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15. Wahlperiode
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   8. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 15. Dezember 2005

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich.

   Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einige Mitteilungen zu machen:

   Als Nachfolger für den Kollegen Gerhard Schröder begrüße ich herzlich den Kollegen Clemens Bollen, der am 29. November die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat.

(Beifall)

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Vereinbarte Debatte: Berichte über angebliche Gefangenentransporte sowie die Verbringung deutscher und anderer Staatsangehöriger durch US-Stellen und das Verhalten von Bundesdienststellen in diesem Zusammenhang

(siehe 7. Sitzung)

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Link, Markus Löning, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Den EU-Haushalt auf höchstens 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens begrenzen und die finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 schnellstmöglich beschließen

- Drucksache 16/224 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 23)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz

- Drucksache 16/47 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Eigenverantwortung von Bosnien und Herzegowina stärken - Verfasssungsprozess unterstützen und „Bonn Powers“ des Hohen Repräsentanten abschaffen

- Drucksache 16/228 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigung der Operation Althea und Einrichtung einer internationalen nicht-militärischen Polizeimission in Bosnien und Herzegowina

- Drucksache 16/217 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss

ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 24)

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 1 zu Petitionen

- Drucksache 16/229 -

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 2 zu Petitionen

- Drucksache 16/230 -

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 3 zu Petitionen

- Drucksache 16/231 -

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 4 zu Petitionen

- Drucksache 16/232 -

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 5 zu Petitionen

- Drucksache 16/233 -

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zur Berufung von Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Konsortiums Nordeuropäische Gaspipeline (NEGP)

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Weichenstellung für eine Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer

- Drucksache 16/241 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

ZP 7 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung

- Drucksache 16/194 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die duale Berufsausbildung in Deutschland kontinuierlich verbessern

- Drucksache 16/235 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Berufsausbildung umfassend sichern

- Drucksache 16/198 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 10 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Existenzrecht Israels ist deutsche Verpflichtung

- Drucksache 16/197 -

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen, Florian Toncar, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Menschenrechte in Usbekistan einfordern

- Drucksache 16/225 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)
Auswärtiger Ausschuss

ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für die mandatsgebundene Begleitung VN-mandatierter Friedensmissionen durch Menschenrechtsbeobachter

- Drucksache 16/226 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss

ZP 13 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur europäischen Chemikalienpolitik (REACH)

ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Freiheit des Telefonverkehrs vor Zwangsspeicherungen

- Drucksache 16/237 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

   Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.

   Tagesordnungspunkt 24 a - hier handelt es sich um das Dienstleistungskonjunkturstatistikgesetz - soll abgesetzt werden.

   Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Damit ist das so beschlossen.

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 2 auf:

4. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung

zum Europäischen Rat am 15./16. Dezember 2005 in Brüssel

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Link, Markus Löning, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Den EU-Haushalt auf höchstens 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens begrenzen und die finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 schnellstmöglich beschließen

- Drucksache 16/224 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

(Dr. Peter Struck (SPD): Norbert, langsam!)

- Wie ich sehe, ist Herr Außenminister Steinmeier noch nicht im Saal anwesend.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wir würden gerne beraten! Wir würden gerne anfangen!)

- Wir werden die angekündigten Beratungen ganz sicher aufnehmen. Aber die Empfehlung des SPD-Fraktionsvorsitzenden, sicherzustellen, dass möglichst viele an diesen Beratungen teilnehmen können, hat eine gewisse Plausibilität.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Solange die Opposition da ist! - Gegenruf der Bundeskanzlerin Angela Merkel: Und die Spitze der Regierung! - Volker Kauder (CDU/CSU): Da kommt er!)

   Die Zeit, die ich nun dem Bundesaußenminister einräume, um sich auf die bevorstehende Regierungserklärung vorzubereiten, möchte ich dazu nutzen, der Kollegin Renate Künast zu ihrem heutigen runden Geburtstag zu gratulieren.

(Beifall)

- Der Tag beginnt mit einem überfraktionellen Beifall. Wir wollen einmal sehen, wie lange er sich aufrechterhalten lässt.

   Wir kommen nun zum aufgerufenen Tagesordnungspunkt zurück. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:

Herr Präsident, ich danke Ihnen für Ihre Geduld. Ich wurde von Mitgliedern des Parlaments etwas aufgehalten.

   Meine Damen und Herren! Heute Nachmittag beginnt in Brüssel der Europäische Rat. Ich kann und darf Ihnen nicht verheimlichen, dass er in eine durchaus schwierige Zeit fällt.

Ich habe in meinen öffentlichen Reden in der letzten Zeit auch nicht verheimlicht, dass ich davon ausgehe, dass sich Europa nach den Referenden in Frankreich und in den Niederlanden in einer Krise befindet. Daran gibt es aus meiner Sicht auch nichts zu beschönigen. Der Verfassungsvertrag wurde nicht aufgegeben, aber er ist im Augenblick storniert. Wir wollen und werden an ihm festhalten.

   Ich sage bei diesem Thema aber auch immer: Wir müssen hier sehr realistisch sein. Nach den Diskussionen, die wir in den europäischen Hauptstädten führen, sieht es im Augenblick nicht so aus, als ob wir kurzfristig in die Lage versetzt werden, den Menschen über die Fortsetzung der Ratifizierungsverfahren in den anderen Ländern zu zeigen, dass wir in Europa Handlungsfähigkeit zurückgewinnen, wenngleich einige Länder die Verfahren fortführen.

   Die andere Frage, der die britische Ratspräsidentschaft in Hampton Court vor kurzem nachgegangen ist, lautet: Was kann das große gemeinsame europäische Projekt sein, wenn wir über den Verfassungsvertrag kurzfristig nicht zu einem Dokument für die Wiedergewinnung von mehr Handlungsfähigkeit in Europa kommen? Darüber wurde in Hampton Court und wird an anderer Stelle in Europa diskutiert. Ich sage dazu immer Folgendes: Ich finde die Suche nach dem großen, neuen gemeinsamen europäischen Projekt richtig. Sie muss stattfinden. Noch wichtiger ist aber, dass Europa an einer Stelle Erfolg hat. Diesen Erfolg kann sich Europa in den verbleibenden Tagen dieser Woche mit einer Verständigung über den Finanzrahmen für die Jahre 2007 bis 2013 verschaffen. Ich glaube, das wäre ein Signal, das auch von den Menschen verstanden werden würde und für das wir kein neues Projekt suchen müssten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Sie wissen das. Der finanzielle Rahmen bzw. die finanzielle Vorausschau ist unerlässlich. Wir brauchen diesen finanziellen Rahmen, damit die EU ihre Politiken innerhalb dieses Rahmens gestalten kann. Er ist insbesondere dort erforderlich, wo wir eine langfristige Strategie brauchen, wo wir auf der einen Seite Finanzsicherheit und auf der anderen Seite Planungssicherheit brauchen. Das gilt etwa für die europäische Forschungspolitik, für die Migrationspolitik und insbesondere für all die Politikbereiche, auf die wir uns im Rahmen der Lissabon-Strategie miteinander verständigt haben.

   Die Einigung ist für uns deshalb mindestens so entscheidend wie für die anderen europäischen Staaten. Im Juni haben wir die Einigung unter der luxemburgischen Ratspräsidentschaft in Luxemburg schon einmal versucht. Ich sage voraus: Wenn wir am Ende dieses Jahres mit dem zweiten Versuch einer Einigung über den Finanzrahmen erneut scheitern würden, dann ginge davon ein verheerendes Signal für die Bürgerinnen und Bürger aus. Insbesondere darf nicht vergessen werden, dass sich ein Scheitern vor allem zulasten der neuen Mitgliedstaaten auswirken würde.

   Wir sollten die neuen Mitgliedstaaten im Fokus behalten, weil sie vor allen Dingen diese klare finanzielle Perspektive brauchen und sie sich auch darauf verlassen dürfen; denn wir hatten verabredet, dass die Strukturpolitik durch den neuen finanziellen Rahmen so ausgestattet wird, dass ihnen ein Hineinwachsen in die Europäische Union ermöglicht wird. Dieses Versprechen würde nicht erfüllt, wenn wir jetzt keine langfristige Verständigung über den finanziellen Rahmen hinbekommen würden; denn - ich deutete es eben an - die Mittel für die Strukturpolitik können nur auf der Grundlage dieses mittelfristigen Finanzrahmens vernünftig eingesetzt werden. Die neuen Mitgliedstaaten der EU brauchen diese Mittel jetzt. Mit anderen Worten: Je später sie fließen, desto länger dauern Aufbau- und Aufholprozesse. Wir alle miteinander wissen: Deutschland hat jedes Interesse daran, dass diese Prozesse so schnell wie möglich ablaufen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die neuen Mitglieder der EU haben sich verpflichtet, den Acquis communautaire umzusetzen. Sie sind bereit, ihren Beitrag zum Haushalt zu leisten. Sie haben deshalb auch jedes Recht, an den Programmen der Union fair und solidarisch zu partizipieren. Nur so können sie auch wirklich in die Europäische Union hineinwachsen und dieser Union Wachstumsimpulse verleihen, von denen wir, die alten Mitgliedstaaten, zuvörderst profitieren werden.

   Deshalb sage ich: Die Bundesregierung ist der Auffassung, die Integrationskraft des europäischen Gedankens hängt jetzt vornehmlich von der Kompromissfähigkeit aller Mitgliedstaaten ab. Diese Kompromissfähigkeit ist in guter Tradition des europäischen Gedankens gefordert. Eitelkeiten - in Einzelheiten wollen wir nicht gehen - dürfen nicht den Blick auf das verstellen, was für uns alle in der Europäischen Union wesentlich ist. Je später eine Einigung über die Finanzen erfolgt, desto schwieriger wird sie. Ein Abschluss 2006 - um nicht an Schlimmeres zu denken - würde jedenfalls ungleich komplizierter sein als eine Einigung morgen oder spätestens übermorgen.

   Wenn ich das so sage, dann werden Sie mit Recht fragen: Wo stehen wir in den augenblicklichen Vorverhandlungen? Sie wissen, dass die britische Ratspräsidentschaft den Mitgliedstaaten in der vergangenen Woche einen Vorschlag gemacht hat. Sie hat diesen Vorschlag gestern noch einmal nachgebessert. Wir gehen davon aus, dass das letzte Wort über diesen Vorschlag noch nicht gesprochen ist. Der neueste Vorschlag wird heute Nachmittag in Brüssel diskutiert. Dann gehe ich davon aus, dass in den Stunden, Tagen und Nächten danach härtere Auseinandersetzungen auf uns zukommen, und zwar auch deshalb, weil jeder Mitgliedstaat Rücksicht auf seine innenpolitische Situation zu nehmen hat. Mit Blick darauf wissen wir alle, dass die Situation für die allermeisten Mitgliedstaaten seit dem Versuch im Sommer, Verständigung über den Luxemburger Vorschlag zu erreichen, nicht einfacher geworden ist.

   Für die deutsche Regierung heißt das zentrale Prinzip Fairness. Die Erweiterung war und ist im Interesse aller Mitgliedstaaten. Daher treten wir für eine solidarische Finanzierung der Erweiterung ein. Das bedeutet konkret, ohne dass ich jetzt den Blick auf einzelne Länder richten will: Jedes Land muss seinen Anteil leisten. Damit meine ich: nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

   Wir haben uns - das haben Sie in den letzten Tagen in öffentlichen Stellungnahmen dieser Regierung häufig gehört - nicht daran beteiligt, den britischen Vorschlag in Bausch und Bogen zu verdammen. Wir haben immer gesagt, dieser britische Vorschlag ist eine Arbeitsgrundlage. Wir hoffen, dass aufgrund der erneuerten Verhandlungsbox, die die Briten gestern vorgestellt haben, eine Verständigung möglich ist. Die deutsche Regierung jedenfalls wird sich daran konstruktiv beteiligen.

   Wir haben in den letzten drei Wochen versucht, in den Gesprächen mit den Mitgliedstaaten die Kompromissbereitschaft zu fördern, ohne dabei unsere Ziele aufzugeben. Die Bundeskanzlerin und ich haben in den einschlägigen Gremien darauf hingewiesen, dass uns die Strukturförderung in den neuen Bundesländern in besonderem Maße am Herzen liegt, dass die Landwirtschaftsförderung angemessen ausgestaltet sein muss und dass vor allen Dingen unsere Belastungsgrenze als größter Nettozahler innerhalb der EU anerkannt werden muss. Ich jedenfalls sehe, dass dies in den Luxemburger und britischen Vorschlägen der Ratspräsidentschaft berücksichtigt worden ist.

   Wir können insbesondere bei dem letzten Punkt, der Ausgabenobergrenze, mit Selbstbewusstsein vortragen - ich habe in den einschlägigen Räten gemerkt, dass das Argument auf Widerhall stößt -: Wir unternehmen in unserem Land größte Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung und können deshalb den Menschen in Deutschland schlecht erklären, dass dies auf der EU-Ebene bei der Vorbereitung des Haushalts nicht berücksichtigt wird.

Kurz gesagt habe ich dort zum Ausdruck gebracht: Ein sparsamer Haushalt ist nicht weniger europäisch als ein ausgabenfreudiger Haushalt. Das ist auch von den Nettozahlern in der EU bemerkt worden.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

   Alles in allem und zur Abrundung dieses Komplexes: Ich will nicht mit Blick auf die finanzielle Vorausschau und die bevorstehenden Gespräche übertriebenen Optimismus verbreiten. Das wäre nicht gerechtfertigt. Ich fahre aber mit einer gewissen Zuversicht nach Brüssel, dass alle das allergrößte Interesse daran haben, Verständigung zu suchen, und auch Kompromissbereitschaft mitbringen. Ich jedenfalls hoffe auf ein großes Maß europäischer Vernunft in den nächsten Tagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ein Thema jenseits der finanziellen Vorausschau, das uns in den letzten Tagen auf den Außenministerräten erheblich beschäftigt hat, ist die Beitrittsperspektive für die Staaten des westlichen Balkans. Ich will das an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Es ist kein einfaches Thema, sondern eines, zu dem es innerhalb der Europäischen Union weiß Gott keine in jeder Hinsicht übereinstimmende Meinung gibt. Es gibt aber eine Perspektive: Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass Ahtisaari mit der Klärung der Statusbestimmung für den Kosovo in den nächsten zwölf Monaten Erfolg hat. Dieser Erfolg setzt Rahmenbedingungen. Diese bestehen darin, dass wir die Annäherung der Staaten des Westbalkans an die Europäische Union erhalten müssen. Das konzentriert sich auf dem bevorstehenden europäischen Gipfeltreffen auf die eine Frage, ob wir Mazedonien den Beitrittskandidatenstatus gewähren werden. Darüber ist in den letzten zwei oder drei Wochen diskutiert und zum Teil auch gestritten worden. Es scheint sich anzudeuten, dass die Frage des Beitrittskandidatenstatus mit einigen - insgesamt vier - Staaten, die allergrößte Skepsis hatten, dann zu lösen sein wird, wenn wir sie mit einer Diskussion über die Grenzen der Europäischen Union verbinden, die aber ohnehin ab dem nächsten Jahr zwischen den Mitgliedstaaten geführt werden wird. Insofern gehe ich davon aus, dass sich der Europäische Rat für den Beitrittskandidatenstatus Mazedoniens aussprechen wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Kommission wird des Weiteren - das ist das dritte Thema - auf dem Europäischen Rat ihren Bericht zur Migration vorstellen. Sie wissen oder ahnen - das war auch Thema auf dem Euro-Med-Gipfel -, dass die Bedeutung dieses Themas für unseren Kontinent gar nicht überschätzt werden kann. Sie haben sicherlich noch die dramatischen Ereignisse in den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla vor Augen. Der Bericht der Kommission beruht auf einem politikübergreifenden Ansatz und stellt insofern einen wichtigen Schritt für die gemeinsame Migrationspolitik dar, als er auch Rücksicht auf alle Weltregionen - insbesondere die Nachbarschaftsregionen im nördlichen Afrika - nimmt. Deshalb begrüßen wir diesen Bericht ausdrücklich.

   Letztlich - das sollen meine Schlussworte sein - wird sich der Europäische Rat auf unsere Anregung hin mit den jüngsten Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad zu Israel befassen. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag haben diese Aussagen - insbesondere die Leugnung des Holocaust und des Existenzrechts Israels - mit Bestürzung zur Kenntnis genommen. Wir verurteilen sie aufs Schärfste.

(Beifall im ganzen Hause)

   Derart inakzeptable Ausführungen zum Nahostkonflikt zeigen, mit wie viel Verantwortungslosigkeit und Zynismus die Situation Israels und des Nahen Ostens von der iranischen Regierung gegenwärtig beurteilt wird. Ich habe bereits gestern öffentlich gesagt: Das erschwert natürlich auch die weiteren Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm. Ich wiederhole an dieser Stelle: Die Regierung in Teheran muss begreifen, dass die Geduld der internationalen Staatengemeinschaft nicht endlos ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich komme auf meinen Anfangssatz zurück. Der heute beginnende Europäische Rat ist ein wichtiger Gipfel in einer schwierigen Zeit. Die Bundeskanzlerin und ich werden später nach Brüssel reisen, um dort deutsche Interessen entschlossen zu vertreten, gleichzeitig aber alles dazu beizutragen, dass der Rat ein Erfolg für uns und Europa wird.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion.

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister reisen zu ihrem ersten großen Europäischen Rat in einer krisenhaften Situation der Europäischen Union. Wesentliche Entscheidungen, die Auswirkungen auf eine ganze Reihe von europäischen Räten haben, werden zu treffen sein. Wir als liberale Opposition wünschen ihnen viel Erfolg bei dem nun beginnenden Europäischen Rat in Brüssel,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

auch deshalb, weil es in unserem Interesse liegt, dass manches geklärt wird, was uns sonst vor die Füße fällt, wenn wir im Januar 2007 die Ratspräsidentschaft übernehmen. Es wäre gut, wenn das eine oder andere vorher erledigt werden könnte.

   Es sind mindestens vier große Komplexe, die Europa in die gegenwärtige Krise gebracht haben: das bisher fehlende Einvernehmen über die finanzielle Vorausschau, das Stocken des Verfassungsprozesses, eine Glaubwürdigkeits- sowie eine Vertrauens- und Zutrauenskrise bei den Bürgerinnen und Bürgern im Hinblick auf das große europäische Projekt und nicht zuletzt die wirtschaftliche Situation, die deutlich macht, dass wir im Hinblick auf das Erreichen der Lissabon-Ziele nicht vorankommen, was übrigens kein Thema der Europäischen Union, sondern eines ihrer Mitgliedstaaten ist. Deswegen herrschen eher Skepsis und Unsicherheit in der Bevölkerung. Es gibt eine fast sklerotische Erscheinung der Europäischen Union, die an das erinnert, was Ende der 70er-Jahre/Anfang der 80er-Jahre war. Dann kam damals das große Projekt: der Binnenmarkt. Und innerhalb kürzester Zeit war von europäischer Sklerose keine Rede mehr. Deswegen hat der Außenminister Recht, wenn er sagt: Es bedarf jetzt eines großen, neuen europäischen Projekts, um die Bürgerinnen und Bürger wieder mitzunehmen, und zwar in Kenntnis der Tatsache, dass wir diese vertiefte und erweiterte Europäische Union brauchen.

(Beifall bei der FDP)

Man muss sich gegenwärtig nur in der Welt umschauen, um zu begreifen, dass ein neues europäisches Projekt, zu dem nach meiner Auffassung der Verfassungsvertrag gehört, dringend erforderlich ist.

   Wir haben die Befürchtung, dass bei dem gerade stattfindenden WTO-Gipfel in Hongkong nichts herauskommt. Ob mithilfe der Autorität, die dem amerikanischen Präsidenten im nächsten Jahr noch gegeben sein wird, einen Vertrag abzuschließen, etwas zustande kommt, ist noch völlig unklar. Das geht mit Blick auf die deutschen Interessen weit über die Fragen betreffend die Agrarpolitik hinaus, so wichtig dieses Feld - hier muss sich die Europäische Union bewegen - auch sein mag. Hier geht es vielmehr darum, ob wir in Zukunft noch auf ein wirklich globales Welthandelssystem setzen können oder ob wir auf das Niveau eines Systems bzw. Netzwerkes von bilateralen oder interregionalen Vereinbarungen absinken werden. Letzteres kann nicht im Interesse der großen Export- und Importnation Bundesrepublik Deutschland liegen. Wir haben ein großes Interesse an einer funktionstüchtigen WTO. Hier muss die Europäische Union voll handlungsfähig sein. Deswegen müssen wir an dem großen europäischen Projekt dringend weiterarbeiten.

(Beifall bei der FDP)

   Es kann nicht sein, dass viele Menschen in Europa fasziniert auf die wirtschaftlichen Entwicklungen in China und Indien blicken und gleichzeitig fast vor Angst erstarren. Die Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung ist die europäische Integration. Hier müssen wir dringend wieder ansetzen.

(Beifall bei der FDP)

Das müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern aber auch sagen. Dabei darf sich niemand in die Ackerfurche ducken. Wir haben ja in der europäischen Politik die unglückliche Situation, dass das Erklären gegenüber der Bevölkerung oft einigen wenigen überlassen wird. Diese sind zumeist so sehr Experten, dass sie vergessen, ihre Erklärungen so zu formulieren, dass die Bürgerinnen und Bürger mitkommen. Hier muss sich jeder in der Politik und insbesondere in diesem Parlament in die Pflicht nehmen lassen. Das gilt auch für den Verfassungsprozess.

   Das - zumindest vorläufige - Scheitern des Verfassungsprozess ist deshalb so tragisch, weil die Kritik an der Europäischen Union, die immer wieder vorgetragen und auch von Politikerinnen und Politikern verstärkt wird, durch den Verfassungsvertrag selber in wesentlichen Teilen entkräftet worden wäre. Die Bedenken, die häufig geäußert werden, wären dann, wenn der Verfassungsvertrag durchgekommen wäre, hinfällig. Das gilt für die Themen Transparenz, Demokratie, Subsidiarität und Bürgernähe. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Reflexionsphase, die jetzt eingetreten ist und auf die man sich verständigt hat, tatsächlich zur Reflexion nutzen. Denkpause heißt ja nicht Pause vom Denken, sondern zum Denken.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Das, was der Europäischen Union fehlt - das merkt man an der schwierigen Finanzsituation, die heute in Brüssel zu besprechen sein wird -, ist Leadership, Führungskraft. Weit und breit sind keine Persönlichkeiten zu erkennen, die für die Menschen einen persönlichen Beitrag leisten könnten, um Europa wirklich voranzubringen.

   Es wird sich in den nächsten Jahren viel ändern. Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland eine Schlüsselfunktion zukommen wird, nicht nur wegen der Präsidentschaft, die Deutschland im Jahr 2007 übernehmen wird, sondern auch deshalb, weil bei den neuen personellen Konstellationen auf Deutschland eine ganz besondere Verantwortung zukommt und eine große Erwartungshaltung auf Deutschland projiziert wird.

   Die Menschen in Europa, nicht nur die Politikerinnen und Politiker, haben den Eindruck, dass in Deutschland ein Wechsel stattgefunden hat, der auch zu einem Wechsel in der europapolitischen Positionierung führt. Deutschland wird nicht mehr dazu beitragen - ich bin ganz sicher, dass die Bundeskanzlerin dafür sorgen wird -, dass wir als Teil eines Direktoriums wahrgenommen werden, sondern in der Rolle, die Deutschland aufgrund seiner Geschichte, der kulturellen Umstände, seiner Geographie, strategischer Überlegungen und nicht zuletzt seiner Wirtschaftskraft zukommt. Deutschland muss ein ausgleichender Faktor sein, und zwar zwischen groß und klein, zwischen neu und alt und zwischen Verbündeten und Partnern, die früher nicht so eng zusammengearbeitet haben. Deswegen wird mein Kollege Michael Link ausführlich auf die Finanzfragen und die Rolle, die Deutschland bei der Bewältigung dieses Problems spielen muss, eingehen.

   Es sind auf dem Weg zu einer Verständigung auf den letzten Metern noch ganz wichtige Verhandlungen zu führen. Diese finden übrigens nicht auf der Bühne, sondern weiter hinten statt. Deshalb soll man sich nicht verrückt machen. Es ist darauf zu achten, dass wir, auch im Hinblick auf unsere eigenen Interessen, sicherstellen, dass dabei nichts den Bach heruntergeht. Ich denke insbesondere an die Situation der neuen Bundesländer. Das ist aber auch ein so schwieriges technisches Problem, dass man es nicht auf der großen Bühne austragen können wird, wenn man es lösen will.

