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Igal Avidan
Ariel Scharons politischer Urknall
Das neue Parteiensystem in Israel
Am 28. März finden in Israel die nächsten
Parlamentswahlen statt. Die Neuwahlen könnten die
Regierungskrise beenden, die durch die Wahl des gebürtigen
Marokkaners Amir Perez zum neuen Vorsitzenden der Arbeitspartei am
9. November ausgelöst wurde. Die von Scharon seit Beginn
dieses Jahres geführte große Koalition mit der
sozialdemokratischen Arbeitspartei war am 20. November
endgültig zerbrochen, nachdem letztere auf einem Parteitag in
Tel Aviv auf Wunsch des neuen Parteivorsitzenden Perez den Austritt
aus der Regierung beschlossen hatte.
Den zweiten "politischen Tsunami" bildete die Entscheidung des
Premierministers Ariel Scharon, den Likud zu verlassen und als
77-Jähriger die neue "Partei der Nationalen Verantwortung" zu
gründen.
Scharons Abgang ist beispiellos in der israelischen Politik. Er
hat den Likud 1973 gegründet und im Januar 2003 zu einem
großen Sieg bei den Parlamentswahlen geführt - die Partei
gewann 40 der insgesamt 120 Mandate. Zum Vergleich: Der Likud
erhielt 1999 unter Scharons Parteirivalen Benjamin Netanjahu
lediglich 19 Sitze. Aber nachdem Scharon seinen einseitigen
Rückzugsplan aus Gaza ankündigte, begann sein Leidensweg
in der eigenen Partei. So ignorierte der Parteikongress seinen
großen Erfolg: Zum ersten Mal erkannte ein US-Präsident
an, dass Israel für immer große jüdische
Siedlungsblöcke in der Westbank behalten darf. Dennoch
stimmten im Mai 2004 die meisten Delegierten gegen den Gaza-Plan.
Ebenfalls entgegen einer weiteren Entscheidung dieses Gremiums
koalierte Scharon im Januar 2005 nach dem Ausscheiden der
rechtsnationalen Parteien mit der Arbeitspartei. Im August
ließ der "Vater der Siedlerbewegung" als erster Regierungschef
alle 8.000 jüdischen Siedler aus Gaza zwangsumsiedeln. Dass er
weitere isolierte Siedlungen evakuieren will, machte er deutlich.
Dass dies mit dem jetzigen Likud nahezu unmöglich sein wird,
ebenso.
Mit seinem politischen Urknall hat Scharon ideologische Klarheit
in der politischen Landschaft Israels geschaffen, die von nun an
aus drei statt bisher zwei großen Parteien bestehen wird. Die
Arbeitspartei wird unter Perez ausgesprochen linke Positionen
einnehmen, vor allem in Wirtschaftsfragen, aber auch in Bezug auf
die Politik gegenüber den Palästinensern. Perez fordert
eine bedingungslose Rückkehr an den Verhandlungs-tisch sowie
die einseitige Räumung jüdischer Siedlungen. Der Likud
nach Scharon ist eine rechte Partei, deren Hauptziel darin bestehen
wird, jeden einseitigen Rückzug zu verhindern. In der
politischen Mitte wird Scharon versuchen, seinen Plan des
einseitigen Rück-zugs aus der Westbank mit dem internationalen
Friedensplan, der Road Map, in Einklang zu bringen.
Scharon konnte bisher 14 Abgeordnete des Likuds hinter sich
bringen, um den Status einer Fraktion zu erlangen. Damit geht ein
Anspruch auf staatliche Förderung von umgerechnet 200.000 Euro
und drei Sendeminuten im Fernsehen pro Parlamentarier einher.
Inzwischen sind zwei weitere Abgeordnete zu ihm gestoßen,
Chaim Ramon von der Arbeitspartei und der fraktionslose
religiöse David Tal, ehemals Schaspartei. Vom Likud kamen
unter anderem Vizepremier Ehud Olmert, Justizministerin Tzipi Livni
und Scharons Sohn Omri. Olmert und Livni werden Scharons
Stützen in der Regierung sein. Omri wird lediglich hinter den
Kulissen die Fäden für seinen Vater ziehen, da gegen ihn
Anklage wegen Verstoßes gegen die Regeln der Wahlfinanzierung
erhoben wurde und ein Parlamentsausschuss Omri vorläufig von
seinem Mandat entbinden soll. Möglicherweise werden weitere
Prominente der Arbeitspartei zu Scharon wechseln, so die Ministerin
Dalia Itzik oder der frühere Regierungschef Ehud Barak.
Überraschend kündigte am 24. November der
Präsident der Ben Gurion Universität, Avischai Bravermann
an, dass er in die Arbeitspartei eintritt. Als Grund nannte er die
Wahl von Perez: "Sein Weg ist mein Weg. Perez ist kein Kommunist
und sein Weg ist sozialdemokratisch wie der von Blair und Clinton",
sagte der ehemalige Wirtschaftsexperte der Weltbank. Seine
Entscheidung ist eine Niederlage für Scharon, der ihn für
seine Partei gewinnen wollte.
