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Peter Pragal
Ein starkes Gespann in einem zerbröckelnden
Bündnis
Rainer Barzels und Helmut Schmidts Rollen in der
ersten Großen Koalition
Im Frühjahr 1969, wenige Monate vor dem Ende der
Legislaturperiode, war es mit der Harmonie zwischen den Partnern
der ersten Großen Koalition auf Bundesebene endgültig
vorbei. Die Konflikte zwischen Union und SPD häuften sich. Im
Kabinett und im Koalitionsausschuss, dem"Kreßbronner Kreis",
wurde viel geredet, aber wenig entschieden. Und der beginnende
Wahlkampf verführte die Partner dazu, sich wieder stärker
als Konkurrenten und Widersacher zu begreifen und den Ton in der
öffentlichen Auseinandersetzung zu verschärfen.
Eine zunehmend gereizte Stimmung herrschte zwischen der SPD und
der CSU. Willy Brandt, Bundesaußenminister und Parteichef der
Sozialdemokraten, vermisste bei der bayerischen Unionsschwester und
ihrem Vorsitzenden Franz Josef Strauß eine klare Abgrenzung
zur rechtsradikalen NPD. Um Stimmen von Rechtsaußen zu
gewinnen, so Brandts Vorwurf, pflege das CSU-Sprachrohr
"Bayernkurier" eine ähnliche Diktion wie die Presseorgane der
Extremisten. Als der Sozialdemokrat dann auch noch an die
"Harzburger Front" zu Beginn der NS-Diktatur erinnerte, wertete
dies die CSU als Schlag "unter die Gürtellinie".
CDU/CSU-Fraktionschef Rainer Barzel bemühte sich, Brandt
zum verbalen Einlenken zu bewegen. Aber der SPD-Chef und
Vizekanzler blieb stur. Da griff SPD-Fraktionschef Helmut Schmidt
ein. Er beriet sich mit seinem Unions-Kollegen Barzel, wie man den
Streit entschärfen könne. Und prompt wurde auch eine
Lösung gefunden. Schmidt lobte Strauß dafür, dass
dieser beim CSU-Parteitag "das negative Verhältnis" zwischen
seiner Partei und der NPD betont habe. Und Barzel konnte
erklären, dass es der Koalition nichts bringe, einander
schlecht zu machen.
Wieder einmal hatten sich Barzel und Schmidt, wie schon so oft
zuvor, als Krisenmanager bewährt. Während Kanzler Kurt
Georg Kiesinger und Willy Brandt sich immer mehr entfremdeten und
Finanzminister Strauß und sein Wirtschaftsressort-Kollege Karl
Schiller ("Plisch und Plum") sich zerstritten, bildeten die
Fraktionschefs ein starkes Gespann, das dem bröckelnden
Zweckbündnis Halt gab und es vor einem vorzeitigen Ende
bewahrte. Als Schlüsselfiguren der Koalition sorgten sie
dafür, dass auch in der Spätphase der Regierungsarbeit
noch Kompromisse zustande kamen.
Den Grundstein für ihr Vertrauensverhältnis hatten die
beiden noch zur Kriegsgeneration gehörenden Männer bei
einer Begegnung zu Beginn des Bündnisses gelegt. Schmidt, der
1966 das Amt des Verkehrsministers ausgeschlagen hatte, um
stellvertretend für den schwer erkrankten Fritz Erler die
SPD-Fraktion zu führen, stattete seinem Unions-Kollegen einen
Besuch ab. Barzel, Jahrgang 1924, war zwar ein paar Jahre
jünger als Schmidt, konnte aber mehr Dienstjahre
vorweisen.
"Jetzt kommt es auf uns beide an", will der Christdemokrat
damals erklärt haben. Und dann hat er, wie Chronisten
berichten, noch gesagt, dass man sich unter intelligenten Leuten
nur ein einziges Mal betrüge. Und dass man es deshalb von
Anfang an besser bleiben lasse. Da habe Schmidt gelacht. "Und wir
beide haben gemerkt", so Barzel, "dass Zuverlässigkeit das
Wichtigste ist." Obwohl sie sich politisch über viele Jahre
bekämpft hatten, verstanden sich beide überraschend gut.
