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Tilmann P. Gangloff
Lauter unverkopfte Köpfe
Schüler, Lehrer und Zeitungsverlage
arbeiten schon lange erfolgreich zusammen
Manchmal wundert man sich, warum es so lange
gedauert hat, bis endlich jemand auf eine doch so naheliegende Idee
gekommen ist. Was beispielsweise heute unter dem griffigen
Kürzel "ZiSch" längst liebgewonnen und etabliert ist,
gibt es erst seit gut 25 Jahren: die kontinuierliche Versorgung von
Schulklassen mit Tageszeitungen, verbunden mit der Aufforderung,
diese nicht nur intensiv zu studieren und in den Unterricht zu
integrieren, sondern am besten auch selbst Beiträge zu
verfassen. Eine "Win-Win"-Situation nennt man derlei gern, denn vom
Projekt "Zeitung in der Schule" profitieren alle.
Die Lehrer erfüllen die vielfach
erhobene Forderung nach Medienkunde, die Schülern erlangen
Lesekompetenz und tun etwas für ihre politische Bildung, und
die Verlage machen frühzeitig auch jene auf ihre Publikationen
aufmerksam, die daheim keine Zeitung kennen.
Dieser letzte Punkt ist der springende,
jedenfalls aus Sicht der Verleger. Viel zu lange haben sie
vergleichsweise tatenlos zugesehen, wie ihnen bei den Jugendlichen
die Leser verloren gingen. Längst ist der typische
Zeitungsleser tendenziell ein älterer Mann. Schuld ist die
elektronische Konkurrenz: Erst die Einführung des
kommerziellen Fernsehens und dann die massenhafte Verbreitung des
Internets führten dazu, dass die Printmedien gerade bei
Jüngeren im Verdrängungswettbewerb den Kürzeren
zogen. Seit etwa 20 Jahren werden junge Leute, wie die
Untersuchungen des Allensbacher Instituts für Demoskopie (IfD)
belegen, immer seltener regelmäßige Leser einer
Tageszeitung.
Das hat mehrere Gründe. In gleichem
Maß, wie das Fernsehen an Attraktivität gewann, nahm das
Interesse junger Menschen an den klassischen Zeitungsressorts
Politik und Wirtschaft ab. Kommunikationsforscher vermuten zudem,
dass sich das Mediennutzungsverhalten jüngerer Zielgruppen
durch die Gewöhnung an das flüchtige Fernsehen
verändert hat. 58 Prozent aller 16- bis 29-Jährigen haben
heute laut IfD zudem "den Eindruck, ,Alles, was für mich
wichtig ist, kann ich auch auf andere Weise erfahren'". Einzelne
Ergebnisse der PISA-Studie belegen, dass Schülern das
Verständnis komplexer Texte immer schwerer
fällt.
Diese Entwicklung war abzusehen, doch die
Verlage ignorierten die ersten Warnsignale aus Amerika: Dort wurde
schon in den 70er-Jahren bei jungen Leuten ein deutlicher
Rückgang der Zeitungslektüre festgestellt. Auch das
Vorbild für "ZiSch", das 1979 vom Aachener Institut zur
Objektivierung von Lern- und Prüfungsverfahren (IZOP) im
Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV)
entwickelt worden ist, stammt ursprünglich aus den USA. Im
Blickpunkt standen in den Anfangsjahren die Klassen acht bis zehn.
Sie bilden auch heute noch den Kern des Projekts, das im Grunde
genommen ganz einfach funktioniert: Jeder Schüler erhält
über einen gewissen Zeitraum hinweg kostenlos eine in der
Regel regionale Tageszeitung. In welcher Form die Lehrer die
Zeitungen in den Unterricht einbeziehen, ist ihre Sache.
Vordergründig haben die Verlage vor
allem zwei Ziele: Die Schüler sollen lernen, wie eine Zeitung
entsteht und nach Möglichkeit selbst zur Feder greifen.
Entscheidender aber ist der potenzielle Erkenntnisgewinn: Die
jungen Leser sollen lernen, dass die Zeitungslektüre nicht nur
bildet, sondern auch Spaß macht. Der Werbe-Slogan vom "klugen
Kopf" wurde einst zwar für die "Frankfurter Allgemeine
Zeitung" erfunden, doch auch die Leser einer qualitativ
hochwertigen Regionalzeitung dürfen ihn sich zu eigen machen.
Gänzlich außer Frage steht der Beitrag des Projekts zur
politischen Bildung. Das selektive Lesen, der Einblick in die
Produktionsprozesse, die eigene journalistische Arbeit: Das sind
nur drei Aspekte, die von den Projektleitern in den Verlagen
erwähnt werden.
Konkreten Nutzen im Sinne einer
Auflagensteigerung haben die Verlage kaum; sieht man einmal davon
ab, dass die verteilten Exemplare, sofern die Kosten von einem
Sponsor übernommen werden, die Verkaufszahl erhöhen.