Ersten Umfragen zufolge würde Scharons "Partei der
Nationalen Verantwortung" zwischen 30 und 33 Mandate, die
Arbeitspartei 26 (bisher 22), der Likud 12 bis 15 (bisher 40), die
sephardisch-religiöse Schas 10 (aktuell 11) Mandate erringen.
Die antireligiöse Zentrumspartei Schinui würde von 15 auf
sechs abrutschen, die linke Meretz von sechs auf vier bis fünf
Mandate. Jeder zweite Likud-Wähler würde - so die
Umfragen weiter - für Scharon stimmen, der auch mit Stimmen
der Anhänger von Schinui und der Arbeitspartei rechnen
kann.
Aber Scharon weiß, wie schnell in Israel die Begeisterung
für neue Parteien abebbt. Das jüngste Beispiel: Die
Zentrumspartei wurde 1999 von ehemaligen Parlamentariern des Likuds
und der Arbeitspartei gegründet, darunter
Verteidigungsminister Jitzchak Mordechai, Ex-Armeechef Amnon
Lipkin-Schachak und der frühere Justizminister Dan Meridor. Zu
Beginn des Wahlkampfes erwarteten die Demoskopen 15 Mandate. Aber
interne Streitigkeiten sowie die Polarisierung des Wahlkampfes
zwischen rechts und links mündeten in nur 165.000 Stimmen, das
ergab sechs Mandate und drei Ministerposten in der Regierung Barak.
Am Ende der Legislaturperiode saß nur noch ein Abgeordneter im
Parlament und bei den Wahlen 2001 erhielt die Partei landesweit
magere 2.000 Stimmen. Kein Wunder, dass Scharon sich hütete,
den Namen Zentrumspartei zu erwähnen.
Ein-Mann-Parteien haben traditionell wenig Erfolg in Israel.
Scharon gründete 1977 "Schlomzion", mit der er zwei Mandate
gewann, bevor sie im neuen Likud aufging. 1965 verließ
Staatsgründer und Ex-Premier David Ben Gurion gemeinsam mit
einigen Jungpolitikern, darunter Schimon Peres und Mosche Dayan,
die damalige Arbeitspartei (Mapai). Die neue Partei "Rafi" gewann
nur zehn Mandate und fusionierte 1967 mit der Arbeitspartei. 1967
gründete Ben Gurion wieder eine neue Partei - "Die staatliche
Liste" -, die nur vier Mandate gewann. Dayan selbst,
legendärer General sowie Verteidigungs- und
Außenminister, erhielt 1981 mit seiner "Telem"-Partei ganze
zwei Mandate.
Dennoch scheint Scharon jetzt sehr glücklich, "wie eine
Frau, die endlich von ihrem prügelnden Ehemann geschieden
wurde", schrieb ein Kommentator. Wenn er seine Macht behält,
könnte er mit der Arbeitspartei, Schinui und einer
religiösen Partei oder Meretz eine stabile Regierung bilden,
den Trennungszaun zur offiziellen Grenze mit den
Palästinensern erklären und weitere Gebiete räumen.
Scheitert er, kann er immer noch mit 78 Jahren als mutiger
Politiker auf seine Ranch zurückkehren.
Perez hat die Arbeitspartei im Sturm erobert. Selbstbewusst,
fast frech, besetzt er bereits das Schlachtfeld der kommenden
Wahlen, die Wirtschaft. Fast alle Likud-Spitzenkandidaten reden
plötzlich von sozialer Verantwortung, greifen den neoliberalen
Ne-tanjahu an und erzählen, in welcher Armut sie selbst
aufwuchsen. Auf einer Tagung in Perez' Heimatstadt Sderot wurden
sowohl Olmert als auch Außenminister Silvan Schalom von
aufgeregten Zuschauern verjagt - bisher passierte so etwas nur
linken Politikern. Perez, der auf der gleichen Tagung bejubelt
wurde, war früher Chef des größten
Gewerkschaftsbundes Histadrut und präsentiert sich als eine
Art israelischer Robin Hood. Er hat erkannt, dass die Israelis die
wachsende Armut viel mehr beunruhigt als die Zukunft der Siedlungen
oder ein Frieden mit den Palästinensern; vor kurzem schlug er
ein Gesetz vor, wonach jede Siedlung geräumt wird, wenn 60
Prozent seiner Einwohner das wünschen. Viele Israelis finden
es zudem besonders sympathisch, dass Perez kein General war.
Scharon will natürlich die Sicherheitspolitik zum Thema
machen und sich als resoluter Macher präsentieren.
Ironischerweise hilft die relative Ruhe - in diesem Jahr starben 23
Israelis bei Selbstmordanschlägen, 2004 waren es 55 und 2003
wurden 136 Menschen ermordet - ausgerechnet Perez.
Terroranschläge nutzen dem Rest-Likud, der jeglichen
Kompromiss ablehnt. Die andauernden Liquidierungen von Terroris-ten
könnten zu einer erneuten Eskalation führen und nur den
Radikalen zugute kommen, sowohl in Israel als auch bei den
Palästinensern, die am 25. Januar 2006 ihr Parlament
wählen sollen.
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