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Sabine Quenot
Von Rajasthan ins Diplomatenviertel
Botschaften in Berlin (IV): Indien beeindruckt
mit exotischem Flair und kühner Geometrie
Im vierten Teil unserer Botschaftsserie stellen
wir Ihnen heute die indische Botschaft vor. Im Januar 2001
eröffnet, ist sie eine gelungene Verbindung zwischen Tradition
und Moderne: Roter Sandstein aus Rajasthan, mit dem die Inder einst
Paläste bauten, aber auch überraschende geometrische
Formen, lassen sie warm und exotisch wirken, ohne allzu
folkloristisch zu sein. Realisiert hat das von Architekturkritikern
hoch gelobte Gebäude das Berliner Architektenbüro
Léon Wohlhage Wernik.
Im November fließt nichts mehr. Das
rechteckige Wasserbassin im Foyer liegt trocken, die Seerosen
gestrandet auf Steinchen. Deutsche Winter sind der Garaus für
indische Wassergärten. Die Rohre für den unterirdischen
Wasserlauf sind im ersten Winter der Indischen Botschaft
zerborsten. Jetzt ist einfach das Wasser abgestellt.
Im heißen Indien sorgt diese
natürliche Air-Condition für frische, feuchte Luft in den
Häusern. Kleine Bäche werden dazu aus Flüssen
abgezweigt und in die Häuser geleitet. In der indischen
Botschaft ist der Wasserlauf eine schöne Anspielung auf diese
Bautradition, integriert in ein modernes Repräsentations- und
Zweckgebäude.
"German Technology and Material from India",
das ist es auch, was Indien nach den Worten von Manoj Mohapatra,
Politischer Botschaftssekretär, für die diplomatische
Vertretung in Deutschland wollte. Entworfen hat die Botschaft das
Berliner Architekturbüro von Hilde Léon, Konrad Wohlhage
und Siegfried Wernik. Das Rohmaterial fanden die Architekten in
Indien: einen markanten roten Sandstein, der das gesamte Haus,
Hofgarten und Wohnhaus umkleidet. Die Architekten suchten einen
Baustoff, der Indien repräsentiert, aber nicht besonders edel
ist. Dann fanden sie in Rajasthan den sagenhaften "roten Stein",
der von jeher als universelles Baumaterial für Paläste,
Wohnhäuser und als Straßenbelag verwendet wird. In
Handarbeit wurde das Gestein in zwei mal zwei Meter große und
etwa neun bis zwölf Zentimeter dicke Tafeln gespalten. Dann
wurden die Tafeln in die vorgesehenen Formate für die Fassade
geschnitten und über Delhi und Bombay per Schiff nach Hamburg
und schließlich nach Berlin gebracht. Hier wirkt der roh
gebrochene Stein an der Fassade, als wäre das Gebäude aus
dem Fels gehauen. Unverrückbar wie ein Naturwunder steht es an
der Tiergartenstraße und sticht neben der schneeweißen
Landesvertretung Baden-Württembergs heraus. Dem wieder
belebten Diplomatenviertel verleiht es eine exotische, fast
märchenhafte Note. So empfängt auch ein fabelhaftes Tier,
in der Fassade eingemeißelt, den Besucher. Der
vierköpfige Löwe ist das Nationalsymbol Indiens und steht
für Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit. Ein Schriftzug in Hindi darunter bedeutet:
"Die Wahrheit gewinnt immer."
Hier beginnt auch die Wasserzone, die durch
das gesamte Erdgeschoss durch den begrünten Gartenhof, dem
Herzstück der Botschaft, bis zum Wohngebäude am Ende des
Grundstücks verläuft. Über rote Steinplatten gelangt
man trockenen Fußes zur architektonischen Idee des
Gebäudes. Es ist das Prinzip der Umkehrung, das Spiel mit
Masse und Leere, wie es die Architekten benennen. An der Frontseite
des quadratischen Gebäudes wurde ein zylindrisches
Eingangsatrium eingeschnitten, die Hohlform ist komplett verglast.
Das geometrische Element wiederholt sich auf der Rückseite im
quadratisch angelegten Hofgarten, allerdings umgekehrt. Dort ist
ein zylindrischer Turm eingestellt, als wäre er vorne
ausgeschnitten und hinten wieder ins Grüne gesetzt. Darin
befinden sich die Büros von Meera Shankar, die in diesem
November als neue Botschafterin in Berlin ihre diplomatische
Mission beginnt. Shankar ist eine hochrangige Diplomatin der
jüngeren Generation, zuletzt tätig für die UNO im
indischen Außenministerium.
Südlich liegt der Bau, in dem sich
Wohnungen für die Botschaftsangehörigen befinden. Hier
wohnt auch Shanti, die Assistentin der Informationsabteilung. In
einen rosafarbenen Sari gehüllt, zeigt sie stolz die Botschaft
ihres Landes. Das schönste sei der rote Stein, findet sie. Er
wurde innen noch kunstvoller zu Jalis verarbeitet. Das sind
gemeißelte Trennwände mit einem filigranen geometrischen
Lochmuster. Wie auch die Wasserläufe dienen sie in ihrer
Heimat zugleich der Klimatisierung.
Der Boden ist aus grünem Kalkstein aus
Kotah. Gelangt man zur Bibliothek, kann man Ghandis gesammelte
Werke in den Regalen bewundern. Etwas weiter im Veranstaltungsraum
werden im Dezember "Bollywood"-Filme aus Indiens inzwischen
ruhmreicher Filmindustrie gezeigt.
Insgesamt arbeiten hier von der Sicherheit
bis zum engeren Botschaftsstab 75 Menschen, die meisten haben ihren
Arbeitsplatz auf den oberen Ebenen in den Konsulats- und
Botschaftsbüros. Dort allerdings lässt das indische Flair
etwas nach. Manche Büroflure sehen fast aus wie
alltäglicher deutscher Bürohaus-Standard.
Von außen aber erinnert der
eindrucksvolle Komplex mit seinen Zylindern, Höfen und
Freitreppen an das Observatorium Jantar Mantar in Jaipur.
Unübersehbar waren die deutschen Architekten davon inspiriert.
Das Observatorium, zwischen 1728 und 1734 aus Stein erbaut, gilt
als das größte der Erde. Seine Gebäude, die aussehen
wie geometrische Figuren, erscheinen archaisch und futuristisch
zugleich - genau so wie die indische Botschaft.
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