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Ulrike Schuler
Jugendliche Schönfärberei
In den Wahlprogrammen der Parteien wurde das
Thema Jugend nicht genügend berücksichtigt
Besonders jugendlich frisch sahen sie ja nicht aus, die
Wahlprogramme der Parteien. Ein bisschen Rot auf Grau-Braun bei der
SPD, eine Deutschlandfahne im Hintergrund bei der Union,
durchgehendes Quietschgrün bei Bündnis 90/Die
Grünen, schlichtes Rot-Weiß bei der Linkspartei und das
Gold der Nationalflagge mit FDP-Schriftzug bei den Liberalen.
Nichts, was aus dem Rahmen fiele. Doch das Design sei das geringste
Problem - sagt zumindest Nike Wessel, die Sprecherin der
Grünen Jugend. "Uns geht es wirklich um die
Sachargumente."
Als einzige Partei hatten die Grünen ein eigenes Kapitel
"Jugend" in ihrem Wahlprogramm - wenn auch nur als ein Unterkapitel
des Abschnitts Bildungspolitik. Dort schreibt die Partei, sie habe
die Jugend immer im Blick. Sie fordert bessere Standards für
die Jugendhilfe, eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre sowie
"Erziehung statt Strafe". Darüber hinaus kommt das Thema
Jugend - ähnlich wie bei den Wahlprogrammen der anderen
Parteien - vor allem im Zusammenhang mit der Bildungsmisere,
Arbeitslosigkeit, dem Lehrstellenmangel, Drogen und
Kriminalität vor.
"Jugend ist in der Gesellschaft kein Thema an sich", kritisiert
Wessel. Es stehe vielmehr meist im Zusammenhang mit problematischen
Entwicklungen. Der Vorsitzende der Jungen Union (JU), Philipp
Mißfelder, sieht das ähnlich: Die Jungen hätten in
Deutschland keine Lobby, sagt er. Björn Böhning, Chef der
Jungsozialisten (Jusos), findet zwar, das Thema Jugend sei
wichtiger geworden. Aber seiner Ansicht nach wird die heutige
Politik viel zu sehr auf dem Rücken der jungen Generation
ausgetragen. Nike Wessel ist denn auch nicht wirklich fasziniert
vom grünen Jugendkapitel. "Das sagt nichts darüber aus,
wie wichtig das Thema genommen wird."
Bei der Linkspartei war es der Nachwuchs, der sich gegen ein
eigenes Kapitel wehrte, wie es die Mutterpartei wollte. "Für
mich hört sich das an wie Politik für Randgruppen.
Politik für junge Leute sollte in allen Bereichen mitgedacht
werden", sagt der 30-jährige Mark Seibert, Vorsitzender der
Linkspartei-Jugend in Berlin-Brandenburg. Anderer Ansicht ist da
der Junggrüne Matthias Albrecht, der sich für das
Jugendkapitel im grünen Wahlprogramm eingesetzt hat:
"Natürlich ist Jugendpolitik eine Querschnittsaufgabe.
Trotzdem sollte das Thema noch einmal kompakt zusammengefasst
werden, damit Jugendliche wirklich angesprochen werden."
Philipp Mißfelder hält ein eigenes Kapitel nicht
unbedingt für notwendig. Das wichtigste Ziel der JU, "zum
Wohle der jungen Generation" eine Haushaltskonsolidierung zu
erreichen, finde sich im Unions-Wahlprogramm wieder. Dort werde ein
ausgeglichener Haushalt bis zum Jahr 2013 angestrebt. "Wenn die
junge Generation Teilhabe haben soll, muss der Haushalt
konsolidiert werden, sonst hat die Politik gar keinen
Gestaltungsspielraum", sagt er. Gestaltet werden müsse dann
vor allem dadurch, dass mehr Mittel für Bildung und Forschung
bereit gestellt werden.
Bildung ist für alle Jugendorganisationen ein besonders
wichtiges Thema. So hält der Vorsitzende der Jungliberalen
(JuLis), Johannes Vogel, das FDP-Wahlprogramm für
jugendfreundlich, weil es Schwerpunkte bei Bildung, Forschung und
den sozialen Sicherungssystemen setzte. "Es geht darum, wie man das
Land nach vorne bringt, und das ist für jemanden wie mich, der
hier noch richtig lange leben muss, eben besonders wichtig", sagt
der 23-Jährige.
Bildung und Ausbildung waren auch für die Grüne Jugend
Schwerpunktthemen, sagt Wessel. Erfolgreich habe sie sich zudem mit
der Forderung nach einer Freigabe von Cannabis und dem Erhalt des
"Filesharing", also des öffentlichen Zugangs zu Internet-Daten
und Software, durchgesetzt. Ein weiterer Erfolg der Grünen
Jugend sei die geforderte Erhöhung der Bemessungsgrenze bei
den Krankenkassenbeiträgen. "Gerade vor dieser Wahl, wo alles
so superschnell gehen musste, konnten wir viel mitreden. Die
Parteispitze war froh, dass etwas von uns kam", sagt die
Jungpolitikerin. Die Junggrünen hätten zudem viele
Vertreter in den Arbeitsgemeinschaften, die Einfluss nehmen
könnten, und bei den Sitzungen des Bundesvorstands sei auch
immer ein - wenn auch nicht stimmberechtigtes - Mitglied der
Grünen Jugend dabei.