   Etwas ist mir in diesem Zusammenhang ganz besonders wichtig. Herr Minister Steinmeier hat zu Recht gesagt: Wir werden dort unsere nationalen Interessen vertreten. - Aber er hat auch gesagt - ich sage es in meinen Worten -, dass es um das große Ganze gehe. Es muss am Ende der Europäischen Räte Schluss sein mit den Pressekonferenzen, wo diejenigen, die dort sprechen, den Menschen den Eindruck vermitteln, Europa sei ein Nullsummenspiel, und sagen, sie hätten für sich etwas herausgeschlagen und dafür habe ein anderer bluten müssen. Nein, meine Damen und Herren, wir müssen endlich wieder über den europäischen Mehrwert reden und genau den wünschen wir uns für den Europäischen Rat, der heute beginnt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Andreas Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich an die abschließende Bemerkung von Herrn Minister Steinmeier anknüpfen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die scharfe und eindeutige Reaktion der Bundesregierung auf die jüngsten Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad zu Israel. Wir erwarten eine ebenso entschiedene Stellungnahme des Europäischen Rates.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer das Existenzrecht Israels in Frage stellt und den Holocaust leugnet - und das zum wiederholten Mal -, darf von der internationalen Gemeinschaft nicht toleriert werden. Wer den Versuch unternimmt, die Stabilisierungsbemühungen im Nahen Osten zu torpedieren, der muss aber auch auf den entschiedenen Widerspruch der Staaten der Region treffen. Deshalb bedauern wir, dass weder die Arabische Liga noch die Nachbarstaaten in der Region bis heute ihrer Verantwortung nachgekommen sind, im Sinne der Friedensbemühungen im größeren Nahen Osten die Äußerungen des iranischen Präsidenten zurückzuweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Der Außenminister hat die deutsche Position zur finanziellen Vorausschau ausführlich dargelegt. Ich möchte für meine Fraktion dazu deshalb nur drei grundsätzliche, kurze Anmerkungen machen:

   Erstens. Jedes Mitgliedsland muss einen gerechten Anteil an der Finanzierung der EU übernehmen. Deutschland ist bereit, seinen Teil zu einem vernünftigen Kompromiss beizutragen, im Sinne der Solidarität mit den Partnerländern. Das heißt aber auch, dass das Wohlstandsniveau und das Ausmaß der finanziellen Belastungen in einer Relation stehen müssen, die von den Bürgern als fair empfunden wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Zweitens. Besonders mit Blick auf die neuen Mitgliedstaaten gilt: Die Lösung der Finanzfrage darf nicht auf dem Rücken der schwächsten Mitglieder ausgetragen werden. Diesem Grundsatz hat der inzwischen zurückgezogene britische Vorschlag in keiner Weise entsprochen. Wir haben die Überwindung der Teilung Europas mit der Erweiterung um die ostmitteleuropäischen Staaten vor 18 Monaten doch nicht gefeiert, um jetzt neue Trennlinien zu ziehen.

   Drittens. Angesichts der mehr als schwierigen Finanzlage Deutschlands wäre es nicht hinnehmbar, wenn von uns eine im Vergleich zum Vorschlag der luxemburgischen Präsidentschaft höhere Belastung verlangt werden sollte, sei es durch ein höheres Ausgabenvolumen oder durch eine niedrigere Korrektur. Kein EU-Mitgliedstaat weist eine so hohe Differenz auf zwischen dem Wohlstandsniveau einerseits - unter den 25 EU-Mitgliedern steht unser Land an elfter Stelle - und der Pro-Kopf-Nettobelastung andererseits, bei der Deutschland an dritter Stelle steht. Wir werden in unserer Bevölkerung nicht die notwendige Akzeptanz für die Europäische Union finden, wenn diese Schere weiter auseinander geht, anstatt sich zu schließen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Das Gipfeltreffen am Ende einer EU-Präsidentschaft bietet immer auch den Anlass, eine kritische Bilanz zu ziehen. Wir hoffen sehr, dass Premierminister Blair alles tut, damit die Finanzverhandlungen heute und morgen zu einem erfolgreichen Abschluss kommen und damit noch ein versöhnliches Ende der britischen Präsidentschaft möglich wird.

   Bislang wurden die hohen Erwartungen, die Tony Blair selbst geweckt hat, nicht erfüllt. Seine Rede im Juni vor dem Europäischen Parlament hinterließ den Eindruck: Hier geht einer, der sich selbst als „begeisterten Europäer“ bezeichnet, mit frischem Elan an die Überwindung der Krise der Europäischen Union, in der sie sich spätestens seit den gescheiterten Referenden in Frankreich und in den Niederlanden befindet. Er hat viele wichtige und auch richtige Fragen aufgeworfen, wie die EU im Zeitalter der Globalisierung handlungs- und konkurrenzfähig bleiben könnte. Es war sogar von einer Offensive Blairs für eine Modernisierung der Europäischen Union die Rede. Insofern ist er mit einem hohen Anspruch gestartet.

   Heute, am Ende der britischen Präsidentschaft, müssen wir feststellen: Es gab viel Rhetorik und bescheidene Ergebnisse. Es wurde viel Zeit vergeudet, aber zu wenig getan, um die EU aus der Krise zu führen. Der fulminanten Rede vor dem Europäischen Parlament folgte eine lange Zeit des Schweigens. In der Frage der finanziellen Vorausschau könnten wir heute schon viel weiter sein, wenn die Präsidentschaft früher ernsthafte Verhandlungen darüber begonnen hätte, statt erst vor zehn Tagen einen ersten und dann auch noch inakzeptablen Vorschlag vorzulegen. Dabei steht Großbritannien in einer besonderen Verpflichtung, eine Lösung zu suchen, nachdem es unter luxemburgischer Präsidentschaft einen Kompromiss bei der Finanzfrage durch sein Veto verweigert hat. So ist zu der Verfassungskrise Europas eine Budgetkrise hinzugekommen.

   Wir müssten in Europa schon längst eine breite öffentliche Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union führen, über die Grenzen der EU und über die Frage, was Sinn und Zweck des europäischen Einigungsprozesses ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

   Herr Minister Steinmeier, Sie haben Recht: Wir dürfen über diesen grundsätzlichen Fragen die Lösung der Tagesfragen nicht vergessen. Die Lösung der Tagesfragen ist die Voraussetzung dafür, dass wir handlungsfähig bleiben. Wir müssen diese grundsätzlichen Fragen angehen, weil wir sonst die Vertrauenskrise in der Europäischen Union und alles, was daraus folgt, nicht überwinden können.

Tony Blair hat das alles vor dem Europäischen Parlament richtig dargestellt. Der Gipfel von Hampton Court war vielleicht eine interessante Seminarveranstaltung. Doch die Initialzündung für eine breite Diskussion über die Frage: „Was kann und soll die EU leisten und was kann sie nicht leisten?“ war er nicht. Wir hoffen sehr, dass es in den Verhandlungen heute und morgen noch zu einem erfolgreichen Abschluss in der Finanzfrage kommt und dass sich Großbritannien solidarisch, das heißt stärker und vor allem dauerhaft, an der Finanzierung der Erweiterung beteiligt.

   Wir erkennen sehr wohl an, dass Großbritannien seinen Arbeitsmarkt für Polen, Slowaken und andere Bürger aus den neuen Mitgliedstaaten geöffnet hat und vielen Tausenden Ostmitteleuropäern erlaubt, dort zu arbeiten und Geld nach Hause zu schicken. Das hat bisher keine andere europäische Volkswirtschaft in vergleichbarem Umfang getan. Wir erkennen auch an, dass Premierminister Blair bereit ist, den britischen Beitragsrabatt zu kürzen, obwohl ihm von vielen in Großbritannien Verrat an britischen Interessen vorgeworfen wird. Aber wir müssen feststellen, dass das, was die britische Präsidentschaft bisher vorgelegt hat, der Solidarität mit den schwächeren Mitgliedstaaten nicht ausreichend Rechnung trägt. Zu dieser Solidarität gehört auch, dass eine Regelung für die Senkung des britischen Beitragsrabatts über das Jahr 2013 hinaus gültig bleiben muss.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn die Finanzverhandlungen daran scheitern sollten, dann könnte am Ende der Eindruck haften bleiben, dass hier ein Land seine Präsidentschaft genutzt hat, um sich finanzielle Vorteile zu erhalten - und dies ausgerechnet auf Kosten der Schwächsten. Ein solches Ergebnis liegt nicht im europäischen Interesse, weil es die Krise der Europäischen Union verschärfen würde. Es kann auch nicht im britischen Interesse liegen. Deshalb zählen wir sehr darauf, dass der britische Premierminister alles unternehmen wird, seine EU-Präsidentschaft erfolgreich abzuschließen.

   Es ist dringend erforderlich, die Frage der künftigen Finanzierung der Europäischen Union endlich vom Tisch zu bekommen, damit sich die EU auf die Überwindung ihrer Krise konzentrieren kann. Wenn wir bei den Bürgern mehr Akzeptanz für die Europäische Union schaffen wollen, dann müssen wir ihnen das Gefühl vermitteln, dass die EU fähig ist, die dringenden Probleme zu lösen, beispielsweise zur Bewältigung der Globalisierung deutlich mehr wirtschaftliche Stärke und Modernität zu entwickeln und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Was mit der Lissabonner Strategie entwickelt wurde, ist nach wie vor richtig: flexible Arbeitsmärkte, die weitere Öffnung des Binnenmarkts, die stärkere Förderung von Forschung, eine stete Verbesserung von beruflichen Qualifikationen. Wenn wir dem Wettbewerb standhalten wollen, den andere Regionen der Welt entfalten, dann gibt es dazu keine Alternative. Aber dann dürfen der Kok-Bericht und andere Gutachten nicht länger in den Schubladen begraben bleiben,

(Zuruf des Abg. Dr. Werner Hoyer (FDP))

sondern dann müssen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten die Lissabonner Strategie endlich umsetzen. Lieber Herr Kollege Hoyer, was die Koalition in ihrem Koalitionsvertrag vorgelegt hat, ist der ernsthafte Versuch, bei dieser Umsetzung ein gutes Stück weiterzukommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Dr. Werner Hoyer (FDP): Das glauben Sie ja selber nicht!)

   Zu der breiten Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union gehört natürlich auch die Frage nach der Aufnahmefähigkeit der EU. Wenn es keine Rückentwicklung der EU zu einer gehobenen Freihandelszone geben soll, sondern wenn, wie es die Außenminister am 3. Oktober beschlossen haben, Zusammenhalt, Wirksamkeit und Handlungsfähigkeit der EU verbessert werden sollen und der Integrationsprozess vertieft werden soll, dann müssen wir unter österreichischer Präsidentschaft im nächsten Halbjahr eine grundsätzliche Debatte darüber führen, wie dies erreicht werden kann. Wir alle wissen, wie schwer es in den nächsten 18 Monaten bis nach den französischen Wahlen werden wird, wichtige Grundsatzentscheidungen zu treffen. Doch diese Zeit kann und sollte dazu genutzt werden, über die verschiedenen Vorstellungen von Europa, die es unter den 25 Mitgliedstaaten gibt, zu sprechen und dann daraus auch Konsequenzen zu ziehen. Die so genannte Denkpause, die sich die EU verordnet hat, ist kein Freibrief für Nichtstun. In diesem Sinne sollten wir als Deutscher Bundestag vorbildlich handeln. Wir sollten auch die Anregung der österreichischen Präsidentschaft aufgreifen und die Fragen betreffend den westlichen Balkan, die Sie erwähnt haben, Herr Außenminister, in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen.

   Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile dem Kollegen Diether Dehm, Die Linke, das Wort.

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Scheitern des Verfassungsvertrages bei den Volksentscheiden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte auch der Versuch, sich im Europäischen Rat am 16./17. Mai vergangenen Jahres auf eine Finanzielle Vorausschau für die Jahre 2007 bis 2013 zu einigen. Allgemein war die Rede von der Krise der Europäischen Union; nur am Bewusstsein bezüglich des Charakters und der Tiefe der Krise fehlte es bei Ihnen, den Regierenden, und es gab keinen Gedanken daran, dass der Verfassungsvertrag seines Inhalts wegen abgelehnt worden war,

(Beifall bei der LINKEN)

und vor der finanziellen Weichenstellung keinen Versuch, den Weg der Union seit Maastricht kritisch zu hinterfragen.

   Dabei weiß doch offenbar niemand so recht Antworten auf vier zentrale Fragen:

   Auf welcher Grundlage sind eine nachholende Entwicklung der beigetretenen Länder und ein umfassender sozialer Zusammenhalt in der Union möglich?

   Kann die Europäische Union den gewachsenen Aufgaben mit derselben Finanzausstattung gerecht werden oder gar mit einer geringeren?

   Können in Phasen konjunktureller Stagnation zusätzliche finanzielle Leistungen von den Mitgliedstaaten erwartet und zugleich die Einhaltung der Maastricht-Kriterien verlangt werden?

   Ist es den Ländern, die an sich finanziell leistungsfähiger sind als andere, überhaupt möglich, zusätzliche Beiträge an die Europäische Union aufzubringen, wenn nicht zugleich Steuerdumping europaweit unterbunden wird?

(Beifall bei der LINKEN)

   Diese Fragen, meine Damen und Herren, wurden nicht einmal gestellt. Stattdessen wurde ein weiteres Mal nach dem ebenso beliebten wie irrealen Motto „Mehr Europa für weniger Geld“ verfahren. Ich sage für die Linke, nicht nur in Deutschland: Das gibt Widerstand!

(Beifall bei der LINKEN)

   Bei der Deckelung tat sich besonders die rot-grüne Bundesregierung hervor, unterstützt von den beiden anderen neoliberalen Bundestagsfraktionen. Zusammen mit den Regierungen der anderen Nettozahler trat sie dafür ein, die finanzielle Entwicklung auf 1 Prozent der gemeinschaftlichen Wirtschaftsleistung zu schrumpfen. Auch daran, an Ihnen, scheiterten die Versuche von Jean-Claude Juncker, bei einem Prozentsatz von 1,06 zu einer Einigung zu gelangen. Nicht nur am Britenrabatt. Und nicht nur an der Verteidigung des Agrarkompromisses von 2003 durch die französische Regierung. Es fehlte auch an der Bereitschaft der Bundesregierung, einen Beitrag zu zahlen, der den Vorteilen entspricht, die wir als Exportweltmeister aus der EU und auch aus der Erweiterung ziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Inzwischen war die Präsidentschaft der Europäischen Union auf Großbritannien übergegangen. Tony Blair hat zu ihrem Beginn in leuchtenden Farben fulminante Bilder gemalt. Danach geschah nicht viel. Erst jetzt, nach fünf Monaten, kurz vor Ende seiner Präsidentschaft, wurde ein neuer Vorschlag für die Finanzielle Vorausschau vorgelegt. Der Bundestag ist von diesen Vorschlägen durch die Bundesregierung nur sehr unvollkommen informiert worden. Das ist nicht nur bedauerlich; das ist gänzlich inakzeptabel und stellt eine Missachtung der parlamentarischen Informations- und Kontrollrechte dar.

(Beifall bei der LINKEN)

   Nach zugänglichen Presseberichten, etwa in der „FAZ“ von gestern, wird deutlich, dass der jetzige Vorschlag sich auf 1,03 Prozent beläuft, 24 Milliarden Euro weniger als beim Vorschlag Junckers. Das erfordert erhebliche Kürzungen, die von uns Linken so nicht hingenommen werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Nach meinen Informationen sollen unter anderem die Ausgaben für den Fonds für ländliche Entwicklung um 10 Prozent gekürzt werden, ganz im Gegensatz zu den Sonntagsreden gegenüber den Bauern, in denen sich besonders die Unionsparteien gefallen.

(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Na, na!)

Das ähnelt sehr stark dem Umgang mit dem Mittelstand, der stets sonntags gepriesen wird, während werktags die Großbanken und Konzerne gegenüber Klein- und Mittelunternehmen steuerlich privilegiert und von Regulierungen weithin freigestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Dann wollen Sie noch, dass die Ermäßigung der Mehrwertsteuer für unsere Kleinunternehmer in der EU nicht verlängert wird. Das, meine Damen und Herren, ist nun wirklich mittelstandsfeindlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu hören ist auch, dass die Strukturfondsmittel für die neuen Mitgliedstaaten um 10 Prozent oder 16 Milliarden Euro niedriger ausfallen sollen als im Luxemburger Vorschlag. Welche Folgen hätte das für die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder, insbesondere für deren Infrastruktur und industriellen Sektor - auch unter ökologischen Gesichtspunkten! In der gestrigen Sitzung des Europa-Ausschusses haben Regierungsvertreter die geplanten Einschnitte zu relativieren versucht: Man müsse ja den Beitrittsländern nur helfen, die vorgesehenen Mittel schneller abzurufen und über einen längeren Zeitraum einsetzen zu können; das sei genug der Hilfe. Es fällt schwer, so etwas nicht für Zynismus zu halten.

   Wer darf sich da noch wundern, wenn Beitrittsländer nach anderen Instrumenten suchen? Etwa Steuerdumping oder das Absenken sozialer und ökologischer Standards.

   Dann kommt noch die Dienstleistungsrichtlinie mit dem viele soziale Standards platt machenden und aggressiven Herkunftslandsprinzip. Eine Konkurrenz um Unternehmensansiedlungen mit Mitteln des Steuerdumpings führt nur zur Umverteilung zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten, nicht zur Stärkung des Wirtschaftspotenzials insgesamt. Im Ergebnis führt es zu sinkenden Steuereinnahmen besonders in den alten Mitgliedstaaten.

   Die mangelnde Bereitschaft, sich an einer aktiven europäischen Strukturpolitik für Arbeitsplätze und Mittelstand durch zusätzliche finanzielle Mittel zu beteiligen, führt dann nicht zu einer besseren, sondern zu einer schlechteren Haushaltssituation. Die Möglichkeiten, den immer weltfremderen Maastricht-Kriterien zu genügen, würden noch geringer. Was bliebe? Natürlich: Die Nettozahlungen an die EU könnten ja weiter reduziert werden. Und: Dann ginge der ganze neoliberale Zirkel wieder von vorne los.

   Es zeigt sich ganz deutlich: Genau wie auf der Ebene der Einzelstaaten spielt die dogmatische Sparpolitik eine verhängnisvolle Rolle. Statt über die öffentlichen Hände, also den Fiskus, unproduktive Geldvermögen für produktive Investitionen zu mobilisieren, werden Leistungen eingeschränkt oder jedenfalls begrenzt. Das hieße ja, heilige Kühe wie die Deutsche Bank, Daimler und Allianz einmal wirklich steuerlich anzupacken.

(Beifall bei der LINKEN)

   Aber so führt die Privilegierung hoher Einkommen und Vermögen zur Einschränkung öffentlicher Leistungsfähigkeit, auch im europäischen Bereich. Konsequenz ist, dass vorhandene Entwicklungspotenziale stillgelegt statt genutzt werden, dass sich eine noch stärkere soziale Polarisierung im Land und eine Konfliktverschärfung zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten ergeben. Es ist die Ausdehnung des Wettbewerbskannibalismus auf die gesamte Europapolitik! Sozialstaat und auch Demokratie, die ja, meine Damen und Herren von den Liberalen, auf Gleichheitsgrundsätzen beruht, kommen dabei unter die Räder.

   Die Kanzlerin zitierte verfälschend. „Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen!“. Das war nicht Willy Brandt, das war Strauß mit seinem „Freiheit statt Sozialismus!“. Das ist die Freiheit des Herrn Bolkestein;

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Nichts gegen Frits!)

das ist die globale Freiheit der Großbanken von demokratischen Grundregeln. Das ist der Freiheitsbegriff des Urvaters der Neoliberalen, von Hayek, der es in seinen „Grundsätzen einer liberalen Gesellschaft“ so formulierte:

Politische Freiheit im Sinne von Demokratie, „innere“ Freiheit, Freiheit im Sinne des Fehlens von Hindernissen für die Verwirklichung unserer Wünsche oder gar „Freiheit von“ Furcht und Mangel haben wenig mit individueller Freiheit zu tun und stehen im Konflikt mit ihr.

   Dieser neoliberale Freiheitsbegriff steht im Gegensatz zu unserem Grundgesetz. Deswegen wurde die EU-Verfassung abgelehnt. Deswegen werden wir Anfang des nächsten Jahres gegen Bolkestein in Straßburg demonstrieren. Deswegen bleiben wir Linken da schon lieber beim Original, bei Willy Brandt: Wir wollen mehr Demokratie wagen!

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Dehm, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag,

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Das war aber nicht gut, Herr Präsident!)

zu der ich herzlich gratuliere, verbunden mit allen guten Wünschen für Ihre weitere parlamentarische Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Außenminister, das war ja im Grunde die erste Regierungserklärung dieser neuen großen Koalition zum Thema Europa. Die Europäische Union - Sie selber haben das angesprochen - ist in einer tiefen Krise. Ich hätte mir in dieser Situation gewünscht, dass die Bundesregierung mit ein bisschen mehr Feuer, mit ein bisschen mehr visionärer Kraft für dieses Europa, so wie es sich der Deutsche Bundestag immer mit großer Geschlossenheit gewünscht hat, eingetreten wäre.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Denn, verehrte Frau Merkel und Herr Steinmeier, gerade Sie in der neuen Bundesregierung, die sich in diesem Parlament auf eine große Mehrheit stützen kann, haben in der vor uns liegenden Zeit eine zentrale Aufgabe. Die finanzielle Vorausschau wird ein erster Schritt dabei sein.

   Ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie im Hinblick darauf, dass Deutschland die Präsidentschaft der EU in einer entscheidenden Phase übernehmen wird - wir alle wünschen Ihnen dafür viel Erfolg -, schon heute die Richtung Ihrer Politik deutlich gemacht hätten.

   Wir hatten große Erwartungen. Der Koalitionsvertrag - das will ich aus meiner Sicht sagen - ist, gerade was das Thema Europa angeht, positiv formuliert. Europa wird in den Mittelpunkt gestellt. Aber wenn wir die Theorie mit der Praxis der europäischen Politik der Bundesregierung, die in den letzten Tagen deutlich wurde, vergleichen, dann muss ich sagen: Der theoretische Überbau des Koalitionsvertrages hat mit der Wirklichkeit leider nicht sehr viel zu tun.

   Schauen wir uns an, welche Rolle die deutsche Regierung bei REACH und der Vorratsdatenspeicherung gespielt hat. Bei REACH kommt es zu weniger Gesundheitsschutz. Die gefährlichen Chemikalien sind sozusagen geschont worden. Das ist nicht das Europa, das die Bürger wollen. Sie wollen auch nicht weniger Datenschutz, wie dies jetzt auf deutliche Intervention der Bundesregierung gegen die große Mehrheit in diesem Hause befürwortet wurde. Beim Telekommunikationsgesetz waren wir uns alle einig, dass wir das nicht wollen.

(Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Das stimmt gar nicht!)

Jetzt hat die Bundesregierung in den Verhandlungen plötzlich eine Position eingenommen, die das generelle Votum des Deutschen Bundestages nicht beachtet hat.

   Das ist nicht das Europa, das die Menschen wollen. Sie wollen ein Europa, das ihre Rechte und ihre Zukunft sichert. Sie wollen nicht weniger, sondern mehr Gesundheitsschutz, nicht weniger, sondern mehr Datenschutz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das Europa, das wir wollen.

   Wir müssen auch das sensibel wahrnehmen, was sich in Frankreich und in anderen Ländern und auch in Deutschland abspielt. Meine Einschätzung ist nicht, dass die Menschen weniger Europa wollen. Die Sensibilität in der Bevölkerung ist durchaus groß. Sie wollen nur nicht das Europa, das ihnen zum Teil vermittelt wird; denn dieses Europa schützt nicht ihre Lebensinteressen und ihre Zukunftsinteressen, sondern handelt an diesen Interessen vorbei.

   Deshalb glaube ich auch nicht, dass es in Zukunft nur darum geht, eine bessere Kommunikation zu erreichen, neue Werbebroschüren über Europa zu verteilen und neue PR-Kampagnen zu machen. Wir müssen vielmehr inhaltlich auf dieses Europa Einfluss nehmen. Wir müssen eine Vision von der Zukunft Europas haben und brauchen keine neuen Hochglanzbroschüren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ein zentraler Teil dieses Europas ist natürlich die finanzielle Vorausschau. Mit dem Haushalt der Europäischen Union werden zentrale Weichen gestellt. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen zentralen Punkt nennen. Wie wir Europa kaputtreden können, Herr Schockenhoff, das haben Sie gerade wieder in Ihrer Rede bezüglich der Finanzfrage deutlich gemacht.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Nein, aber wirklich nicht!)

Wenn wir die europäische Finanzpolitik nur als Nettosaldenpolitik der nationalen Interessen darstellen, dann werden wir an der Verantwortung, die wir für Europa tragen, scheitern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Genau das Gegenteil hat er gemeint!)

- Nein. Er hat wieder die Rechnung aufgemacht, wie viel wir einbezahlen und wie viel wir aus dem Haushalt zurückbekommen.

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Er hat von Vertrauen und Akzeptanz gesprochen!)

