Alexander Weinlein
Wachablösung und Kontinuität
Das neue Bundeskabinett
Sei es nun aus Höflichkeit gegenüber den "alten"
Hausdamen und -herren, oder aus Gründen der inneren Logik
einer Großen Koalition oder gar aus politischer
Überzeugung - das Wort "Kontinuität" fiel verdächtig
oft, während der Amtsübergabe im Kanzleramt und den elf
Bundesministerien, in denen ein Führungswechsel anstand. Mit
den sozialdemokratischen Ministerinnen Ulla Schmidt, Heidemarie
Wieczorek-Zeul und Brigitte Zypries bleibt obendrein auch eine
personelle Kontinuität zur Vorgängerregierung unter
Bundeskanzler Gerhard Schröder gewahrt.
Zusammen mit Angela Merkel zog Thomas de Maizière (CDU) ins
Kanzleramt, dessen Chef er wird. Zudem bekleidet der
51-jährige bisherige sächsische Innenminister das Amt des
Bundesministers für besondere Aufgaben. Die Koordination der
Regierungsarbeit und die Aufsicht über die Geheimdienste
fallen in sein Ressort. Er übernahm das Amt von Frank-Walter
Steinmeier (SPD). Ebenfalls beim Kanzleramt angesiedelt sind die
drei Staatsminister (alle CDU) Maria Böhmer als
Ausländerbeauftragte, Hildegard Müller als
Bund-Länder-Koordinatorin und Bernd Neumann zuständig
für Kultur.
Frank-Walter Steinmeier übernimmt das Auswärtige Amt
(AA). Wie schon sein Vorgänger Joschka Fischer (Grüne)
beim Regierungswechsel 1998, betonte der 49-Jährige die
Kontinuität der deutschen Außenpolitik. Auf der Agenada
ganz oben stehen die EU-Finanzen, der Konflikt um das iranische
Atomprogramm und die anvisierte Verbesserung des Verhätnisses
zu den USA. Zur Seite stehen ihm die Staatsminister Gernot Erler
und Günter Gloser zur Seite.
Enge Zusammenarbeit
Eng mit dem AA zusammenarbeiten wird der neue
Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Denn ein
Hauptaugenmerk des 56-jährigen Dienstherren über 270.000
Soldatinnen und Soldaten sowie 120.000 zivile Angstellte der
Bundeswehr wird auf deren Auslandseinsätzen liegen. Der
ehemalige hessische Unions-Fraktionsvorsitzende wird zudem den von
seinem Vorgänger Peter Struck (SPD) forcierten Umbau der
Streitkräfte fortsetzen. Christian Schmidt und Friedbert
Pflüger (beide CDU) werden die Posten der zwei
Parlamentarischen Staatssekretäre im BMVg bekleiden.
Zur Außenpolitik zählt in weiten Teilen auch die
Arbeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit (BMZ), das seit dem Regierungswechsel im Jahr 1998
von Heidemarie Wieczorek-Zeul geführt wird. Auch in ihrer
dritten Amtszeit wird die 63-Jährige um mehr Geld für ihr
Ressort kämpfen müssen, um die anvisierte Erhöhung
der Entwicklungshilfe von derzeit 0,28 Prozent auf 0,51 des
Bruttoinlandproduktes im Jahr 2015 schrittweise zu realisieren. Ihr
zur Seite steht dabei Katrin Kortmann (SPD) als neue
Parlamentarische Staatssekretärin.
Nicht nur in der äußeren, sondern auch im Bereich der
inneren Sicherheit wird es wenige Unterschiede zwischen CDU und SPD
geben. So sieht sieht es der neue Chef des Innenministeriums (BMI)
Wolfgang Schäuble (CDU), der die Nachfolge von Otto Schily
antrat. Der 63-Jährige kehrt damit an eine alte
Wirkungsstätte zurück. Im Kabinett Helmut Kohls hatte er
als Innenminister von 1989 bis 1991 entscheidend an der
Ausarbeitung der Verträge zur deutschen Einheit mitgewirkt.
Peter Altmaier und der frühere Ministerpräsident von
Sachsen-Anhalt, Christoph Bergner, sind seine Parlamentarische
Staatssekretäre (beide CDU).
Organisatorisch strikt getrennt zum Innenministerium, aber
inhaltlich durchaus verbunden, kann Brigitte Zypries ihre Arbeit im
Bundesjustizministerium (BMJ) fortsetzen, das sie seit Oktober 2002
leitet. Auf der Arbeitszettel des BMJ stehen eine Neuregelung der
Telefonüberwachung, die geplante Kronzeugenregelung und die
rechtliche Absicherung von Patientenverfügungen. Auch Alfred
Hartenbach (SPD) behält seinen Posten als Parlamentarischer
Staatssekretär.
Eine Doppelfunktion am Kabinettstisch bekleidet der ehemalige
SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering - als
Vizekanzler und als Chef des neuen Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales (BMAS). In das Ressort, das der 65-Jährige
teilweise aus dem Superministerium von Wolfgang Clement (SPD)
übernahm, wird zukünftig auch der Bereich Rente aus dem
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung von
Ulla Schmidt (SPD) fallen. Müntefering war bereits für
ein Jahr im Bundeskabinett Schröder als Verkehrsminister
tätig. Gerd Andres und Franz Thönnes (beide SPD)
übernahmen die Posten der Parlamentarischen
Staatssekretäre im BMAS.
