Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > PARLAMENT > Wahlen > Bundesversammlung >
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Schlussbericht der Enquete-Kommission "Verfassungsreform"

Aus dem Schlussbericht der Enquete-Kommission "Verfassungsreform" des Deutschen Bundestages vom 9. Dezember 1976 (Bundestagsdrucksache 7/5924)




Volkswahl des Bundespräsidenten

Die Kommission hat auch geprüft, ob eine Stärkung der politischen Mitwirkungsrechte der Bürger sowie eine Verbesserung der demokratischen Legitimierung der staatlichen Leitungsorgane dadurch erreicht werden kann, dass der Bundespräsident - wie der Reichspräsident unter der Weimarer Reichsverfassung - unmittelbar vom Volk gewählt wird.


Der Zusammenhang der Volkswahl mit der Stellung und Funktion des Bundespräsidenten und der Organisation der Regierungsgewalt

Die Frage der unmittelbaren Volkswahl des Bundespräsidenten kann nicht isoliert betrachtet werden; sie muss im Zusammenhang mit der allgemeinen Stellung und den Befugnissen des Bundespräsidenten und der verfassungsrechtlichen Organisation der Regierungsgewalt, wie sie das Grundgesetz vornimmt, gesehen werden. Die Stellung des Bundespräsidenten ist nach dem Grundgesetz dadurch gekennzeichnet, dass er, anders als der Reichspräsident, nicht Mitträger der Regierungsgewalt ist, sondern - abgesehen von wenigen Ausnahmefällen, die aber kein politisches Machtgewicht für ihn begründen - auf die repräsentativen und integrativen Funktionen des Staatsoberhaupts beschränkt bleibt. Die Bildung und Abberufung der Regierung erfolgt nach dem Grundgesetz allein durch den Bundestag; der Bundespräsident hat nur ein einmaliges Vorschlagsrecht. Demgegenüber war der Reichspräsident durch sein materielles Ernennungs- und Entlassungsrecht den Reichskanzler betreffend dem Reichstag gegenüber deutlich in der Vorhand und konnte schon dadurch maßgeblichen Einfluss auf die Regierungspolitik nehmen. Diese Regelungen des Grundgesetzes beruhen auf bewussten Entscheidungen des Parlamentarischen Rates, der die Stellung des Bundespräsidenten gegenüber der des Reichspräsidenten politisch machtloser ausgestalten, die Regierungsgewalt nicht in sich dualistisch organisieren und die demokratische Legitimation der Regierung nur vom Parlament her erfolgen lassen wollte.


Die Gründe gegen eine Volkswahl des Bundespräsidenten

In diese Ausgestaltung des Präsidentenamtes und der Organisation der Regierungsgewalt passt nach Auffassung der Kommission die unmittelbare Volkswahl des Bundespräsidenten nicht hinein. Die unmittelbare demokratische Legitimation, die eine Volkswahl verschafft, verträgt sich nicht mit den geringen politischen Entscheidungskompetenzen, die dem Bundespräsidenten zukommen. Wird durch eine Volkswahl des Bundespräsidenten der demokratische Souverän zu einer politischen Entscheidung aufgefordert, so kann diese Entscheidung nicht durch die verfassungsrechtliche Distanz des Bundespräsidenten zur Tagespolitik, wie das Grundgesetz sie vorsieht, ins Leere gelenkt werden. Seine "überschießende" Legitimation würde dem Bundespräsidenten auf informellem Wege zusätzliche Machtbefugnisse verschaffen und ihn dazu drängen, sein Amt und seine Kompetenzen aktivpolitisch zu verstehen und auszuüben und aus der Distanz zur Tagespolitik herauszutreten. Auch im Präsidentenwahlkampf, der bei einer Volkswahl stattfinden muss, kämen die miteinander konkurrierenden Kandidaten nicht daran vorbei, sich auf politische Sachaussagen und Programmvorstellungen einzulassen und sich damit aktivpolitisch in bestimmter Weise zu profilieren. Von dem gewählten Kandidaten würde dann erwartet, dass er diese Aussagen und Vorstellungen auch einlöste.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass das Präsidentenamt durch die Volkswahl mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in jene betont politische Position hineingedrängt würde, die das Grundgesetz ihm vorenthalten hat; auch die Tendenz zur "doppelten Spitze" der Regierungsgewalt, wie sie für die Weimarer Reichsverfassung charakteristisch war, würde wieder aufleben. Eine Einführung der unmittelbaren Volkswahl des Bundespräsidenten bedeutet daher zugleich die Entscheidung für ein aktivpolitisches Präsidentenamt und müsste entsprechende Änderungen in den Aufgaben und Befugnissen des Bundespräsidenten nach sich ziehen. Die Kommission hat jedoch keinen Anlass gesehen, die vom Parlamentarischen Rat bewusst getroffenen Entscheidungen über die Ausgestaltung des Präsidentenamtes und die Organisation der Regierungsgewalt in Frage zu stellen oder gar zu revidieren. Sie spricht sich daher gegen die Einführung der unmittelbaren Volkswahl des Bundespräsidenten aus.

Quelle: http://www.bundestag.de/parlament/wahlen/146/1463bund_13
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion
ZUM THEMA