Der gebürtige Ostpreuße und der Hamburger hatten manches
gemeinsam. Sie waren nüchtern denkende Pragmatiker mit
ausgeprägtem Sinn für Fairness und der Fähigkeit zu
schnellen und präzisen Entschlüssen. Beide kannten den
Bonner Politikbetrieb und das parlamentarische Geschäft. So
konnten sie dem Kanzler und den Ministern sagen, was sie in den
jeweils eigenen Reihen für durchsetzbar hielten und was auf
größere Widerstände stoßen würde. Und
während andere Koalitionäre offen über
Meinungsverschiedenheiten sprachen, pflegten die Fraktionschefs das
vertrauliche Gespräch und räumten, wenn es schwierig
wurde, Probleme geräuschlos aus dem Weg.
"Selbstverständlich müssen in einer Großen
Koalition beide Parteien darauf achten, ihr eigenes Gesicht zu
zeigen", hat Barzel damals gesagt. Aber er wusste ebenso wie
Schmidt, dass es eines hohen Maßes an Kompromissfähigkeit
bedarf, um im Bündnis zweier fast gleich starker Parteien eine
produktive Regierungsarbeit zu leisten. In der parlamentarischen
Praxis hielten sich beide Männer an dieselbe Definition.
Kompromiss in einer Koalition bedeute "die möglichst
gleichmäßige Verteilung von Unzufriedenheiten auf beiden
Seiten". Mit dieser Formel gelang es Barzel und Schmidt, die
widerstreitenden Interessen ihrer Fraktionen und Parteiflügel
immer wieder auf Kurs zu bringen.
Barzel und Schmidt, der nach Erlers Tod 1967 auch formell den
Chefposten übernahm, führten ihre Fraktionen straff, aber
nicht autoritär. "Viele meinen, Demokratie bestehe aus
endloser Debatte", erklärte seinerzeit der Sozialdemokrat.
"Ich meine, Demokratie besteht aus Debatte und anschließender
Entscheidung aufgrund der Debatte." Schmidt, so bescheinigte ihm
dieser Tage sein einstiger Mitstreiter Hans Apel, habe stets
dafür gesorgt, "dass die SPD-Fraktion eingebunden war und
mitreden konnte".
Bei aller Unterstützung der Bundesregierung achteten sowohl
Schmidt als auch Barzel an der Spitze selbstbewusster Fraktionen
auch auf Distanz zum Kanzler und den Ministern. Sie begegneten
damit der Gefahr, dass der Bundestag mit seiner damaligen
Mini-Opposition der Freidemokraten zu einem langweiligen Verein von
kritiklosen Abnickern wurde. "Schmidt und ich haben dafür
gesorgt", so erinnert sich Barzel, "dass Leben in der Bude war.
Auch bei Parlamentsdebatten."
Als SPD und Union nach der Bundestagswahl und der Bildung der
sozial-liberalen Koalition 1969 wieder Gegner wurden, putzten
manche der einstigen Bündnispartner ihre alten Feindbilder.
Nicht so Rainer Barzel und Helmut Schmidt. Sie hielten an ihrer
gegenseitigen Wertschätzung fest. "Eine Beziehung von Respekt
und Vertrauen", nannte Barzel sein Verhältnis zu dem
SPD-Kollegen und späteren Kanzler. Und auch Schmidt
rühmte die Art ihrer Partnerschaft. "Keiner hat versucht, den
anderen hinters Licht oder aufs Glatteis zu führen",
versicherte Schmidt. Und: "Im Gegensatz zu vielem, was über
ihn gesagt oder in Umlauf gebracht wird, habe ich in Barzel einen
Mann kennen gelernt, der fair ist und zu seinem Wort steht."
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