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Sten Martenson
Was ist heute typisch deutsch?
Nachdenken über das eigene Volk
Es ist doch immer wieder wunderbar, wenn Autoren ihrem
geschätzten Lesepublikum - wenn auch versteckt - anvertrauen,
warum sie nicht umhin konnten, dieses oder jenes Buch zu schreiben.
Hans-Dieter Gelfert, gelernter Anglistik-Professor und jetzt freier
Autor, macht keine Ausnahme. "Kein anderes Volk Europas scheint so
unablässig nach der Bestimmung des eigenen Wesens gesucht zu
haben, was für sich schon als typisch deutsch gilt". Das kann
man bei ihm lesen, nachdem er zuvor schon tiefschürfend danach
gesucht hat, was denn nun typisch deutsch ist und wie es dazu
gekommen ist.
Zweifellos ist es nicht nur amüsant, sondern durchaus auch
lehrreich, Gelfert beim Aufspüren markanter deutscher
Eigentümlichkeiten zu begleiten. Man sollte es nicht allzu
gläubig tun, denn auch der Autor weiß: "Jede Aussage
über die Mentalität eines Volkes steht auf schwankendem
Boden; denn für nahezu alles, was als nationaltypisch gilt,
lassen sich Gegenbeispiele anführen."
Viele Stereotype
Aber es bleibt viel Nachdenkenswertes hängen, vorausgesetzt
natürlich, man ist selbst daran interessiert, was typisch
deutsch sein könnte oder in den Augen naher und ferner
Nachbarn auch nur so scheint. An Stereotypen mangelt es nicht:
Fleiß und Autoritätsgläubigkeit, Militarismus,
Nationalismus und Humorlosigkeit wurden und werden den deutschen
Stämmen nachgesagt. Im Ausland, etwa in Großbritannien,
haben sich viele dieser Klischees gehalten, auch wenn jeder
aufmerksame Beobachter weiß, dass die meisten dieser
Vorurteile einer unvoreingenommenen Überprüfung nicht
mehr standhalten.
Weiter führt den Suchenden dann schon Gelferts Liste
deutscher Urworte. Begriffe also, die mit bestimmten
Wertvorstellungen verbunden sind, bis hin zu Einzigartigkeiten, die
dazu geführt haben, dass deutsche Worte sogar von anderen
Sprachen übernommen worden sind, wie etwa die
"Gemütlichkeit". Andere deutsche Urworte, deren deutschem Sinn
der Autor deutsch-gründlich nachgeht, sind Heimat und
Geborgenheit, Feierabend, Ordnung, Sauberkeit, aber auch
Tüchtigkeit und Pflicht, Innigkeit und Weltschmerz. Dass der
Wald den Deutschen mehr am Herzen liegt als anderen Völkern,
weiß man seit der Aufregung über das Waldsterben. Und
dass Weihnachten nahezu ausschließlich in Deutschland so
weihevoll und besinnlich gefeiert wird, zählt ebenso zu den
deutschen Besonderheiten.
Mythen und Helden
Da Gelfert aber auch wissen will, warum die deutschen Urworte
gerade hier, zwischen Rhein und Oder, den Küsten von Nord- und
Ostsee und den Alpen solch ein Gewicht bekommen haben, geht er den
deutschen Mythen (Siegfried, Barbarossa, Faust), den deutschen
Helden (Hermann der Cherusker, Martin Luther, Friedrich der
Große, Bismarck) oder der Rolle der deutschen Frau in
Geschichte und Literatur nach. Und der Autor übersieht auch
nicht die geografischen Bedingungen, die lange währende
Kleinstaaterei auf deutschem Boden, das religiöse Patt.
Spannend liest sich nicht nur für den unvorbereiteten
Leser, was typisch ist an deutscher Kultur, an der Literatur,
Architektur oder Malerei. Man muss Gelferts Befund nicht in allen
Passagen teilen, aber man kommt ins Sinnieren und hat das eine oder
andere Aha-Erlebnis. Das ist doch nicht das Schlechteste, was man
nach der Lektüre eines Buches sagen kann.
Hans-Dieter Gelfert
Was ist deutsch ?
Wie die Deutschen wurden, was sie sind.
Verlag C.H.Beck, München 2005; 211 S., 9,90 Euro
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