Reinhart Lassek
Vom Glück jenseits der Warenberge
Materielle Gier "frisst" nicht nur
Werte
Der "Countdown für die Götter der
Gier" hat nach Meinung der renommierten Wirtschafts- und
Politikberaterin Gertrud Höhler längst begonnen, obwohl
das Marktgeschehen noch immer von grenzenloser "Konsumlust und
Konsumlockung" bestimmt wird. Und obgleich es immer weniger zu
verteilen gibt, nimmt die Gier hierzulande sogar noch zu -
allerdings nur kurzfristig: Dem Wohlstandsbürger wird endlich
bewusst, dass Wohlstand Werte "frisst". Der Materialismus wirft
alles raus, was "sich nicht rechnet".
Da die Menschen im Grunde genommen gar nicht
nach materiellen Gütern gieren, sondern nach einem sinnvollen
Leben, werden sie schließlich von einem anderen,
größeren Hunger erfasst - dem, so Höhler,
unstillbaren Hunger "nach Erkenntnis, nach Verstehen, nach Wahrheit
und Werten, die zuverlässiger sind als die Waren im
Markt".
Den mutigen Verfechtern eines neuen
Lebensentwurfs "jenseits der Gier" ist dieses Buch gewidmet. Die
Autorin diagnostiziert eine sich verändernde Rangfolge der
Werte und propagiert eine Zukunft, in der mündige Bürger
endlich durchschauen, dass materielle Gier nicht nur Werte, sondern
zugleich die Freiheit zerstört: "Die Gier macht nicht satt,
sondern süchtig."
Gier führt somit unweigerlich ins
Unglück. Glück ist nun einmal nicht käuflich; es
liegt jenseits der Warenberge. Dem "kranken Staat", in dem immer
noch voller Gier um Machtpositionen gerangelt wird, tritt der
"gesunde Bürger" gegenüber. Von den "Überbetreuern"
aus Wirtschaft und Politik kaum wahrgenommen, nehmen sich die
Kunden von heute den Luxus heraus, die gewohnten Standards zu
unterlaufen. Das Einfache triumphiert. Je konsequenter diese neue
"Kultur der Wünsche" eingefordert wird, desto schneller wird
auch die Freiheit von den Verführern
zurückgewonnen.
Der Staat, so Höhlers Appell, sollte vom
Leistungswillen und von der Flexibilität und Schnelligkeit
seiner Bürger lernen, sich endlich selbst zu bewegen und zu
verschlanken: "Deutschland muss wieder laufen lernen, um das Fett
seiner Verwaltungsgehirne abzubauen."
Langeweile kommt bei der Lektüre dieses
mit zahlreichen Cartoons gespickten Buchs nicht auf. Höhlers
Generalabrechnung mit der Wohlstandsgesellschaft überzeugt,
ihr gesellschaftlicher Gegenentwurf macht Hoffnung. Mit
genussvollem Schwung werden hier die "Götter der Gier" vom
Sockel gestürzt, um den "Strategien zum Glück" und einer
"Logik des Gelingens" zum Durchbruch zu verhelfen.
Leider übertreibt die ehemalige
Professorin für Literaturwissenschaft zuweilen ihre
Fabulierungskunst. Allzu oft wird das längst vollendet Gesagte
in immer neuen Variationen formuliert. Auch lässt Höhler
bei der Vermittlung ihrer "Brain-Kontexte" kaum einen Anglizismus
aus. Muss man schlichte Begriffe wie "Glaubwürdigkeit" erst
zur "Credibility" erheben, damit sie noch zum Schlagwort
taugen?
Eine Frage des Inhalts sind hingegen
Höhlers untauglichen Versuche, ihren Vorlieben für
bestimmte menschliche Verhaltensweisen jeweils auch noch eine
evolutionsbiologische Basis zu verordnen. Wenn es neben unserer
latenten Gewaltbereitschaft noch eine weitere bedenkliche Konstante
in unserem Artverhalten gibt, dann ist es doch wohl genau jene
Gier, die dieses Buch quasi zum Aussterben verurteilen will. Und
auch jenes "leise Lächeln der Sieger", jene "Freundlichkeit",
die Höhler als "Herrschaftstugend" feiert, ist aus
ethologischer Sicht ein höchst ambivalentes
Verhaltensmuster.
Unser Lächeln leitet sich nämlich
verhaltensbiologisch von der "Beißintension" ab. Der
lächelnde Chef zeigt seine Zähne nicht nur aus purer
Freundlichkeit. Geradezu albern wirkt Höhlers biologistisch
eingefärbte Argumentation, wenn sie "Führungscharakteren"
einen besonders eindringlichen Blick und damit eine Art
Affenmentalität attestiert: Das überlegene "Alphatier"
schaut uns an, und wir senken sofort schamvoll den
Blick.
Unter normalen sozialen Bedingungen - also
jenseits der Führungsetagen, in denen sich in der Regel
Unternehmensberatung abspielt - weicht nicht etwa der
Schwächere dem Blick des Stärkeren aus, sondern zumeist
gibt der Klügere dem aufdringlichen Starrkopf nach. Jenes
Fixieren klärt weniger die "Rangordnung", sondern offenbart
eher eine peinliche Taktlosigkeit.
Trotz mancherlei Schwächen: Die Autorin
hat mit ihrer Analyse den Nagel auf den Kopf getroffen und ein
über weite Strecken höchst erfrischendes und kluges Buch
vorgelegt. Ein Buch voller energischer Ermutigung - so ganz
jenseits der landauf landab gepflegten Larmoyanz. Wer vor lauter
Selbstzweifel zu chronischer Unentschlossenheit tendiert, dem sei
Höhlers Buch als Therapie empfohlen.
Gertrud Höhler
Jenseits der Gier. Vom Luxus des
Teilens.
Econ Verlag, Berlin 2005; 220 S., 22,-
Euro
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