Herr Hoyer hat den europäischen Mehrwert angesprochen. Ich bezeichne es als Integrationsdividende. Unsere deutsche Volkswirtschaft, die deutschen Arbeitsplätze leben zentral vom europäischen Binnenmarkt. Das kann man mit dieser Nettosaldenpolitik überhaupt nicht fassen. Wir brauchen mehr Integration; denn dies tut den Menschen gut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir brauchen aber auch einen Haushalt, der die zentralen Zukunftsherausforderungen berücksichtigt. Innovation, Bildung und Forschung, das sind die Schwerpunkte eines zukünftigen Europas, mit denen man auch in einer globalisierten Welt bestehen und Maßstäbe setzen kann.

   Es ist schon skurril bis erschreckend, was der britische Premierminister in seiner Präsidentschaft veranstaltet hat: seine Reden auf der einen Seite und die Praxis auf der anderen Seite. Er gibt uns erst unsere Ziele vor und kürzt dann die Mittel für den europäischen Haushalt. Diese Widersprüchlichkeit ist es, die die Menschen überdrüssig macht, wenn es um die europäische Frage geht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir brauchen Innovationskraft, wir brauchen aber auch Solidarität. Wer versucht, gerade bei der Solidarität mit unseren neuen Beitrittsländern die Sparbüchse aufzumachen, der wird die Integrationskraft, die Europa in Richtung Spanien und Irland positiv entwickelt hat, in Richtung Osten schwächen und damit viele unserer Versprechungen verletzen. Deshalb bin ich sehr dafür - das sage ich für die Fraktion der Grünen -, dass wir die solidarische Verpflichtung, die wir mit der Osterweiterung übernommen haben, auch in materielle Verantwortung umsetzen. Das muss sich im Haushalt widerspiegeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Wir brauchen eine andere Agrarpolitik; ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Es wird daher sehr wichtig sein, dass die deutsche Bundesregierung in den Finanzverhandlungen auch dafür sorgt, dass wir im Hinblick auf den neuen Finanzrahmen dazu kommen, schon sehr früh neue Weichenstellungen für den nächsten Haushalt vorzunehmen. Sie dürfen nicht auf dem Kleinklein der Abstimmungen des Vorjahres beruhen. Wir brauchen Überprüfungsregelungen, die schon sehr früh anzeigen, dass diese Form der Agrarpolitik zu Ende ist. Ich glaube, wir haben zugelassen - ich will das einmal etwas lax formulieren -, dass Europa auf materieller Ebene zu lange eine Bauernrepublik war und sich nicht den zentralen Zukunftsaufgaben gewidmet hat. Der Binnenmarkt war ein richtiger Schritt. Dieser Schritt ist allerdings nicht konsequent genug in anderen Bereichen unternommen worden. Das bereitet uns die Probleme, die wir heute haben. Die Weigerung der Franzosen, sich in diesem Bereich zu bewegen, basiert auf einer vertraglichen Grundlage, die wir akzeptieren. Wir müssen aber dazu kommen, diese Agrarpolitik zu verändern, auch aufgrund unserer internationalen Verhandlungen; die WTO sei hier nur als Stichwort genannt.

   Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag einen zentralen Satz niedergeschrieben, den ich hier gerne zitieren möchte:

Deutschland trägt aufgrund seiner Geschichte sowie seines politischen und wirtschaftlichen Gewichts eine besondere Verantwortung für den Erhalt und die Entwicklung des europäischen Integrationswerks.

Sehr verehrte Frau Merkel, dieser Satz ist richtig; wir unterschreiben das. Dies verpflichtet Sie aber gerade angesichts der anstehenden Verhandlungen, die gestärkte deutsche Rolle zur Geltung zu bringen. Europa braucht hier einen Erfolg, nicht um jeden Preis. Ein positiver Abschluss der Verhandlungen wäre jedoch ein ausgesprochen solider Schritt, um Europa für das nächste Jahr und auch mit Blick auf die deutsche Präsidentschaft als Erfolgsprojekt diskutierbar zu machen. Dies ist aufgrund der negativen Entwicklungen notwendig.

   Wir wünschen Ihnen viel Erfolg, sagen aber sehr deutlich: Europa braucht keine deutsche Maggie Thatcher. Europa braucht eine Lady Europe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf diesem Wege werden wir Sie gerne unterstützen. In dieser Hinsicht wünschen wir Ihnen viel Erfolg. Wir hoffen, dass Sie ihn haben werden, im Interesse Europas.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Angelica Schwall-Düren.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Da kommt Lady Europe!)

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):

Eine von vielen. - Herr Präsident! Meine lieben Kollegen! Liebe Kolleginnen! Wir sind uns hier alle einig, dass mit diesem Europäischen Rat ein schwieriges Jahr für die Europäische Union zu Ende geht.

Ich habe den Eindruck, dass wir uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig sind, dass das negative Ergebnis der Verfassungsreferenden und der gescheiterte Gipfel in Luxemburg natürlich einen ganz gewichtigen Anteil an dieser Krise haben. Aber, Herr Dehm, es lag nicht am Inhalt der Verfassung, dass einige Referenden negativ ausgegangen sind,

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Aber ja!)

sondern es gab viele unterschiedliche Gründe für die Ablehnung.

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Haben Sie es immer noch nicht verstanden?)

Unter anderem lag es daran, dass die Menschen die Auswirkungen nationaler Politik abgelehnt haben, dass die Bürger mit ihren Ängsten allein gelassen wurden und dass sie es der EU nicht zutrauen, die anstehenden Probleme zu lösen.

   Deswegen kommt es in der Tat, Herr Steenblock, darauf an, dass ganz konkrete Schritte gemacht und Fragen und Wünsche der Bürgerinnen und Bürger von der Politik tatsächlich positiv aufgegriffen werden. Aber das kann natürlich nicht heißen, dass man in Brüssel mit Maximalforderungen auftritt und letztlich vielleicht eine Blockade herbeiführt, die überhaupt nichts voranbringt oder löst.

   Herr Dehm, die Skepsis der Bürgerinnen und Bürger ist nicht von der Höhe des Budgets abhängig.

(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Auswirkungen!)

Das wäre völlig fehl gedacht. Vielmehr kommt es darauf an, dass überhaupt ein Budget zustande kommt, damit die Politik handlungsfähig ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Skepsis gegenüber den europäischen Institutionen besteht nicht zu Recht. Die Blockade ist - so hat es jüngst eine Journalistin beim Deutsch-Ungarischen Forum in Budapest formuliert - nicht von der Kommission oder vom Europäischen Parlament verursacht worden, stattdessen trägt jeder einzelne Regierungschef, der sich im Europäischen Rat einem Konsens verweigert, die Verantwortung dafür. Deswegen, Herr Dehm, muss ich Ihren Vorwurf gegenüber Deutschland zurückweisen. In Luxemburg hat Deutschland den dort vorgetragenen Kompromiss mitgetragen, wie übrigens 21 andere Staaten auch.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Agenda des bevorstehenden Europäischen Rates stehen wichtige Themen, die weiterverfolgt werden müssen. Zu nennen sind hier insbesondere die Fortführung der Diskussion zur künftigen Entwicklung der Europäischen Union, das heute schon öfter erwähnte „große Projekt“, die Gestaltung der künftigen Nachbarschaftspolitik der Gemeinschaft, eine europäische Strategie für Afrika sowie die Zusammenarbeit in der Migrationspolitik und bei der Bekämpfung des Terrorismus. Hierzu gehört auch die eindeutige Zurückweisung der unakzeptablen Äußerung des iranischen Staatspräsidenten gegenüber Israel durch die EU.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP und des Abg. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE))

   Das zentrale Thema des Europäischen Rates ist die Frage, ob eine Lösung für die künftige Finanzierung der Europäischen Union gefunden und eine Einigung über die finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 erzielt werden kann. Nachdem die Finanzverhandlungen im Europäischen Rat im Juni nicht zuletzt an Großbritannien gescheitert waren, sah es lange Zeit so aus, als ob die britische Präsidentschaft keinen weiteren Einigungsversuch wagen oder zustande bringen würde. Deshalb ist es zu begrüßen, dass sich die britische Regierung nun doch entschieden hat, ihrer Verantwortung für die Gemeinschaft gerecht zu werden und neue Kompromissvorschläge vorzulegen.

Grundlegende Pfeiler der Europäischen Union sind das europäische Gesellschaftsmodell und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Diese findet Ausdruck in der Struktur- und Kohäsionspolitik der Gemeinschaft. Ziel dieser Politik ist es, dass die wirtschaftlich schwächeren Regionen und Mitgliedstaaten an die stärkeren herangeführt werden und so die Ungleichgewichte überwunden werden können. Von dieser Politik haben die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft profitiert. Irland und Spanien sind hierfür gute Beispiele. Aber auch die ostdeutschen Länder haben europäische Strukturförderungen in großem Umfang erhalten. Es ist nur wenigen bekannt - das muss an dieser Stelle gesagt werden und hat nichts mit Aufrechnungen zu tun -, dass Deutschland nach Spanien im laufenden Finanzzeitraum, in absoluten Zahlen, der zweitgrößte Empfänger von Strukturmitteln der EU ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Aber es ist richtig, Herr Steenblock: Wir sollten nicht vergessen, dass wir jenseits der direkten Rückflüsse wirtschaftlich enorm von der Erweiterung profitieren; denn trotz oder gerade wegen der erweiterten europäischen Arbeitsteilung und der damit teilweise verbundenen Standortverlagerungen profitieren wir als Exportnation von der steigenden Kaufkraft in unseren Nachbarländern. Nur wenn Arbeitnehmer in Polen anständige Löhne verdienen, können sie sich deutsche Autos leisten.

   Wir stehen gegenüber den neu beigetretenen Ländern im Wort. Länder wie Tschechien und Estland haben nach dem Fall der Mauer einen Transformationsprozess durchlaufen, der von den Bürgern große Anpassungsleistungen erforderte. Deswegen erwarten unsere Nachbarn nun zu Recht unsere Solidarität. Solidarität bedeutet allerdings nicht nur Solidarität bei den Ausgaben der Gemeinschaft, sondern auch bei ihrer Finanzierung. Solidarität auf der Einnahmenseite der Union bedeutet, dass sich alle Mitgliedsstaaten fair, das heißt nach ihrer Leistungsfähigkeit, an der Finanzierung der Gemeinschaft beteiligen. Hierbei sind Anpassungen erforderlich, da ursprünglich ärmere Mitgliedsstaaten - nicht zuletzt durch die EU-Hilfen - wirtschaftlich aufgeholt haben, sogar in die erste Reihe aufgerückt sind.

   Diese Anpassungen sind insbesondere im Hinblick auf die Kosten der Erweiterung relevant. Diese Erweiterung wurde gemeinsam von allen Mitgliedstaaten beschlossen. Nun muss sie auch gemeinsam finanziert werden. Gerade Großbritannien hat sich immer für die Erweiterung stark gemacht. Deshalb ist es nicht nachzuvollziehen, dass sich Großbritannien nicht wie alle anderen an der Finanzierung der Erweiterung beteiligt, sondern seinen Rabatt sogar von den Ärmeren mitbezahlen lässt.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute Vormittag wissen wir noch nicht, ob es zu einer Einigung kommt. Der schwierige Spagat einer wirklichen europäischen Solidarität, auch gegenüber den neuen Mitgliedstaaten, zwischen Ausgabenbegrenzung und einer gerechten Lastenteilung bei der Finanzierung, ist noch nicht geschafft. Dennoch will ich noch einmal unterstreichen, dass sich Großbritannien erfreulicherweise bewegt hat und bis 2013 auf einen kleinen Teil seines steigenden Rabatts verzichten will. Den neuen Mitgliedstaaten wird eine Kürzung der Strukturmittel zugemutet, allerdings mit der Aussicht, dass die Inanspruchnahme der Mittel erleichtert wird. Auf dieser Grundlage muss der Europäische Rat nun ernsthaft verhandeln. Wir erwarten aber, dass Großbritannien sich für Veränderungen noch stärker öffnet und einem langfristigen, über das Jahr 2013 hinausgehenden Abbau des Britenrabatts den Weg bereitet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)

   Die neuen Mitgliedstaaten werden die volle Solidarität Deutschlands erfahren, wenn es darum geht, die eventuell geringfügig reduzierten Mittel so optimal wie möglich zu nutzen. Herr Steenblock, dass wir die Notwendigkeit sehen, den Weg der Reformen auch im Bereich der Agrarpolitik fortzusetzen, haben wir schon im Koalitionsvertrag zum Ausdruck gebracht. Lösungen lassen sich in Europa nur gemeinsam finden. Deutschland ist bereit, zusammen mit seinen Nachbarn und Freunden nach Mitteln und Wegen zu suchen. Wir erwarten deshalb ein Miteinander von größeren und kleineren Staaten, von Nettozahlern und Nettoempfängern.

   Herr Hoyer, Deutschland wird mithelfen, dass dieser Ausgleich zwischen Großen und Kleinen erfolgreich vollzogen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ob nun Deutsche, Franzosen, Niederländer, Schweden oder Slowaken, um nur einige beispielhaft zu nennen - wir alle müssen zu einem Kompromiss beitragen.

   Erlauben Sie mir deshalb, in diesem Zusammenhang an einen Satz unseres Altbundeskanzlers Gerhard Schröder zu erinnern, der über die im Juni gescheiterten Finanzverhandlungen schrieb - ich darf zitieren -:

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Na ja, aber nicht gerne!)
Am Ende haben ausgerechnet die ärmeren neuen Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa sich zu Einschnitten bereit erklärt. Das war für die Reichen beschämend - ermutigend allerdings auch: Denn es zeigt, dass der Geist der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten noch lebendig ist. ... Unsere Freunde aus den Beitrittsländern haben bewiesen, dass sie ihrer europäischen Verantwortung vollauf gerecht werden.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, vom Frieden, von der Demokratie und der Solidarität in Europa profitieren alle Mitgliedstaaten. Deswegen müssen sich alle bewegen. Niemand darf allein aus nationalen Interessen handeln. Ich bin sicher: Unsere Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel und unser Außenminister Steinmeier werden sich mit ganzer Kraft dafür einsetzen, einen erfolgreichen Abschluss zu erreichen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle (FDP): So viel Liebe in diesem Hause!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Michael Link, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Michael Link (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man als engagierter Neuer in diesem Haus gleich in seiner ersten Rede zum Thema finanzielle Vorausschau sprechen darf, dann kann einem der Zauber, der angeblich jedem Anfang innewohnt, rasch vergehen. Denn das, was uns in Brüssel ab heute Abend bevorsteht - ein Kampf mit harten Bandagen -, hat mit Zauber wirklich wenig zu tun. Wir alle kennen schon jetzt die Bilder, die wir, wenn wir Samstag früh aufstehen, sehen werden: von angehaltenen Uhren, von letzten und allerletzten Kompromissen, von bleichen Gesichtern und bleichen Unterhändlern - wir hoffen, dass es diesmal nicht so schlimm wird.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)

   Später wird wieder die Rechnung aufgemacht, wer denn nun Gewinner und wer Verlierer des Gipfels ist. Dann mag sich zwar der eine oder andere als Gewinner dieses Schacherns fühlen. Aber oft, allzu oft ist es die EU als Ganzes, die durch dieses untransparente Verfahren verliert.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Ein kleiner Rückblick: Noch 1999, als auf dem Kölner Gipfel die letzte finanzielle Vorausschau vereinbart wurde, waren sich alle einig, dass eine Einigung in dieser Form, im letzten Augenblick, sich nicht wiederholen sollte. Damals dachte man: Auf dem nächsten Gipfel zur finanziellen Vorausschau wird alles besser; denn bis dahin wird es die EU-Verfassung geben, bis dahin werden wir geregelte Verfahren haben, dann brauchen wir diese interinstitutionellen Vereinbarungen nicht mehr.

   Doch die EU-Verfassung haben wir noch lange nicht, geschweige denn eine effiziente Finanzverfassung. So stehen wir heute mehr denn je vor den Fragen: Was ist uns die EU wert? Wofür geben wir Geld aus? Und wer bezahlt? Zwei Schlagworte bestimmen die Diskussion über die jüngsten Vorschläge der Kommission in der britischen Ratspräsidentschaft: „Draufsatteln“ lautet der Vorschlag der Kommission und der britische Vorschlag wird als „Totsparen“ bezeichnet. Beide führen uns nicht weiter. Entscheidend ist vielmehr, dass die vorhandenen finanziellen Mittel in zukunftsträchtige Politikfelder umgeschichtet werden. Deshalb fordern die Liberalen eine Haushaltspolitik, die sich klar zu Wettbewerb, Freihandel und globaler Verantwortung bekennt.

(Beifall bei der FDP)

   Die EU hat sich mit den Jahren in einem Gespinst von kaum mehr nachvollziehbaren, dafür aber umso teureren Finanzkompromissen selbst gefangen. Gleichzeitig verlieren wir mehr und mehr den Anschluss an die globalisierte Weltwirtschaft. Wir geben abenteuerliche Beträge für Subventionen bestimmter Länder und Berufsgruppen aus und vernachlässigen darüber sträflich Investitionen in wirklichen europäischen Mehrwert: in Forschung, Bildung, die transeuropäischen Netze und - ja, auch dies - die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die ebenfalls zu kurz kommt.

(Dr. Werner Hoyer (FDP): Sehr richtig!)

Wenn es um die nächste finanzielle Vorausschau geht, lautet daher die zentrale Forderung der FDP: mehr Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit Europas.

   Wie aber will man Sicherheit bewerten? Wie viel darf Frieden kosten? Welchen Haushaltsansatz sollten wir für den gewaltfreien Export von Menschenrechten und Marktwirtschaft veranschlagen? All diese Zahlen können wir nicht beziffern. Deshalb geht die Frage, die die heutige Diskussion beherrscht - bist du Nettozahler oder Nettoempfänger? -, am Thema vorbei; hier gebe ich Herrn Steenblock völlig Recht. Die FDP erteilt dieser Sichtweise, die nur auf die Nettosalden schielt, aber die viel wichtigere Frage, wofür das vorhandene Geld ausgegeben wird, vergisst, eine klare Absage.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir wollen mehr Investitionen in Europas Wettbewerbsfähigkeit. Wir bezweifeln, dass die beiden größten Ausgabeposten des Haushalts - Agrar- und Kohäsionspolitik - so, wie sie heute sind, die richtigen Anreize setzen. Solange das so ist, dürfen wir den EU-Haushalt nicht einfach weiterwachsen lassen. Die Vorschläge der Kommission und auch des Europäischen Parlaments mit 1,14 Prozent bzw. 1,07 Prozent gehen uns zu weit. Auch der alte Luxemburger Kompromiss mit 1,06 Prozent und der neueste britische Vorschlag mit 1,03 Prozent sind zu teuer.

   Der Bundestag hat in der 15. Wahlperiode immer wieder betont, dass gegenwärtig mehr als 1,0 Prozent des BNE nicht drin ist. Herr Finanzminister, Sie waren gestern im Haushaltsausschuss und haben dort nochmals von einer großen Mehrheit das klare Signal erhalten, dass die Haushälter gerne am 1-Prozent-Ziel festhalten würden. Die FDP hat das heute in ihrem Antrag noch einmal deutlich gemacht. Bitte bleiben Sie beim 1-Prozent-Ziel am Ball! Jetzt mag sich mancher fragen, was diese Kommazahlen sollen. Sie machen aber einen großen Unterschied. Rechnen wir das einmal im Vergleich aus: Das jetzige 1-Prozent-Ziel entspricht 824 Milliarden Euro. Beim manchmal genannten möglichen Kompromissziel von 1,045 Prozent wüchse der Haushalt auf 861 Milliarden Euro an. Der Unterschied von 37 Milliarden Euro bedeutete für Deutschland, dessen Beitragsanteil bei ungefähr 20 Prozent liegt, verteilt auf sieben Jahre über 7 Milliarden Euro Mehrkosten, also jährlich Mehrausgaben von 1 Milliarde Euro; man muss es einmal so deutlich sagen. Diese Kommastellen haben es also in sich.

(Beifall bei der FDP)

   Herr Präsident, ich will die entscheidenden Punkte zusammenfassen: Es wäre schön, wenn bei diesem Gipfel eine europäische Einigung erzielt werden könnte und nicht, wie schon oft, jeder Regierungschef nach Hause fährt und einen Sieg nationaler Interessen verkündet. Wir brauchen nicht nur eine europäische Verfassung, sondern auch - das ist vielleicht unser zweitwichtigstes Anliegen -, eine europäische Finanzverfassung, die klare und transparente Verfahren für zukünftige finanzielle Vorausschauen enthält. Der britische Vorschlag, das gesamte Finanzsystem auf den Prüfstand zu stellen und damit 2009 auch eine Reform der gesamten Ausgaben und Einnahmen der EU zu verbinden, beinhaltet auch - und das ist bemerkenswert -, im Zusammenhang damit den eigenen Rabatt zu thematisieren. Dies verdient unsere Zustimmung; denn dieser Rabatt ist ganz klar ein Anachronismus, der genauso wie Maggie Thatchers Handtasche ins Haus der Geschichte gehört.

(Beifall bei der FDP)

   Wenn diese Punkte erfüllt sind und wir für die finanzielle Vorausschau möglichst das 1-Prozent-Ziel erreichen, könnte Außenminister Jack Straw doch noch Recht haben, der gesagt hat, dieser Gipfel werde „good for Europe and good for us“. Die FDP wünscht der Bundesregierung bei den anstehenden nächtlichen Verhandlungen eine glückliche Hand, gute Kondition und auch europäischen Geist.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Lieber Kollege Link, ich möchte auch Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag herzlich gratulieren,

(Beifall)

verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere Arbeit.

   Das Wort hat nun der Kollege Michael Stübgen, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Michael Stübgen (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tagung des Europäischen Rates in dieser Woche wird dominiert von den Verhandlungen über die finanzielle Vorausschau der Europäischen Union für die Jahre 2007 bis 2013. Den meisten von uns ist bekannt, dass es um einen Haushalt von ungefähr 850 Milliarden Euro geht; ich will das nur noch einmal in Erinnerung rufen. Das hat etwas damit zu tun, dass die Europäische Union die Praxis pflegt, ihren Haushalt faktisch für sieben Jahre festzulegen. Haushaltsverhandlungen sind wie in jedem Parlament so auch in der Europäischen Union nicht nur Verhandlungen über Zahlen, sondern in den Haushaltsverhandlungen spiegeln sich auch die politischen Prioritäten eines Landes bzw. hier der Europäischen Union wider. Bei der Debatte um die Höhe des Haushalts geht es gleichsam um die Höhe der Förderung durch Strukturfonds, um die Höhe der Agrarförderung, der Forschungsförderung und damit um die künftigen Schwerpunkte der europäischen Politik. Wir reden eben auch über die künftige gemeinsame Agrarpolitik, über die Strukturpolitik, über die so genannte Lissabon-Strategie und über die Rolle Europas in der Welt. Ich denke, dass es richtig ist, die Auseinandersetzungen so heftig zu führen und so intensiv über den richtigen Weg nachzudenken. Das muss sein; denn es wäre geradezu fahrlässig, wenn über 850 Milliarden Euro so nebenbei beschlossen werden würde.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Zu den Vorschlägen der britischen Ratspräsidentschaft aus der vergangenen Woche und in leicht veränderter Form von gestern Mittag ist in den vergangenen Tagen sehr viel Kritisches gesagt worden. Die Kritik war zum Teil sehr heftig, zum Teil war sie mit Blick auf den Verhandlungsausgang des Europäischen Rates taktisch motiviert.

   Viele dieser Kritikpunkte sind allerdings berechtigt. Bedauerlicherweise hätte dieser Vorschlag, so wie er uns heute vorliegt, fatale Auswirkungen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Großbritannien durch diesen Vorschlag sein Privileg, nämlich den Beitragsrabatt, schont und somit den Konsolidierungsbedarf überstark auf die neuen Mitgliedsländer, also auf die ärmsten Länder in der Europäischen Union, verlagert. Dass dies nicht einfach akzeptiert werden kann, auch von uns nicht, liegt auf der Hand.

   Der britische Vorschlag, auch der gestrige, hat jedoch noch eine andere Seite: Er hat nach meiner festen Überzeugung das Potenzial, zu einer vernünftigen und ausgewogenen Einigung am Ende des kommenden Europäischen Rates zu führen. Wo liegen diese Potenziale? Darauf möchte ich etwas näher eingehen:

   Zum Ersten. Der Haushaltsentwurf der britischen Ratspräsidentschaft sieht einen sparsamen Haushalt vor. Mit der Zielmarke von 1,03 Prozent des Bruttonationaleinkommens ist dieser Haushalt kleiner als der des Luxemburger Vorschlags. Der Bundesaußenminister hatte mit Recht darauf hingewiesen, dass der Luxemburger Kompromiss, der ja gescheitert ist, leicht über die Grenzen der deutschen Belastbarkeit hinausging. Grundsätzlich ist dieser Entwurf also positiv.

   Positiv ist für uns auch, dass der britische Vorschlag einen reduzierten Mehrwertsteuerabrufsatz bei den Zahlungen für Deutschland vorsieht. Das ist berechtigt; denn das trägt der Situation Rechnung, dass wir als Nettozahler in Europa in besonderer Weise belastet sind. Insgesamt bedeutet der Vorschlag Großbritanniens im Vergleich zum Luxemburger Vorschlag eine Reduzierung unserer Belastungen um etwa 3,5 Milliarden Euro. Das ist grundsätzlich richtig. Natürlich gibt es jetzt Aufwuchstendenzen. Aber als Grundlage der Verhandlungen ist das für uns gut.

