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Oliver W. Schwarzmann
Von Gierlanden umwickelt
Berichte aus der Welt des Kapitals in
Deutschland
Der Leser mag sich fragen, was es mit der
Überschrift auf sich hat. Der Rezensent hat sich das Wortspiel
um die Gierlanden einfallen lassen, weil es ihm für die
folgende Betrachtung in vielerlei Hinsicht zutreffend schien. In
deutschen Landen regiert immer offensichtlicher die Gier. Wir leben
in also in "Gierlanden". Das ist zumindest die Meinung der Autoren
Peter Huth und Jan Engelke, welche geistreich, amüsant und
zugleich spannend, immer mit scharfer Feder eben die Bewohner von
Gierlanden entlarven.
Nennen wir sie passend zum Wortspiel "Die
Gierlanten". Gierlanten sind dem Buch zufolge bekannte Personen in
bekannten Organisationen. Sie sitzen dort in Chefetagen und tagen
auf Kosten anderer. Sie kommen mittlerweile überall vor: Das
Buch benennt Wirtschaftsbosse, Politiker, Vertreter von
Krankenkassen und Gewerkschaften.
Huth und Engelke portraitieren die Gierlanten
als Selbstbediener, beschreiben sie als Ingredienzien eines Systems
der "Abzockerei", dessen Möglichkeiten sie kreativ und deshalb
legal nutzen: Als Wirtschaftschefs erhöhen sie sich selbst die
Bezüge, kassieren als Abgeordnete satte Spesen plus Einkommen
aus Nebenjobs. Andere, wie etwa die zitierten Krankenkassenchefs,
weigerten sich, Gehälter offen zu legen, was nahe legt, was in
Gierlanden nahe scheint.
Nahe gehen uns auch die Geschichten, wenn von
den bekannten Gesichtern bekannt wird, was nicht bekannt sein soll:
Millionenabfindungen für besiegte Topmanager bei
Firmenübernahmen, Verfünffachung von
Vorstandsbezügen, Extras wie großzügige
Aktienoptionsprogramme, Erhöhung der Spesen um bis zu 76
Prozent, Luxusreisen, Bonusmeilen, Partys und vieles mehr. Huth und
Engelke taktieren publizistisch mit den großen Skandalen, um
eine effektreiche Skizze von Gierlanden abzustecken, innerhalb
derer sie die jeweiligen Regionen festmachen.
Im ersten Kapitel widmen sie sich den
Perspektiven einer Politikerkarriere; das zweite leuchtet hierzu
die begleitenden Vorzüge und Annehmlichkeiten aus; im dritten
geht es um die Bezüge von Nebentätigkeiten; das vierte
erzählt von Extraflügen und Bonusmeilen. Sie nutzen das
fünfte Kapitel für eine Exkursion zu den finanziellen
Optionen für EU-Parlamentarier, beschreiben im sechsten
Kapitel Beispiele für die Beziehung von Politik und Beratern,
kommen im siebten Abschnitt zu den vermeintlich nimmersatten
Topmanagern der Wirtschaft, wechseln im achten Kapitel zum
monetären Wohlbefinden der Krankenkassen und erläutern im
neunten unter anderem, weshalb Gewerkschaften "als Arbeitgeber
härter als hart" sind.
Am Ende erinnern die Autoren an die
spektakulären Rücktritte der Skandal-Ikonen und suchen
abschließend den internationalen Vergleich in punkto
Transparenz und Besserung. Immer wieder streuen sie Interviews zur
Beweisführung ein, ziehen an anderer Stelle sanft die
literarische Notbremse, denn pauschal und ungerecht wollen sie doch
nicht erscheinen.
