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Jeannette Goddar
Politik und Popkultur
Bundeszentrale für politische Bildung:
Nicht nur dröge Inhalte vermitteln
Es war einer dieser Tage, wie es sie im Juni gar nicht geben
sollte: feucht, diesig, mittags noch halb dunkel. Nicht gerade
ideales Festival-Wetter. Skeptisch hatte man sich aus der quirligen
Mitte Berlins auf den Weg in den Südosten der Stadt gemacht,
zum "Freizeit- und Erholungszentrum Wuhlheide" (FEZ) - dem
größten gemeinnützigen Jugendzentrum Europas. An
diesem Samstag stand "berlin 05" auf dem Plan, organisiert von der
Initiative "Projekt P", die wiederum vom Bundesjugendministerium,
der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und dem
Bundesjugendring ins Leben gerufen wurde. Seit Wochen hatte das
"Projekt P" für das "Festival für junge Politik"
geworben; für 44 Euro sollte es drei Tage Berlin inklusive
Bahnreise und Zeltplatz geben. Ein Festival im Auftrag der
Bundesregierung?
Man war aber binnen weniger Minuten trotz ungemütlicher
Temperaturen angenehm überrascht. Mehrere tausend Jugendliche
turnen schon zu recht früher Stunde über den Platz; in
Schulklassenstärke; in Gruppen und Grüppchen; zu zweit
oder alleine. Sie hock-en in Zelten und debattieren über freie
Schulen, rechte Jugendkulturen oder Zensur im Internet. Sie
lauschen Podiumsdiskussionen über Armut, Krieg und
Umweltzerstörung, Urheberrechte und Musik-Downloads, spielen
Planspiele über das Europa von morgen oder die globalisierte
Welt. Sie streiten mit Entwick-lungshilfeministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul (SPD) über Afrika, mit Gregor Gysi
(Linkspartei.PDS) darüber, was heute links ist. Über 300
Veranstaltungen stehen im Programm: zu Bildung und Ausbildung,
Arbeit, Antirassismus und Rechtsextremismus, Migration und
Integration, Europa und Globalisierung, Medien und Demokratie.
Als es dunkel wird, versammeln sich Tausende, um denen zu
lauschen, die wahrscheinlich die größte Sogwirkung in
Richtung Wuhlheide entfacht haben: den Popbands und -sängern
Die Fantastischen Vier, Max Herre, Tocotronic, Kante oder Klee.
Feiern ist an diesem Wochenende nicht nur Nebenschauplatz, sondern
ausdrücklich erlaubt. Das Motto von "berlin 05": "Aktiv
werden, vernetzen & feiern". Am Ende haben 11.000 Jugendliche
ein Wochenende erlebt, bei dem sie nichts unterschreiben mussten
und von dem vermutlich jeder etwas mitgenommen hat.
Wenn das "Projekt P" nicht feiert, versucht es Jugendliche zu
animieren, sich politisch zu beteiligen: in der Schule, in der
Kommune, in ihrem Verein. Es bietet eine Plattform, stellt
Informationen zur Verfügung. P steht für Politik, aber
auch für Partizipation. Und es steht stellvertretend für
einen neuen Zugang zu Jugendlichen, den die Bundeszentrale für
politische Bildung sucht und auch gefunden hat.
Als der ehemalige Berliner Jugendsenator Thomas Krüger
(SPD) vor fünf Jahren die Leitung der Bildungsbehörde
übernahm, machte er sich daran, ihr eine Verjüngungskur
zu verpassen. "Viel zu lange hat die Bundeszentrale sich nur um
Leute bemüht, die sozusagen schon katholisch waren:
nämlich die, die sich ohnehin schon für Politik
interessiert haben", konstatiert Krüger. Er stellte zehn
Thesen zur politischen Bildung auf, die die Arbeit der
Behörde, die lange vor allem als Lehrerfortbildungsinstitut
wahrgenommen worden war, verändern sollte.
Die umfassendste, wenn auch eigentlich nahe liegende Neuerung,
formulierte Krüger so: "Für junge Erwachsene gibt es eine
vorrangige Multiplikatorengruppe - sie selbst." Denn, so
Krüger weiter, wenn politische Bildung ihrem Auftrag,
Demokratie in der ganzen Gesellschaft zu stärken, gerecht
werden wolle, sei "Selbstüberschreitung" gefragt - indem man
"an die Alltagserfahrungen und Lebenswelten der Menschen
anknüpft" und politisches Lernen unter anderem mit Pop- und
Jugendkultur verknüpft.