   Zum Zweiten. Die britische Regierung ist das erste Mal seit dem Europäischen Rat von Fontainebleau von 1984, auf dem der berüchtigte Beitragsrabatt mit der Zustimmung Deutschlands beschlossen wurde, bereit, überhaupt über den Beitragsrabatt zu sprechen und ihn, zumindest in einem kleinen Bereich, zur Disposition zu stellen. Das ist ein riesengroßer Fortschritt und war vor wenigen Wochen noch nicht zu erwarten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Großbritannien muss sich allerdings, wie ich denke, noch in zwei Punkten bewegen - Ansätze sind beim neuen Vorschlag von gestern Mittag schon zu erkennen -: Zum einen muss die Reduzierung des britischen Beitragsrabatts dauerhaft sein, also über das Jahr 2013 hinaus reichen, zum anderen muss die Reduktion noch etwas stärker sein. Dann, denke ich, ist eine Einigung möglich.

Zum Dritten. Die drastische Reduzierung der Strukturfondsmittel um etwa 14 Milliarden Euro, vorgeschlagen von der britischen Ratspräsidentschaft, ist von den neuen Mitgliedstaaten zu Recht kritisiert worden. Schaut man aber genau in den Vorschlag hinein, so findet man dort aber einige sehr vernünftige und richtige Ansätze, die, wenn sie ausgebaut werden, nach meiner Überzeugung zu einer Einigung führen könnten. So wird zum Beispiel vorgeschlagen, den europäischen Kofinanzierungsanteil für die Strukturfondsmittel von bisher 75 Prozent auf 85  Prozent zu erhöhen und den neuen Mitgliedsländern nach Bewilligung der Mittel drei Jahre Zeit zu geben, die Mittel auszugeben und Projekte umzusetzen. Ich glaube, das ist ein richtiger Ansatz, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Zum einen wären die neuen Mitgliedsländer damit in der Lage, die notwendigen Modernisierungen im Infrastrukturbereich wie auch in anderen Bereichen schneller durchzuführen. Zum anderen würden wir mit solch einem Beschluss mit einer lang gepflegten Praxis in der Europäischen Union aufräumen, dass nämlich gerade bei den Haushaltsansätzen im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung große Scheindebatten geführt werden. Meist geschieht dies zur stillen Freude der Finanzminister der Nettozahlerländer; denn es war bisher immer so, dass die Ansätze der Spitzenzahlen in diesen Haushalten weit höher waren als das, was jemals real ausgegeben worden ist, sodass jeder Finanzminister eines Nettozahlerlandes in stiller Freude immer damit rechnen konnte, dass er den Betrag, der ursprünglich angesetzt worden ist, niemals ausgeben musste. Es ist auch ein Beitrag zu mehr Transparenz und Verständlichkeit der Europäischen Union, wenn wir dazu kommen, dass die Beträge, die im Haushalt stehen, dann auch real ausgegeben werden. Ich glaube, auch das wäre sinnvoll.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Großbritannien hat in seinem Vorschlag auch nachhaltigen Wert darauf gelegt, dass in diesem Finanzplafond die Formulierung einer Revisionsklausel enthalten sein soll. Ich weiß sehr genau, dass durch diese Revisionsklausel, wenn sie aufgenommen wird, materiell nichts verändert wird. Aber auch hier stimme ich der Intention Großbritanniens grundsätzlich zu; denn ich halte es für richtig, dass sich die Europäische Union jetzt zumindest verbal darauf einigt, dass die bisherige Agrar- und Strukturpolitik, wie sie 2002 mit dem Agrarkompromiss fortgeführt worden ist, nicht ohne weiteres auf alle Zeit und Ewigkeit so bleiben kann. Wir müssen auch hier ansetzen, ohne dass wir den Kompromiss bis 2013 infrage stellen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, insgesamt liegt eine Einigung für mich im Bereich des Möglichen. Ein Erfolg wäre nicht nur wünschenswert, sondern für die Europäische Union ein wichtiges Signal am Ende eines nicht übermäßig erfolgreichen europapolitischen Jahres.

   Viele Beobachter haben in den letzten Monaten mehr politische Führung in der EU angemahnt und sie erhoffen dies gerade von der deutschen Bundesregierung. Die Bundesregierung steht vor diesem Gipfel und während dieses Europäischen Rates vor einer überaus schwierigen Herausforderung. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Bundesregierung haben diese Herausforderung aber angenommen. Gerade in den letzten Wochen der wichtigen Vorbereitungsphase dieses Europäischen Rates haben Sie, Frau Merkel, eine führende Rolle in der Moderation und der Diskussion mit den Staats- und Regierungschefs der neuen, der alten, der großen und der kleinen Mitgliedsländer geführt. Das ist eine wichtige Voraussetzung. Dafür danke ich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Frau Bundeskanzlerin, ich wünsche Ihnen und dem Bundesaußenminister, Herrn Steinmeier, für die nächsten 50, 60 Stunden eine glückliche Hand, kluge Entscheidungen und vor allen Dingen eiserne Nerven; denn die braucht man dort auch. Wir alle wünschen uns einen Erfolg, einen vernünftigen und ausgewogenen Haushalt. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Europäische Union und auch wir in Deutschland diesen Erfolg brauchen. Es besteht die Möglichkeit, dass dieser Erfolg gerade auch mit einer starken Führung der neuen Bundesregierung in Deutschland errungen werden kann.

   Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will eine Vorbemerkung machen: Ich begrüße es außerordentlich, dass die Bundesregierung sagt, diese EU könne sich die Ausfälle von Herrn Ahmadinedschad aus dem Iran nicht gefallen lassen. Es muss hier eine klare europäische Antwort gegeben werden. Das Leugnen des Holocaust und das Infragestellen des Existenzrechts Israels kann von diesem Europa gemeinsam nicht akzeptiert werden.

(Beifall im ganzen Hause)

   Ich füge aber auch hinzu: Man muss das seriös tun. Dazu gehört für mich nicht, darüber zu spekulieren, den Iran von der Fußballweltmeisterschaft auszuschließen. Ich glaube, die Teilnahme wird eher die Zivilgesellschaft im Iran als die Macht des Klerus stärken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Die Überwindung der Krise der Europäischen Union wird das große Projekt sein, das Sie, Frau Merkel, mit der Präsidentschaft 2007 anzugehen haben. Die Schlüsselfrage dafür wird sein, ob es gelingt, dieses Europa global wieder wettbewerbsfähiger zu machen, dies aber in dem Wissen zu tun, dass es dazu eines Mehr an sozialer Kohärenz und der Beachtung einer ökologischen Nachhaltigkeit bedarf. Diesen Dreiklang zusammenzuhalten und ihn nicht in Richtung ausschließlich der Wettbewerbsfähigkeit zu verabsolutieren, wie ich das gelegentlich aus Ihrer Ecke gehört habe, ist die Grundlage, wie diesem europäischen Projekt als eine Antwort auf die Globalisierung wieder so etwas wie eine Sinnstiftung gegeben werden kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Voraussetzung dafür ist aber, dass sich das in der Frage zuspitzt: Was wird demnächst mit den europäischen Ressourcen passieren? Die Voraussetzung wird also sein, eine Lösung für die Frage der finanziellen Vorausschau zu finden. Hier haben Sie eine Riesenchance, Frau Merkel. Ich habe vorhin wieder eine abfällige Bemerkung über das Verständnis von Direktorien gehört.

   Sehen Sie, lieber Herr Hoyer, Sie wissen das selber sehr gut: Gerade die kleinen Mitgliedstaaten in Europa erwarten von den großen Mitgliedstaaten, dass diese Verantwortung für das Ganze übernehmen und dieser Verantwortung auch in schwierigen Situationen gerecht werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Markus Meckel (SPD))

   Das sage ich bewusst mit Blick auf die Widersprüche, die diesem schwierigen Projekt zugrunde liegen. Es wäre in Europa überhaupt nicht nach außen zu vermitteln, dass in diesem Europa ein Land wie Slowenien zum Nettozahler wird und in der gleichen Entwicklung der Britenrabatt von heute 5 Milliarden Euro auf 9 Milliarden Euro ansteigt. Das spitzt sich in diesen Stunden zu.

   Liebe Frau Merkel, wann anders gibt es überhaupt eine Chance, an diesem Punkt unter Wahrung der Interessen hinsichtlich der Strukturfonds und auch unter Wahrung des Kompromisses hinsichtlich der Agrarpolitik etwas zu erreichen? Die erste Säule kann man schauerlich falsch finden - ich habe da erhebliche Bedenken -, aber das war ein Teil dieses Kompromisses, den wir bis 2013 akzeptieren müssen. Wann wird wieder die Chance bestehen, in der Frage des Rabattes zu einer Lösung zu kommen, wenn nicht jetzt unter der britischen Präsidentschaft? Das ist der Kern.

   Ich erwarte, dass diese Gelegenheit von Ihnen genutzt wird und dass Sie das, was der Außenminister gesagt hat, ernst meinen: In dieser Situation kann sich niemand an bisherigen Dingen dogmatisch festhalten.

Diese Chance zu nutzen, dafür wünsche ich Ihnen eine feste Hand.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans Eichel (SPD))

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Axel Schäfer, SPD-Fraktion.

Axel Schäfer (Bochum) (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die europäische Einigung steht heute vor einem zentralen Problem: der sinkenden Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger. Die Lösung dieses Problems hat einen Namen: Es ist die europäische Einigung.

   Die britische Präsidentschaft zeigt: Wir müssen vieles gleichzeitig tun, weil es sich nicht nacheinander lösen lässt. Das Entscheidende ist die Handlungsfähigkeit. Am Anfang dieses Halbjahres stand die Gefahr eines dreifachen Scheiterns: das mögliche Scheitern der europäischen Verfassung, das denkbare Scheitern weiterer Beitrittsverhandlungen, das einstweilige Scheitern des Finanzrahmens 2007 bis 2013.

   Wo stehen wir heute?

   Erstens. Der Prozess zu einer europäischen Verfassung befindet sich in einer Denkpause. Einige scheinen das missverstanden zu haben und meinen, beim Denken eine Pause einzulegen. In der veröffentlichten Meinung unseres Landes jedenfalls ist von einer Debatte noch fast nichts zu spüren.

Der D-Plan der Europäischen Kommission hat auch etwas mit Denken, Demokratie, Dialog und Diskussion zu tun.

   Klar ist: Wir brauchen keine Werbekampagnen - weder schöne Fernsehspots noch bunte Plakate. Wir brauchen Erfolg. Erfolg spricht für sich und er spricht für uns. Jawohl: Die europäische Einigung war bisher insgesamt eine Erfolgsstory.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Zweitens. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wurden wie vereinbart begonnen. Die neu gewählte Bundesregierung steht in der Kontinuität von Konrad Adenauer über Willy Brandt und Helmut Kohl bis zu Gerhard Schröder. Diese deutschen Kanzler haben den Weg vorgezeichnet.

   Mit Kroatien erhielt eine ehemals jugoslawische Republik eine Chance und Mazedonien, einem weiteren Westbalkanland, wurde die Tür geöffnet. Der Beitritt von Bulgarien und Rumänien Anfang 2007 wurde zu Recht mit klaren Vorgaben für die zu leistenden Anforderungen verbunden.

   Drittens. Besondere Anforderungen stellen wir bei den Finanzen. Die Vorschau bis 2006, die unser heutiger Außenminister in damals anderer Position, aber genauso effektiv und kompetent mitgestaltet hat, ist ein gutes Beispiel. Sie wurde unter der deutschen Ratspräsidentschaft auf dem EU-Sondergipfel am 26. März 1999 auf den Weg gebracht.

   Ein anderer, der damals in noch wichtigerer Verantwortung war - bis 14 Tage vorher -, ist der jetzige Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, PDS/WASG. Er hat sich dieser Verantwortung bekanntlich entledigt. Damit sind wir beim Thema Verantwortung. Sie, Herr Dehm, entledigen sich heute Ihrer Verantwortung, die zum Beispiel die PDS im Europäischen Parlament mit der Zustimmung zur Verfassung übernommen hat, indem Sie jetzt auf sehr billige Weise polemisieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Bodo Ramelow (DIE LINKE): Das ist Unsinn, was Sie sagen! - Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Alles falsch!)

- Fragen Sie doch Ihre Kollegin Kaufmann! - Deshalb sind Ihre Ratschläge heute das Letzte, was wir in puncto Verantwortung für Europa gebrauchen können.

(Beifall bei der SPD - Bodo Ramelow (DIE LINKE): Lesen! Billige Polemik!)

   Wer jetzt einen Finanzkompromiss schmieden muss, muss aus den Erfahrungen des Jahres 1999 lernen: Die deutsche Außenhandelsleistung, mit der wir Platz eins einnehmen, muss mit unserem Wohlstandsranking - Platz elf - und der Nettozahlerposition - Platz drei - in eine politische Balance gebracht werden, die von 14 bzw. jetzt 24 Staaten mitgetragen wird.

   Der Kommissionsvorschlag sieht bekanntlich 1,24 Prozent des Bruttonationaleinkommens als Obergrenze vor. Die auch von Deutschland richtigerweise aufgestellte 1-Prozent-Forderung liegt schon nahe an dem, was derzeit verhandelt wird.

   Hierbei geht es selbstverständlich in erster Linie um gesicherte Haushaltsentscheidungen. Es geht aber auch um ein gesichertes Bild von Europa. Nennen wir das Problem beim Namen: Bei zunehmender Europäisierung unserer Gesellschaft und wachsender Europanotwendigkeit überall auf dem Kontinent sind wir zugleich mit dem zunehmenden Nationalismus in vielen Mitgliedsländern konfrontiert. Dieser Nationalismus kommt oft in großen Zeitungen in Großbuchstaben daher und ist leider auch schon in den Parlamenten einer Reihe von EU-Staaten angekommen. Gerade wir Deutsche können deshalb in Anlehnung an Heinrich Heine heute noch feststellen: „Wenn man am innigsten bei sich ist, gerät man am heftigsten außer sich.“ Genau das wollen wir aber nicht.

(Beifall bei der SPD)

   Wenn bestimmte Regierungen von Mitgliedstaaten Glauben machen wollen, Erfolg sei, möglichst viel in Europa durch das eigene Land verhindert zu haben, dann ist dies tatsächlich ein Misserfolg. Erfolg ist nämlich, möglichst viel für das gemeinsame Europa getan zu haben. Das scheinbar Einfache ist in der Tat schwerer geworden. Die Summe aller nationalen Interessen ergibt nun einmal nicht Europa als Ganzes. Europa als Ganzes besteht auch in dem Bewusstsein, welches der Vorgänger von Frank-Walter Steinmeier, Joschka Fischer, einmal wie folgt auf den Punkt gebracht hat: „Das wichtigste deutsche Interesse ist die europäische Einigung.“ Jawohl.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir müssen dabei über das Spannungsfeld zwischen der Legitimation durch unsere Bürgerinnen und Bürger sowie unserer Verantwortung in Europa sprechen. Ich sage ganz offen: Für die SPD heißt das, sich im Rahmen der europäischen Parteienfamilie auch mit Tony Blair auseinander zu setzen. Für unsere christdemokratischen Kolleginnen und Kollegen bedeutet das Ähnliches in Richtung der britischen Konservativen.

   Wir wissen, dass am Ende ein Kompromiss in Europa stehen muss. Die Idee des Kompromisses ist ein Kernelement unserer europäischen Kultur. Wer zum Kompromiss fähig ist, ist zum Frieden fähig. Wer nur zu Konfrontation bereit ist, ist friedensunwillig. Frieden ist für uns selbstverständlich geworden, trotz neuer Gefahren des Terrorismus und der Privatisierung von Kriegen. Aber diejenigen auf der Welt, die in besonders starkem Maße in realer Kriegsgefahr leben, wissen das europäische Modell oftmals mehr zu schätzen als manche hier bei uns. Die unbestrittenen Erfolge der EU-Politik gerade im Hinblick auf die 78 AKP-Staaten sind eine große Hoffnung für den afrikanischen Kontinent - darum geht es in erster Linie -, genauso wie für andere Großregionen auf der Welt. Die Hoffnung lautet: von Konfrontation über Kooperation zu einem Konsens zu kommen. Sprechen Sie doch einmal mit Politikerinnen und Politikern aus Afrika oder Lateinamerika! Für sie ist Europa ein Leitmodell. Die Diskussion mit diesen Politikerinnen und Politikern zeigt: Sie betonen in erster Linie den Wert des Friedens. Wir reden dagegen manchmal viel zu oft über den Preis des gemeinsamen Marktes.

   Bei aller Bedeutung der 1-Prozent-Marge des Haushalts - sie ist richtig und wir werden auf diesem Weg vorankommen - gilt: 1 Prozent ist kein Wert an sich und ist auch kein Preis für uns. Es ist vielmehr die Balance zwischen Notwendigem und Möglichem, damit wir Europäer dem Wünschbaren ein Stück näher kommen.

   Ich erinnere dabei an den diesjährigen 60. Jahrestag des Endes des schrecklichsten aller Kriege in Europa. Bei der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald durch amerikanische Truppen hatten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus 13 europäischen Ländern ein Manifest vorgelegt. Darin stand: Wir Deutsche müssen in den europäischen Kulturkreis zurückkehren, und das heißt vor allen Dingen und in erster Linie die Verständigung mit Frankreich und Polen. - Das ist unser Weg, den wir gehen, den wir gegangen sind und den wir auch weitergehen müssen.

   Zum heute beginnenden EU-Gipfel reisen die neu gewählte Bundeskanzlerin und der neu gewählte Bundesaußenminister mit berechtigten Hoffnungen. Hoffnung heißt nach Ernst Bloch: ins Gelingen verliebt.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Dr. Dehm das Wort.

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Ich bitte Sie ganz herzlich, Kollege Schäfer - ich weiß, dass Sie es besser wissen -, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir, die Linke, im Europäischen Parlament gegen die EU-Verfassung gestimmt haben, und zwar wegen des Aufrüstungsgebots, wegen des Neoliberalismus, der unsere Verfassung überlagert, und wegen der Demokratiedefizite. Dann sind die Stimmen von Le Pen, lieber Jürgen Trittin, mit dem Referendum in Frankreich halbiert worden. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass dies ein probates Mittel gegen die Rechten war, dass die Linke dies mitbetrieben hat und dass Oskar Lafontaine sowie andere Linke große Verantwortung

(Lachen bei der SPD)

bei der Kampagne in Frankreich übernommen haben, und zwar nicht nur im Parlament, sondern auch außerhalb des Parlaments, und das Nein wirkungsvoll begründet haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zur Erwiderung, Herr Kollege Schäfer.

Axel Schäfer (Bochum) (SPD):

Kollege Dehm, nehmen Sie zur Kenntnis, dass Frau Kaufmann, Mitglied der PDS-Fraktion im Europäischen Parlament, im Auftrag Ihrer Fraktion an der Verfassung mitgearbeitet, sie begrüßt hat und heute noch verteidigt und dass Sie sich aus der Verantwortung stehlen.

(Bodo Ramelow (DIE LINKE): Wir sind keine Einheitspartei!)

   Im Übrigen kann ich zu der besonderen europapolitischen Bedeutung von Oskar Lafontaine nur sagen: Wer 1999 als Papst zurückgetreten ist, kann 2005 nicht als großer Prophet auftreten.

(Lachen bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nun hat das Wort der Kollege Thomas Silberhorn, CDU/CSU-Fraktion.

Thomas Silberhorn (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte bis vor zwei Minuten noch die redliche Absicht, zu dem auf der Tagesordnung ausgewiesenen Thema zu sprechen. Aber aus aktuellem Anlass möchte ich doch sagen, dass die Schablone des Neoliberalismus nicht überall passt.

(Beifall des Abg. Dr. Werner Hoyer (FDP))

Wie ich den Medien in den letzten Tagen entnehmen konnte, hat die WASG alle Hände voll damit zu tun, die Neoliberalen in der PDS im Zaum zu halten.

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Welche Zeitungen lesen Sie denn?)

Ich meine, Sie sind gut mit sich selbst beschäftigt.

   Es verdient Erwähnung, dass es bei der finanziellen Vorausschau der Europäischen Union, dem wichtigsten Thema des Gipfels, bereits vor der Bundestagswahl eine große Koalition gegeben hat. Die Union hat von Anfang an die Verhandlungsführung auch der alten Bundesregierung unterstützt. Das zeigt, dass verantwortliche Oppositionspolitik im Interesse des Landes betrieben werden muss.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage das bewusst auch für die CSU; denn das Thema finanzielle Vorausschau ist für uns von besonderer, durchaus ambivalenter Bedeutung. Das ist nach der Bundestagswahl noch augenfälliger geworden. Wenn Sie sich den Haushalt der Europäischen Union anschauen, dann werden Sie feststellen, dass etwa 80 Prozent der Ausgaben der Europäischen Union in Ressorts fallen, die von zwei Bundesministern der CSU geführt werden, nämlich in den Bereich Wirtschaft, zu dem sinnvollerweise wieder die europäische Strukturpolitik gehört, und in den Bereich Landwirtschaftspolitik. Ich werde mir erlauben, auch in Abwesenheit der beiden Minister dazu einige Bemerkungen zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Ausgaben zu begrenzen ist sicher die wichtigste Aufgabe bei dieser finanziellen Vorausschau. Die Obergrenze sollte möglichst nahe bei 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Insoweit begrüße ich es auch, dass die britische Präsidentschaft sich getraut hat, eine Kürzung der Mittel im absoluten Sinne vorzunehmen. Es ist schlichtweg notwendig, dass auch die Europäische Union Haushaltsdisziplin übt. Wir können doch nicht heute in einer der nachfolgenden Debatten die Abschaffung der Eigenheimzulage beschließen und damit und mit vielen anderen Vorhaben unseren eigenen Bürgerinnen und Bürgern eine Menge zumuten, auf der anderen Seite aber die Gelder aus Konsolidierungserfolgen, die wir uns mühsam abringen, auf der europäischen Ebene in neue Finanztöpfe stecken. Das würde nicht zusammenpassen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Eduard Oswald (CDU/CSU): Auf den Punkt gebracht! - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): So noch nie gehört!)

Die Europäische Union fordert von uns, dass wir unsere nationalen Haushalte konsolidieren. Das ist - ich darf darauf hinweisen - auch ein Bestandteil der Lissabon-Strategie für mehr Wachstum und Beschäftigung. Es ist auch eine Anforderung des Stabilitätspaktes, die wir erfüllen müssen. Deswegen muss beides zusammenpassen: europäische Konsolidierung und nationale Konsolidierung. Es kann nicht sein, dass eine finanzielle Vorausschau beschlossen wird, die unseren Kurs der Konsolidierung konterkariert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Zu diesem Thema gehört auch, dass nicht neue Töpfe geschaffen werden. Es ist in der Europäischen Union eine gute Übung gewesen, dass die Obergrenze tatsächlich als eine Obergrenze verstanden worden ist, die auch unterschritten werden darf. Es war ständige Praxis, dass die Obergrenze in den letzten Jahren nicht ausgeschöpft worden ist. Deswegen sollte man auch aufpassen, dass jetzt nicht versucht wird, die nicht abgerufenen Haushaltsmittel in einen neuen Fonds zu stecken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dazu ist ein Globalisierungsfonds vorgeschlagen worden. Dieser Globalisierungsfonds würde die Probleme nicht lösen. Die Mitgliedstaaten müssen ihre eigenen Aufgaben lösen und nicht neue beschließen, mit denen im Ergebnis nur das Unterlassen eigener Reformen belohnt werden würde, indem man einen neuen europäischen Finanzausgleich etabliert. Das kann nicht Sinn einer finanziellen Vorausschau sein.

   Ich hoffe, dass es gelingt, im Rahmen der Verhandlungen auch einige strukturelle Veränderungen vorzunehmen, die längerfristig von Bedeutung sind. Dazu gehört, dass man den Britenrabatt reduziert und nach Möglichkeit in einen allgemeinen Korrekturmechanismus verwandelt. Ich bitte sehr darum, Frau Bundeskanzlerin, dass wir versuchen, das noch einmal zum Gegenstand der Verhandlungen zu machen. Wir haben nicht ohne Grund im Koalitionsvertrag auf diesen allgemeinen Korrekturmechanismus Bezug genommen. Im Ergebnis ist auch der Britenrabatt nichts anderes als ein Korrekturmechanismus, der durchaus das legitime Anliegen verfolgt, dass der Beitrag eines Mitgliedstaates in einem angemessenen Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit steht.

Nur: Dieses legitime Anliegen, das dem Britenrabatt einst zugrunde lag, gilt natürlich für alle Mitgliedstaaten. Deswegen wäre es sinnvoll, den Britenrabatt durch einen allgemeinen Korrekturmechanismus zu ersetzen.

