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Ric Graf
Wenn Politik das Träumen zuließe
Für Jugendliche hat Politik viel mit
Gefühl zu tun - Parteien sind ihnen zu rational
Uns Jugendlichen wird nicht gerade ein hohes
politisches Interesse zugeschrieben. Vielmehr feiern wir lieber,
nehmen Drogen, sprayen die Wände voll und machen uns keine
Gedanken, was unsere Zukunft anbelangt. Sagt man so. Daher fiel den
Parteien in diesem Bundestagswahlkampf auch nichts Besseres ein,
als mit Kondomen, Mode-Accessoires, Drogenlegalisierungskampagnen
und anderen billigen Fanartikeln auf Stimmenjagd zu gehen: Die
Parteien haben die junge Zielgruppe, uns Erstwähler, entdeckt.
Und scheinbar hält man uns für dumm.
Ein Sprecher einer Jugendorganisation der
Parteien beispielsweise erklärte, dass die Kondome seiner
Partei sehr viel besser seien als die der anderen und es doch
wichtig wäre, bei den Wählerinnen und Wählerin auch
bis ins Bett zu kommen - was kein Parteiprogramm oder Flyer
schaffen würde. Was ist daran noch politisch? Diese Kampagnen
können wir nicht mehr ernst nehmen.
Politik, zumindest die der Parteien, ist dem
Konsum verfallen: Die Programme sind voll vom pragmatischen
Kleinklein. Ideale, die eine junge Generation eigentlich sucht,
findet man darin nicht mehr. Der Pragmatismus der "neuen Mitte" hat
die inhaltlichen Differenzen zwischen den Parteien verwischt: Der
einzige Unterschied ist, dass die einen etwas rascher und harscher
wirtschaftspolitische Reformen umsetzen wollen, und die anderen das
"sozial verträglich" versuchen - was auch immer das
heißt. Dieser Pragmatismus lässt in jedem Fall keinen
Platz für Visionen.
Auch weicht der Inhalt der politischen
Auseinandersetzung immer stärker der Form: In diesem Wahlkampf
stritt man dann auch lieber über die Frage, ob die beiden
Kanzlerkandidaten ein oder zwei Wahlkampfduelle ausfechten sollten
oder ob Edmund Stoiber und Oskar Lafontaine sich in Printmedien
oder dem TV duellieren. Die einzige wirkliche inhaltliche Debatte,
die es bis in die Medien und damit in die Gedanken der Menschen
schaffte, war die von der Union geforderte Erhöhung der
Mehrwertsteuer: An diesem kleinen Punkt, deren Auswirkungen ich gar
nicht leugnen möchte, bissen sich Befürworter und Gegner
mehrere Wochen fest. Das wirkt abschreckend, denn auch wir
Erstwähler verstehen, dass diese Maßnahme nicht
annähernd die Probleme auf dem Arbeitsmarkt lösen
würde.
Das Problem bei den Wahlkampfprogrammen ist,
dass sie einem Bankprospekt immer ähnlicher werden: Bei uns
bekommen Sie, falls wir regieren werden, 250 Euro mehr! - so
ließen sich viele Inhalte zusammenfassen. Sicherlich sind die
ökonomischen Probleme eines Landes wichtig. Doch viel
entscheidender wäre für mich und viele junge Menschen
eine grundlegende Debatte, in welche Richtung dieses Land steuern
wird. Und natürlich hat gerade die junge Generation ein
großes Interesse an Themen wie der Globalisierung, der
Friedenspolitik, Gerechtigkeit und Ökologie. Wirkliche
Antworten auf diese Fragen, Visionen und mutige Konzepte - das
vermissen sehr viele junge Menschen. Aber vielleicht kann man die
auch gar nicht in einem Parteiensystem finden, das unter dem Zwang
des Wettstreits um die politische Macht steht.
Ein 23-jähriger Bekannter sagte vor
einigen Wochen zu mir, dass er einfach keiner Politikerin und
keinem Politiker mehr glauben könne: Zuviel wurde ihm schon
versprochen und zu wenig gehalten. Ich glaube, dass er in diesem
Punkt Recht hat: Das Gefühl, keiner wolle wirklich
Verantwortung für sein Handeln übernehmen, hat sich bei
mir gerade in den vergangenen Jahren manifestiert. Und ich kann
mich noch an den Wahlkampf von Helmut Kohl im Jahr 1990 erinnern.
Damals war ich zwar erst fünf, sechs Jahre alt, aber ich habe
immer noch die Bilder dieser großen - mit "Schwarz-Rot-Gold"
unterlegten - Plakate mit der Aufschrift "Blühende
Landschaften" im Kopf. Ich kann verstehen, dass sehr viele Menschen
enttäuscht sind.
Die Frage ist, inwieweit Politik zum Betrieb,
zur wahren Deutschland AG geworden ist, in der es immer mehr um
Posten, Macht und Egozentrik geht. Politiker schmücken sich
bisweilen mit Begriffen aus der Ökonomie. Sie wollen damit
wahnsinnig modern und zukunftsgewandt wirken. Im Endeffekt
verstecken sie sich einfach nur hinter oberflächlichen Titeln.
Gerhard Schröder sprach einmal in einer
Regierungserklärung davon, dass er sich als moderner
Chancenmanager sehe. Genauso tragisch wird es, wenn Politiker
Homestorys und Modefotos mit Zigarre machen lassen. Ich verstehe
das nicht.