Ob sich Jugendliche für Politik interessieren, kommt auf
die Messlatte an, die man an den Begriff "Politik" anlegt. In den
Parteien schwindet deren Engagement zwar seit Jahren. Fragt man sie
aber, ob sie sich für den Bau von Fahrradwegen,
Ganztagsschulen, das Asylbewerberheim in der Nähe oder
für ihre gleichaltrigen Mitschüler in Afrika
interessieren, lautet die Antwort häufig: Ja. "Die Mär
von der unpolitischen Jugend habe ich noch nie geglaubt", sagt
Krüger dazu, "Jugendliche interessieren sich genauso für
ihre Umwelt wie Erwachsene. Man muss sie nur so ansprechen, dass
sie sich auch gemeint fühlen."
Internet-Generation
Ein wesentlicher Teil dieser Ansprache findet seither im
Internet statt. Dort steht nicht nur der Online-Auftritt des
ebenfalls neu gegründeten Jugendmagazins "Fluter", sondern
eine ganze Reihe von Projekten von und für Jugendliche, die
von der bpb unterstützt werden. Und natürlich alle
möglichen "ernsten" Themen politischer Bildung, die es schon
immer gab - nur dass sie heute anschaulicher aufbereitet
werden.
Das Resultat: Sechs Millionen Mal wird die Seite pro Monat
angeklickt. Zählt man den Wahl-O-Mat dazu, verdoppelt sich
diese Zahl noch einmal nahezu. Der Wahl-O-Mat ist eine
Online-Entscheidungshilfe für unsichere - oder spielfreudige -
Wähler. Er wurde 2002 von der bpb entwickelt. Wer ihn anwirft,
stimmt im Netz über 30 Thesen wie "Erhöhung der
Mehrwertsteuer" oder "Das Dosenpfand soll abgeschafft werden" ab
und erfährt am Ende, wessen Wahlprogramm am ehesten seinen
Positionen entspricht. Der Bedarf an derartiger Hilfe erwies sich
im politisch verwirrenden Jahr 2005 als immens. Geschadet hat es
nicht, dass das Instrument auch von den Fernsehmoderatoren Stefan
Raab und Harald Schmidt für trendy genug gehalten wurde, um es
in ihrer Sendung einzusetzen. Und: "Neben Internet ist Fernsehen
das wichtigste Medium der Jugend", sagt Krüger. Erstmals in
der Geschichte der sonst eher printlastigen Zentrale werden
deswegen Medienpartnerschaften mit den Jugendsendern Viva, MTV und
Giga TV gepflegt.
Doch wo bleibt da die politische Bildung? "Wenn man nicht
niedrigschwellig ansetzt, lässt man viele junge Menschen von
vornherein außen vor. Da versuche ich es lieber mit einfachen
Angeboten und hoffe, dass der eine oder andere auch den
nächsten Schritt in Richtung Politik macht." Wer in einem
peppig aufgemachten Schulkalender nebenbei auf politische Fragen
stößt oder bei Streetball- und Theaterfestivals auf
Gleichgesinnte trifft, dringt vielleicht tiefer in die bisweilen
komplizierte politische Materie ein - mit oder ohne Bundeszentrale.
Und wer will, kann anschließend wieder die Hilfe der bpb
suchen. Sie unterstützt inzwischen verstärkt auch die
Selbstorganisation Jugendlicher. Wofür oder wogegen
Jugendliche sich dabei engagieren, ist eher zweitrangig. "Ich will
niemanden vereinnahmen", sagt Krüger, "sondern Lernprozesse in
Gang setzen".
Ausgenommen sind alle, die sich offen oder versteckt
rechtsextremen Zielen verschreiben. Stattdessen versucht die
Bundeszentrale etwas dagegen zu unternehmen, dass rechte
Jugendkulturen unwidersprochen ihre Ideologien verbreiten
können. So setzt die bpb unter anderem auf ein
"Argumentationstraining für Sporttrainer". Mit dessen Hilfe
lernen Menschen, die als Fußball- oder Handballtrainer mit
Jugendlichen zu tun haben, sich gegen Rassismus und Hass gegen alle
anders Aussehenden und Denkenden zu Wehr zu setzen.
Außerdem finanziert die bpb ein bundesweit einzigartiges
Projekt in brandenburgischen Haftanstalten. "Viele Gefängnisse
sind inzwischen Hochburgen der Rekrutierung für Neonazis" sagt
Thomas Krüger. "Wir arbeiten dort mit dem Umfeld der
Rechtsextremen - also mit denen, die sich vielleicht
überzeugen lassen." Mit organisierten Funktionären
rechtsextremer Organisationen wird hingegen nicht diskutiert. Da
gilt, was wohl in mancher Hinsicht in der politischen Bildung gilt:
"Man muss auch hinnehmen, dass es Leute gibt, die bildungsresistent
sind."
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