Karl-Otto Sattler
Warmlaufen im Feuerschein
Die Präsidentschaftswahlen im Visier der
französischen Innenpolitik
Sarko ist mitten im Spiel. Die Flammennächte, die
Frankreich wochenlang in Atem halten, haben zwei Gesichter. Da sind
brennende Autos, Kindergärten und Geschäfte, zwischen
deren Feuerschein junge Leute aus den Vorstadt-Ghettos mit Steinen
und Benzinflaschen herumlichtern. Aber da ist eben auch
überall Nicolas Sarkozy zu sichten, den Gegner bissig und
Anhänger kumpelhaft Sarko nennen: Der Innenminister,
TV-Kameras stets im Schlepptau, stärkt Polizisten bei deren
Einsatz in der aufrührerischen Banlieue den Rücken,
plaudert mit Feuerwehrleuten, klopft attackierten Busfahrern auf
die Schulter.
Konkret bewirkt Sarkozy bei seinen Touren nichts, weder das
Abfackeln von Fahrzeugen noch das Zertrümmern von Bussen
verhindert er. Doch darum geht es nicht: Sarkozy will sich als
Hardliner an der Front präsentieren, der durchgreift und dem
"Abschaum", dem "Lumpenpack", die Stirn bietet. In den
Vorstädten ist er verhasst, doch bei vielen Franzosen kommt er
mit einer martialischen Null-Toleranz-Attitüde an.
Die inszenierten Bilder vom Sheriff, der sich anders als die
elitär-abgehobene Klasse im Umfeld der Champs Elysées
mutig ins Getümmel stürzt, sollen haften bleiben. Der
ehrgeizige Sarkozy instrumentalisierte den Aufstand in der Banlieue
als Bühne für ein viel größeres Spiel: für
den Kampf um die Präsidentschaft 2007.
Trotz der Verlängerung der Notstandsgesetze bis Mitte
Februar wurden die Unruhen offiziell für beendet erklärt
- wobei im ganzen Land weiterhin jede Nacht bis zu hundert Autos
lodern, was sozusagen als normaler Standard gilt. Indes haben die
Flammennächte die Innenpolitik langfristig gründlich
durcheinandergewirbelt: Präsident Jacques Chirac gerät
zusehends an den Rand des Geschehens, Sarkozy punktet im
konservativen Erbfolgekrieg gegen Premier Dominique de Villepin,
die Sozialisten sehen sich in der Defensive, und im Hintergrund
dräut als Gespenst der Rechtsextremist Jean-Marie Le Pen.
Über Jahrzehnte war die französische Politik vom
klassischen Rechts-Links-Schema geprägt, doch seit geraumer
Zeit herrschen Unberechenbarkeit und Unwägbarkeit. Bei der
Präsidentschaftswahl 2002 schaffte es Le Pen sensationell in
die zweite Runde, was Konservative und Linke in einen gemeinsamen
republikanischen Abwehrkampf zwang. Bei den Regionalwahlen 2004
fegten die Sozialisten die Regierungsparteien bis auf das Elsass
aus sämtlichen Provinzkabinetten, doch wussten die Sieger mit
diesem eigentlich epochalen Triumph kaum etwas anzufangen.
Das deutliche Nein bei der Volksabstimmung über die
EU-Verfassung im Mai desavouierte die Spitzen des konservativen wie
sozialistischen Lagers, ein Schock, der bis heute nicht
aufgearbeitet ist. Und nun auch noch die Explosion in den
Vorstädten, die eine schwärende Wunde der Gesellschaft
offengelegt hat.
Niemand vermag überzeugende Pespektiven für die
Lösung der vielfältigen Krisen im Innern anzubieten.
Bereits die Niederlage beim EU-Referendum im Rück-en, hat
Chirac während der Unruhen schon eineinhalb Jahre vor dem Ende
seiner Amtszeit Anflüge einer "lame duck", einer "lahmen
Ente", erkennen lassen. Erst zwei Wochen nach Ausbruch der Revolte
wandte sich der Präsident ans Volk, wobei er in erster Linie
den Eindruck von Ratlosigkeit vermittelte. Mehr als die Schaffung
eines Zivildiensts mit 5.0000 Plätzen hatte er als Idee zur
Bekämpfung der Vorstadt-Misere nicht parat.
Chirac selbst hatte vor zehn Jahren die Überwindung der
sozialen Spaltung propagiert, die sich seither jedoch weiter
verstärkt hat. Unerfüllt blieb auch das 2002 angesichts
des Vormarschs von Le Pen vom Staatschef gemachte Versprechen,
für mehr "Sicherheit" in Frankreich zu sorgen: Die seit Jahren
in der Banlieue verfolgte Strategie rigider Repression hat sich
jedenfalls als wenig tauglich erwiesen.
Hat nun der Innenminister das Zeug, die vor allem in den
Vorstädten drängenden Probleme in den Griff zu bekommen?
Außer Härte vermag der Innenminister nicht viel zu
offerieren. Zwar unterstützen die meisten Franzosen in den
Umfragen diese Politik des Durchgreifens, doch andererseits
schätzt die Mehrheit Premier de Villepin im Vergleich zu
Sarkozy als vertrauenswürdiger und sympathischer ein. Der
staatsmännisch-umgängliche Regierungschef, der sich von
Sarkozys Haudrauf-Image distanziert, steht indes im Ruf, als
Ziehsohn Chiracs dessen als gescheitert empfundene Politik
fortsetzen zu wollen.
Die linke Opposition bietet keine Alternative, auch wenn sie
beim letzten Parteitag Geschlossenheit demonstrierte. Kein Wunder:
Auch während ihrer Regierungszeit breitete sich die Malaise in
den Ghettos der Banlieue aus. Laut Umfragen traut die
Bevölkerung den Sozialisten nicht sonderlich viel politische
Kompetenz zu.
So scheint sich für die Präsidentschaftswahl 2007
erneut eine bei den Franzosen mittlerweile beliebte Denkzettelwahl
abzuzeichnen. Wer der Profiteur eines solch übellaunigen
Protestvotums wäre, ist offen. In solchen Situationen
verspüren Demagogen vom Schlage Le Pens Aufwind. Der
Führer der Nationalen Front wird letztlich nicht als Sieger
aus diesem Rennen hervorgehen, das ist wohl sicher. Aber vielleicht
gelingt Le Pen erneut der Sprung in die Stichwahl, was auch
international eine peinliche Sache wäre - das muss nicht so
kommen, aber es kann so passieren.
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