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JOsef-Thomas Göller
In der Zwickmühle der internationalen
Diplomatie
UN-Untersuchung setzt Damaskus im In- und
Ausland unter Druck
Syrien hat keine Freunde. Zumindest nicht in der
arabischen Welt. Deshalb ist es derzeit möglich, den syrischen
Präsidenten Baschar al-Assad unter Druck zu setzen. Von
niemand anderen als den Vereinten Nationen. Er soll mit der UNO
zusammenarbeiten. Klingt bekannt: Einen ähnlichen Zug auf dem
Schachbrett der Nahostpolitik haben wir schon einmal erlebt. Im
Winter 2002/2003. Damals wurde der Irak in die Enge getrieben - es
ging um angebliche Massenvernichtungswaffen - und der Diktator
Saddam Hussein begriff zu spät, dass er ziemlich alleine
dastand.
Eigentlich hätte der Nachbar Syrien
daraus lernen können. Aber das Attentat auf den libanesischen
Ministerpräsidenten Rafik Hariri am 14. Februar dieses Jahres,
das nach jüngster UN-Untersuchung die Handschrift Syriens
trägt, deutet darauf hin, dass man in Damaskus die Zeichen der
Zeit nicht beziehungsweise zu spät erkannt hat. Inzwischen
sind nicht nur die USA gegen Syrien aufgebracht, sondern vor allem
der Libanon; zahlreiche arabische Staaten zeigen sich
besorgt.
Selbst im Land formiert sich die Opposition
gegen den verhassten Assad-Clan. Stürzt der Sohn des
langjährigen Diktators Hafis al-Assad bereits nach nur
fünf Jahren im Amt? Der Exil-Syrer Akram Shalghin, der als
freier Journalist in London und in Berlin lebt, vertritt die
Auffassung, Assad herrsche über Syrien im "stalinistischen
Stil", als gebe es noch eine Ost-West-Konfrontation und Russland
stünde zumindest diplomatisch auf Seiten der
Araber.
Aber die am 31. Oktober vom UN-Sicherheitsrat
verabschiedete Resolution 1636 spricht eine andere Sprache. Die 15
Mitglieder des Sicherheitsrates, darunter das arabische Algerien,
forderten Syrien einstimmig zur "vollständigen Zusammenarbeit"
mit der UN-Ermittlungskommission zum Hariri-Mord auf. Zwar werden
keine Sanktionen angedroht, doch die UNO behält sich laut
Resolution "weitere Maßnahmen" vor, sollte Damaskus die
UN-Ermittlungen "weiter behindern".
Für Damaskus kam dieser Druck wohl
völlig überraschend. Während Syriens UN-Vertreter
händeringend die Unschuld seines Landes beteuert, spricht der
deutsche Staatsanwalt und UN-Ermittler im Hariri-Mord, Detlef
Mehlis, in seinem ersten Bericht vom 21. Ok-tober, von
Erkenntnissen, die darauf hindeuten, dass Syrien den Mord entweder
beauftragt oder mit durchgeführt hat. Außerdem behindere
Syrien seine Ermittlungen, beklagt Mehlis. Deshalb fordert die
Resolution 1636 Damaskus dazu auf, alle sechs benannten
Verdächtigen festzunehmen und den UN-Ermittlern "vollen
Zugang" zu ihnen zu ermöglichen. Das Problem ist nur: Unter
den Verdächtigen, die verhaftet werden sollen, befinden sich
ein Bruder sowie ein Schwager von Assad. Der Mord an dem Libanesen
Hariri wird plötzlich zum Familienproblem des Assad-Clans. Als
Deadline für Syriens Zusammenarbeit gilt der 15. Dezember.
Dann soll UN-Ermittler Mehlis einen zweiten Bericht über seine
Untersuchungen vorlegen.
