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Mirko Heinemann
Einfach die Meinung gesagt
Eine typische Politikerkarriere
Demokratische Errungenschaften der westlichen
Welt wie Wahlen und Mitbestimmung bringen Jugendlichen mit
Migrationshintergrund wenig, wenn sie sie nicht selbst anwenden
können. Sie erhöhen eher den Frust und tragen zum
Rückzug in die eigene Community bei. Nur eine Integration, die
die Chancen der tatsächlichen politischen Beteilung jenseits
von Wahlen erhöht, kann die Zuspitzung von Konflikten
verhindern, sagt der Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer.
Die zierliche Frau mit den roten Haaren wirkt
neben Lothar Bisky wie seine Tochter. Als der Vorsitzende der
Linkspartei seiner Stellvertreterin das Wort erteilt, umfasst Katja
Kipping mit beiden Händen das Rednerpult und schaut
konzentriert ins Publikum. Sie formuliert geschliffene Sätze,
ihre Stimme ist fest, der Tonfall sachlich, beinahe kühl. Als
ihre Rede auf den politischen Gegner kommt, verzieht sich ihr Mund
zu einem ironischen Lächeln.
Die 27-Jährige hat einen steilen
politischen Aufstieg bewältigt, sie ist so etwas wie ein
politischer Shooting-Star. Die Dresdnerin war Landtagsabgeordnete
in Sachsen, sie ist Vorsitzende der sächsischen PDS und
stellvertretende Bundesvorsitzende der Linksartei. Seit September
sie Abgeordnete im Bundestag.
Das erste politische Engagement galt ihrer
Schule. Kurz nach der Wende in der DDR übernahm sie das Amt
der Klassensprecherin. Trotz ihres jungen Alters von damals
zwölf Jahren kann man sagen, dass hier eine Art
Weichenstellung für ihren Aufstieg erfolgte. Als beinahe
klassisch gilt unter Politikern der Einstieg über das
schulische Engagement, und selbst gestandene Staatsmänner
scheuen sich nicht, bei Fragen nach den ersten politischen
Erfahrungen auf ihr Amt als Klassensprecher zu verweisen.
Altkanzler Helmut Kohl (CDU) machte daraus nie einen Hehl, und
SPD-Chef Franz Müntefering fasste seinen politischen
Lebenslauf einmal so zusammen: "Klassensprecher,
Pfarrjugendführer, Generalsekretär der SPD."
Auch für Katja Kipping war frühes
Engagement einfach logisch. "Ich habe meine Meinung kundgetan,
wollte mich immer einbringen. Und, wie es so ist: Wer sich
einbringt, wird auch vorgeschlagen." Aus der Klassensprecherin
wurde bald eine Schülersprecherin - mit ausgeprägten
politischen Ansichten: "Je älter ich wurde, desto klarer wurde
mein Empfinden, dass der Kapitalismus nicht die letzte Antwort auf
die Fragen der Geschichte ist."
Doch zunächst wollte Katja Kipping ihre
Schule verändern. Schulbesuch sollte mehr sein als die
Vermittlung von Lerninhalten: "Ich wollte mehr Freizeitgestaltung
an der Schule. Ich wollte, dass es Projekttage gab, dass
Klassenfahrten stattfanden." Als in Dresden über eine
stadtnahe Autobahn diskutiert wurde, initiierte sie eine Abstimmung
von 16- bis 18-jährigen Schülern. Nur knapp sei sie
damals einem Schulverweis entgangen.
Nach der Schule begann Kipping ein Studium
der Slawistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaft an der
Technischen Universität Dresden. Dort beteiligte sie sich Ende
1997 an Studentenprotesten zur Verbesserung der Studienbedingungen.
Auch hier wäre es logisch gewesen, sich im Studentenrat der
Hochschule zu engagieren - das aber kam für Katja Kipping
nicht infrage. Die Haltung des Gremiums während der
Studentenproteste sei ihr zu staatstragend gewesen. "Ich wollte ja
eine grundlegende Veränderung des Staates."
Keine leichte Entscheidung
Stattdessen fällte sie aus
Enttäuschung über die abflauenden Studentenproteste die
Entscheidung, in die PDS einzutreten. Keine leichte Entscheidung.
"Ich hatte Ressentiments, die ja nicht ganz unbegründet sind.
Zum Beispiel, dass Parteien Filter für Macht sind, oder dass
es dort hierarchische Strukturen gibt." Nicht so viel
Kopfzerbrechen hat ihr offenbar bereitet, dass sie ausgerechnet der
Nachfolgeorganisation der SED beitrat. Als Schülersprecherin
und Umweltaktivistin sei sie immer wieder auf die PDS
gestoßen. "Als es darum ging, das Straßenbahnensystem zu
erhalten, hat die PDS ein Bürgerbegehren durchgepowert. Dieses
Streiten für Umweltziele in Verbindung mit der direkten
Demokratie, obwohl man in der Opposition war - das fand ich
interessant."
Die Erfahrungen der älteren
PDS-Mitglieder wolle sie "nicht als Belastung, sondern als
Bereicherung sehen", sagt sie. Der hohe Altersdurchschnitt blende
aus, "dass wir in den Großstädten und an den Hochschulen
sehr viele Jugendgruppen haben". Wie auch immer: Für die PDS
in Sachsen war die talentierte, junge Frau ein
Glücksfall.
Ein Jahr nach ihrem Parteieintritt amtierte
sie bereits als Stadträtin in Dresden - da war sie gerade 21
Jahre alt. Nach der Wahl in den Sächsischen Landtag im
September 1999 wurde Katja Kipping verkehrspolitische Sprecherin,
Schatzmeisterin der PDS-Fraktion und Sprecherin des
Fahrgastbeirates der DB Regio Sachsen. Seit 2003 ist sie
Stellvertretende Bundesvorsitzende der PDS, im gleichen Jahr
schloss sie ihr Studium ab. Im September 2004 wurde sie erneut in
den sächsischen Landtag gewählt.
Den Gang durch die Institutionen hat die
junge Frau souverän gemeistert. Anfangs habe sie öfter
die Erfahrung machen müssen, abfällig behandelt oder
unterschätzt zu werden. "Junge, gut aussehende Frau, na ja. Da
gibt es noch die klassischen Wahrnehmungsmuster." Inzwischen hat
Katja Kipping die Linkspartei Sachsens geprägt wie niemand
anders. So stark, dass mancher beinahe Angst hat vor dem Einfluss,
den die junge Frau in den vergangenen Jahren entwickelt
hat.
Nun ist sie in Berlin angekommen, in der
Bundespolitik. Auf die junge Bundestagsabgeordnete warten neue
Herausforderungen.
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