   Ein weiteres Element einer längerfristigen Reform wäre, dass man in der Tat, wie es Großbritannien vorgeschlagen hat, die Ausgaben überprüft. Ich habe die Meldungen gestern so verstanden - es ist sehr kompromisshaft allgemein formuliert worden -: Es müssen alle Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden. Die Briten sprechen von einem „review“, also von einer Überprüfung, die bis 2013 stattfinden soll. Ich glaube, diese allgemeine Formulierung ist durchaus begrüßenswert, und zwar einschließlich der Agrarpolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Damit wird nicht infrage gestellt, dass der Agrarkompromiss bis 2013 besteht. Aber wir können doch nicht erst 2013 anfangen, darüber zu diskutieren, wie es nach 2013 weitergehen soll; vielmehr sollten wir jetzt den Einstieg schaffen und den Übergang so vorbereiten, dass wir unsere Pläne nach 2013 tatsächlich umsetzen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Zur Agrarpolitik. Mein Anliegen ist, dass wir das Thema „nationale Kofinanzierung“ wieder auf die Tagesordnung setzen. Dieses Thema ist nicht neu: Ausgerechnet bei der großen Erweiterungsrunde 2004 hat man eine solche Kofinanzierung für die neuen Mitgliedstaaten eingeführt. Man hat es ihnen schmackhaft gemacht, indem man gesagt hat: Ihr dürft zu den Förderungen durch die Europäische Union noch selbst etwas hinzuzahlen. Ich glaube, dass es Sinn macht, überall dort, wo die Europäische Union Geld ausgibt, nationale Verantwortung in Form einer Kofinanzierung zu schaffen: Wenn man den eigenen Geldbeutel immer dann öffnen muss, wenn man eine Förderung von einem Dritten haben möchte, dann diszipliniert das eigene Begehrlichkeiten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Ich glaube, dass tatsächlich eine realistische Chance besteht, einen solchen Einstieg in die Kofinanzierung auch in der Agrarpolitik zu schaffen. Bis 2013 - erst dann oder danach soll es umgesetzt werden - wird die Europäische Union wahrscheinlich einige Mitgliedstaaten mehr haben: Rumänien, Bulgarien, Kroatien. Einige der Länder, die heute Nettoempfänger sind, werden dann Nettozahler sein, insbesondere Frankreich. Es besteht durchaus die realistische Chance, dass wir mit Frankreich und Großbritannien zu einer strukturellen Reform des Ausgabenhorizontes kommen, wenn wir den allgemeinen Korrekturmechanismus und eine Veränderung in der Agrarpolitik, was die Kofinanzierung angeht, gemeinsam angehen.

Ich will zum Schluss kommen. Die Europäische Union könnte einen Erfolg durchaus verkraften. Ich lese allerdings mit Interesse, dass so oft wie selten zuvor von einem Scheitern die Rede ist. Ich kann nur sagen: Wer darauf spekuliert, dass es nicht zu einer Einigung kommt, der muss realisieren, dass die Rahmenbedingungen für einen Kompromiss nicht besser werden. 2006 finden in vielen Mitgliedstaaten Wahlen statt. Wer gar darauf spekuliert, dass Deutschland die Sache 2007 regeln könnte, dem muss man sagen, Frau Bundeskanzlerin: Wenn die Bundesregierung selbst erst im Jahr 2007 einen Verhandlungsvorschlag vorlegen müsste, dann hätte die Bundesregierung doch gar keine andere Möglichkeit, als dies auf der Grundlage der eigenen Verhandlungsposition von heute zu tun, und die ist 1,0 Prozent. Man muss den Partnern sagen, dass ihre Bedingungen für einen Kompromiss wahrscheinlich niemals wieder so gut sein werden.

   Ich glaube, es gibt die Chance, zu einer Einigung zu kommen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass Deutschland eine neue Vermittlerrolle in der Europäischen Union einnimmt. Ich würde es mir wünschen. Ich wünsche Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, bei den Beratungen viel Erfolg.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Markus Meckel, SPD-Fraktion.

Markus Meckel (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es heute sehr deutlich gehört und in unseren Reihen ausgesprochen: Die Erwartungen an die eigene Regierung, zu einem Erfolg zu kommen, also das zu schaffen, was hier heute mehrfach dargestellt worden ist, sind sehr groß. Die Erwartungen sind aber nicht nur bei uns, sondern - gerade angesichts der großen Koalition - in ganz Europa groß. Man muss hoffen - wir haben entsprechende Vereinbarungen getroffen -, dass diese große Koalition in Deutschland zentrale Reformen durchführt und dieses Land wesentlich voranbringt. Hoffen muss man darüber hinaus, dass dies auch für Europa möglich ist.

   Sie, Frau Bundeskanzlerin, müssen gleich aufbrechen. Ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand, das rechte Augenmaß und - ich glaube, es gibt diese Chance - viel Erfolg. Wenn es dann am Ende so kommt, wie Herr Steenblock, wie ich fand, genialerweise gesagt hat - wenn das aus der Opposition kommt, freut einen das umso mehr; wir alle müssen uns noch ein bisschen daran gewöhnen, dass das jetzt die Opposition ist und das wir jetzt so zusammengehören -,

(Heiterkeit)

und wir feststellen können: „Da ist eine Lady Europe zurückgekommen“, dann ist das ein großer Erfolg für Deutschland, genau im Sinne dessen, was Joschka Fischer als deutsches Interesse angesprochen hat. In diesem Sinne also eine gute Reise - mit allem, was dazugehört - und insbesondere eine frohe Rückreise! Darauf freuen wir uns dann besonders.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich fand gut, was der Kollege Stübgen ein Stück weit ausdifferenziert hat. Er hat diesen wahrhaftig schwierigen britischen Vorschlag einmal ein bisschen auseinander genommen und die konkreten Chancen ein wenig ausgelotet. Wenn man einfach einmal ganz grundsätzlich auf diesen Vorschlag schaut, muss man sagen: Eigentlich steckt da in zwei Richtungen eine ganze Menge von dem, was auch unser Interesse ist. Es geht darum, einmal die Zukunftsperspektive, das, was wir in Bezug auf Wissenschaft und Forschung machen müssen, ganz vornan zu stellen und zum anderen in Bezug auf die Agrarpolitik auch wirklich zu Reformen zu kommen, die die Kosten deutlich mindern, durchaus in dem Sinne, in dem mein Vorredner das hier angesprochen hat. Diese Grundrichtungen können wir, denke ich, teilen. Wenn es gelingt, darauf zumindest langfristige Festlegungen zu treffen nach dem Motto „Das lasst die Linie sein“, dann erhoffen wir von Großbritannien, dass es diesen Schritt zum eigenen Erfolg geht und den eigenen Rabatt etwas deutlicher als bisher absehbar senkt.

   Auch in Bezug auf die anderen Partner in Europa gibt es gute Chancen. Wir reden immer wieder - ich glaube, mit Recht - von der großen Bedeutung der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Sie ist aber nicht deshalb so bedeutend, weil wir uns in allen Punkten so nahe sind, sondern oft gerade deshalb, weil wir in vielen Punkten in unserer Herangehensweise und auch in unseren Traditionen so unterschiedlich sind. Wenn zwei so unterschiedliche Partner einen Kompromiss finden, dann können sich oft auch die anderen in diesem Kompromiss wiederfinden. Es kommt für die Zukunft darauf an, dass wir nicht der Little Boy der lieben französischen Freunde sind, sondern in dieser Kooperation gerade die eigenen Standpunkte deutlicher machen, als dies vielleicht manchmal geschehen ist, damit sich die anderen Partner darin wiederfinden können.

   Hierbei kommt Deutschland deshalb eine besondere Bedeutung zu und dabei - auch dieser Punkt wurde schon angesprochen - spielt das Verhältnis zu den Kleinen eine Rolle. Wir als Deutsche sind eben nicht nur von Großen, sondern gerade auch in der unmittelbaren Nachbarschaft von vielen Kleinen umgeben. Deutschland sollte nicht den Anwalt der kleineren Nachbarn spielen - das klingt so paternalistisch -, aber es sollte die Interessen der kleineren Nachbarn deutlich im Blick haben.

(Beifall bei der SPD)

Dazu gehören die Nachbarn, die jetzt neu Mitglied geworden sind und die nicht die besonderen Lasten dieses Gipfels tragen können; dies wäre für uns nicht akzeptabel.

   Die Europäische Union, die jetzt, wie oft gesagt wurde, in einer Krise steckt - Axel Schäfer hat noch einmal deutlich dargelegt, an welchen Punkten es Blockaden gegeben hat -, ist eine Erfolgsgeschichte gerade seit 1990 - lange davor natürlich auch -, weil da die Erweiterungsperspektive und die Vertiefung, das heißt diese verstärkte Integration, als parallele Prozesse gelaufen sind. Das ist ein Wunder. Zu dieser Auffassung komme ich, wenn ich an die Diskussion Anfang der 90er-Jahre denke, als es um die Erweiterung ging. Ich erinnere mich an eine Fülle von Gesprächen, auch im Europäischen Parlament, in denen gesagt wurde: Wir wollen erst vertiefen und dann schauen, ob wir erweitern können. Wir haben gemeinsam durchgesetzt, dass die Prozesse parallel laufen. Es war dann ein großes Wunder, dass wir 2004 die Verfassung auf dem Tisch hatten und gleichzeitig die Erweiterung beschließen konnten und dementsprechend Staaten neu Mitglied geworden sind.

   Diese Parallelität müssen wir beibehalten. Das ist wichtig auch für das, was jetzt in Aussicht genommen worden ist. Bei Mazedonien kam dieser Streit noch einmal neu auf. In den nächsten Monaten wird das weiterverfolgt werden müssen. Wir müssen diese Parallelität fortführen und dürfen nicht ein Nacheinander schaffen.

Denn - hier schaue ich besonders Richtung Westbalkan - es ist ganz klar, dass wir die Probleme um den Kosovo und des Westbalkans überhaupt nur lösen werden, wenn wir diesen Staaten nicht nur die Perspektive geben, dass sie irgendwann einen anderen Status erreichen werden, sondern auch unsere Instrumentarien schärfen, um genau zu sehen, was für den Westbalkan getan werden kann, sehr konditional, aber wiederum mit großem Engagement der Europäischen Union. Denn die Probleme und das Selbstverständnis der Völker in dieser Region sind von so zentraler Bedeutung, dass wir ein eigenes Interesse daran haben müssen, die Heranführung dieser Staaten an die Europäische Union mit zu stabilisieren und den Weg in diese Richtung zu festigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich halte es - dies soll mein letzter Punkt sein - für wichtig, dass wir die Erfolgsgeschichte der Erweiterung nicht absolut setzen und die Erweiterungsperspektive nicht als einziges Instrument der Stabilisierung ansehen. Es war und ist richtig, dass die Europäische Union - vielleicht ein wenig spät - die Nachbarschaftspolitik konzipiert hat, um die Nachbarstaaten zu stabilisieren. Diese Strukturen müssen aber noch flexibler gestaltet werden.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt)

Wir dürfen in Bezug auf Belarus, die Ukraine oder die Staaten des nördlichen Afrika nicht nur mit festen Strukturen, die vorher in Aktionsplänen festgelegt worden sind, vorgehen. Hier brauchen wir eine stärkere Flexibilität. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass die drei Staaten des Südkaukasus - glücklicherweise ist er jetzt dabei; am Anfang war er vergessen worden - nur gemeinsam verhandeln können, obwohl sie ganz unterschiedliche Probleme haben und in dieser Region durch viele Probleme miteinander verflochten sind. Auch da gibt es, glaube ich, eine Unflexibilität, die wir verändern müssen.

   Ein letzter Punkt zu dieser Nachbarschaftsinitiative. Sie ist im Grunde zur Zusammenarbeit zwischen Staaten gedacht; das heißt, sie ist sehr etatistisch. Wir müssen aber und können auch lernen, dass Demokratie nur entstehen und wachsen kann, wenn die Zivilgesellschaften unterstützt werden. Gerade dafür brauchen wir neue und bessere Argumente und Instrumentarien. Ich glaube, dass wir ein neues Instrument für diese Nachbarschaftspolitik schaffen könnten, indem wir eine Freiheits- und Demokratiestiftung auf europäischer Ebene ins Leben rufen, um gerade mit Blick auf die Zivilgesellschaften mehr tun zu können.

   Vielen Dank und noch einmal viel Erfolg.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/224 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:

5. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen

- Drucksache 16/107 -

(Erste Beratung 5. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

-Drucksache 16/254 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Gabriele Frechen
Frank Schäffler
Dr. Barbara Höll
Christine Scheel

bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
gemäß § 96 der Geschäftsordnung

- Drucksache 16/256 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider (Erfurt)
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk

b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der Eigenheimzulage

- Drucksache 16/108 -

(Erste Beratung 5. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

- Drucksache 16/250 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Michelbach
Ingrid Arndt-Brauer
Dr. Volker Wissing

bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
gemäß § 96 der Geschäftsordnung

- Drucksache 16/257 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider (Erfurt)
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk

c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm

- Drucksache 16/105 -

(Erste Beratung 5. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

- Drucksache 16/255 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Florian Pronold
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Barbara Höll
Kerstin Andreae

bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
gemäß § 96 der Geschäftsordnung

- Drucksache 16/258 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider (Erfurt)
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk

   Zu dem Gesetzentwurf zur Abschaffung der Eigenheimzulage liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP und Die Linke vor. Zu dem Gesetzentwurf zu einem steuerlichen Sofortprogramm liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne hiermit die Aussprache und gebe Herrn Abgeordneten Florian Pronold, SPD-Fraktion, das Wort.

Florian Pronold (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten unter diesem Tagesordnungspunkt drei Gesetze. Einige davon sind schon alte Bekannte aus den Diskussionen der letzten Jahre. Es geht um die Eigenheimzulage, um die Steuerstundungsmodelle, besser bekannt unter Medienfonds, Schiffsfonds und anderen Anreizen, wie man sein Geld gut vernichten kann, um Steuern zu sparen, und um das steuerliche Sofortprogramm, bei dem zwei wesentliche Punkte diskutiert worden sind: die Abfindungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für Angehörige des öffentlichen Dienstes und die Absetzbarkeit der Steuerberaterkosten als Sonderausgaben.

All das werden wir heute unter diesem Tagesordnungspunkt beraten.

   Die große Koalition hat sich auf die Fahnen geschrieben, Steuersubventionen abzubauen und finanzielle Fehlanreize im Steuerrecht zu verhindern. Sie will damit alle öffentlichen Haushalte in Ordnung bringen und Spielraum für Zukunftsinvestitionen gewinnen. Unser Finanzminister Peer Steinbrück hat damit die schwerste aller Aufgaben in dieser Regierung übernommen. Wir werden ihn mit Kräften unterstützen, dass diese Maßnahmen umgesetzt werden.

   Man kann eine eigenartige Erfahrung machen. Wenn über den Abbau von Steuersubventionen diskutiert wird, dann zeigt sich immer, dass alle dafür sind. Aber spätestens dann, wenn es im Parlament zu Beratungen kommt und es konkret wird, welche Steuersubventionen denn abgebaut werden sollen, dann spricht man von Steuererhöhungen. Nach den Vorstellungen der FDP sollen alle Steuersubventionen im Rahmen einer großen Steuerreform abgebaut werden. Wenn es allerdings konkret wird, dann spricht sie von Steuererhöhungen. Aber an eine große Steuerreform glaubt eh niemand mehr.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit, Herr Kollege!)

   Wir wollen heute zwei große Schritte machen. Es besteht große Einigkeit darin, die Eigenheimzulage abzuschaffen und Beschränkungen hinsichtlich der Fonds einzuführen. Wir wollen mit dem steuerlichen Sofortprogramm aber auch erste kleine Schritte gehen. Damit will die große Koalition Fehlanreize durch Steuersubventionen und Verwerfungen im Steuerrecht beseitigen.

   Die Abschaffung der Eigenheimzulage ist schon lange in der Debatte. Wir könnten heute wesentlich mehr Geld im Haushalt haben, wenn die Einigkeit schon früher so groß gewesen wäre, wie sie momentan ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir hätten schon vor längerer Zeit mehr Spielraum für Forschung, Bildung und Zukunftsinvestitionen haben können.

   Auch hinsichtlich der Schiffsfonds und Medienfonds waren wir uns schon lange einig. Aber der politische Prozess der letzten Jahre, der vom Streit zwischen Bundesrat und Bundestag geprägt war, ist dafür verantwortlich, dass diese entsprechenden Maßnahmen nicht ganz so schnell auf den Weg gebracht worden sind, wie wir es gemeinsam eigentlich vorgehabt hatten. Aber was lange währt, wird endlich gut. Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem wir diese beiden wesentlichen Schritte gehen wollen. Zu diesen beiden Gesetzen werden meine Kolleginnen von der SPD-Fraktion Ingrid Arndt-Brauer und Gabi Frechen noch Details nennen.

   Für uns war wichtig, dass der Vertrauensschutz als zentrales Element berücksichtigt wurde. Die Eigenheimzulage wird erst für die Zukunft abgeschafft. Die Menschen können sich darauf verlassen, dass die Förderung für die Altfälle bestehen bleibt.

   Der Begriff „Vertrauensschutz“ ist auch wichtig mit Blick auf unser drittes Gesetzgebungsverfahren. Dabei handelt es sich um ein ganz sensibles Thema. Es geht um die teilweise Steuerfreiheit der Übergangsgelder für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Im Regelfall sind hier die Zeitsoldatinnen und Zeitsoldaten betroffen, die in vielen Herren Ländern unter erschwerten Bedingungen und für wenig Lohn ihren Dienst leisten. Diese verlassen sich darauf - so steht es im Gesetz -, dass die Übergangsgelder zumindest teilweise steuerfrei sind.

   Dieselbe Problematik gilt auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz verlieren und von Sozialplänen betroffen sind. Diese verlassen sich darauf, dass sie die ausgerechneten Nettobeträge auch tatsächlich bekommen. Die Situation ist für beide Gruppen nicht einfach.

   Wir haben aber gesagt, dass dieser grundsätzliche Schritt sein muss, um die Fehlanreize, die mit der teilweisen Steuerfreiheit der Abfindungen verbunden sind, zu beseitigen. Denn es gibt große Konzerne, die fette Gewinne einfahren, die aber die teilweise Steuerfreiheit nutzen, um sich relativ günstig ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entledigen. Es kann nicht gewollt sein, dass der Steuerzahler dafür aufkommt. Deswegen muss man für die Zukunft diese Fehlanreize beseitigen. Ich denke, das ist richtig. Wir sind uns in diesem Punkt einig.

   Ich fand es gut, dass die Fraktion der PDS

(Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Linke!)

- das ist eine spannende Frage; vielleicht sollte man die Linke als „PDS mit Westimport“ bezeichnen; lassen Sie mich aber Sie loben - in den Beratungen des Ausschusses grundsätzlich erklärt hat, dass es hier einen Fehlanreiz gibt, den man, wie Sie gesagt haben, im Rahmen einer großen Steuerreform, bei der auch noch andere Dinge auf dem Tisch liegen, abschaffen muss. Ich fand es grundsätzlich gut, dass auch dieser Aspekt in der Beratung zum Ausdruck gebracht worden ist.

   Wichtig für uns war aber auch, Vertrauensschutz zu gewähren und denjenigen, die davon betroffen sind und dies schon jetzt wissen, so weit wie möglich Verlässlichkeit und die Sicherheit zu geben, dass sich für sie nichts ändert. Deswegen haben wir in einer relativ konfliktfreien, aber doch intensiven Auseinandersetzung in der großen Koalition den Vertrauensschutz für die Zeitsoldaten auf drei Jahre sowie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, bei denen schon jetzt feststeht, dass sie ihr Arbeitsverhältnis leider nicht mehr fortsetzen können, auf die nächsten zwei Jahre erweitert. Dies bedeutet, dass alle Abfindungen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den nächsten zwei Jahren zufließen, dann, wenn noch in diesem Jahr klar ist, dass sie betroffen sind, weiterhin der teilweisen Steuerfreiheit unterliegen. Ich denke, es ist ganz wichtig: Wenn man solche Reformen macht, muss man gleichzeitig immer sagen, dass es Vertrauensschutz und Sicherheit gibt.

   Außerdem steht weiterhin - auch daran darf an dieser Stelle erinnert werden - die so genannte Fünftelregelung im Gesetz. Das bedeutet, dass bei Abfindungen eine günstigere Steuerprogression vorgesehen ist, weil die Abfindungen rechnerisch auf fünf Jahre aufgeteilt werden. Das ist sozial gerecht. Denn je geringer die Abfindung und das Einkommen sind, umso geringer ist die steuerliche Belastung und je höher sie sind, desto höher ist die steuerliche Belastung. Auch das ist ganz wichtig. Jeder erlebt es - um die Steuerprogression zu erklären - beim Weihnachtsgeld. Man ärgert sich über den Lohnzettel, weil höhere Steuern abgezogen werden. Das ist die Progressionswirkung. Die Abfindung wird durch die Fünftelregelung auf fünf Jahre aufgeteilt und die Steuerprogression fällt dann deutlich geringer aus.

   Vertrauensschutz ist aber nicht der einzige Aspekt. Für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geht es auch um die Frage der Gleichbehandlung. Deswegen müssen wir bei den nächsten Schritten, die wir im Rahmen des steuerlichen Sofortprogramms gehen werden, auch daran denken, dass gleiche Lebenssachverhalte in den Blickpunkt geraten. Das betrifft auch die teilweise Steuerfreiheit bei der Aufgabe von Betrieben durch Gewerbetreibende oder Landwirte. Auch dies wird man angesichts der Haushaltslage nicht völlig außer Betracht lassen können und eine Gleichbehandlung mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Soldaten vornehmen müssen.

   Dann - leider mahnt mich die Präsidentin schon blinkenderweise - wäre noch ein Satz zu den Steuerberaterkosten zu sagen. Auch hier geht es darum, einem alten Grundsatz im Steuerrecht wieder mehr Klarheit zu verschaffen, nämlich dass nach privaten Aufwendungen und dem getrennt wird, was betrieblich oder werbungskostentechnisch, also durch den Beruf oder die Einkunftsart, veranlasst ist. Das wird umgesetzt. Es wird einen erklecklichen Betrag bringen, diesen alten Grundsatz einzuhalten. Das ist mit den beiden großen Finanzverwaltungen, der der Länder und der des Bundes, abgestimmt. Das wird dazu beitragen, dass wir mehr Spielraum dafür bekommen, wofür wir das alles machen, nämlich in Richtung Zukunft zu gehen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Volker Wissing, FDP-Fraktion.

Dr. Volker Wissing (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Die Abschaffung der Eigenheimzulage ist noch lange kein finanzpolitisches Konzept.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Trotzdem: Die Abschaffung der Eigenheimzulage als solche ist richtig. Die FDP hat immer konsequent gefordert, Subventionen abzubauen und Ausgaben zurückzufahren. Wer die Haushaltskonsolidierung ernst nimmt, weiß, dass es dazu keine Alternative gibt.

   Aber, meine Damen und Herren von der großen Koalition, das Problem an dieser Stelle ist nicht das, was Sie machen. Das Problem an dieser Stelle ist das, was Sie nicht machen. Es ist doch kein Konzept, Vergünstigungen abzubauen, wenn nicht gleichzeitig dringend erforderliche Reformen auf den Weg gebracht werden.

(Beifall bei der FDP)

Belastungen stehen bei Ihnen ganz schnell im Gesetz und Entlastungen stehen bei Ihnen in den Sternen. So kann man das nicht machen.

(Beifall bei der FDP)

Sie streichen im Jahr 2005 die Eigenheimzulage und kündigen an, 2007 ein Instrument zur Förderung von Wohneigentum auf den Weg zu bringen. Sie beschließen im Jahr 2005 Belastungen für Bauunternehmen und kündigen an, 2008 längst überfällige Reformen im Bereich der Unternehmensteuern auf den Weg zu bringen. Das ist keine Politik der kleinen Schritte. Das ist eine Politik des Stillstands.

(Beifall bei der FDP)

Damit beweist die große Koalition, dass sie in der Lage ist, sich sehr schnell zulasten der Bürgerinnen und Bürger zu einigen, und sie demonstriert, dass sie schlichtweg unfähig ist, Reformen auf den Weg zu bringen. Genau das können wir nicht akzeptieren.

   Noch einmal: Die Eigenheimzulage zu streichen ist richtig; die FDP wird dem zustimmen, das steht außer Frage. Aber es ist unverantwortlich, mit den frei werdenden Mitteln Haushaltslöcher zu stopfen. Das wollte die Union nicht und deshalb dürfen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das auch nicht mittragen. Sie werden schlichtweg unglaubwürdig, wenn dem heutigen Schritt nicht spürbare Entlastungen folgen.

(Beifall bei der FDP)

   Die FDP fordert Sie auf, den begonnenen Subventionsabbau mit klaren Reformen zu begleiten. Die Menschen erwarten das von Ihnen. Sie erwarten, dass Sie Ihre Zusagen einhalten und unser Steuerrecht vereinfachen. Sie erwarten zu Recht, dass Sie neben den nun erfolgenden Belastungen umgehend Vorschläge zur Entlastung vorlegen.