Die Frage bleibt: Was, wenn Mehlis nichts zum
Vorlegen hat? Inzwischen pokert Syrien auf Zeit. Statt
Zusammenarbeit mit Mehlis, schlägt es in New York bei der UNO
"alternative Wege" vor. Doch anders als im Fall Irak, pocht hier
ein arabisches Land, der Libanon, auf rückhaltlose
Auflklärung des politischen Mordes. Und natürlich die USA
aus sehr eigenen Gründen sowie Großbritannien und
Frankreich, die sich in diesem Falle anders als beim Irak
völlig einig sind. Auch diese neue Dimension hat Damaskus
offenbar völlig unterschätzt. Es ist nämlich dem
diplomatischen Geschick Frankreichs zu verdanken, dass Syrien nach
dem Attentat an Hariri endlich seine 29-jährige Besatzung des
Libanons aufgab und seine Truppen abzog. Welche konkreten
Interessen Frankreich im Syrien-Konflikt verfolgt, bleibt noch
unklar. Möglicherweise will die einstige Kolonialmacht die
sich abzeichnenden fundamentalen Umwälzungen im Nahen Osten
nicht alleine der anglo-amerikanischen Achse London-Washington
überlassen.
Der eigentliche Ärger der Amerikaner auf
das Regime in Damaskus wird von Washington nicht verborgen: Die
Amerikaner beklagen sich darüber, dass Aufständische aus
aller Herren Länder über Syrien in den Irak einsickerten.
Zudem unterstützt Syrien seit Jahrzehnten die
palästinensische Terrororganisation Hisbollah. Nun soll in
einem Aufwasch sozusagen mittels einer internationalen Mordanklage
der syrischen Diktatur entweder ein Ende bereitet oder zumindest
eine drastische Veränderung in Damaskus herbeigeführt
werden.
Dieser plötzliche internationale Druck
hat eine Gruppe von syrischen Oppositionellen ermutigt, am 16.
Oktober eine bemerkenswerte Stellungnahme abzugeben. In der so
genannten "Damaskus-Erklärung" wird zunächst
aufgezählt, welches Unrecht die Diktatur der Assad-Familie
seit 1963 über das Land gebracht hat. Außerdem habe sie
die Nation innerhalb der arabischen Welt in eine Isolation
getrieben. Deshalb ruft die Oppositionsgruppe aus syrischen Kurden,
Sunniten und den Moslembrüdern dazu auf, den Wandel in Syrien
selbst herbeizuführen. Ohne sie beim Wort zu nennen, wird
indes zwischen den Zeilen deutlich darauf verwiesen, dass eine
Einmischung der 130.000 im nachbarlichen Irak stationierten
US-Marines unerwünscht sei. Die Unterzeichner der
"Erklärung von Damaskus" verweisen vielmehr deutlich darauf,
dass sie dazu bereit seien, alles zu riskieren, um den Wandel von
der Diktatur zur Demokratie selbst herbeizuführen. Klar
bekennen sie sich in dem Papier zur "Annahme der Demokratie als
modernes Staatssystem mit ihren universalgültigen Werten".
Syrien müsse ein "Hort der Freiheit und Demokratie
werden".
Das sind in der arabischen Welt völlig
neue, ungehörte Worte. Deshalb verwundert es nicht, dass
nationalistisch-arabisch gesinnte Medien - und das ist die Mehrheit
in der Region - völlig andere Töne anschlagen. Allen
voran der Bin-Laden freundliche TV-Sender Al-Dschasira: Er
verbreitet, wie auch auf seinen englischsprachigen Internetseiten
nachzulesen ist, Meinungen und Berichte, die die Integrität
des UN-Ermittlers Detelf Mehlis in Frage stellen. Vor allem aber
wirft Al-Dschasira den USA vor, aus Frustration über die
anhaltenden Aufstände im Irak, Syrien bestrafen zu wollen. Der
syrischstämmige Büroleiter von Al-Dschasira in
Deutschland, Aktham Suleiman, sagt zum Beispiel: "Diese Art
Demokratie, wie sie die USA im Irak einführen, wollen wir
nicht." Andere führende arabische Medien, wie die in London
erscheinende Tageszeitung "Al-Quds al-Arabi", gehen auf die
Demokratisierung des Nahen Ostens überhaupt nicht ein.