Auch Michael Glos (CSU) übernimmt einen Teil der "Erbmasse"
von Clement. Das neu geschnittene Ressort des 61-Jährigen
nennt sich nun Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie (BMWi), das in dieser Form ursprünglich für
Bayerns Ministerpräsidenten Edmund Stoiber geschaffen worden
war. Peter Hintze (CDU) und Dagmar Wöhrl (CSU) werden ihn als
Parlamentarische Staatssekretäre unterstützen.
Wolfgang Tiefensee (SPD) führt nun das Bundesministerium
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und ist zugleich
Beauftragter für den Aufbau Ost. Der 50-jährige bisherige
Oberbürgermeister von Leipzig übernahm das Ministerium
von seinem Parteifreund Manfred Stolpe. Mehr private Gelder
für öffentliche Projekte will er anwerben und die neuen
Länder konzentrierter und gezielter fördern. Als
Parlamentarische Staatssekretäre begleiten ihn Karin Roth,
Ulrich Kasparick und Achim Großmann (alle SPD).
Ulla Schmidt ist die dritte Ministerin im Kabinett, die ihr
Haus, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), nicht
verlassen muss. Allerdings ist sie nicht mehr für den Bereich
der Sozialen Sicherung zuständig. Auf die 56-jährige
Ministerin wartet eine heikle Aufgabe: die Reform der
Gesundheitswesen als auch der Pflegeversicherung. Marion
Caspers-Merk bleibt ihr als Parlamentarische Staatssekretärin
erhalten, Franz Thönnes (beide SPD) kam neu in dieses Amt.
Mit Hort Seehofer sitzt der zweite CSU-Mann und ein "alter
Bekannter" Schmidts am Kabinettstisch. Der 56-jährige
Sozialpolitiker übernahm das Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) von
Renate Künast (Grüne). Seehofer will unter anderem
Tierschutzauflagen lockern und gentechnisch veränderte
Pflanzen fördern. Gerd Müller (CSU) und Peter Paziorek
(CDU) sind seine Parlamentarischen Staatssekretäre.
Aus dem Kultusministerium in Baden-Württemberg zog Annette
Schavan (CDU) ins Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) um. Die 50-jährige enge Vertraute von Angela Merkel
wird jedoch im Bereich der Bildung Kompetenzen an die
Bundesländer abtreten. Die Nachfolgerin von Edelgard Bulmahn
will dafür die Ausgaben für Forschung bis 2010 auf drei
Prozent des Bruttoinlandproduktes anheben, die Spitzenforschung
soll ebenfalls besser gefördert und der Ausbildungspakt mit
der Wirtschaft soll erneuert werden. Mit ins BMBF wechselten als
Parlamentarische Staatssekretäre die CDU-Politiker Andreas
Storm und Thomas Rachel.
Die bessere Vereinbarkeit von Familie von Beruf und Famile hat
sich die neue Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Ursula von der Leyen (CDU) auf die Fahne geschrieben.
Die 47-jährige bisherige Sozialministerin aus Niedersachsen
setzt als Nachfolgerin von Renate Schmidt (SPD) dabei unter anderem
auf die Einführung des einkommensunabhängigen
Erziehungsgeldes und den Ausbau der Kinderbetreuung. Als
Parlamentarischer Staatssekretär im BMFSFJ tritt Hermann Kues
(CDU) an.
Mit 46 Jahren übernahm Sigmar Gabriel (SPD) als "Benjamin"
des Kabinetts das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (BMU) von seinem Amtsvorgänger
Jürgen Trittin (Grüne). Erste Bewährungsprobe wird
die Klimakonferenz in Montreal über das Kyoto-Protokoll. Und
der frühere niedersächsische Ministerpräsident darf
sich auf die Suche begeben nach einem geeigneten Endlager für
den Atommüll. Unterstützt wird er dabei von den zwei
Parlamentarischen Staatssekretären Michael Müller und
Astrid Klug (beide SPD).
Bei allen Vorhaben der neuen Regierungen richten sich die Augen
automatisch auf den neuen Herrn im Bundesfinanzministerium (BMF).
Peer Steinbrück (SPD) hat die sanierungsbedürftige
Bundeskasse aus der Hand von seinem Parteifreund Hans Eichel
übernommen. Dem 58-jährigen, ehemaligen
nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten wird beim
Rechnen mit der spitzen Feder von seinen Parlamentarischen
Staatssekretären Barbara Hendricks und Karl Diller (beide SPD)
unterstützt.
Zu nennen bleibt Ulrich Wilhelm als Regierungssprecher und
Leiter des Bundespresseamtes im Rang eines Staatssekretärs.
Der 44-jährige Nachfolger von Bela Anda muss die Politik der
Großen Koalition den Medien und der Öffentlichkeit
möglichst überzeugend "verkaufen".
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