Ein Platz für die Visionen der
Jugendlichen
Interview mit Catherine Zanev, der Vorsitzenden
des Europäischen Jugendparlamentes (EJP)
Das Europäische Jugendparlament e. V. ist
eine von 28 nationalen Organisationen des European Youth Parliament
(EYP). Als gemeinnütziger, überparteilicher und
unabhängiger Verein organisiert er politische Debatten
für Jugendliche zu politischen Themen. Wichtigste
Veranstaltung ist die jährlich stattfindende Nationale
Auswahlsitzung, auf der die Schülerdelegationen ermittelt
werden, die Deutschland auf den internationalen Sitzungen des EYP
vertreten. Catherine Zanev (25) ist Studentin der Politologie und
Vorsitzende des Europäischen Jugendparlamentes in Deutschland
(EJP).
Das Parlament: Europäisches
Jugendparlament, das klingt ein bisschen nach einer Kopie des
Europäischen Parlaments.
Catherine Zanev: Eine Kopie ist es
nicht. Wir orientieren uns in unserer Arbeitsweise zwar am
Europäischen Parlament: Die Jugendlichen arbeiten in
Ausschüssen und verfassen Resolutionen, die dann in einer
Debatte nach den Regeln des Europäischen Parlaments diskutiert
werden. Aber bei uns geht es nicht darum, Länder oder Parteien
zu vertreten, sondern die eigene Meinung.
Das Parlament: Und was ist das
Jugendspezifische daran?
Catherine Zanev: Unsere Teilnehmer.
Die Themen selbst sind nicht jugendspezifisch. Es geht darum, von
der Agrarpolitik bis zur Erweiterung alle aktuellen Themen zu
diskutieren. Aber die Perspektive darauf ist eben die von
Jugendlichen.
Das Parlament: Was unterscheidet diese
Perspektive von jener erwachsener Politiker?
Catherine Zanev: Der wesentliche
Un-terschied ist, dass es bei uns meist visionärer zugeht.
Ideen werden nicht so sehr durch feste Budgets und nationale
Interessen eingegrenzt. Das gelingt nicht immer, denn die
Jugendlichen sind zum Teil erstaunlich gut in der Materie, und das
verleitet sie manchmal dazu, in den Grenzen der realen Politik zu
denken. Aber die Idee ist, Visionen zu entwickeln.
Das Parlament: Und welche Visionen
haben die Jugendlichen von Europa?
Catherine Zanev: Die sind recht
unterschiedlich, je nach Zusammensetzung der Teilnehmer. Manchmal
überzeugen die, die gegen mehr Integration oder eine
Erweiterung der EU sind, manchmal die Fürsprecher. Aber
tendenziell wünscht man sich ein großes und offenes
Europa, das in Frieden und Freundschaft zusammen
arbeitet.
Das Parlament: Die Türkei
inklusive?
Catherine Zanev: Ein Beitritt der
Türkei wird von vielen weniger skeptisch gesehen als von den
Politikern. Da ist mehr Toleranz und Bereitschaft, etwas Neues zu
wagen. Europa wird kulturell nicht so eng definiert, sondern eher
über gemeinsame Werte wie ein gemeinsames Eintreten für
Frieden und Freiheit, was die Türkei nicht zwangsläufig
ausschließt.
Das Parlament: Eine europäische
Jugendpolitik gibt es im Grunde nicht. Wie wird das vom EJP
gesehen?
Catherine Zanev: Dass es keine
umfassende europäische Jugendpolitik gibt, ist schade. Viele
Jugendliche sind in dieser Zeit des Umbruchs verunsichert, und da
wäre es gerade wichtig, dass die EU signalisiert: Wir wollen,
dass ihr mit diesem Europa, das wir für euch entwickeln,
zufrieden seid. Über das JUGEND-Programm sucht die Kommission
zum Beispiel jetzt verstärkt den Dialog mit den Jugendlichen.
Das ist eine positive Entwicklung.
Das Parlament: Wäre ein
Ministerium für Jugend und Familie eine
Lösung?
Catherine Zanev: Nein. Es geht
vielmehr darum, in allen Bereichen mehr eine Politik für
morgen zu betreiben. Das langfristige visionäre Denken von
Jugendlichen findet sich zu wenig in der Politik. Es gibt viele
Möglichkeiten, eine jugendliche Perspektive in die EU zu
bringen. Zum Beispiel gibt es bei uns eine Idee, die sich an ein
Projekt bei der UN anlehnt. Dabei nimmt die deutsche Delegation
Jugendliche nach New York mit, die dann gemeinsam mit den
Diplomaten die deutsche Position entwickeln. Dieses Modell
könnte man auch auf die EU übertragen.
Das Parlament: Jugendliche denken
visionärer - was heißt das konkret?
Catherine Zanev: Wir hatten einmal
eine Debatte, in der eine noch weiter gehende Erweiterung
besprochen und durchaus für möglich gehalten wurde. Bei
unseren internationalen Begegnungen wird schnell deutlich, dass
keine unüberwindbaren kulturellen Grenzen bestehen. Die
Bereitschaft, Europa als etwas ganz Neues zu definieren, als etwas,
das auch umgestaltet werden kann und nicht in festen Bahnen
verläuft, ist bei Jugendlichen größer.
Das Parlament: Ist das gemeinsame
Europa in den Köpfen von Jugendlichen besser
verankert?
Catherine Zanev: Ja, die Jugendlichen
von heute sind in dem Prozess des immer enger zusammenwachsenden
Europas aufgewachsen. Ein gemeinsames Europa ist daher
selbstverständlicher für sie, als für ältere
Menschen, die länger in einem Europa der Grenzen gelebt haben.