Bei den Liberalen sitze in der sechs- bis zehnköpfigen
Programmkommission, die die Wahlgrundsätze erarbeite, immer
ein Vertreter der JuLis, sagt Vogel. "Da hat man schon Einfluss",
urteilt er. Natürlich müsse man seine Arbeit gut machen
und gute Argumente vorbringen, um die Positionen des
Parteinachwuchses durchzubringen, aber: "Mit der Struktur bin ich
ganz zufrieden." Schließlich gebe es nach der Erarbeitung des
Programmentwurfs durch die Kommission auch noch die
Möglichkeit, auf den Parteitagen Einfluss zu nehmen. Dort wird
der Entwurf angenommen. "Da sind die JuLis wichtige Akteure", sagt
Vogel. Zwar sei diesmal der Entwurf aus Zeitmangel nur durch den
Bundesvorstand abgesegnet worden. Aber etliche Wunschthemen der
Jungen Liberalen fänden sich im Programm wieder. So seien die
Forderungen nach der vollen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher
Partnerschaften, einem klaren Bekenntnis zum Einwanderungsland
Deutschland und der Akzeptanz militärischer Einsätze nur
mit UN-Mandat auf ihre Initiative zurückzuführen. Zudem
sei es den JuLis gelungen, die Bürgerrechte mehr in den
Mittelpunkt zu rücken.
"Nicht unzufrieden" mit den Einflussmöglichkeiten auf die
Entstehung des Wahlprogramms zeigt sich auch JU-Chef
Mißfelder. "Ich fühle mich gut eingebunden." Auch wenn
diesmal eine kleine Gruppe von Spitzenpolitikern um
CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen,
CDU-Generalsekretär Volker Kauder, CSU-Generalsekretär
Markus Söder und den Leiter der Bayrischen Staatskanzlei,
Erwin Huber, die entscheidenden Schritte für das Wahlprogramm
auf den Weg gebracht hätten, seien viele inhaltliche
Entscheidungen schon zuvor in Kommissionen getroffen worden. Dort
seien immer ein oder zwei Vertreter der Jungen Union eingebunden.
"Natürlich vertreten wir einen härteren Reformkurs als
die Mutterpartei, die zu Konsens verpflichtet ist", sagt der
26-Jährige. So habe sich die JU beispielsweise mit der
Forderung, die Bundesagentur für Arbeit abzuschaffen, nicht
durchsetzen können.
Mark Seibert findet das Linkspartei-Programm insgesamt
jugendfreundlich und feiert es als Erfolg, dass die
Jugendorganisationen ein gebührenfreies Studium
durchgekämpft haben, obwohl der Berliner Wissenschaftssenator
Thomas Flierl (Linkspartei.PDS) Gebühren befürwortete.
Wichtige Themen seien für die Jugendlichen wegen zunehmender
Existenzängste und Brüche in ihren Biografien auch die
geforderte soziale Grundsicherung und die Grundrente. Die
Bürgerrechte würden allerdings nur kurz gestreift, und er
hätte sich ein klares Nein zur Videoüberwachung
gewünscht.
Juso-Chef Böhning sieht zwar durchaus Programmpunkte, bei
denen sich die Jusos durchgesetzt haben: Die Ablehnung von
Studiengebühren, der Ausbau des Bafögs, ein gesetzlicher
Mindestlohn, kein Auslaufen der Mittel für Antifa-Projekte und
die Reichensteuer, deren Einnahmen in Bildung und Forschung gehen
sollen. Auch seien die Jusos in verschieden Arbeitsgruppen der SPD
vertreten. Aber: "Mehr Einfluss wünscht man sich immer", sagt
der 27-Jährige. So hätte er sich beispielsweise eine
höhere Besteuerung von Erbschaften gewünscht. Beim Thema
Wehrpflicht seien FDP und Grüne, die eine Abschaffung
forderten, weiter als die SPD, sagt der Juso-Chef. Auch von den
verschärften Sanktionsmaßnahmen gegen arbeitslose
Jugendliche unter 25 hält er nichts. "So lange es nicht genug
Arbeitsplätze gibt, kann man junge Menschen nicht zu
irgendetwas zwingen", glaubt Böhning.
Der Juso-Vorsitzende ist sich mit Jungpolitikern von JU und
JuLis einig, dass ein Generationswechsel in Partei und Fraktion
dringend notwendig ist, um mehr Gewicht bei der Ausgestaltung der
Parteiprogramme zu bekommen. "In beiden Volksparteien sind nicht
genug junge Leute in wichtigen Positionen", sagt Mißfelder. Da
könnte man mehr tun, was Generationengerechtigkeit angeht",
rügt auch der Vorsitzende der JuLis. Letztlich gilt aber auch
im Hinblick auf Jugendpolitik für ihn die universelle
politische Losung: "Das Programm ist das eine, das andere, wie es
dann in die Realität umgesetzt wird."
Ulrike Schuler arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
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