Dennoch bleibt das Profil scharf. Der
durchweg freche Ton ist offensichtlich am vermeintlichen Tenor der
Beschriebenen orientiert: Denn, so die Autoren, Gierlanten
fühlen sich bei alledem im Recht, reagieren gar beleidigt bei
jeder Aufdeckung. Huth und Engelke wollen uns damit sagen: Sie
halten sich selbst für etwas ganz anderes, was ähnlich
klingt - nämlich für Giganten. Gigantisch ist vor allem,
was zum Schluss bleibt und jeden Selbstbediener ereilt und auch den
Autoren ein doch versöhnliches Buchende entlockt: Das
schlechte Gewissen.
In Gierlanden tut Geld, was es meistens tut:
Es wechselt den Besitzer. Allerdings anders, als das der
allgemeinen Vorstellung entspricht. Mit eben dieser Art und Weise
beschäftigt sich Jürgen Deeg in seinem Buch, das sich mit
der Vernichtung von Anlegergeldern beschäftigt. Deeg war
Mitarbeiter des Bundesgrenzschutzpräsidiums und beteiligte
sich als Anleger an der Hanseatischen AG und der EURO-Kapital-AG.
Als dortiger Investor erlebte er bei deren Konkurs eine Expedition
in die Rechtspraxis der Verfahren, an deren Ende oft der
Totalverlust von Anlegergeldern steht.
Deegs Erlebnisse sind persönlich, daher
ist sein Zeugnis ebenso authentisch wie individuell. Gleichzeitig
verbreitert er sein Engagement, vertritt er doch als Gründer
eines Vereins privater Kapitalanleger im Osten Deutschlands die
Interessen von Investoren aus der Schweiz, die ein ähnliches
Schicksal teilen: Durch die Verfügung der Liquidation der Ost
Com Holding AG durch die Schweizer Bankaufsichtsbehörde wegen
rechtlicher Bedenken gegen das Einwerben von Anlegergeldern begann
1999 das Konkursverfahren.
Die Crux dabei: "Die Anleger konnten nicht
einsehen, dass die guten Gewinne der ,Töchter' der Ost Com
Holding AG, unter anderem werthaltige polnische Werke,
ausschließlich in die Hände der Konkursverwalterin fallen
sollten." Jürgen Deeg schildert die Entwicklungen des
Konkursverfahrens der Ost Com Holding AG, deren 100-prozentige
Tochter, eine Immobilien- und Verwaltungs AG in Leipzig, ebenfalls
in einem Insolvenzverfahren steht und in die Betrachtung einbezogen
wird.
Die Verfahren beider Unternehmen und die von
Deeg dabei ermittelten Ungereimtheiten sind zentraler Inhalt des
Buches, der dem finalen Begriff des "legalen Betrugs" mit
akribischem Detailnachweis entgegen strebt. Dabei richtet sich der
Verdacht des Autors maßgeblich gegen die Konkurs- und
Insolvenzverwaltung. Das Buch konstatiert: "Auch sind getarnte
Kosten, die manchmal als Schmiergelder umgesetzt werden, nicht im
Sinne der Gläubiger zu sehen. Verfahrensabläufe, die
legal sind, werden mit Umständen verknüpft, die
ungesetzlich sind."
Letztlich gehen die Anleger leer aus. Es
fehle, so beklagt der Autor, die notwendige Unterstützung von
Behörden und Gerichten. Komplexe Verfahren wie Konkurse und
Insolvenzen bergen Unsicherheiten und damit auch Optionen für
eventuell fragwürdiges Handeln involvierter Akteure. Diese
Erfahrung macht das Buch sehr deutlich.
Deegs Werk ist eine persönliche Chronik
über den Vertrauensverlust in Institutionen und Rechtspraxis,
sie ist vor allem eine Analyse ihrer Schwachstellen. Darauf will es
aufmerksam machen.
Peter Huth, Jan Engelke
Die Selbstbediener.
Wer sich unser Geld
einsteckt
Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2005; 270 S.,
14,50 Euro
Jürgen Deeg
Der legale Betrug. Wie Anlegergelder
systematisch vernichtet werden.
Mitteldeutscher Verlag, Halle/Saale 2005;
288 S., 22,- Euro
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