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Claudia Heine
Rollenspiele unter der Kuppel
Die Initiativen des Deutschen
Bundestages
Jugendliche Abgeordnete im Bundestag sind immer
noch eine Ausnahme. Wie sehr, merkt man daran, mit welcher
Aufmerksamkeit die Öffentlichkeit die Grünen-Politikerin
Anna Lührmann bedachte, als sie 2002 mit nur 19 Jahren zum
ersten Mal ins Parlament einzog. Sie war damals die jüngste
Abgeordnete und wird es auch in der neuen, 16. Wahlperiode bleiben.
Politiker-Sein ist für viele junge Menschen nicht sonderlich
anziehend. Um dem entgegen zu wirken, lädt der Bundestag
Jugendliche ein, selbst einen Blick hinter die Kulissen der Politik
zu werfen.
Ungewohnte Worte richtete der damalige
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse an die vollzählig
versammelten Abgeordneten im Plenarsaal: "Seien sie noch ein wenig
sie selbst! Suchen Sie lieber ihren eigenen Diskussionsstil und
Ihre eigenen Wege, die notwendigen demokratischen Mehrheiten zu
organisieren." Vor ihm saßen an diesem 25. Oktober vergangenen
Jahres nicht die Abgeordneten von SPD, Union, FDP oder den
Grünen. Vor ihm saßen Vertreter der APD (Arbeiterpartei
Deutschlands), der KVP (Konservative Volkspartei), der ÖSP
(Ökologisch-Soziale Partei) und der LRP (Liberale
Reformpartei). Durchschnittsalter: 18 Jahre.
Vor einem Jahr fand die Veranstaltung "Jugend
im Parlament" zum ersten Mal in dieser Form statt: das heißt
in der Art eines so genannten "Planspiels", das zum Ziel hat, junge
Menschen im Alter von 16 bis 20 Jahren "spielerisch" Demokratie
erleben zu lassen. Während in den Jahren zuvor - seit 1984
gibt es diese Reihe jährlich - die Jugendlichen in
Arbeitsgruppen eingeteilt wurden, die dann ihre Ausarbeitungen am
Ende einem gemeinsamen Plenum vorstellten, geht es in der neuen
Konzeption um mehr: Alle 300 Teilnehmer schlüpfen dabei in
eine "Rolle" als Abgeordnete(r), die sich aber nicht nur über
die Parteizugehörigkeit definiert. Es sind mit bestimmten
Charaktereigenschaften und politischen Prioritäten
ausgestattete Profile. Und so meldet sich während der
anschließenden Debatte über einen Gesetzentwurf von ADP,
KVP und ÖSP zum verbesserten Schutz Jugendlicher vor Alcopos
ein junger Abgeordneter von der ADP mit den Worten: "Ich,
Hans-Peter Petersen, habe vier Kinder und weiß, wovon ich
spreche. Jugend und Verbraucherschutz ist mir eine
Herzensangelenheit."
"Durch diese Rollenspiele erhalten die
Jugendlichen einen direkten Einblick. Sie erleben spielerisch, wie
ein Gesetzgebungsprozess abläuft, wie der Arbeitsalltag von
Abgeordneten aussieht." Jochen Boekhoff ist im Referat
Besucherdienst des Bundestages für die staatspolitischen
Bildungs- und Jugendveranstaltungen verantwortlich. Er fügt
hinzu, dass mit dieser Methode auch einem in der
Öffentlichkeit weit verbreiteten Bild entgegen gewirkt werden
soll: der Meinung, dass, wenn Abgeordnete nicht im Plenum zu sehen
sind, sie nichts zu tun hätten. "In unserem Planspiel wird
deutlich, wie komplex das politische Geschehen wirklich und wie
,unwichtig' bei der Beurteilung die Situation im Plenarsaal ist."
Denn letztlich fänden die langwierigen Detailarbeiten nicht
dort, sondern in den Ausschüssen statt. Also konstituieren
sich auch bei "Jugend im Parlament" Ausschüsse für
Verkehr, Wirtschaft, Frauen und Familie und so weiter. Es geht um
ein möglichst genaues Nachspiel des realen Parlamentsalltags.
Jede Fraktion erarbeitet eigene Gesetzentwürfe zu vorher
festgelegten Themen: neben dem Verbot von Alcopops auch zur
"Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern in
der Privatwirtschaft" oder zur "Neugestaltung der
Bundeswehr".
Ein Interesse für politische Bildung
oder gar für ein politisches Engagement entsteht vor allem
dann, wenn Jugendliche projektbezogen an konkreten Themen arbeiten
können, die ihnen Aktion bieten - und Spaß. Um ein
solches Projekt handelt es sich hier. Mit der Resonanz ist Boekhoff
zufrieden. Am Ende der dreitätigen Veranstaltung fand eine
Auswertung statt - mit einer "absolut positiven Rück-meldung".