(Beifall bei der FDP)

Ohne Entlastungen kommt die Binnennachfrage in unserem Land nicht in Schwung. Was das für den Arbeitsmarkt bedeutet, haben wir in den letzten Jahren erlebt. So schwer Ihnen das gemeinsame Regieren auch fallen mag: Sie können sich in der großen Koalition nicht wegducken. Sie tragen Verantwortung dafür, dass die Reformen auf den Weg gebracht werden, die unser Land dringend braucht.

   „Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit“, so steht es über dem schwarz-roten Koalitionsvertrag. Aber, meine Damen und Herren, was ist denn daran mutig, sich auf das Kürzen, Streichen und Verwalten zu beschränken? „Gemeinsam für Deutschland“ kann doch nicht bedeuten, dass nur die Bürger sparen. „Gemeinsam für Deutschland“ kann doch nicht bedeuten, dass die einen tapfer ihren Beitrag leisten und die anderen sich zurücklehnen und Haushaltslöcher stopfen. Die Menschen sind bereit, Einschnitte hinzunehmen. Aber sie wollen wissen, wofür. Genau darauf bleiben Sie heute eine Antwort schuldig.

(Beifall bei der FDP)

   Sie kommen mir vor wie ein Häuslebauer, der zuerst den Balkon errichtet und sagt: Um das Fundament kümmere ich mich später.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist ein sehr schönes Bild!)

Das funktioniert weder auf dem Bau noch in der Finanzpolitik.

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Wenn der Balkon eine Terrasse ist, Herr Kollege, geht das im Grunde! - Gegenruf des Abg. Dr. Guido Westerwelle (FDP): Sie kommen nicht in die Baukommission!)

   Mit den heute vorliegenden Gesetzentwürfen haben Sie den Beitrag der Bürgerinnen und Bürger eingefordert. Jetzt sind Sie an der Reihe. Die Menschen erwarten von Ihnen, dass umgehend Reformen auf den Weg gebracht werden, die sie entlasten und die ihnen eine Perspektive bieten. Jetzt müssen Sie eine Gegenleistung erbringen. In der Finanzpolitik bedeutet diese Gegenleistung, eine grundlegende Steuerreform auf den Weg zu bringen, eine Reform, durch die die Tarife gesenkt werden, um die Binnennachfrage zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen, eine Reform, die zu Vereinfachungen führt, damit die Menschen wieder verstehen, nach welchen Regeln sie besteuert werden. Die FDP hat dazu konkrete Vorschläge gemacht. Jetzt sind Sie an der Reihe.

   Mit Ihrem Gesetzentwurf zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm haben Sie zunächst einen gewaltigen Schritt in die falsche Richtung gemacht. Anstatt mit Vereinfachungen dafür zu sorgen, dass die Menschen keinen Steuerberater brauchen, haben Sie den glorreichen Einfall gehabt, dass man die Kosten für den Steuerberater nicht mehr als Sonderausgaben absetzen kann. Diese Regelung kann man nur ablehnen.

(Beifall bei der FDP)

Sie ist zynisch und ein Paradebeispiel für eine Politik, die weit an dem vorbeigeht, was die Menschen in unserem Land brauchen und was sie von der Politik erwarten, nämlich ein Steuerrecht, das klar und verständlich ist, einfach und nicht kompliziert. Was Sie hier auf den Weg gebracht haben, ist das Gegenteil dessen, was wir in der Finanzpolitik in Deutschland gebrauchen können.

(Beifall bei der FDP)

   Meine Damen und Herren, die FDP ist bereit, Sie bei einer Reformpolitik zu unterstützen. Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten. Wir sind bereit, Subventionsabbau mitzutragen. Es kann aber nicht angehen, dass Sie sich darauf beschränken, Subventionen abzuschaffen, und die Reformen auf die Zukunft vertagen. Die Bauwirtschaft hat keine Perspektive, wenn Sie sagen, dass die Eigenheimzulage Ende 2005 gestrichen wird und überlegt wird, wie es im Jahr 2007 in diesem Bereich weitergeht. Es wird Ihnen sicherlich aufgefallen sein, dass zwölf Monate des Jahres 2006 dazwischen liegen. Für diese Zeit müssen Sie der Bauwirtschaft eine Antwort geben. Das tun Sie heute nicht. Deswegen werden Sie aus dieser Debatte nicht entlassen, ohne dass wir Ihnen Hausaufgaben mitgeben: Sie müssen sich so schnell wie möglich der Entlastungsseite annehmen. Sie sind jetzt gefordert; Sie müssen Ihre Gegenleistung erbringen.

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten das zu Recht von Ihnen; denn Sie haben es ihnen vor der Wahl versprochen.

(Beifall bei der FDP)

   All Ihre Anstrengungen zum Subventionsabbau müssen von Maßnahmen begleitet werden, die Teil eines Gesamtkonzeptes sind. Wir fordern eine umfassende Steuerreform, die den Menschen finanzielle Freiräume eröffnet, anstatt sie weiter einzuengen, und die wirtschaftliche Kräfte freisetzt, statt sie zu beschränken. Darüber hinaus fordern wir Bürokratieabbau. „Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit“ - die FDP ist bereit, das zu unterstützen. Wir sind gespannt, wann Sie anfangen, Ihr Motto umzusetzen.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion.

Otto Bernhardt (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jeder von uns muss sich zunächst in die neue Rolle einfinden. Ich habe mich sieben Jahre lang von diesem Rednerpult aus kritisch mit der Politik von Rot-Grün auseinander gesetzt und - in vielen Bereichen gemeinsam mit der FDP - versucht, bessere Alternativen zu formulieren. Seit 23 Jahren, Entschuldigung, seit 23 Tagen

(Heiterkeit)

bilden wir nun eine große Koalition. Es zeigt sich schon nach diesen drei Wochen, wie gut wir zusammenarbeiten. Für mich ist erstaunlich, dass wir heute, nach 23 Tagen, schon drei grundlegende Gesetzentwürfe zur Steuerpolitik verabschieden können. Das ist ein Beweis dafür, dass die große Koalition auch und gerade in der Finanzpolitik handlungsfähig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Mehr Beifall, Genossen!)

   Sie wissen, dass die große Koalition bezogen auf die Haushalts- und Finanzpolitik zwei Ziele gleichzeitig verfolgt. Das sage ich ganz bewusst zu Beginn meiner Ausführungen, bevor ich auf die Gesetzentwürfe im Einzelnen eingehe. Wir wollen gleichzeitig die öffentlichen Finanzen nachhaltig stabilisieren und die Wachstumskräfte fördern. Sie von der FDP wissen natürlich genau, dass heute der eine Teil verabschiedet wird und dass das Bundeskabinett wahrscheinlich schon in der nächsten Woche den zweiten Teil mit der Überschrift „Förderung von Wachstum und Beschäftigung“ verabschieden wird; denn selbstverständlich wollen wir beide Ziele gleichzeitig erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

   Unser Problem ist - jetzt muss ich doch ein wenig kritisch auf die linke Seite des Hauses schauen, auch wenn ihr jetzt unsere Partner seid -: Die finanzielle Situation Deutschlands ist deutlich schlechter, als die Mehrzahl der Bevölkerung zur Kenntnis genommen hat.

(Beifall bei der FDP - Joachim Poß (SPD): Weil Sie so lange blockiert haben, Herr Bernhardt!)

- Ich wage sogar die Aussage, dass es auch im Deutschen Bundestag noch manchen gibt - damit meine ich jetzt nicht Sie, Herr Kollege Poß -, dem nicht klar ist, wie die finanzielle Situation der öffentlichen Hand wirklich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU - Joachim Poß (SPD): Das mag wohl sein!)

   Wir werden in diesem Jahr zum vierten Mal das Maastricht-Kriterium verletzen.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Und im nächsten Jahr zum fünften Mal!)

Es sieht nach 3,9 Prozent aus. Die 0,9 Prozentpunkte, die wir über dem Oberwert liegen, bedeuten, dass wir das Maastricht-Kriterium um mehr als 25 Prozent verfehlen. Sie, Herr Thiele, haben völlig Recht, das wird auch im nächsten Jahr der Fall sein. Schauen Sie sich die Zahlen an: Im nächsten Jahr hätten wir, wenn wir nichts machten - wir handeln aber schon heute -, eine Haushaltslücke in der Größenordnung von 65 Milliarden Euro. Allein um das Maastricht-Kriterium 2007 zu erfüllen - darüber hinaus wollen wir aber auch die Anforderung des Grundgesetzes, nicht mehr Schulden als Investitionen, erfüllen -, müssen wir eine Lücke in der Größenordnung von 30 Milliarden Euro überwinden. Das ist nur möglich, wenn man auf der einen Seite Ausgaben senkt - das wird aber keine 30 Milliarden Euro erbringen - und auf der anderen Seite die Einnahmen erhöht. So ist das nun einmal.

   Das, was wir heute verabschieden, dient natürlich ausschließlich dem ersten Ziel: Stabilisierung der Staatsfinanzen. Ich nenne Ihnen die Größenordnung:

Die drei Gesetze werden im nächsten Jahr knapp 1 Milliarde Euro mehr Steuereinnahmen bringen, im Jahre 2007 rund 4 Milliarden Euro und in der gesamten Legislaturperiode etwa 16 Milliarden Euro. Das ist ein wichtiger Beitrag. Wenn ich mir die drei Gesetze anschaue, stelle ich fest, dass wir mit dem ersten genau das machen, was alle gefordert haben: Subventionsabbau.

   Es ist eine Subvention, wenn im Rahmen von Sozialplänen, die Großfirmen vorlegen, hervorragende Abfindungen gezahlt werden und die Steuervergünstigungen sozusagen von den kleinen Leuten finanziert werden.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch vor den 23 Tagen war das schon eine Subvention!)

Es ist richtig, dass wir diese Subvention abschaffen. Ich sage sehr deutlich: Wir haben noch nie so großzügige Übergangsbestimmungen geschaffen wie dieses Mal. In der Vergangenheit sind die Beträge oft reduziert worden, dieses Mal werden sie - mit hervorragenden Übergangsregelungen - abgeschafft.

   Was die Steuersparmodelle anbetrifft, die wir heute gemeinsam abschaffen wollen - ich finde es gut, dass alle fünf Fraktionen mitmachen -, kann ich nur die Frage stellen: Warum hat Rot-Grün das in den letzten sieben Jahren nicht gemacht? Von Ihnen höre ich dann die Frage: Warum ihr nicht in den 16 Jahren davor? Das bringt nichts. Ich finde es gut, dass wir diese Modelle heute gemeinsam abschaffen.

   Es gab nur einen Streitpunkt, der uns Bauchweh bereitet hat. Das ist die Frage des Datums. Sie wissen, die alte Regierung hatte die Absicht, am 10. November eine Entscheidung zu treffen. Das hat nicht ganz funktioniert. Die Entscheidung fiel dann am 24. November. Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes spricht vieles für den 24. November; das ist mir völlig klar. Wir wollen Gesetze - möglichst auch in Zukunft - nicht rückwirkend in Kraft setzen. Nur, wen schützen wir damit? In den 14 Tagen ist so viel Geld gezeichnet worden, dass die Steuerausfälle 500 Millionen Euro betragen. Das kann man nicht verantworten. Wen schützen wir hier wirklich? Schauen Sie sich die Verträge an. Fast alle derjenigen, die seit März gezeichnet haben, haben Rücktrittsklauseln unterschrieben. Das heißt, sie treten jetzt alle zurück. Sie haben, um es klar zu sagen, keinen Schaden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb muss ich sagen: Angesichts der Tatsache, dass wir alle gemeinsam solide Finanzen wollen, können wir auf diese 500 Millionen Euro leider nicht verzichten.

   Jetzt komme ich zu dem Thema Eigenheimzulage. In der Tat: Ich habe die Eigenheimzulage von diesem Platz aus bestimmt ein halbes Dutzend Mal verteidigt. Auch im Ausschuss habe ich sehr deutlich gesagt, dass es mir nicht leicht fällt, sie aufzugeben. Wir wollten mit der Abschaffung der Eigenheimzulage etwas völlig anderes erreichen - da haben Sie völlig Recht -: Wir wollten die enormen Mittel, die durch die Abschaffung dieses Instruments frei werden, nutzen, um den Steuertarif insgesamt zu senken. Nur - jetzt komme ich auf den Ausgangspunkt zurück -, angesichts der finanziellen Situation haben wir leider keinen Spielraum.

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber das wussten Sie doch vorher schon! - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war doch im letzten Jahr auch schon klar!)

Deshalb müssen die Einsparungen leider vollständig benutzt werden, um den Haushalt zu sanieren.

   Ich sage aber genauso deutlich: Wir haben mit der Eigenheimzulage zwei Ziele verfolgt. Beide geben wir nicht auf. Das erste Ziel, das wir verfolgt haben, lautete: möglichst viel Wohnungseigentum in Privatbesitz. Dies geben wir nicht auf. Wir werden noch in diesem Jahr die gesetzlichen Grundlagen schaffen. Im Koalitionsvertrag steht, dass privates Wohneigentum in die geförderte private Altersvorsorge einbezogen wird. Wir arbeiten bereits an entsprechenden gesetzlichen Überlegungen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Natürlich wissen auch wir, dass die Eigenheimzulage manchen Mitnahmeeffekt hatte. Manches Haus wurde nur aufgrund der Eigenheimzulage gebaut. Das wird jetzt nicht mehr geschehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Was die Abschaffung der Eigenheimzulage für die Bauwirtschaft bedeutet, wissen wir alle. Ich erlaube mir nur den Satz: Wir alle wissen, dass es der Bauwirtschaft - vorsichtig ausgedrückt - nicht sehr gut geht. Deshalb werden in dem Gesetz, das ich eben angekündigt habe, umfangreiche Maßnahmen vorhanden sein, um die Altbausanierung zu fördern. Das ist auch unter den Gesichtspunkten Umweltschutz und Energiekostenersparnis ein wichtiger Beitrag. Das werden wir, wie ich vermute, im März oder April des kommenden Jahres verabschieden.

   Das heißt, dass die beiden Ziele, die wir mit der Eigenheimzulage verfolgt haben, im Mittelpunkt unserer Überlegungen bleiben: Das Ziel mehr Wohnungseigentum wird verfolgt über die Einbeziehung in die private Altersvorsorge. Das Ziel Aufträge für die Bauwirtschaft wird über eine verstärkte Förderung der Sanierung herbeigeführt. Ich glaube, das ist ein wichtiger Beitrag.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   In den letzten drei Wochen haben wir im Finanzausschuss - das sage ich sehr deutlich - bis an die Grenze des Zumutbaren arbeiten müssen, damit wir heute abstimmungsreife Gesetze vorlegen können.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh je!)

- Frau Kollegin Scheel, wahrscheinlich gab es früher keine Abstimmungen zwischen den Grünen und der SPD. Ihr habt alles geschluckt, was sie vorgeschlagen haben. Jetzt sind die Partner aber gleich stark. Wir müssen uns abstimmen und das ist hervorragend gelungen. Das war nicht einfach; wir mussten uns an das neue System gewöhnen.

   Deshalb sage ich allen Mitgliedern des Finanzausschusses an dieser Stelle ein Dankeschön für ihre konstruktive Mitarbeit. Das richtet sich nicht nur an die Mitglieder der Regierungsfraktionen, sondern auch an die Mitglieder der drei anderen Fraktionen. In diesen Dank schließe ich ausdrücklich - denn sie mussten viel leisten - die Mitarbeiter des Sekretariats des Finanzausschusses ein.

   Auch mit Blick auf die Regierungsseite kann ich nur sagen: Mit dem Ministerium haben wir hervorragend zusammengearbeitet. Ein Dankeschön geht daher auch an Frau Dr. Hendricks; denn die Zusammenarbeit hat hervorragend geklappt. In Zukunft müssen wir die Zeiten allerdings ein bisschen großzügiger ansetzen; denn die Belastbarkeit von unabhängigen Abgeordneten ist begrenzt.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh, gleich hole ich die Taschentücher heraus!)

   Ich fasse zusammen: Mit unserem heutigen Programm - indem wir also die drei vorliegenden Gesetzentwürfe verabschieden - haben wir einen ersten wichtigen Beitrag dazu geleistet, die Staatsfinanzen nachhaltig zu sichern. An dieser Stelle werden wir - ich vermute, im März oder April - noch weitere Gesetzentwürfe verabschieden, um auch Wachstum und Beschäftigung zu fördern.

   Lassen Sie mich abschließend feststellen: Mein Eindruck ist - ein Blick in die Zeitungen beweist das -, dass sich die Stimmung in Deutschland seit der Regierungsübernahme durch die große Koalition vor 23 Tagen schon deutlich verbessert hat.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Oh ja! Vor allem bei der FDP!)

Der Professor, bei dem ich Volkswirtschaftspolitik studiert habe, Herr Schiller,

(Ortwin Runde (SPD): Ach, Sie auch?)

hat uns Studenten immer wieder gesagt, Wirtschaft ist zu 51 Prozent Psychologie. Lassen Sie uns also gemeinsam dafür sorgen, dass sich die Stimmung in Deutschland auch in Zukunft verbessert! Dann geht es in Deutschland weiter bergauf und wir schaffen mehr Wachstum und mehr Beschäftigung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mich zu den einzelnen Gesetzentwürfen äußere, möchte ich Ihnen, Herr Bernhardt, sagen: Natürlich ist es richtig, dass Wirtschaft sehr viel mit Psychologie zu tun hat. Aber eine wesentliche Grundlage für die Aufarbeitung psychologischer Probleme und für die Herbeiführung einer ordentlichen psychologischen Situation ist sicherlich Ehrlichkeit. Deswegen muss ich betonen, dass die Haushaltssituation, in der sich die öffentliche Hand befindet, hausgemacht ist. Sie ist insbesondere durch die rot-grüne Regierungspolitik der letzten sieben Jahre entstanden. Davor kann man nicht die Augen verschließen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Man muss feststellen: Seit dem Jahr 2000, also seit fünf Jahren, konnten sich vor allem große Unternehmen über massive Steuergeschenke freuen. Das kann und möchte ich mit Zahlen belegen - denn es heißt immer wieder, das sei nicht so gewesen -: Die tatsächliche Steuerbelastung von Unternehmens- und Vermögenseinkommen in der Bundesrepublik Deutschland ist in den letzten fünf Jahren von durchschnittlich 29 Prozent auf 20 Prozent - sprich: um 9 Prozentpunkte - gesunken. Von 1998 bis 2004 stiegen die Unternehmens- und Vermögenseinkommen spiegelbildlich dazu von 412 Milliarden Euro auf 482 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum sank der Umfang der auf diese Einkommen abgeführten Steuern von 101 Milliarden Euro auf 96 Milliarden Euro. Der Staat hat also auf Steuereinnahmen verzichtet.

   Auch der tatsächliche Steuersatz auf Einkommen von Kapitalgesellschaften sank von 21 Prozent im Jahr 1998 auf 15 Prozent im Jahr 2004. Der reale Steuersatz auf alle Unternehmens- und Vermögenseinkommen sank ebenfalls: von 24 Prozent auf 20 Prozent. Überall Senkungen, Senkungen, Senkungen. Bei denen, die es wirklich haben, kommt dadurch natürlich mehr an.

   Vergleicht man diese Entwicklung mit der Steuerbelastung der Löhne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - es wird ja immer betont, dass Sie durch Ihre Steuerreformen auch etwas für die kleinen Leute getan hätten -, so stellt man fest, dass auch diese zwischen 1998 und 2004 sank: um 1 Prozentpunkt. Das zeigt eindeutig die Schieflage, in der wir uns befinden.

(Beifall bei der LINKEN)

   Herr Steinbrück hat in der Debatte über die Regierungserklärung betont, dass er ein Einnahmeproblem hat. Auch hier kann ich ihm nur zustimmen. Allerdings sollte er die Lösung dieses Problems an der richtigen Stelle angehen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Investitionen zu tätigen und Arbeitsplätze zu schaffen, wurden die Gewinner der rot-grünen Politik - die gewinnträchtigen Unternehmen und die Vermögenden - immer aufgefordert. Doch sie haben es Ihnen nicht ganz so gedankt, wie Sie es sich erhofft hatten. Dazu nur zwei Hiobsbotschaften von dieser Woche - sie sprechen eine klare Sprache -: Die Telekom hat angekündigt, 32 000 Stellen abzubauen, und 1 700 Arbeitsplätze sind betroffen von der Schließung des Stammwerkes der AEG; die Produktion soll nach Polen verlagert werden.

   Deutschland hat im Gegensatz zu den anderen EU-Staaten gleich zweimal das Säckel über die Vermögenden ausgeschüttet: Einerseits wurden die Steuersätze drastisch gesenkt und zum anderen wurden die Möglichkeiten zur Steuervermeidung in ihrer Vielfältigkeit sogar noch erweitert. Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Sie haben dazu beigetragen, dass völlig neue Möglichkeiten entstanden sind, wie man ganz legal Steuern sparen kann. Ich nenne nur drei Beispiele: Erstens. Die volle steuerliche Absetzbarkeit von Aufwendungen trotz Steuerfreiheit entsprechender Erträge. Zweitens. Die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen. Drittens. Die Verlustverrechnung in Organschaften. Drei Beispiele einer absolut widersinnigen Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

   Mit Ihren Taten haben Sie Ihre Worte Lügen gestraft. Sie haben doch immer verkündet, Sie wollen die Steuersätze senken, aber gleichzeitig die Bemessungsgrundlage verbreitern; so sollten gleichzeitig insgesamt mehr Steuern eingenommen werden. In anderen europäischen Ländern wurde eine solche Politik tatsächlich durchgeführt, mit der Folge, dass sich die reale Steuerbelastung von Unternehmens- und Vermögenseinkommen sogar erhöht hat. Auch hierzu drei Beispiele: In Frankreich erhöhte sich die effektive Steuerbelastung um 6 Prozentpunkte, in Großbritannien um 3 Prozentpunkte, in Irland sogar um 10 Prozentpunkte.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber bei 12,5 Prozent Besteuerung von Unternehmen!)

Aber hier bei uns - nichts. Und im Gegensatz zu uns haben es die anderen Länder auch noch geschafft, ihre Arbeitslosenquoten zu senken und tatsächlich mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Auch das ist bei uns offenkundig fehlgeschlagen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Die Verarmung der öffentlichen Hand, die man konstatieren muss, führt natürlich dazu, dass man, wohin man auch schaut, feststellen muss: Wir haben eine enorm angestiegene Staatsverschuldung, allein seit 1990 um umgerechnet 500 Milliarden Euro. Wenn man durch die Städte und Gemeinden geht, sieht man, dass die öffentliche Hand ihre Aufgaben offenkundig nicht mehr so erfüllen kann, wie es nötig wäre. Schauen Sie sich die Schulen an, etwa das Ostwald-Gymnasium in Leipzig - eine der besten Schulen deutschlandweit, mit auch im internationalen Vergleich beachtlichen Ergebnissen -: Von außen sieht es aus wie kurz vor dem Zusammenbrechen. Es geschieht nichts; die Kommunen haben zu wenig Geld,

(Zuruf von der CDU/CSU: Woran liegt denn das?)

auch dank der Steuerpolitik der rot-grünen Bundesregierung.

   Nun sagen Sie: den Haushalt sanieren, Investitionen ankurbeln, das Steuerrecht vereinfachen, eine Steuerpolitik aus einem Guss. Wunderbar - wenn Sie es denn so täten! Herr Pronold hat vorhin gesagt, was wir heute verabschieden, sind zwei große und mehrere kleine Schritte. Im Ausschuss war gestern von der Politik der kleinen Schritte die Rede. Ich will mich hier nicht über Formulierungen streiten; die sind mir eigentlich egal. Wichtig ist, dass die Politik, die Sie machen, wenigstens stringent sein sollte. Und sie muss sozial ausgewogen sein. Einen geringeren Anspruch sollten wir an unsere Politik nicht stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

   Da muss ich sagen: Gut, dass Sie endlich etwas gegen die Steuerstundungs- und -sparmodelle unternehmen. Auch wir sind natürlich dafür, dass diese Modelle geschlossen werden. Die Zahl, die Herr Bernhardt nannte, verdient es, wiederholt zu werden: Zwischen dem 11. November und dem 24. November 2005 wurden so viele Fondsanteile gezeichnet, dass es zu Steuerausfällen von 500 Millionen Euro kommen würde. Deshalb sind wir auch dafür, dass das Gesetz entsprechend dem hier vorliegenden Entwurf verabschiedet wird: mit Geltung ab 11. November; anders geht es nicht. Ich möchte Sie dazu allerdings noch fragen: Warum haben Sie überhaupt so lange gewartet, diese Modelle zu schließen?

   Ein nächster Punkt: Die Abschaffung der Eigenheimzulage. Sie ist richtig und wir als PDS tragen dies mit; es steht auch in unserem Steuerkonzept.

(Florian Pronold (SPD): Ich dachte, Sie sind Die Linke, nicht die PDS!)