Die Skepsis über den Berliner
"Politikbetrieb" ist bei den jungen Leuten sehr groß: Mehr als
zwei Drittel glauben laut vielen Umfragen nicht mehr, dass eine
andere Partei "es besser machen würde" - eine ziemliche
Bankrotterklärung. Ich bin mit dem selben Gefühl
wählen gegangen. Ich war noch von der Nacht verkatert und
schleppte mich ins Wahllokal. Wen ich wählen sollte, wusste
ich nicht. Mir war nur klar, wen ich nicht wählen wollte. Mit
dem, was ich schlussendlich ankreuzte, bin ich dann auch nicht
wirklich zufrieden.
Das schreckt vor einem Engagement ab. Ich
kenne nur wenige junge Bekannte, die sich in den
Jugendorganisationen der Parteien engagieren. Einer ist in der
Jungen Union Berlin. Er kam da über die Eltern und sein Umfeld
hin: "Für mich ist die Junge Union einfach ein Stück
Heimat und die hat mich geprägt", sagte er zu mir, als ich ihn
im vergangenen Jahr auf einer Party traf. Die eigene Sozialisation
spielt heute mehr denn je eine Rolle für das eigene politische
Engagement. Heute existiert eine Gesellschaft, die kaum noch
große Konflikte zwischen den Generationen und keine Tabus mehr
kennt. Die politische Diskussion zu Hause ist bei vielen, die ich
kenne, konfliktärmer geworden. Entweder sind die Eltern
radikaler in ihren Forderungen, oder eben so pragmatisch, dass sie
auch abweichende Meinungen akzeptieren. Die Debatten dort verlieren
an Bedeutung - deshalb ist es für viele schwierig, eigene
Positionen aus dem Konflikt mit dem Elternhaus heraus zu finden.
Entweder man schließt sich der Meinung der Älteren an
oder sucht seine Antworten auf politische Fragen - eher selten - in
Gruppen wie den Jugendorganisationen der Parteien oder -
häufiger - in der Subkultur.
Das gängige Vorurteil, junge Menschen
hätten kein Interesse mehr an Theorie und Programmen, stimmt
dort nicht: Wir Jugendlichen wollen Programme entwickeln, Theorien
diskutieren, aber sie nicht vorgesetzt bekommen. Auch das schreckt
uns an Parteien und ihren Jugendorganisationen ab. Die
subkulturelle Szene - ob nun antifaschistische, ökologische,
antirassistische oder soziale Gruppen - ist flexibler, offener und
sie lässt Raum. Sprich, es wird einem nichts vorgesetzt, kein
Programm, dass man unterzeichnen muss. Hier geht es auch weniger um
Karrieren in der Politik, um den einfachen persönlichen
Gewinn, was die meisten in die Parteien treibt.
Skepsis gegenüber den
Institutionen
Die Skepsis gegenüber Institutionen ist
groß: Eine Bekannte, die mich irgendwann diesen Sommer in
einem Café um Rat fragte, wo sie etwas politisch machen
könne, wollte in keine Partei, nicht zu Greenpeace oder
irgendeiner anderen bekannten Organisation. Sie wollte wirklich
etwas eigenes entwickeln. Nur wusste sie nicht wo, wie und mit wem.
Mir blieb ein Satz von ihr in Erinnerung: "Wenn Politik das
Träumen zuließe, wäre ich sofort in irgendeiner
Organisation!" Vielleicht ist dieser Satz naiv, aber er beschreibt
ganz gut das Grundgefühl, dass viele dazu bringt, sich als
"unpolitisch" zu beschreiben.
Der Satz meiner Freundin zeigt genau diese
Widersprüchlichkeit: Für viele von uns ist das
Politikverständnis emotional. Es geht um Wunsch nach
Veränderung - hin zu einer anderen Welt. Viele haben diesen
kryptischen Traum von einer besseren Welt, wie auch immer sie dann
aussehen mag. Demgegenüber steht der kühle, elitäre
Parteienapparat, das große Jobcenter Politik, in dem
Machtkämpfe, Druck, Eitelkeiten und eine große Egozentrik
im Vordergrund stehen. Da hat die Rationalität
obsiegt.
Ich wollte mal in eine Partei und habe diesen
Plan sehr schnell aufgeben - aus eben diesen Gründen. Ich
suche grundlegendere Debatten - weit ab von den täglichen
Diskussionen in den Parteien. Sie erreichen mich nicht mehr. Ich
gehe wählen, aber mit ungutem Gefühl. Ich wünsche
mir, dass auch meine Generation rebellischer wäre. Es
würde unserer Gesellschaft gut tun, wenn wir Antworten und
Gedanken entwickeln würden, die wirklich etwas Neues
wären. Ob wir sie umsetzen könnten, ist eine andere
Frage.
Ich bin in jedem Fall eher pessimistisch, was
die Zukunft angeht. Wir werden uns mehr und mehr unsere Nischen
suchen und uns vom Politikbetrieb auch weiterhin entfernen. Zu
ernüchternd ist das, was wir jeden Abend in den Nachrichten
sehen oder morgens in der Zeitung lesen. Viele, denen es nicht um
die politische Karriere geht, verabschieden sich irgendwann auch
aus den sozialpolitischen, außerparteilichen Gruppen. Etwa
nach dem Studium, wenn sie anfangen zu arbeiten. Dann lachen sie
über die eigenen Ideen und Visionen, die sie einmal vehement
vertreten haben und man ertappt sich wohl, dass man doch angekommen
ist oder einfach keine Energien mehr für die großen
"Pläne" hat. Das Schlimme ist nur, dass wir eigentlich
anfangen müssten, etwas zu verändern und zu begreifen,
dass wir eigentlich alle verantwortlich sind. Hoffentlich werden
wir ein schlechtes Gewissen haben.
Ric Graf, 20 Jahre jung, lebt in Berlin und
arbeitet als freier Autor.
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