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Franziska Wächter
Schwierigkeiten mit der europäischen
Identität
Jugendliche haben Angst, dass ihre Stimme in
Europa noch weniger zählt als auf nationaler Ebene
Die Ablehnung der Europäischen Verfassung bei den
Referenden in Frankreich und den Niederlanden Mitte dieses Jahres
versetzte die europäische Gemeinschaft in einen kollektiven
Schockzustand. Fassungslos sah sie sich gezwungen, rasch einen so
genannten "Plan B" zu schmieden. Der Buchstabe B stand dabei
für die schwierige politische Suche nach einem Ausweg aus der
institutionellen Krise und Stagnation der Europäischen Union
(EU). "B" könnte - und sollte dies auch - deutlich
stärker als bisher geschehen, als der Wille zur Forcierung von
"Bürgergesellschaft" und "Beteiligung" innerhalb der
Mitgliedsstaaten gelesen werden. Beide Begriffe, Bürgerschaft
und Beteiligung, werden zunehmend mit "der Jugend" Europas in
Verbindung gebracht. Sie verkörpert das nachwachsende
Fundament des alten Kontinents, das, um eine europäische
Zukunft überhaupt zu ermöglichen, nicht nur stabil und
tragfähig sein muss, sondern vor allem auch willens, mit
unterschiedlichen Völkern Europas einen gemeinsamen Weg zu
gehen.
Die Ablehnung des europäischen Verfassungswerks ging
hauptsächlich von jüngeren Wählern aus, in den
Niederlanden stärker noch als in Frankreich. Auch wenn diese
Altersgruppe sicherlich nicht allein für das Scheitern der
Verfassung verantwortlich gemacht werden kann: "Neuer Schwung
für die Jugend Europas", wie er 2001 vom Weißbuch der EU
angestoßen werden sollte, sieht sicher anders aus.
Wie nun, fragte sich die Europäische Kommission, ist es
bestellt um die politische Partizipation junger Menschen in Europa?
Sie gab diese Frage an ein Konsortium von Forschern aus acht
europäischen Ländern weiter. In dem auf zwei Jahre
angelegten Projekt "Political Participation of Young People in
Europe", kurz EUYOUPART, erarbeiteten sie den Grundstein für
ein gemeinsames Messinstrument. Am Ende qualitativer und
quantitativer Forschungen in Deutschland, Österreich, Italien,
Frankreich, Großbritannien, Finnland, der Slowakei und Estland
wurde ein neu entwickelter Fragebogen vorgestellt.
Das neue Instrument ist darauf ausgelegt, vergleichende
Forschung zum Partizipationsverhalten junger Menschen zwischen 15
und 25 Jahren in Europa - mit seinen unterschiedlichen politischen
Kulturen, Partizipationsoptionen, aber auch unterschiedlichen
Forschungstraditionen - zu ermöglichen. In den landesweit
durchgeführten Erhebungen wurden 2004 insgesamt über
8.000 Jugendliche unter anderem zu ihrem Interesse an Politik und
ihrer Beteiligung an gesellschaftlichen und politischen Prozessen
befragt.
Die Gesamtdaten zeichnen zunächst das ernüchternde
Bild, dass der Großteil der befragten europäischen
Jugendlichen nicht an Politik interessiert ist. In der Abfrage zum
generellen Interesse an Politik, geben 63 Prozent ihrem
Desinteresse Ausdruck. Entsprechend steht ihnen lediglich etwas
mehr als ein Drittel (37 Prozent) gegenüber, das sich ziemlich
oder sehr für politische Belange interessiert. Dieses
Verhältnis ist in den untersuchten Ländern allerdings
höchst unterschiedlich: Mit 51 Prozent politikinteressierten
Jugendlichen nimmt Deutschland mit deutlichem Vorsprung einen
Spitzenplatz ein, während Großbritannien (30 Prozent),
Estland (29 Prozent) und die Slowakei (28 Prozent) sich auf den
hinteren Rängen wieder finden. Durchgehend erweist sich das
Alter der Befragten als ein das Interesse positiv beeinflussender
Faktor: So steigt das generelle Politikinteresse in Deutschland
unter den 24- und 25-Jährigen noch einmal auf 62 Prozent
an.