Das bedeutet aber nicht, dass die Begeisterung für Europa bei
allen Jugendlichen größer ist.
Das Parlament: Welche Jugendlichen
interessieren sich für das EJP?
Catherine Zanev: Unsere
Veranstaltungen richten sich bisher an Gymnasiasten, die auch ein
gewisses Interesse an Europa mitbringen. Das schließt
natürlich viele von der Teilnahme aus. Wir haben uns
vorgenommen, verstärkt auch gerade die anzusprechen, bei denen
eher Skepsis vorherrscht oder denen nicht bewusst ist, dass sie
Europa etwas angeht.
Das Parlament: Was soll die Teilnahme
am EJP ihnen bringen?
Catherine Zanev: Ziel ist es,
Jugendliche dafür zu sensibilisieren, dass in der EU
Entscheidungen getroffen werden, die sie betreffen, und dass es
deshalb wichtig ist, dass sie bei der Gestaltung Europas mitmachen
oder mitdenken. Und ihnen klar zu machen, dass die EU nicht nur das
abstrakte Gebilde ist, was es auf den ersten Blick zu sein scheint,
sondern die Teilnahme jedes Einzelnen erfordert.
Das Parlament: Wie erfahren die
Jugendlichen denn vom EJP?
Catherine Zanev: In erster Linie geben
wir unsere Informationen an Schulen weiter. Wir wollen in Zukunft
aber auch mehr in der Öffentlichkeit an Jugendliche
herantreten. In diesem Jahr waren wir zum Beispiel auf dem
"Festival für junge Politik Berlin 05" vertreten.
Das Parlament: Wie viele Jugendliche
machen denn mit?
Catherine Zanev: Mit unserem
nationalen Wettbewerb, bei dem wir die Teams für die
internationalen Sitzungen auswählen, erreichen wir rund 800
Schüler. Und an unseren "Europäischen Foren" nehmen
insgesamt noch einmal rund 500 Jugendliche pro Jahr
teil.
Das Parlement: Häufig ist der
Vorwurf zu hören, Jugendliche seien unpolitisch. Stimmt
das?
Catherine Zanev: Es fällt auch
uns schwer, Jugendliche für eine Auseinandersetzung mit
Politik zu gewinnen, und wir bemerken eine gewisse Skepsis. Wir
merken aber auch, dass das Interesse sehr groß ist, sobald man
vermittelt, dass Politik nicht trocken und langweilig sein muss.
Ich würde von einem schlummernden Interesse sprechen: Das
Interesse ist da, aber den meisten Jugendlichen ist gar nicht klar,
dass es möglich und erwünscht ist, dass sie sich mit
Politik auseinandersetzen.
Das Parlament: Gelingt das den
Parteien nicht? Alle leiden an Nachwuchsmangel und Jugendstudien
heben immer wieder hervor, dass die Bereitschaft, sich in
Institutionen zu engagieren niedrig ist.
Catherine Zanev: Das liegt sicher auch
daran, dass das Denken in den Parteien sehr festgefahren ist.
Jugendliche suchen dagegen nach Möglichkeiten, ihre eigenen
Ideen einzubringen, neue Konzepte zu entwickeln und zu diskutieren.
Insofern liegt das mangelnde Interesse, sich in Institutionen zu
engagieren, eher an den unflexiblen Institutionen
selbst.
Das Parlament: Geht es dabei nur um
festgefahrene Denkmuster oder auch um starre Strukturen?
Catherine Zanev: Bestimmt werden auch
starre Strukturen als Hindernis gesehen. Dass man sich in
bestehende Hierarchien einordnen und an festgeschriebene Verfahren
halten muss, schreckt sicher viele ab.
Das Parlament: Wie ist das im EJP, da
gibt es diese Strukturen doch auch?
Catherine Zanev: Ja, natürlich.
Jugendliche mit demokratischen Strukturen vertraut zu machen ist
uns auch sehr wichtig. Wir wollen zum einen zeigen, dass gewisse
Strukturen für die Zusammenarbeit nötig sind. Dabei soll
auch ein Verständnis dafür entwickelt werden, dass gerade
in der EU Entscheidungen deshalb nicht immer so leicht getroffen
werden können. Gleichzeitig zeigen wir aber auch, dass
Strukturen genauso wenig wie Denkmuster starr sein müssen:
Unsere Teilnehmer müssen sich selbst Strukturen für die
Ausschussarbeit geben, und mit unseren Mitgliedern diskutieren wir
gerade eine Umstrukturierung unserer Vereinsarbeit.
Das Parlament: Macht so eine EJP
Veranstaltung eigentlich Spaß?
Catherine Zanev: Natürlich. Es
macht Spaß, andere nach einer heißen Diskussion
überzeugt zu haben. Und natürlich geht es neben der
Diskussion um inhaltliche Themen bei unseren Veranstaltungen auch
um das Kennenlernen, gemeinsames Essen und ausgelassenes Feiern der
europäischen Vielfalt.
Das Parlament: Letzteres können
Parteien nicht bieten. Wie könnten sie die Jugendliche denn
besser einbinden?
Catherine Zanev: Vielleicht, indem sie
sich offener zeigen für neue Ideen. Ich denke, eine
Möglichkeit die politische Partizipation allgemein zu
steigern, wäre, spontane Initiativen noch mehr zu
unterstützen.
Das Interview führte Susanne
Balthasar
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