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Helmut Löhlhöffel
Entscheider und Einflüsterer
Im Berliner Politdschungel
Es sind provokante Thesen: Erwünschte individuelle
Fachberatung für Parlamentarier sei zu einem Geflecht
unerlaubter, unkontrollierbarer Einflussnahme auf die Gesetzgebung
verkommen. Die Organisationsmacht von Unternehmen mit ihren
immensen Informationsflüssen habe transparente
Entscheidungsprozesse außer Kraft gesetzt. Die Bundesrepublik
sei Wirtschaftslobbyisten, Politikagenturen und Medienmanipulatoren
ausgeliefert. Zu diesen Schlussfolgerungen kommen Cerstin Gammelin
und Götz Hamann in ihrem Buch.
Fest steht für das Autoren-Duo, dass Lobbyisten zu einer
unüberwindbaren Macht geworden sind. Industriefunktionäre
und Topmanager zerstören Bestehendes, um etwas ihren
Interessen Entsprechendes zu schaffen. Mit einem dichten
Einflussnetz umspannen sie den zentralen Ort, an dem die
wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen fallen:
Berlin.
Die Autoren, Journalisten mit Kenntnis des Systems, dessen Teil
sie sind, kennen die Kaffeehäuser und Restaurants, die Clubs
und Hinterzimmer im Regierungsviertel, wo sich Abgeordnete mit
Beratern, Beamte mit Souffleuren, Entscheider mit
Einflüsterern treffen. Die Lobbyisten, 5.000 gibt es, so
schätzen die Autoren, und mindestens 40 Agenturen für
Politikkommunikation tummeln sich in der Bundeshauptstadt, um den
Willen von Unternehmen und Verbänden, Organisationen und
Institutionen durchzudrücken.
Vieles, was hier beschrieben ist, läuft tatsächlich so
ab, das meiste kommt der Wirklichkeit nahe. Manches aber ist
konstruiert und würde eher in einen Roman passen als in ein
Sachbuch. Immerhin: Die genannten Orte stimmen, die agierenden
Hauptpersonen sind exakt identifiziert. Dass zahlreiche Lobbyisten
aus Ministerien und Bundestagsfraktionen kommen, dass es
häufige Wechsel von Spitzenpolitikern auf Manager- und
Vorstandsposten gibt, dass auffällig viele ehemalige
Journalisten in der Beratungsbranche und als
Unternehmenskommunikatoren tätig sind, ist unbestreitbar und
wäre gar nicht anrüchig - wenn es nicht Beispiele
für Auswüchse gäbe!
Gammelin und Hamann haben wirtschaftspolitische
Entscheidungsabläufe beobachtet und malen beispielhaft einige
Fälle aus. Dabei wird sichtbar, dass es nicht allein die
Interessenvertreter gibt, sondern auch einen Humus für ihr
Wirken und Einwirken: Es sind Regierungsbeamte und
Bundestagsabgeordnete, die von der Vielzahl und Kompliziertheit der
von ihnen bearbeiteten Gesetze überfordert sind. Und Medien,
die sich für fremde Zwecke nutzbar machen lassen. Denn die
Lobby kennt die Logik der Mediengesellschaft: Politiker handeln so,
wie es ihnen die veröffentlichten Stimmungen und Umfragen nahe
legen.
Verquickungen und Verflechtungen zwischen Politik, Medien und
Interessengruppen sind in Berlin wie anderswo gewachsen. Sie
müssen nicht zwingend zu Abhängigkeiten und zu Korruption
durch Nähe führen. Außerdem gibt es ja
widerstandsfähige Politiker und wachsame Journalisten. Doch
wenn Einflussversuch und Beeinflussungserfolg offenbar werden,
geraten eher Hinterbänkler des Parlaments öffentlich ins
Gerede, während die wirklich einflussreichen Strippenzieher
diskret verborgen bleiben.
Bei der Beschreibung all dieser Mechanismen steigen Gammelin und
Hamann mit Tempo ein, halten es aber nicht durch. Viele Abschnitte
sind ausgewalzt, etliches wiederholt sich. Andererseits haben sich
die beiden häufig hinreißen lassen, ausführliche
Zeitungsreportagen anstatt ein gründliches Fachbuch zu
schreiben. Hinweise, "nach der Bundestagswahl" oder wenn "Angela
Merkel zur Kanzlerin gewählt" würde, könne sich
manches ändern, verleihen dem Inhalt keine über den Tag
hinausreichende Haltbarkeit.
Die Autoren plaudern lieber über die mächtigen Auto-,
Strom- und Pharma-Interessen als über die ebenfalls
längst etablierten Lobbyisten der alternativen Agrarszene oder
für erneuerbare Energien. Trotzdem sind ihre Thesen plausibel.
Am Schluss stehen Vorschläge, wie Transparenz hergestellt
werden kann und wie Missbräuche zu vermeiden sind. Es
wäre vernünftig, sie zum Ausgangspunkt für
Verhaltensregeln oder für Gesetze zu machen.
Cerstin Gammelin/Götz Hamann
Die Strippenzieher. Manager, Minister, Medien -
Wie Deutschland regiert wird.
Econ Verlag, Berlin 2005; 303 S., 19,95 Euro
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