- Entschuldigung, jetzt die Linkspartei bzw. Die Linke im Bundestag. Wobei es richtig ist: Das Steuerkonzept stammt noch von der PDS.

   Wir als Linke im Bundestag tragen die Abschaffung der Eigenheimzulage mit. Ich muss Sie aber trotzdem kritisieren, weil auch diese Politik nicht stringent ist. Sie wollen die Eigenheimzulage und die degressive Abschreibung beim Mietwohnungsbau abschaffen. Diese beiden Maßnahmen sind der Bauwirtschaft nicht gerade zuträglich.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Gleichzeitig wollen Sie privates Wohneigentum im Jahr darauf, im Jahr 2007, stärker in die private Altersvorsorge einbeziehen. Leider liegt ein Jahr dazwischen.

   Ich glaube, es ist wichtig, dass man ein Zeichen setzt und beim notwendigen Städteumbau wirklich etwas tut: generationenübergreifend, kinderfreundlich, altersgerecht und barrierefrei. Das vermisse ich.

(Beifall bei der LINKEN)

   Wir schlagen deshalb vor - dabei sind wir gar nicht so originell; wir greifen auf Ihren Vorschlag aus dem Entwurf eines Haushaltssanierungsgesetzes 2004 zurück -: Verwenden Sie wenigstens einen Teil der Mittel für ein zielgerichtetes Städteumbauprogramm - ich schlage ein Drittel vor -, sodass wir auch die Sicherheit haben, dass das eingesparte Geld nicht einfach zum Stopfen von Haushaltslöchern genutzt wird.

   Lassen Sie mich zu einem weiteren großen Vorhaben im Rahmen dieser Gesetze kommen, und zwar zur Streichung der steuerlichen Freibeträge bei Abfindungen. Eine solche Streichung ist alles andere als gerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte mit Ihnen nicht über die großen Abfindungen diskutieren. Aber haben Sie sich einmal ausgerechnet, was das für eine Verkäuferin bedeutet? Ich mache es Ihnen gerne einmal deutlich: Eine Verkäuferin bezahlt ohne Solizuschlag und ohne Kirchensteuer 4 680 Euro Steuern im Jahr bei einem Bruttojahreseinkommen von 26 400 Euro, das heißt 2 200 Euro monatlich. Wird sie entlassen, bekommt sie drei Monatsgehälter Abfindung, also 6 600 Euro, auf die sie nach der derzeitigen Regelung keine Steuern zahlen müsste. Wenn Sie die Steuerfreiheit streichen und diese Einkünfte zukünftig besteuern, dann bedeutet das, dass die Verkäuferin 2 000 Euro von ihrer Abfindung verliert. Das, denke ich, ist nicht zielführend.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich weiß, dass eine Übergangsregelung vorgesehen ist. Trotzdem ist das ungerecht.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spiller?

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

Ja.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Bitte.

Jörg-Otto Spiller (SPD):

Frau Kollegin Dr. Höll, Sie haben uns einen schriftlichen Änderungsantrag vorgelegt. Wären Sie so gut, dem Hause zu erklären, wie Sie sich das Verfahren vorstellen und wie Sie das mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung bringen wollen, wenn Sie uns bitten:

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD ... zu ändern:

   Wie ist das mit dem Parlamentarismus vereinbar?

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Das ist die alte Denke!)

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

Herr Spiller, darüber haben wir doch schon gestern im Ausschuss diskutiert. Ich habe Ihnen erklärt, dass das ein Fehler ist und dass wir das korrigiert haben. Wenn das bei Ihnen noch nicht angekommen ist, dann tut mir das Leid. Ihnen ging es gerade aber nicht um den Inhalt. Sie wollen nur vom Thema ablenken. Es bleibt dabei: Sie wollen die Steuerfreiheit von Abfindungen streichen. Das ist sozial ungerecht.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Sie wollen den Bundestag streichen! - Weiterer Zuruf des Abg. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD))

- Die Rechnung ist richtig. Das wissen Sie, Herr Binding.

   Ich möchte positiv anmerken, dass Sie wenigstens für die Soldatinnen und Soldaten eine kleine Übergangsfrist geschaffen haben. Dieser haben wir im Ausschuss zugestimmt. Insgesamt ist das, was Sie hier vorlegen, aber sehr mangelhaft. Das wird Ihre Probleme nicht lösen.

   Des Weiteren haben Sie vor, dass Steuerberatungskosten steuerlich nicht mehr geltend gemacht werden können. Die Möglichkeit, Steuerberatungskosten abzusetzen, wollen Sie allerdings nicht ganz abschaffen, sondern nur für den Bereich der privaten Aufwendungen; das gilt letztendlich also nur für die Anlage K. In der Anhörung wurde Ihnen dazu selbst vom Vorsitzenden der Deutschen Steuergewerkschaft gesagt, dadurch würde quasi die ganze Soße teurer als das Fleisch, das darin ist. Das würde dazu führen - ich nenne das einmal zivilen Gehorsam -, dass Menschen, weil sie die Steuerberatungskosten nicht mehr absetzen und sich diese nicht mehr leisten können, ins Finanzamt gehen - nicht nur einer, sondern hundert, wahrscheinlich aber tausend oder zehntausend - und sich, wie es ihr Recht ist, im Finanzamt beraten lassen. Das wird uns viel teurer kommen.

   Herr Steinbrück, ich fordere Sie auf, Ihre Politik konsequent zu gestalten. Stärken Sie die Einnahmeseite mit Maßnahmen, die wir Ihnen als Linke im Bundestag vorgeschlagen haben, nämlich durch die Wiedereinführung der Vermögensteuer, durch die Reform der Erbschaftsteuer oder durch die Einführung einer Börsenumsatzsteuer, sodass der Staat mehr Geld einnimmt.

(Florian Pronold (SPD): Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Oskar Lafontaine das damals blockiert hat?)

Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, die Sie wirklich umsetzen könnten, wozu Sie aber Mut brauchen. Bringen Sie diesen Mut auf und machen Sie eine sozial gerechte Finanz- und Steuerpolitik!

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat die Abgeordnete Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bernhardt, ich finde es enorm, dass Sie schon nach 23 Tagen Konditionsschwäche zeigen. Die Gesetze, die hier vorgelegt werden - es geht um die Eigenheimzulage und die Abschaffung der Fonds -, haben nicht Sie erfunden. Über diese Gesetze ist schon vor einiger Zeit - schon vor den Neuwahlen und vor der großen Koalition - diskutiert worden. Sie hatten genügend Zeit, sich damit auseinander zu setzen. Jetzt bedauern Sie, dass Sie das nicht getan haben.

   In diesen 23 Tagen haben Sie auf einmal gemerkt, wie die Situation eigentlich ist und dass es vielleicht doch notwendig ist, eine derart hohe Subvention wie die Eigenheimzulage abzuschaffen, ohne auf andere Steuereinnahmen zu verzichten. Das finde ich schon ein starkes Stück. Hier zeigen Sie Konditionsschwäche. Ich bin gespannt, wie es hier in den nächsten Jahren weitergeht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Natürlich wird die Abschaffung der Eigenheimzulage von uns begrüßt. Das haben wir immer gesagt. Die Abschaffung der Eigenheimzulage ist richtig. Sie führt zu Fehlallokationen auf dem Wohnungsmarkt. Als die Eigenheimzulage eingeführt wurde, herrschte Wohnungsnot. Diese Situation haben wir heute nicht mehr. Die Bauzinsen sind auf einem anhaltend niedrigen Niveau. Insofern ist es richtig, diese Subvention jetzt abzuschaffen.

   Es gab ja viele Anläufe. Dies ist der dritte Anlauf und jetzt springen Sie endlich. Im Jahr 2003 haben wir sogar noch überlegt, im Rahmen des Steuervergünstigungsabbaugesetzes - dieses Gesetz haben Sie übrigens nur mit sehr spitzen Fingern angefasst - die Eigenheimzulage neu zu fassen und mit einer Kinderkomponente zu versehen. Diesen Vorschlag finde ich im Übrigen gar nicht falsch. Sie haben das weit von sich gewiesen. Aus Ihren Reihen kam damals die Rechnung, dass man dann 33 Kinder bekommen müsse, um die gleiche Eigenheimzulage zu erhalten wie vorher. Ich bin ganz froh, dass das den Frauen erspart bleibt.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insgesamt muss ich aber schon sagen, dass Sie sehr spät Einsicht gezeigt haben, dass es richtig ist, diese Subvention abzubauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es war auch in hohem Maße unverantwortlich. Sie haben die Haushaltssituation zu Recht und mit Verve beklagt. Wir alle wissen, dass die Haushaltssituation prekär ist. Über Jahre hinweg haben Sie jedes Jahr verhindert, dass wir weniger Ausgaben durch die Abschaffung dieser Subvention haben. Das war unverantwortlich. Also noch einmal: Es ist eine gute Einsicht, die Sie jetzt endlich haben, sie kommt aber sehr spät.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Richtig ist: Wir müssen Regelungen finden, um das Wohneigentum in die geförderte Rente zu integrieren. Wir sollten uns nicht viel Zeit dabei lassen. Sie haben das angekündigt. Wir sind sehr gespannt, was da kommt.

   Zweites Thema, das steuerliche Sofortprogramm. Ich hätte die Union in ihren Oppositionszeiten einmal erleben wollen, wie sie diesen Titel kommentiert hätte, wenn man ein steuerliches Sofortprogramm mit fünf, sechs Einzelmaßnahmen, mit denen Mehreinnahmen von 1,2 Milliarden Euro verbunden sind, ganz groß angekündigt hätte. Die Hälfte dieser Mehreinnahmen von 1,2 Milliarden Euro, also 600 Millionen Euro, soll durch die Abschaffung des Sonderausgabenabzugs für eine Steuerberatertätigkeit erzielt werden. Das ist der Grund, weshalb wir diesem Gesetz nicht zustimmen werden. Wir halten es nämlich für fatal, dass Sie diese 600 Millionen Euro in dem Finanztableau als Einnahmen anführen, die wir über diesen Sonderausgabenabzug erzielen.

(Florian Pronold (SPD): Zu wenig! Wir kriegen mehr!)

Sie wissen ganz genau, was passiert: Die Erstellung des Mantelbogens und der „Anlage Kinder“ werden nicht mehr abzugsfähig sein. Alles andere bleibt abzugsfähig.

(Florian Pronold (SPD): Was ist mit der Schenkungsteuererklärung?)

Sie wissen ganz genau, dass sich die Steuerberater bei einer Situation wie dieser normalerweise melden, auf den Putz hauen und sagen: Hier ist der ganze Berufsstand bedroht, hier passiert Dramatisches mit den Arbeitsplätzen. - Sie haben gestern im Finanzausschuss gesagt, dass man nicht mehr so viele Briefe bekomme, wenn man in der Opposition sei. Ich glaube, das ist nicht der Fall. Ich bin mir ganz sicher, dass Sie genau wissen, dass diese Berechnung falsch ist, dass die Steuerberater in der Lage sein werden, dies mit zwei Rechnungen, die sie dann erstellen müssen, zu umgehen. Und - das haben Sie gestern in der Sitzung des Finanzausschusses ja sogar angekündigt - Sie wollen einen Teil der Maßnahmen im nächsten Jahr sofort wieder rückgängig machen, wenn es um die steuerliche Absetzbarkeit bei Minijobs geht. Für diejenigen, die in die Kinderbetreuung investieren und quasi als Arbeitgeber auftreten, werden Sie das wieder rückgängig machen. Das heißt, Sie schlagen eine Maßnahme vor und kündigen schon jetzt an, sie in einem halben Jahr zum Teil wieder zurückzunehmen. Unter dem Gesichtspunkt der Effizienz lehnen wir das ab. Wir halten das für einen falschen Schritt. Nicht jede Abschaffung im Steuerrecht bedeutet eine Vereinfachung. Deswegen wenden wir uns gegen diese Maßnahme und können diesem Gesetz nicht zustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte noch etwas zu den Fonds sagen. Grundsätzlich stimmen wir diesem Gesetz und damit der Einschränkung der Verlustverrechnung zu, haben aber ein deutliches Problem mit der Stichtagsregelung; darauf wird Frau Scheel nachher noch eingehen.

(Florian Pronold (SPD): Sie hat es nicht verstanden!)

   Bei den erneuerbaren Energien haben Sie im Koalitionsvertrag ein hohes Ziel vereinbart. Sie wollen den Anteil der erneuerbaren Energien auf 20 Prozent erhöhen. Wir hätten da weiter gehen können, aber bis 2020 einen Anteil an erneuerbaren Energien von 20 Prozent zu erreichen ist ein richtiges Ziel. Man muss dann aber auch die probaten Mittel zur Förderung der erneuerbaren Energien einführen. Wenn Sie jetzt aus unterschiedlichen Gründen die Verlustverrechnung auch für Fonds von erneuerbaren Energien abschaffen wollen, sollten Sie gleichzeitig überlegen, welche Möglichkeiten Sie haben, Anschubfinanzierungen im Bereich erneuerbarer Energien zu gewährleisten, damit Sie dieses richtige Ziel, das Sie im Koalitionsvertrag angekündigt haben, einhalten können.

   Ich wehre mich für die grüne Fraktion ganz deutlich gegen den Vorwurf, dass wir Klientelpolitik betreiben. Wir machen Zukunftspolitik, weil es richtig ist, erneuerbare Energien zu fördern. Ich hoffe, dass Sie bei diesem Zukunftsthema „Weg vom Öl und hin zu erneuerbaren Energien“ noch Vorschläge unterbreiten, wie wir das erreichen können. Ich bin gespannt, welche Vorschläge Sie uns dazu machen werden.

   Zusammenfassend möchte ich sagen: Sie haben eine Politik der kleinen Schritte angekündigt. Dieser Ankündigung werden Sie mit dem vorliegenden Gesetz gerecht. Damit machen Sie wirklich kleine Schritte. Ich hoffe, dass Ihre Schritte in der nächsten Zeit ein bisschen größer werden.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.

Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Wissing, natürlich ist es in einer parlamentarischen Debatte erlaubt, rhetorisch eine Art Pappkameraden aufzubauen und dann mit dem gesamten Waffenarsenal von Sir Lancelot auf dem Turnierplatz gegen diesen Pappkameraden anzutreten. Ich will damit sagen: Niemand von der Koalition oder der Bundesregierung hat behauptet, dass mit den drei Gesetzesvorhaben, die heute zur Abstimmung stehen, das umfassende Konzept der Koalition oder der Bundesregierung vorliegt. Niemand hat mit Blick auf das steuerliche Sofortprogramm, die Beschränkung der Verlustverrechnung bei den Steuersparmodellen oder der Abschaffung der Eigenheimzulage davon gesprochen. Sie haben da einen Popanz aufgebaut, um anschließend darauf einzuschlagen.

   Selbstverständlich hat sich diese Bundesregierung vorgenommen, schon in den nächsten Wochen - spätestens am 9. Januar, dem Datum der ersten Kabinettssitzung im neuen Jahr, gegebenenfalls auch früher - die ersten steuerlichen Fördertatbestände zu verabschieden, wie Herr Bernhardt zutreffend dargestellt hat, zum Beispiel um die Liquidität der Wirtschaft zu verbessern, zum Beispiel um im Bereich der Betreuungskosten voranzukommen, auch mit Blick auf die Stärkung der privaten Haushalte als Arbeitgeber.

   Wir werden im Zusammenhang mit dieser Kabinettssitzung eine Vorlage verabschieden, bei der es um die Aufstockung des Programms für die energetische Gebäudesanierung geht, zu dem mir bereits jetzt sehr positive Stellungnahmen vorliegen, zum Beispiel vom Handwerk und der Bauwirtschaft. Selbstverständlich stehen wir auch zu der Koalitionsvereinbarung, dass das Wohneigentum mit Blick auf die Abschaffung der Eigenheimzulage in die Riesterrente integriert wird. Insofern stehen die Positionen der großen Koalition fest.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist schön, dass dies die SPD jetzt auch will! Wir wollten das in der letzten Legislaturperiode auch schon!)

- Es gibt ja keine Erkenntnisblockade für die SPD, Frau Scheel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weiter so!)

   Selbstredend stehen wir zu der Ankündigung, auch eine große Unternehmenssteuerreform zu verabschieden, bei der allerdings Solidität und Präzision sehr wichtig sind. Bei so etwas schießt man nicht aus der Hüfte.

(Dr. Volker Wissing (FDP): 2008!)

- Ja, 2008. Entschuldigen Sie, Sie wissen doch, dass der Sachverständigenrat sein Gutachten erst im Januar oder Februar vorlegen wird und dass wir auch von der Stiftung Marktwirtschaft Erkenntnisse brauchen. Das heißt, wenn Sie von der Regierung fordern, bis zum 1. Januar 2007 ein Gesetz vorzulegen, dann müsste die Regierung mit einem so weit reichenden Vorhaben in einem halben Jahr fertig sein. Sie wissen, dass das nicht funktionieren wird. Wir reden in Wirklichkeit über einen Systemwechsel in der Unternehmensbesteuerung in der Bundesrepublik Deutschland. So etwas schüttelt man nicht einfach aus dem Ärmel - auch um Ihrer Kritik zu entgehen, dass dieses Vorhaben nicht gelungen sei oder einer Nachbesserung bedürfe.

   Wir haben uns eine Menge vorgenommen. Ich glaube, dass die Einleitung dieser Schritte richtig ist, und ich bin sehr dankbar, dass uns die beiden Koalitionspartner auch in den Ausschussberatungen - insbesondere im Finanzausschuss - so behilflich gewesen sind.

   Ich habe Ihre Hinweise zum Thema Steuerberater nicht ganz verstanden, Frau Höll. Mir ist bis jetzt entgangen, dass ausgerechnet Ihre Wählerklientel in so starkem Maße Steuerberater in Anspruch nimmt. Denn ich gehe davon aus, dass die große Masse der Lohnsteuerzahler nicht unbedingt die Klientel der Steuerberater stellt; sie ist nämlich heute schon in der Lage, ihre Lohnsteuererklärung auf einem Blatt Papier abzugeben, und zwar nach Lage der Dinge bei den Serviceagenturen der Finanzämter. Das ist zudem kostenlos, was Sie in diesem Zusammenhang leider verschwiegen haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Was die Frage von Frau Andreae nach den 600 Millionen Euro angeht, so hat es zwar darüber eine Debatte gegeben, aber wir haben uns dabei insbesondere die Berechnungen des Freistaats Bayern und des Landes Nordrhein-Westfalen zu Eigen gemacht. Wir wissen, dass es Verhaltensweisen geben wird, durch die einiges in dem Spannungsbogen zwischen der Anrechnung von Werbungskosten und Sonderausgaben infrage gestellt wird. Aber wir haben keinen Grund, die Berechnungen der beiden Bundesländer in Frage zu stellen.

   Bei vielen der haushalts- und finanzpolitischen Hinweise aus den Reihen der FDP ist mir eines nicht richtig klar geworden, Herr Wissing. Wenn Sie die Senkung der Nettokreditaufnahme und der Steuersätze fordern, gleichzeitig aber eine große Zurückhaltung hinsichtlich der Abschaffung von Steuervergünstigungen an den Tag legen - ich drücke mich dabei höflich aus -, ist mir nicht klar, wie Sie den Haushalt sanieren wollen, ohne massiv in Leistungsgesetze einzugreifen. Das wird Ihnen nicht gelingen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU -Dr. Volker Wissing (FDP): Da ist unser Konzept besser als Ihr Vorhaben!)

   Die FDP verschweigt dem Publikum bzw. den Bürgerinnen und Bürgern, in welchem Ausmaß sie in der Lage ist oder es für notwendig ansieht, Eingriffe in Leistungsgesetze in einem Ausmaß vorzunehmen, das spielend zweistellige Milliardensummen erreicht. Außerdem verschweigen Sie dem Publikum, inwieweit sich diese Eingriffe auch auf volkswirtschaftliche Parameter bzw. auf Wachstum und Beschäftigung auswirken.

(Zuruf des Abg. Otto Fricke (FDP))

- Ich wiederhole, was ich im Ausschuss gesagt habe, Herr Fricke. Wenn Sie mir sagen, wir dürften die Mehrwertsteuer nicht erhöhen, wodurch dem Bund - von den Ländern und Kommunen rede ich in diesem Zusammenhang gar nicht - 10 Milliarden Euro fehlen, und als Gegenvorschlag gefordert wird, den Zuschuss zur Rentenversicherung um 8 Milliarden Euro zu kürzen, dann läuft das auf eine 4- bis 5-prozentige Realkürzung der Renten hinaus. Da die Rentner keine hohe Sparquote haben, wirkt sich das auf den Konsum und damit ebenfalls auf volkswirtschaftliche Parameter aus, wie es auf umgekehrtem Weg in einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bei anderen Stellschrauben auch der Fall ist. Bei Ihrer Argumentation legen Sie das nicht offen.

   Sie werden diesen freidemokratischen Dreisatz meines Erachtens nicht widerspruchsfrei hinbekommen, wenn Sie weitere Steuersenkungen und die Reduzierung der Neuverschuldung - darin sind wir uns übrigens einig - fordern. Bei Ihnen schwingt auch immer eine Kritik an dem Abbau von in meinen Augen volkswirtschaftlich überholten Steuersubventionen mit. Aber Sie verschweigen, welches haushalts- und finanzpolitisches Konzept dahintersteht. Das wird nicht deutlich.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Dr. Volker Wissing (FDP): Umgekehrt: Sie werden es nicht hinkriegen, weil Sie es nicht wollen!)

   Ich will zum Bundeshaushalt und darüber hinaus auch zu den anderen Haushalten der Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik Deutschland noch einmal deutlich festhalten, dass wir uns nicht aus den Defiziten heraussparen werden können. Das wird nicht erfolgreich sein. Wir werden vielmehr die Defizite in der Bundesrepublik Deutschland nur dann reduzieren können, wenn wir mehr Wachstumsförderung betreiben, den Arbeitsmarkt stabilisieren, die Sozialversicherungssysteme robuster gegen die Konjunkturausschläge wie auch gegen die Erosion sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse machen und auch mehr Einnahmen generieren.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fricke?

Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:

Bitte sehr, Herr Fricke.

Otto Fricke (FDP):

Herr Bundesminister, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie eben kritisiert, dass die FDP keine Vorschläge zu den Einsparungen in den Sozialsystemen mache. Darf ich Sie als Mitglied der Regierung fragen, ob Sie damit sagen wollen, dass die Regierung bei den steuerlichen Leistungen, die in die Sozialsysteme fließen, keinerlei Einschnitte plant, weder bei den Krankenkassen noch bei der Rentenversicherung?

Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:

Erstens. Was die Krankenkassen angeht, werden wir die Debatte über die weitere Modernisierung des Gesundheitswesens Anfang des nächsten Jahres beginnen. Wie Sie wissen, bin ich selber der Auffassung, dass drei Kriterien zu beachten sind. Wenn wir weder Beitragserhöhungen noch Leistungsbeschränkungen vornehmen und den Bundeszuschuss für versicherungsfremde Leistungen senken wollen, dann wird es zu deutlichen Modernisierungsmaßnahmen in diesem System kommen müssen. Das betrifft die Wettbewerbssituation wie auch das Verhältnis zwischen der GKV und der PKV.

   Zweitens. Wir sparen mit Blick auf die Arbeitsmarktpolitik bzw. auf die Grundsicherung, gerade auch bei Hartz IV. Wie Sie wissen, sind bei dem Tableau, das die große Koalition verabredet hat, Einsparungen in Höhe von 4 Milliarden Euro jährlich notwendig.

Lassen Sie mich noch einmal betonen: Wir werden uns aus den Problemen nicht heraussparen können. Wir werden nur in den von mir genannten Bezügen haushalts- und finanzpolitisch erfolgreich sein. Deshalb ist dieser großen Koalition sehr daran gelegen, den Zweiklang aufrechtzuerhalten, also beides zu tun: auf der einen Seite Impulse zu geben und Wachstumsförderung zu betreiben und auf der anderen Seite die notwendige Haushaltskonsolidierung voranzutreiben. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen haben ihren Worten umgehend erste Taten folgen lassen. Das setzt Signale. Aber ich füge hinzu: Das ist erst der Anfang. Wir haben noch eine ganze Legislaturperiode vor uns.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat der Abgeordnete Frank Schäffler, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Frank Schäffler (FDP):

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über drei Gesetzentwürfe von Union und SPD entscheiden, dann sollten wir nicht vergessen, dass diese Gesetzentwürfe das erste Aushängeschild der Koalition sind. Rund 100 Tage nach der vorgezogenen Bundestagswahl ist das Ihr Lackmustest. Dabei wollen wir von der FDP als größte Oppositionsfraktion in diesem Haus

(Zuruf von der LINKEN: Allergrößte! - Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber nicht die erste! - Zuruf des Abg. Florian Pronold (SPD))

- wir nähern uns an, Sie von oben, wir von unten - keine Fundamentalpositionen einnehmen. Vielmehr unterstützen wir Sie dort, wo es sinnvoll ist, kritisieren Sie aber auch dort, wo es uns notwendig erscheint.