Auch das höhere Interesse an Politik bei Männern, das
bereits hinlänglich aus anderen Studien bekannt ist, wird
beinahe überall bestätigt. Darüber hinaus lässt
sich der enge Zusammenhang zwischen der Fähigkeit
beziehungsweise dem eigenen Zutrauen, Politik zu verstehen und dem
politischen Interesse zeigen. Je weniger verständlich Politik
für Jugendliche ist, desto weniger Heranwachsende
interessieren sich für sie - das gilt natürlich auch
umgekehrt: Je geringer das Interesse an politischen Ereignissen
ist, desto weniger wird man in die Materie eintauchen. Etwa jeder
zweite befragte Jugendliche gibt an, dass das politische Geschehen
so kompliziert ist, dass er es nicht verstehe. Weiteren 36 Prozent
geht es "gelegentlich" so. Italienische und britische Jugendliche
geben am häufigsten an, Politik sei zu kompliziert, zu wenig
verständlich, während sich deutsche und
österreichische Jugendliche weitaus eher zutrauen, politische
Belange erfassen zu können.
Differenziert man das Interesse weiter nach nationaler und
europäischer Politik, sind immerhin 46 Prozent der jungen
Europäer an der Politik ihres jeweiligen Heimatlandes sehr
oder ziemlich interessiert. Das Interesse an Europa-Politik
fällt auf 35 Prozent bei den 15 bis 25-Jährigen ab. Es
liegt mit einem Anteil von 48 Prozent bei den deutschen
Jugendlichen am höchsten, während lediglich 23 Prozent
der jungen Briten und 26 Prozent der befragten Slowaken sehr
großes oder ziemliches Interesse am politischen Leben Europas
haben. Auch dieses Interesse wird begünstigt durch zunehmendes
Alter, eigene Bildung sowie der Bildung der Eltern, ist im urbanen
Lebensumfeld höher als auf dem Land und korreliert stark mit
dem allgemeinen Interesse an politischen Belangen.
Gefragt nach der eigenen Identität fühlen sich 79
Prozent der Jugendlichen sehr stark ihrer "Heimatnation" verbunden.
Immerhin fühlen sich aber auch 47 Prozent als Europäer.
Am deutlichsten ist dieses Gefühl unter den finnischen
Jugendlichen und erneut auch unter den Deutschen ausgebildet.
Britische Jugendliche in der EUYOUPART-Stichprobe zeigen sich am
distanziertesten. Einflussfaktoren, die sich positiv auf die
Ausbildung einer europäischen Identität auswirken, sind
zum einen die individuelle Bildung und das Bildungsniveau des
Elternhauses, das generelle Interesse an Politik, und mehr noch:
das Interesse an europäischer Politik.
Durchaus überraschend ist, dass dem Europarat und der
Europäischen Kommission mehr Vertrauen entgegengebracht wird
als den nationalen Institutionen. Am wenigsten
vertrauenswürdig erscheinen den Jugendlichen Parteien und
Politiker auf der nationalen Ebene. Dem steht gegenüber, dass
Jugendliche den Gang zur Wahl in allen berücksichtigten
Ländern der Studie als das wirkungsvollste Mittel der
politischen Einflussnahme sehen - allen voran deutsche Jugendliche.
Dies zeigt sich auch an der Wahlbeteiligung, über die die
Jugendlichen selbst Auskunft gaben: Mehr als zwei Drittel derer,
die bei der letzten nationalen Wahl wahlberechtigt waren, gaben
ihre Stimme ab. Am aktivsten zeigen sich hier Italiener,
Österreicher und Deutsche, während nicht einmal 50
Prozent der britischen Jugendlichen von ihrem Wahlrecht Gebrauch
machten. Auf deutlich niedrigerem Niveau bewegen sich die Zahlen
hinsichtlich der letzten Wahlen zum Europäischen Parlament im
Sommer 2004. Gerade die Hälfte der befragten Jugendlichen
stimmte ab, und wieder liegen die italienischen Jugendlichen mit 85
Prozent der Wahlberechtigten weit vor allen anderen Ländern,
Großbritannien ist mit 25 Prozent abgegebener Voten weit
abgeschlagen.
