die Öffentlichkeit bringen wollen. Sie
bereiten Infostände und Demonstrationen vor, entwerfen Slogans
für Banner und recherchieren das nötige
Hintergrundwissen.
"Es gibt nicht Schöneres, als mit Passanten zu
dis-kutieren", schwärmt die 18-jährige Ricarda. "Vor
allem, wenn man sie am Ende überzeugt." Ricarda ist seit
Anfang des Jahres dabei und hat gleich zu Beginn die "Greendays"
mitgemacht, das bundesweite Treffen der Greenpeace-Jugendgruppen.
"Total nette Menschen." Johanna dagegen ist schon bei Greenpeace
aktiv, seit sie zehn Jahre alt ist. "Ich stimme zu 95 Prozent mit
den Zielen von Greenpeace überein", sagt die junge Frau.
"Die Jugendlichen, die zu uns kommen, wissen meist sehr genau,
was sie wollen", sagt Greenpeace-Sprecherin Nicole Emden. Oft ziehe
sie der legendäre Ruf von Greenpeace an, für Jugendliche
besonders interessant sei zudem die internationale Ausrichtung der
Organisation. Bei Greenpeace-Kampagnen wie "Solar Generation"
arbeiten Jugendliche aus verschiedenen europäischen
Ländern mit Altersgenossen aus den USA oder Kanada
zusammen.
Die in der JAG versammelten Jugendlichen eint, dass politische
Arbeit in Parteien für sie nicht infrage kommt. "Politiker
arbeiten nur noch mit Politikern zusammen, wir dagegen sind auf der
Straße unterwegs. Wir sind nahe an der Bevölkerung dran",
sagt Ricarda. "Unsere Aktionen sind direkter", ergänzt
Philine, ebenfalls 17 Jahre alt. Aber vor allem ist es der
politische Kompromiss, der vielen in der Greenpeace-Gruppe
widerstrebt. Sie wollen sich in ihren Überzeugungen nicht
verbiegen müssen. Reden von Politikern seien "geschönt".
Und: "Bei Greenpeace müssen wir nicht ständig darauf
achten, unsere Grundsätze in Frage zu stellen."
Ein wenig anders gelagert sind die Interessen derjenigen, die
sich bei der globalisierungskritischen Bewegung Attac engagieren.
"Wer hierher kommt, den interessieren in erster Linie
wirtschaftspolitische Fragen", sagt Attac-Sprecher Malte
Kreutzfeldt. Es waren vor allem die spektakulären Proteste am
Rande des G8-Gipfels 2001 in Genua, die Attac in die breite
Öffentlichkeit rückten. Seitdem gehört die
Organisation zu den am schnellsten wachsenden NGOs. 90.000
Mitglieder in 50 Ländern hat man inzwischen nach eigenen
Angaben. Bei Attac Deutschland sind rund 16.000 Menschen in 250
Gruppen aktiv, eine statistische Aufschlüsselung nach Alter
wird nicht durchgeführt. "Attac-Mitglieder sind in der Regel
jung", so Malte Kreutzfeldt, "die meisten stoßen im Laufe
ihres Studiums dazu." In einigen Städten haben sich
Zusammenschlüsse für unter 25-Jährige
gegründet, über 20 Hochschulgruppen stehen Studierenden
aller Fachbereiche offen.
"Das Gefühl von globaler Ungerechtigkeit" lasse junge
Menschen bei Attac aktiv werden, erklärt Kreutzfeldt. Zudem
sei die Einstiegsschwelle niedrig - man könne ohne weitere
Formalitäten eine Gruppe gründen und sofort aktiv werden.
Hierarchien wie bei den Parteien - "wo man sich erst hocharbeiten
muss, bevor man ein Flugblatt schreiben darf" - seien hier
unbekannt. Natürlich seien es vor allem die
"aktionsorientierten Protestformen", sprich: die spektakulären
Demonstrationen, die Attac für Jugendliche attraktiv machten.
Dazu komme ein starkes Informationsbedürfnis über die
Funktionsweise globaler Handelsströme. Großen Wert legt
Attac außerdem auf die Verbindung von Spaß und Politik.
Malte Kreutzfeldt: "Unsere Sommerakademie besteht aus einem
Zeltlager, wo wir Seminare veranstalten und diskutieren. Und
natürlich feiern." In den Universitätsstädten ist
der Anteil von jüngeren Mitgliedern am größten, in
ländlichen Regionen gebe es viele Ältere, die bei
Attac-Gruppen mitmachen. Attac arbeitet mit anderen NGOs wie
Greenpeace und dem BUND zusammen, aber auch mit Gewerkschaften und
kirchlichen Gruppen.
Spektakuläre Aktionen - die Sache von Amnesty International
ist dies nicht. Die Menschenrechtsorganisation setzt vor allem auf
nachhaltige, inhaltliche Arbeit. Dafür hält sich der
Zulauf von Jugendlichen in Grenzen. Ein jüngst entworfenes
Strategiepapier zeigt auf, wie die Menschenrechtsorganisation
attraktiver für junge Menschen gestaltet werden könnte.
Eine stärkere Zusammenarbeit mit anderen NGOs wird dort
angeregt, außerdem sollen Jugendliche stärker in
Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Trotz Nachwuchssorgen
gibt es über 90 Jugendgruppen bundesweit, die rund zehn bis 15
Mitglieder umfassen, außerdem rund 47 studentische Gruppen.
Insgesamt arbeiten über 600 Gruppen innerhalb der "Sektion der
Bundesrepublik Deutschland e.V.", hinzu kommen 10.000
Einzelmitglieder und rund 30.000 Förderer.
"Sobald man in der Schule das Thema Menschenrechte durchnimmt,
bekommt man zwangsläufig Kontakt zu Amnesty", erklärt
Marc Ludwig. Der 20-jährige Berliner ist seit fünf Jahren
Mitglied bei Amnesty und schätzt vor allem die
"persönliche Bindung", die aufgebaut wird. Jede Jugendgruppe
beschäftigt sich intensiv mit einem Fall, in der Regel einem
politischen Häftling, dessen Freilassung Amnesty fordert.
Außerdem führen die Jugendgruppen Briefaktionen durch,
sammeln Unterschriften und betreiben Infostände in
Fußgängerzonen oder auf Straßenfesten.
Hochschulgruppen haben sich dagegen mehr auf die Zusammenarbeit mit
Musikern und Künstlern spezialisiert, die junge Menschen
für die Mitarbeit bei Amnesty gewinnen sollen. In Berlin nimmt
die Amnesty-Jugend mit einem eigenen Wagen an dem alljährlich
stattfindenden Karneval der Kulturen teil. Dort machen die
Jugendlichen darauf aufmerksam, dass die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte universell ist. Marc Ludwig: "Auch wenn jeden
Tag weltweit Menschenrechte verletzt werden, ist unser Einsatz
nicht umsonst. Es gibt immer wieder Erfolge, und die sollen
gefeiert werden."
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