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Martin Gerner
Die Illusion des politisch korrekten
Fußballs
Das Bild Frankreichs als Modellland der
Integration gerät ins Wanken
Es ist noch gar nicht lange her, da wurde
Frankreich in EU-Studien als Modellland der Integration gepriesen.
Als Paradebeispiel wurde die Fußball-Nationalmannschaft
angeführt, die ihre Erfolge farbigen Einwandererkindern der
zweiten und dritten Generation und naturalisierten Ausländern
verdankt.
Deutsche Medien fragten angesichts des
Länderspiels Deutschland-Frankreich unlängst in Paris, ob
das Modell der "Integration durch Sport" noch tauge.
"Black-blanc-beur" (Schwarz-Weiß-Araber), war der gefeierte
Slogan als Frankreich 1998 die Fußball-WM gewann. "Blanc"
stand für die Weißen in der Mannschaft, "Beur" für
die Nordafrikaner aus den Maghreb-Staaten und "Black" für die
Schwarzen aus Übersee und den ehemaligen Kolonien. Politiker -
rechte wie linke - hatten versucht, den Erfolg der Elf gleich nach
dem WM-Sieg populistisch zu nutzen und sprachen von einem
Rollenmodell, das die Nation einen sollte. Konservative waren
bereit, ihre Politik der Null-Toleranz zu lockern; auf der Linken
triumphierte Daniel-Cohn-Bendit für die französischen
Grünen, der "politisch korrekte" Fußball habe
gesiegt.
Die Projektion aber war trügerisch, der
Slogan falsch. "Die Integration durch den Fußball war eine
Illusion", so Patrick Mignon, Soziologe im nationalen Sportinstitut
in Paris. Die ethnische Mischung auf dem Fußballfeld entsprach
in keiner Weise der ghettoisierten Realität in den multiplen
Pariser Vorstädten. Als Zeichen der Zeit konnte man bereits
das Länderspiel im Oktober 2001 in Paris gegen Algerien
deuten. Junge Franzosen mit nordafrikanischer Abstammung pfiffen im
Stade de France die Marseillaise nieder und provozierten einen
Spielabbruch. Der Philosoph Alain Finkelkraut sprach von einem
Spiel, das die Franzosen "traumatisiert" habe.
In Deutschland glaubt man, Frankreich habe
sich die aktuellen Unruhen unter anderem durch die leichte, weil
automatische, Erteilung der Staatsbürgerschaft an in
Frankreich Geborene ins Land geholt. Fragt man Franzosen, steht das
so genannte ius soli für sie aber keinewegs zur Disposition.
Womöglich erleichert, dass sie nicht mehr als
gesellschaftliche Idole wider Willen herhalten müssen, haben
sich einige der französischen Nationalspieler in die Debatte
eingeschaltet. Zum Beispiel der Verteidiger Jean-Alain
Boumsong-Somkong, gebürtig aus Kamerun: "Ich frage mich, ob
der Weg der positiven Diskriminierung für Frankreich nicht die
Lösung wäre, zumindest vorübergehend. Um den
Minderheiten eine Chance zu geben, sollte man auch den ,Blacks' und
den ,Beurs' Zeit einräumen, ihr Talent zu beweisen. Warum gibt
es so wenige ,Blacks' und ,Beurs' unter Frankreichs Enarchen? (die
ENA ist Frankreichs Elite-Schule für Verwaltungs- und
späteren Staatsdienst, Anm. d.Verf.) Physisch sollen wir den
Weißen angeblich überlegen sein, aber was ist mit dem
intellektuellen Bereich?"
Der wochenlange Aufruhr bei unseren Nachbarn
hat auch das Frankreichbild der Deutschen ins Wanken gebracht. Mehr
vermutlich als irgendeine Regierungskrise zwischen Paris und Berlin
in der jüngeren Vergangenheit. Deutsche, die sich anschickten,
Anfang November zum Länderspiel ihrer Mannschaft gegen
Frankreich nach Paris zu fahren, trugen mitunter Angst im Gesicht.
Das Bild brennender Städte wurde fast wörtlich genommen.
Bisweilen hatte man bei TV-Reportagen im deutschen Fernsehen den
Eindruck, die Pariser Vorstädte lägen in Algier, Gaza
oder Johannesburg. Jürgen Klinsmann, Trainer der
Nationalmannschaft, hatte vor dem Länderspiel gegenüber
"L'Equipe", Frankreichs führender Sportzeitung,
geäußert, der Deutsche Fußball-Bund werde seine
Spieler über die besonderen Probleme im Land des Gegners
informieren, über "die Eigenheiten seiner Kultur und
Religion", wie beim Länderspiel gegen den Iran, so Klinsmann.
Frankreich auf einer Stufe mit dem Iran? Neben dem erkennbaren
Willen nach Aufklärung sind wir offenbar vor einem dumpfen
Rückfall nicht gefeit. Es liegt eine Menge Sisyphusarbeit vor
den Mittlern in beiden Ländern.
Frankreich bleibt, auch wenn seine
Fußball-Elf kein Ideal für Integration mehr sein sollte,
trotzdem weiterhin Modell für Deutschland: Seine Vereine
unterhalten seit Jahrzehnten erfolgreiche Fußball-Internate,
in denen Jugendliche wohnen, zu Profibedingungen trainieren und
zugleich schulisch betreut werden.
Der Deutsche Fußball-Bund versucht seit
2002, das französische Modell nachzueifern. Die jüngste
Partie Deutschland-Frankreich war insofern auch das
Aufeinandertreffen zweier Erziehungsmethoden.
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