Landesspezifische Unterschiede
Illegale oder gewalttätige Protestaktivitäten werden
von der überwiegenden Zahl der Befragten nicht als probate
Mittel und insgesamt am Ende der Möglichkeiten politischer
Einflussnahme gesehen. Ehrenamtliche Arbeit wird von den
Jugendlichen als effektiver bewertet als Mitarbeit in einer
politischen Partei. Dabei lassen sich einige landesspezifische
Unterschiede ausmachen: Deutsche und italienische Jugendliche sind
von der Wirksamkeit von Demonstrationen und ehrenamtlicher
Betätigung im Vergleich überzeugter. Parteiarbeit wird
sowohl in Deutschland als auch in Finnland eher als in den anderen
Ländern als Option der Einflussnahme favorisiert. Dessen
ungeachtet war gerade jeder Fünfte bereits einmal auf einer
Demons-tration, sind lediglich 17 Prozent Mitglied einer
Ju-gendorganisation beziehungsweise haben an Veranstaltungen
teilgenommen oder ehrenamtliche Arbeit für eine Organisation
geleistet.
Mit Blick auf die wahrgenommenen Probleme in der jeweiligen
Heimatgesellschaft mag dieses eher geringe Engagement erstaunen. 92
Prozent der Jugendlichen geben beispielsweise an, dass die
Umweltverschmutzung ein wichtiges Problem ist. Vor allen anderen
Problemen steht jedoch Länder übergreifend die
Arbeitslosigkeit. Zwei Drittel der Jugendlichen sehen hierin ein
sehr wichtiges Thema. Zählt man diejenigen hinzu, die das
Problem noch "ziemlich wichtig" finden, sorgen sich 96 Prozent der
befragten jungen Europäer um die Lage auf dem
Arbeitsmarkt.
Insgesamt fällt auf, dass die 15- bis 25-Jährigen
überwiegend pessimistisch auf aktuelle Problemlagen in ihrer
Heimat schauen: Für 61 Prozent von ihnen sind Verbrechen und
Gewalt ein sehr wichtiges Thema, mit 56 Prozent folgen Drogen,
Armut (52 Prozent), und Terrorismus (48 Prozent). Der Blick in die
Zukunft fällt unterschiedlich aus. Am optimistischsten sehen
die jungen Esten auf ihr weiteres Leben: Über 80 Prozent
erwarten viel bessere und bessere Bedingungen als ihre
Elterngeneration. Auch in Finnland, Großbritannien und der
Slowakei sind die Jugendlichen generell optimistisch eingestellt.
Schlusslichter sind die deutschen und österreichischen
Jugendlichen. Sie erwarten überwiegend eine schlechtere
Situation als ihre Eltern sie jetzt vorfinden.
All dies zeichnet das Bild einer (überwiegend)
bedrückten Jugend ohne viel "Schwung", die zudem in einem
Dilemma steckt: Sie schätzt die aktuelle gesellschaftliche
Lage mit ihren vielfältigen Problemen pessimistisch ein,
gleichzeitig ist das Vertrauen in die nationalen Institutionen
geschwächt. Dennoch sehen Jugendliche wenig andere
Möglichkeiten als die der Wahl, um Einfluss auf die Politik zu
nehmen. Damit geben sie Politikern ihre Stimme, denen sie nur wenig
Vertrauen entgegenbringen.
Europäische Institutionen werden indes eher geachtet -
allerdings ohne, dass sich dies in der Wahlbeteiligung
niederschlagen würde. Die Analysen der Interviews mit etwa 250
Jugendlichen zeigen unter anderem, dass der EU vorrangig
ökonomische und weit weniger soziale und politische Kompetenz
zugeschrieben wird. Und: Viele Jugendliche haben Bedenken, dass die
eigene Stimme in der EU noch weniger zählt als auf nationaler
Ebene. Europäische Identität, das Gefühl,
Europäerin oder Europäer zu sein, setzt sich nur langsam
durch. Einen guten Nährboden dafür bieten Bildung und
politisches Interesse. Wenn die Jugend "Schwung in Richtung Europa
aufnehmen" soll, braucht sie Vertrauen in die eigenen
Möglichkeiten, in Politik und Gesellschaft etwas mitgestalten
zu können. Politische Bildung ist dafür unabdingbar.
Dr. Franziska Wächter forscht beim Deutschen Jugendinstitut
(DJI) München in der Abteilung Jugend und Jugendhilfe.
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