Vielmehr wird in altbekannter Weise (die nie vorhandene) arabische
Einigkeit beschworen und der syrische Diktator in Schutz genommen:
"Baschar al-Assad und seine Genossen können den Forderungen
von Bush gar nicht gehorchen - täten sie es, würden sie
die politische Legitimität bei der großen Mehrheit der
syrischen Bevölkerung verlieren, denn diese Bevölkerung
ist in ihrer Mehrheit patriotisch und national gesinnt und
sunnitischen Glaubens.
Kurz gesagt: Assad weigert sich, einen
nationalen Selbstmord zu begehen, nur weil er damit Bush und seinen
Anhängern unter den "zionistischen" Arabern und Nichtarabern
einen Gefallen täte, schreibt Al-Quds al-Arabi.
Während in vielen arabischen Medien
verbreitet wird, "die große Mehrheit des syrischen Volkes"
stünde hinter Assad, wird die Stimme der Opposition
verschwiegen. Kein Wort auch über die politischen Gefangenen,
von denen noch nicht einmal Amnesty International weiß, wie
viele von ihnen in syrischen Kerkern schmachten. Außerdem
bringt Al-Quds al-Arabi das zum Ausdruck, was die breite
Öffentlichkeit in der ganzen arabischen Welt denkt: "Es sieht
so aus, als würde Washington mit Syrien so verfahren wie mit
dem Irak am Vorabend des Krieges. Über einen
Sicherheitsratsbeschluss wird das Land zur Kooperation mit dem
Untersuchungsausschuss aufgefordert und soll zugeben, dass
hochrangige syrische Offizielle bei der Planung und
Durchführung der Ermordung Hariris mitgewirkt haben.
Tatsächlich aber glauben die Stützen des syrischen
Systems ohnehin nicht, dass irgendein Entgegenkommen Amerika
zufrieden stellen könnte. Denn der Beschluss, das System auf
die eine oder andere Weise zu stürzen, ist in Washington
bereits gefallen."
Deshalb plädieren die arabischen
Zeitungsmacher von London aus für Konfrontation: "Wenn der
Sturz schon unvermeidlich ist, dann ist es besser, Amerika und
Israel patriotisch und würdevoll gegenüberzutreten, als
ihrem politischen und wirtschaftlichen Druck schuldbewusst und
gebückt zu weichen."
Kein Wunder, dass bei solcher Stimmungslage
Syriens Nachbarn - die sehr traditionell orientierten
Königtümer Saudi-Arabien und Jordanien sowie die Emirate
am Golf - zunehmend nervös reagieren. Während sie dem
sozialistisch-nationalistischen Regime in Damaskus nie freundliche
Regungen entgegengebracht haben, drängen nun hinter der
diplomatischen Bühne einige arabische Staaten aus Angst um
ihre eigene Macht Syrien dazu, mit den Vereinten Nationen
zusammenzuarbeiten.
Der Druck aus dieser Ecke dürfte
mindestens so bedeutend sein wie der Wink der USA mit den Marines.
Es ist interessant zu beobachten, dass sich - im Gegensatz zu den
Scharfmachern in den arabischen Medien - bisher kein arabischer
Führer öffentlich zur Verteidigung Syriens zu Wort
gemeldet hat. Im Gegenteil: "Wir sprechen bei der Resolution 1636
von der Entscheidung einer international legitimierten Einrichtung,
und deren Entscheidung hat von allen respektiert zu werden",
zitierte eine Nachrichtenagentur in Kuweit Anfang November den
kuweitischen Außenminister, Scheich Mohammed Al
Sabah.
Die kuweitische Stellungnahme gibt offenbar
die Haltung von Marokko bis Medina wieder. Aus Kairo ist indes zu
erfahren, dass die ägyptische Regierung versucht, sowohl Assad
zum Einlenken zu bringen als auch mäßigend auf Washington
einzuwirken. Der ägyptische Präsident Mubarak, selbst
nicht unbedingt sattelfest im Amt, da er ein wesentlicher
Verbündeter der Amerikaner in der Region ist, hat Washington
mehrfach gewarnt, den Syrer Assad allzuweit in die Enge zu treiben,
da sein Sturz islamistischen Fundamentalisten in die Hände
spielen würde. Doch die syrische Opposition der
"Erklärung von Damaskus" sieht diese Bedenken nicht. Und
wahrscheinlich hat sie Recht.
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