Eine Neuauflage 2005 sei zwar "mit der Wahl untergegangen", so
Boekhoff. Jedoch stelle die vorgezogene Neuwahl des Bundestages die
Veranstaltung keineswegs in Frage, sie finde nun im Mai 2006
statt.
Bildung durch direktes Erleben - auch die
internationalen Parlamentspraktika (IPP), die der Bundestag
anbietet, gehören dazu. Seit 1986 haben politisch engagierte
Menschen jedes Jahr Gelegenheit, durch ein fünfmonatiges
Praktikum bei einem Bundestagsabgeordneten das parlamentarische
System der Bundesrepublik kennen zu lernen. Über 1.000
Stipendiaten nutzten das Programm bisher.
Für die jüngere Altersgruppen gibt
es vier Mal im Jahr so genannte "Kindertage", an denen für 6-
bis 14-Jährige kindgerechte Führungen durch die
Gebäude des Bundestages angeboten werden.
Seit Juni 2004 bietet der Bundestag im
Internet - ganz altersgerecht - ein eigenes Jugendforum an:
mitmischen.de. Im Auftrag des Bundestages kreierte eine Berliner
Mulitmedia-Agentur ein Webangebot mit der Botschaft: "Es geht um
dich! Misch dich ein, sag deine Meinung, werde aktiv!"
Mitmischen.de bietet zum einen
Hintergrundinformationen: über die Organisation und die
Arbeitsweise des Parlaments, über neueste Entwicklungen in
Sachen Neuwahl und Koalitionsverhandlungen, aber auch über das
"Parlamentsdeutsch", wie eine Rubrik der in schrillen Farben
gestalteten Website sich nennt. Hier kann man erfahren, was eine
Aktuelle Stunde oder eine absolute Zweidrittelmehrheit
ist.
Doch ohne Kommunikation geht es auch hier
nicht. Im Gegenteil: "Die Grundidee war, eine Verbindung, einen
Austausch zwischen Abgeordneten und Jugendlichen herzustellen",
sagt Joachim Senger, einer der drei Redakteure. Also chattet die
"Community" miteinander; nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern
auch die Abgeordneten sind ein Teil davon. Jeden Monat bietet die
Redaktion ein neues großes Thema an, stellt zunächst
Beiträge darüber ins Netz, in denen sich die Jugendlichen
informieren können, um dann miteinander zu reden. "Es geht
darum, Jugendliche an politische Themen heranzuführen", sagt
Senger. Mitmischen.de gibt aber nicht nur Themen vor, sondern
fordert die Jugendlichen auch auf, sich eigene zu wünschen.
Die Bandbreite ist groß, Wehrpflicht sei zum Beispiel immer
wichtig für sie. "Am Anfang waren wir von dem anspruchsvollen
Niveau sogar überrascht. Es ist eine Community, die sehr
politikinteressiert ist."
Über 4.000 Jugendliche - vor allem 15-
bis 20-Jährige - hätten sich inzwischen als registrierte,
also regelmäßige Nutzer bei mitmischen.de angemeldet. An
einigen Diskussionsforen beteiligten sich weit über 10.000
Jugendliche. Am beliebtesten seien die einstündigen Live-Chats
mit Abgeordneten, so Senger. Die können, wenn sie
möchten, hier Mitglied einer neuen Fraktion werden: der
"Fraktion Mitmischen". Nun, nach den Neuwahlen, müsse sie sich
allerdings auch erst wieder neu zusammenfinden. Denn immerhin
gehöre dem Bundestag ja nun eine Fraktion mehr an.
Regelmäßig trete man an die Abgeordneten heran, die in
ihrer Fraktion Experten für das von mitmischen.de
gewählte Thema sind, und versucht, sie für einen solchen
Live-Chat zu engagieren. "Das Interesse ist vorhanden, aber noch
nicht so, wie wir uns das wünschen", erläutert der
35-Jährige. "Die Möglichkeit muss einfach noch bekannter
gemacht werden."
An jugendlicher Kreativität mangelt es
jedenfalls nicht in den Diskussionsforen. Erst kürzlich wurden
unter dem Stichwort "Was muss sich ändern?" sechs Monate lang
"Ideen für ein besserers Deutschland" gesammelt. Zum Thema
Schulsystem bemerkt ein User namens "mave": "Also, ich fände
es besser, wenn Lehrer aus dem Beamtentum herausgenommen und somit
unkündbar werden. Denn durch ihre Unkündbarkeit sind
viele Lehrer gar nicht mehr richtig motiviert."
Eine andere Meinung weicht völlig vom
Mainstream ab. "Anna86" fordert "mehr Geld für Politiker!"
Ihre Begründung: "Die Diäten sollten deutlich angehoben
werden, um die Politiker unabhängiger von Lobbyisten zu machen
und um Politikerkarrieren für begabte Menschen attraktiver zu
machen." Das wird sich die neue Bundesregierung wohl kaum leisten
können.
Claudia Heine ist Redakteurin bei "Das Parlament.
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