Auszahlen sollen sich die Projekte langfristig. Der Gewinn, sagt
Rainer Mohrmann, stellvertretender Chefredakteur des
Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags, "tendiert gegen Null"; es
gehe darum, "die Printmedien bei den Jugendlichen zu
positionieren". Allerdings erwähnt er auch nicht ohne Stolz,
dass Schüler ihre Eltern immer wieder zu einem Abonnement
überredeten. 250 Klassen und 5.600 Schüler beteiligen
sich im Verbreitungsgebiet des Verlags, der unter anderem das
"Flensburger Tageblatt" und die Sylter Rundschau herausgibt
(Gesamtauflage: 190.000 Exemplare). Die Zeitungen haben einen
einheitlichen Mantel, aber unterschiedliche Regionalausgaben. In
jeder der 14 Zeitungen ist ein Redakteur zuständig für
"ZiSch". Er hält den Kontakt zu den Klassen, ist
Ansprechpartner für die Lehrer und "hebt" die Texte ins Blatt.
Mohrmann betont, dass alle Beiträge veröffentlicht
werden. Aus einigen Schülern sind sogar regelmäßige
freie Mitarbeiter geworden; einer hat sogar gute Aussichten auf ein
Volontariat.
Beim "Südkurier" funktioniert das
Projekt ganz ähnlich, nur heißt es hier anders: Die
Zeitung mit Hauptsitz in Konstanz ist irgendwann aus "ZiSch"
ausgestiegen, wie Projektleiterin Andrea Maria Tiedtke-Klugow
erläutert, um das Projekt zeitlich flexibler gestalten zu
können; in der Kooperation mit dem IZOP sei man an feste
Termine gebunden gewesen. Statt dessen hat der Verlag 1997 das
Konzept "Klasse!" übernommen und verfeinert, das bei der
Würzburger "Main-Post" entwickelt worden ist (beide Zeitungen
gehören zur Holtzbrinck-Gruppe); Mit "KlasseKids!" ist die
Kooperation vor zwei Jahren auch auf dritte und vierte
Grundschulklassen ausgedehnt worden. Tiedtke-Klugow reduziert den
Mehrwert für die politische Bildung nicht nur auf die
Beschäftigung mit der Zeitung; er spiegele sich auch in den
Themen wieder, die die Schüler bearbeiteten. 380 beteiligen
sich in der Regel an "Klasse!".
Die meisten Zeitungen haben für ihre
Projekte Sponsoren gesucht und gefunden. Denen wäre es
natürlich am liebsten, wenn die von ihnen repräsentierten
Bereiche hin und wieder auch inhaltlich berück-sichtigt
würden. Meist handelt es sich um regionale Einrichtungen.
Deren Interessen sind oft allerdings gar nicht pekuniärer Art.
Beim Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag arbeitet man zum
Beispiel neben örtlichen Sparkassen unter anderem auch mit der
Industrie- und Handelskammer zusammen. Tiedtke-Klugow legt Wert
darauf, dass die Sponsoren sowohl zum Projekt wie auch zur Zeitung
passen; das kann ebenso ein regionaler Energieversorger wie die
"Grüne Schule" der bekannten Blumeninsel Mainau sein. Die
Sponsoren belohnen die beste Texte mit Preisen, auch der
Südkurier verteilt im Rahmen des Wettbewerbs "Meister aller
Klassen" (MaKs) ein Preisgeld von insgesamt 3.500 Euro.
Die überregionalen Zeitungen haben sich
etwas schwerer getan, die Vorzüge von "ZiSch" zu erkennen.
Mittlerweile kooperiert das IZOP mit allen. Vorreiter war die
"Frankfurter Allgemeine Zeitung" mit ihrem Projekt "Jugend
schreibt", das bereits 1988 ins Leben gerufen wurde. Betreut wird
es von Ursula Kals. Biografisch hat sich für die Redakteurin
damit ein Kreis geschlossen, denn sie hat über "Jugend
schreibt" promoviert. Kals betont, dass die Seite ausdrücklich
kein "Getto-Dasein" friste: Sie müsse sich inhaltlich ins
Umfeld einfügen. Entsprechend hoch sind die qualitativen
Anforderungen an die Texte, die im Feuilleton-Buch der FAZ
erscheinen.
Tatsächlich brauchen sich die zwei bis
drei Mal pro Monat erscheinenden Texte nicht zu verstecken. Die
Redakteurin ist immer wieder beeindruckt, "wie unverkopft und
unbefangen ihre Autoren an Themen wie Missbrauch, Essstörung
oder Holocaust herangehen". Bei allen Zeitungen haben die
Schüler weitgehend freie Hand, was die Auswahl der Themen
angeht. Einzige Einschränkung bei der FAZ: Kals will "keine
Ich-Geschichten, keine eitle Pop-Literatur". Seit die
Agarwirtschafts-Lobby CMA (Centrale Marketing-Gesellschaft der
deutschen Agrarwirtschaft) Sponsor von "Jugend schreibt" ist, gibt
es auf allerdings jeder zweiten Seite den Schwerpunkt
Landwirtschaft, gesunde Ernährung und
Lebensmittelproduktion.
Liest man die Beiträge zu "Jugend
schreibt", aber auch die "ZiSch"- oder "Klasse!"-Texte in den
Regionalzeitungen, kommt einem der PISA-Schock wie Hysterie vor.
Die Redaktionen betonen, dass sie die Zulieferungen nicht anders
redigierten als die Artikel sonstiger Mitarbeiter; die Artikel
seien einfach gut. Eine Anmerkung hat Ursula Kals allerdings doch:
Es muss kräftig gekürzt werden. "Wenn sie selbst lesen
sollen", sagt die FAZ-Redakteurin, "lieben Schüler kurze
Texte; wenn sie schreiben, finden sie kein Ende."
Tilmann P. Gangloff arbeitet als Medienjournalist und Publizist in
Allensbach.
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