   Ich will mit den Maßnahmen beginnen, die wir unterstützen. Zu einer notwendigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte gehört, Subventionen abzubauen und eine unerwünschte Gestaltung des Steuerrechts zu beseitigen. An einem einfacheren und gerechteren Steuerrecht mit niedrigeren Sätzen führt dennoch kein Weg vorbei.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von der SPD: Viele Sprechblasen!)

Trotzdem sagen wir Ja zur Abschaffung der Eigenheimzulage. Mein Kollege Dr. Wissing hat dies gerade begründet. Wir sagen ebenfalls Ja zur Einschränkung von so genannten Steuerstundungsmodellen. Auch wenn wir systematisch einige Probleme mit diesem Gesetz haben und bezweifeln, dass die gewünschten Effekte tatsächlich eintreten, wollen wir zustimmen.

(Beifall bei der FDP)

   Steuerpolitik basiert jedoch auf dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen in diesem Land. Verlässlichkeit ist daher ein hohes Gut. Die rückwirkende Einschränkung von Investitionen in Fonds zum 10. November dieses Jahres ist daher ein schlimmer Präzedenzfall.

(Zuruf von der FDP: Genau! - Sehr richtig!)

   Bürger können künftig nicht mehr die Gewähr haben, dass ihre Investitionen in ein verlässliches steuerpolitisches Umfeld gestellt werden. Dabei hat die Expertenanhörung in der vergangenen Woche entgegen den Äußerungen des Finanzministers eindeutig ergeben, dass bereits am 10. November dieses Jahres alle wesentlichen Fonds platziert waren. Daher verstehe ich nicht, wieso sich Herr Dr. Meister - er ist nicht anwesend - in seiner Fraktion nicht durchgesetzt hat. In der letzten Woche hat er an dieser Stelle noch gesagt:

Zu den Steuersparfonds will ich nur sagen: Mir liegt im Sinne der Vertrauensbildung daran, dass wir an dieser Stelle versuchen, soweit als möglich auf rückwirkendes In-Kraft-Treten zu verzichten …
(Beifall bei der FDP - Zuruf von der SPD: Ja, 10. November! Ist doch so!)

Otto Bernhardt, der Fraktionskollege von Herrn Dr. Meister, zollte ihm noch Beifall in der Debatte. Im Ausschuss selbst hat er allerdings das Anliegen von Herrn Meister sehr zurückhaltend bzw. gar nicht unterstützt.

   Man sollte auch mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Beschränkung der Verlustverrechnung nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Das Steuerrecht in Deutschland ist unsäglich kompliziert. Dieser Gesetzentwurf verkompliziert es zusätzlich. Er schafft nicht nur einen zusätzlichen § 15 b des Einkommensteuergesetzes, der allein über eine DIN-A-4-Seite lang ist, sondern widerspricht gleichzeitig auch wichtigen anderen Regelungen im Gesetz.

(Beifall bei der FDP)

So konterkariert er die Wirkung der Denkmalförderung nach §§ 7 i und 7 h EStG bei Gebäuden in Sanierungsgebieten. Dies ist insbesondere deshalb bedenklich, weil sich gleichzeitig Länder und Kommunen aus der Förderung des Denkmalschutzes zunehmend zurückziehen müssen.

   Da Sie auch noch die degressive AfA abschaffen wollen, müssen Sie sich schon fragen lassen, woher neue Arbeitsplätze in diesem Land kommen sollen.

(Beifall bei der FDP)

   Anders als in Ihrer Begründung für Ihren Entwurf eines Gesetzes zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm dargestellt, ist gerade die degressive AfA keine Subvention, sondern spiegelt den Werteverzehr eines Immobilienneubaus wider, der am Anfang etwas höher und später niedriger ist. Mit Ihrem Entwurf zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm sollten Sie aufpassen, dass Ihr Einstieg nicht zum Ausstieg in die Arbeitslosigkeit führt.

   Vielen Dank.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Abgeordneter Schäffler, das war Ihre erste Rede. Dazu gratuliert Ihnen das ganze Haus und wünscht alles Gute für die parlamentarische Arbeit.

(Beifall)

   Es hat jetzt der Abgeordnete Leo Dautzenberg von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Leo Dautzenberg (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Finanzpolitik der 16. Legislaturperiode steht vor zwei gleichermaßen bedeutsamen Herausforderungen. Auf der einen Seite steht die nachhaltige Konsolidierung der Staatsfinanzen, auf der anderen Seite die zukunftsorientierte Gestaltung des Steuersystems. Dazu gehören auch die Reduzierung von Steuergestaltungen sowie der Abbau von Steuersparmodellen. Zu beiden Aufgaben leistet der heute hier zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen einen wertvollen Beitrag.

   Bereits in ihrem Wahlprogramm hat die Union angekündigt, die lukrativen Verlustverrechnungsmöglichkeiten bei Modellen wie Medien- und Windkraftfonds abzuschaffen und damit auch das Steuerrecht zu vereinfachen und gerechter zu gestalten. Dieses Ziel wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erreicht. Er sieht vor, dass die Verluste im Zusammenhang mit so genannten Steuerstundungsmodellen nur noch mit späteren positiven Einkünften aus derselben Einkunftsquelle verrechnet werden dürfen. Ordnungspolitisch trägt das Gesetz damit dazu bei, Fehlallokationen am Kapitalmarkt zu minimieren. Künftig wird die Investition am Kapitalmarkt wieder verstärkt wegen des Vertrauens auf eine ausreichende Rendite getätigt und nicht mehr, wie bei den Steuerstundungsmodellen heute oftmals, aufgrund des damit verbundenen steuerlichen Vorteils.

   Durch Beschränkung der Verlustverrechnung wird damit erstens ein Anreiz zu mehr Rentabilität gesetzt und zweitens die Förderung fragwürdiger Steuersparmodelle beendet. Ich betone ausdrücklich, dass damit lediglich die Förderung fragwürdiger Steuersparmodelle beendet wird. Wie Sie wissen, gab es in der Sachverständigenanhörung in der vergangen Woche auch kritische Stimmen zu der Frage, ob das Gesetz womöglich zu weit gefasst sei und Investitionen betreffen könnte, deren Förderung weiterhin sinnvoll ist. Die Begründung zum Gesetz verschafft hier positive Klarheit. Dort heißt es nämlich wörtlich:

Nicht betroffen von der Verlustverrechnungsbeschränkung sind solche Fonds, die nicht primär darauf angelegt sind, ihren Anlegern einen Verlust zuzuweisen... Hier sind in erster Linie die vermögensverwaltenden Venture Capital und Private Equity Fonds zu nennen.

Darüber hinaus stellt der Gesetzentwurf in seiner Begründung auch sicher, dass auch diejenigen Bauträgergesellschaften von der Regelung nicht betroffen sind, in denen ein Bauträger ein Objekt im Sanierungsgebiet oder ein Denkmal saniert.

(Beifall bei der CDU/CSU - Eduard Oswald (CDU/CSU): So ist es! Eine wichtige Klarstellung!)

   Wir haben ausdrücklich darauf bestanden, dass diese Begründung in den Bericht des Ausschusses hineinkommt, damit sie Beschlusslage dieses Hauses wird und als Grundlage dienen kann, wenn es zukünftig zu Auslegungsproblemen und Abgrenzungsproblemen kommen sollte. Daher war es wichtig, dass der Finanzausschuss gerade dies im Protokoll der gestrigen Sitzung explizit festgehalten hat.

   Ausgenommen von der Regelung zur Beschränkung der Verlustverrechnung sind zudem Verluste, die bei der Konzeption eines Modells nicht abzusehen waren, wie beispielsweise unerwarteter Mietausfall, Verlust oder Beschädigung des Anlageobjektes.

   Was die Abgrenzung angeht, ist klar, dass dies diejenigen Projekte sind, die weiterhin nicht negativ erfasst werden. Diese Klarstellungen in der Gesetzesbegründung sind für die Union von großer Bedeutung; denn damit bekommen wir hier Rechtsklarheit und damit werden Abgrenzungsprobleme schon von Anfang an vermieden.

   Im Koalitionsvertrag ist vereinbart - das ist für die deutsche Filmwirtschaft wichtig -, dass spätestens zum 1. Juli 2006 international wettbewerbsfähige und mit anderen EU-Ländern vergleichbare Bedingungen geschaffen werden sollen, um die Situation des privaten Kapitals für Filmproduktionen in Deutschland zu verbessern. Damit wollen wir dem Filmstandort Deutschland gerecht werden.

   Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zum Stichtag 10. November sagen. Auch in der Anhörung wurde dieser Stichtag als ein Problem dargestellt. Aber nach all den Ankündigungen und der damit verbundenen Diskussion seit dem Frühjahr können sich die allermeisten nicht mehr auf den Vertrauensschutz beziehen. Ich verweise auf die im Jobvorschlag enthaltenen Punkte. Rücktrittsmöglichkeiten der Anleger sind in den Verträgen vorgesehen.

   Wenn man einen Vergleich zieht mit Gesetzesinitiativen der Vergangenheit, die ebenfalls die Rückwirkungsproblematik betrafen, und abwägt, dann erkennt man: Was den Vertrauensschutz anbelangt, gab es problematischere Punkte als das, was hier in Bezug auf die Fondsmodelle geregelt ist. Daher können wir mit Blick auf die verfassungsrechtliche Problematik - auch nach der Abstimmung zwischen den Ressorts - davon ausgehen, dass wir hier Rechtssicherheit geschaffen haben.

   Mit dem, was hier schon ausgeführt worden ist, und dem, was wir in der Frage „Verlustverrechnung/Verlustbeschränkung“ zuletzt auf den Weg gebracht haben, haben wir eine zustimmungsfähige Grundlage geschaffen. Ich darf Sie um Zustimmung bitten.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat die Abgeordnete Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich etwas zu den Gesetzesvorlagen sage, möchte ich gern noch auf einige Vorrednerinnen und Vorredner eingehen, zunächst auf Frau Dr. Höll vom PDS-Linksbündnis: Es ist schon absurd, wenn Sie auf der einen Seite behaupten, dass die reale Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland zu gering ist, und auf der anderen Seite Irland für beispielhaft erklären, hoffentlich wohl wissend, dass der Unternehmensteuersatz in Irland bei 12,5 Prozent liegt und dass der zweitgrößte Investor in Irland deutsche Unternehmen sind, nämlich 200 mit 15 000 Beschäftigten. Daran wird doch deutlich, dass wir ein Problem im Standortwettbewerb haben. Man kann nicht einerseits die zu geringe Steuerbelastung hier anprangern und andererseits Irland für beispielhaft erklären, obwohl die Steuerbelastung dort niedriger ist. Man sollte nicht meinen, dass man mit Steuerdumping eine zukunftsweisende Politik betreiben kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Mit Blick auf die Klimaschutzziele, die sich Deutschland gesetzt hat, freue ich mich, dass Minister Steinbrück Verbesserungen auf dem Gebiet der energetischen Gebäudesanierungen für das nächste Jahr angekündigt hat. Herr Steinbrück, ich freue mich auch über Ihre Ankündigung, dass es im Rahmen der privaten Altersvorsorge in Bezug auf Wohneigentum eine Verbesserung geben wird.

(Zuruf von der FDP: Wann denn?)

Das ist gut. Das freut uns Grüne besonders deswegen, weil wir uns für diese beiden Ziele seit Jahren sehr stark eingesetzt haben und bislang am Widerstand der SPD gescheitert waren. Also sind auch Sie lernfähig. Das freut uns.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die FDP handelt immer nach dem Motto „Wünsch dir was!“ - für Weihnachten mag das schön sein -: Steuersätze runter, Sozialversicherungsbeiträge runter, beim Haushalt die Maastricht-Kriterien einhalten. Die FDP tut so, als wenn dann alles gut würde. Aber Sie wissen selbst, dass die Umsetzung Ihrer Vorschläge nicht finanzierbar ist. Das merkt man daran, dass die Länder, in denen die FDP mitregiert, keine Gesetzentwürfe in den Bundesrat einbringen, die die Vorschläge enthalten, die Sie hier im Bundestag immer großspurig vertreten. Diese Länder wissen nämlich genau, dass das, was Sie vorhaben, nicht finanzierbar ist.

Insofern sind Sie in dieser Frage doppelzüngig

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Zurufe von der FDP: Überhaupt nicht! - Schwaches Argument!)

   Wir alle wissen, dass das Steuerrecht einfacher werden muss.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Nach den Jahren von Rot-Grün ist das auch erforderlich!)

Wir messen alle Vorschläge, die von der neuen großen Koalition eingebracht werden, an der Frage: Wird das Steuerrecht für die Steuerpflichtigen in der Bundesrepublik Deutschland durch diese Vorschläge einfacher oder nicht? Die Bürger erwarten - die Bürgerinnen natürlich auch -,

(Zuruf von der FDP: Aha!)

dass die Politik handelt.

   Sie haben im Wahlkampf das populäre Thema Vereinfachung als zentrales Thema gehabt und auf diesem Gebiet Besserung versprochen.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Im Gegensatz zu den Grünen!)

Man muss schon sagen: Der Wegfall der Eigenheimzulage vereinfacht das Steuerrecht. Das ist richtig.

(Uwe Barth (FDP): Aha! Ich staune, Frau Kollegin!)

Auch das Ziel ist richtig. Aber es ist schon ein bisschen überraschend, dass die Union jetzt in 23 Tagen zu diesem Ergebnis gekommen ist, nachdem sie drei Jahre lang nicht in der Lage war, diesen Erkenntniszugewinn zu erreichen. Es ist schon ein bisschen interessant, jetzt einmal zu sehen, wie schnell man sich dreht. Bei einer Drehung um 180 Grad steht man auf dem Kopf. Das ist schon ein bisschen komisch, aber anscheinend löst es im Gehirn etwas aus, sodass man am Ende doch zur richtigen Erkenntnis kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Das zeigt unsere Flexibilität!)

Also: Es ist vernünftig, das zu tun.

   Beim Thema Vereinfachung ist das Beispiel der Steuerberatungskosten angesprochen worden. Dabei geht es nicht um Klientelpolitik. Dabei geht es nicht um die Steuerberater oder um die Steuerberaterinnen. Aber es geht darum, dass die Umsetzung dieser Gesetzesvorlage dazu führt, dass Gestaltungsmöglichkeiten neu aufgemacht werden. Sie streichen ja nur einen Teil dieser Steuerrechtsregelung. Das führt nicht zur Vereinfachung, sondern zu einer neuen Verkomplizierung und zu einer neuen Missbrauchsanfälligkeit, was gestern im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages selbst vonseiten des Ministeriums zugestanden wurde. Das ist der Grund dafür, dass wir das ablehnen. Das ist keine Vereinfachung, sondern das führt letztlich zu neuen Gestaltungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Carl-Ludwig Thiele (FDP): Da hat sie Recht!)

   Das Thema Vertrauensschutz ist für uns ein ganz wichtiges Thema. Vertrauensschutz ist eine zentrale Voraussetzung für die Akzeptanz des Steuerrechts bei den Bürgern und Bürgerinnen. Vertrauensschutz ist auch ein zentrales Element, eine ganz zentrale Notwendigkeit für Investoren im In- und Ausland. Sie haben den Vertrauensschutz im Blick auf die Freibeträge ein Stück verbessert. Sie haben das Vertrauen der Anleger in den Investitionsstandort Deutschland aber beschädigt.

(Florian Pronold (SPD): Unsinn! Blödsinn!)

Wir brauchen Stichtage, die entweder Gegenstand von Kabinettsbeschlüssen sind, und zwar von wirklichen Kabinettsbeschlüssen, oder mit dem Steuerjahr zusammenfallen.

(Florian Pronold (SPD): Vertrauensschutz setzt Vertrauen voraus!)

Sie dürfen nicht beliebig zustande kommen, weil man mal gerade Kaffee getrunken hat und sich mal gerade was überlegt hat.

(Weiterer Zuruf des Abg. Florian Pronold (SPD))

Das hat mit verlässlicher Finanzpolitik, lieber Kollege Florian Pronold, überhaupt nichts zu tun. Wir brauchen Verlässlichkeit.

(Zustimmung bei der FDP)

Die Grünen stehen für diese Verlässlichkeit. Wir stehen auch für die Vereinfachung. In diesem Sinne werden wir Sie weiter beobachten und auch weiter treiben.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Abgeordnete Dr. Barbara Höll.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Kollegin Scheel, wenn Sie mich kritisieren, setzt das natürlich eigentlich voraus, dass Sie mir richtig zugehört haben.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Habe ich!)

Natürlich wissen wir beide, dass in Irland die Steuersätze niedrig sind. Ich habe aber gar nicht über die Steuersätze, sondern über die effektive Steuerbelastung gesprochen. Dazu müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen, dass in Irland mit niedrigen Steuersätzen die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage durchgesetzt wurde, wodurch die effektive Steuerbelastung gestiegen ist.

   Als Zweites möchte ich noch erwähnen: In Ihrem eigenen Koalitionsvertrag steht, dass die Steuersenkung der letzten Jahre nicht das Ergebnis hatte, das Sie angestrebt hatten - so haben Sie es immer verkündet -: mehr Arbeitsplätze und Investitionen. Wenn Sie nun immer noch beklagen, dass die Steuersätze in Deutschland zu hoch sind - so habe ich Ihre Einlassung verstanden -, dann kann das bei Ihnen auch in der Opposition nicht ganz so gut laufen, wie Sie sich das vielleicht erhoffen.

   Ich danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Abgeordnete Scheel, Sie haben die Gelegenheit zu einer Antwort.

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Präsidentin.

   Dagegen muss ich doch noch etwas sagen. - Es ist doch immer die Frage, von welchem Niveau aus man diskutiert, Frau Dr. Höll. Wenn Sie sagen, die effektive Steuerbelastung in Irland sei aufgrund der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage im irischen Steuerrecht erhöht worden, dann muss man natürlich dazusagen, wie das Niveau vorher war. Wenn man das mit Deutschland vergleicht, wird klar, dass die effektive Steuerbelastung - darum geht es; das ist die reale Steuerbelastung, die Unternehmen in Deutschland zu tragen haben - hier mitnichten geringer ist als in Irland; sie ist vielmehr um einiges höher als in Irland.

   Das ist der Punkt, den ich Ihnen vorgeworfen habe: dass Sie hier mit populistischen Äußerungen den Eindruck zu erwecken versuchen, als sei das irische Steuerrecht besser als das deutsche. Irland betreibt auch ein Stück weit Steuerdumping; das wissen wir alle und da wollen wir nicht hin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Ich habe über Tendenzen gesprochen! Darum geht es!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer von der SPD-Fraktion.

Ingrid Arndt-Brauer (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte auf das Gesetz zur Abschaffung der Eigenheimzulage zurückkommen, weil ich denke, dass viele Zuhörer interessiert sind, warum wir die Eigenheimzulage abschaffen wollen und wie wir das umsetzen, und weil ich glaube, dass das ein sehr sinnvolles Gesetz ist.

   Der Gesetzentwurf sieht vor, die Förderung nach dem Eigenheimzulagengesetz ab dem 1. Januar 2006 für Neufälle abzuschaffen. Die Förderung nach geltendem Recht wird gewährt, wenn vor dem 1. Januar 2006 mit der Herstellung des Objekts begonnen wird - wer also jetzt schnell anfängt zu bauen, kann sich die Förderung noch sichern -, ein notarieller Kaufvertrag abgeschlossen oder einer Genossenschaft beigetreten wird.

   Man muss berücksichtigen, dass alle staatlichen Subventionen und Steuervergünstigungen regelmäßig - besonders in der Situation, in der wir uns im Moment befinden - auf ihre Effizienz und Notwendigkeit geprüft und mit Blick auf die Finanzlage der öffentlichen Haushalte bewertet werden müssen. Die Eigenheimzulage ist - das haben wir hier schon häufiger erörtert - die höchste Einzelsubvention im Bundeshaushalt. Wissenschaftliche Untersuchungen haben immer wieder gezeigt, dass es Mitnahmeeffekte gibt, dass wir Leute gefördert haben, die diese Förderung eigentlich nicht gebraucht hätten und die wir auch nicht fördern wollten. So viel zum Inhalt.

   Sehr überraschend waren nach den jahrelangen Diskussionen über dieses Gesetz - wir haben diesen Vorstoß unter Rot-Grün ja schon mehrmals unternommen - die einstimmigen Voten aller mitberatenden Ausschüsse und gestern des Finanzausschusses. Das hat mich sehr gefreut. Es zeigt, dass wir hier ein Gesetz auf den Weg bringen, hinter dem das gesamte Parlament steht und das wir deswegen auch gut nach außen vertreten können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Der ursprüngliche Förderzweck bestand - um einmal ganz weit zurückzuschauen - im Prinzip aus vier Teilen. Der erste Grund war, dass es damals, als man es für sinnvoll hielt, etwas zu unternehmen, zu wenig Wohnraum gab. Ich denke, dieses Problem gibt es nicht mehr.

   Der zweite Förderzweck war, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Zinsbelastung für Bau- oder Kaufwillige sehr viel höher war als heute. Wir haben heute eine historisch niedrige Zinsbelastung; auch dieser Förderzweck entfällt also.

   Der dritte Ansatz war die Familienförderung. Es gab immer auch eine Familienkomponente. Das heißt, besonders Familien mit vielen Kindern sollte die Möglichkeit gegeben werden, auch bei geringem Einkommen ausreichend großen Wohnraum zur Verfügung zu haben. Wer wie ich einmal versucht hat, mit vier Kindern eine Wohnung zu finden, weiß, dass das kaum möglich ist; man bekommt immer gesagt, man müsse sich ein Haus suchen. Dieser Förderzweck war also in den letzten Jahrzehnten durchaus begründet.

   Zu diesem Punkt muss ich allerdings sagen, dass wir gerade im Bereich der Familienförderung viel verändert haben. Das Kindergeld, das vor 20 Jahren gezahlt wurde, ist nicht zu vergleichen mit dem Kindergeld und den Kinderfreibeträgen, die heute gelten. Außerdem ist das Ergebnis dessen, was wir zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf regeln, dass es meistens beiden Elternteilen wenigstens zeitweise ermöglicht wird zu arbeiten, wodurch sie wesentlich mehr Haushaltseinkommen haben als früher.

   Der vierte Förderzweck war schon immer die Idee der Altersvorsorge. Es war immer vom Staat gewollt und gefördert, dass die Menschen in ihrer letzten Lebensphase keine Mietzahlungen mehr leisten müssen und auch - hoffentlich - ihr Häuschen abgezahlt haben. Hier haben wir gehandelt und im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir zwar die Eigenheimzulage abschaffen; weiter heißt es aber:

Daher werden wir das selbst genutzte Wohneigentum zum 1. Januar 2007 besser in die geförderte Altersvorsorge integrieren.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! - Ina Lenke (FDP): Ein Jahr nichts!)

- „Ein Jahr nichts“ ist ja so nicht richtig. Ich habe Ihnen eben gesagt, dass Sie in den letzten Monaten, als wir über dieses Thema schon diskutiert haben, noch zu bauen beginnen konnten bzw. auch jetzt noch einen Kaufvertrag abschließen können. Diese Bautätigkeit wird sich auch noch in das nächste Jahr hineinziehen. Ich bin sicher, wir werden keinen totalen Einbruch bei der Bauwirtschaft haben.

   Wir haben bei der Altersvorsorge heute schon die Möglichkeit, das Wohneigentum in die Riesterrente einzubeziehen. Wir werden diese Möglichkeit ausbauen. Natürlich stehen wir zu dem, was im Koalitionsvertrag steht. Ich denke, das ist eine sehr gute Maßnahme.

(Dr. Volker Wissing (FDP): Erst hoffen mit den Grünen! Jetzt hoffen mit der Union!)

- Nein, das ist überhaupt nicht der Punkt.

   Die Einsparungen im Staatshaushalt betragen bis zum Jahr 2010 10,7 Milliarden Euro. Hier sind wir an einem Punkt, bei dem wir auf das zurückkommen, was Rot-Grün von Anfang an wollte: Wir müssen in Bildung und Forschung, also in die Zukunft, investieren. Das wird uns durch diese Einsparungen möglich. Dadurch, dass wir im Haushalt ein bisschen Luft bekommen, können wir das tun, was im Rahmen des Lissabon-Prozesses gefordert wird, nämlich mindestens 500 Millionen Euro jährlich in Bildung und Forschung zu investieren.

(Dr. Volker Wissing (FDP): Aha!)

Ich denke, auch das ist sehr wichtig.

   Noch eine Bemerkung zu dem, was noch alles bis zum Auslaufen der Eigenheimförderung angeboten wird. Vielleicht haben Sie genauso wie ich einen Prospekt bekommen - ich habe ihn hier vorliegen -, in dem ernsthaft empfohlen wird, jetzt noch schnell ein Objekt für 448 000 Euro zu kaufen, bevor die Eigenheimzulage wegfällt. Ich denke, hier wird der ganze Widersinn in der Diskussion deutlich. Wir reden von Leuten mit geringem Einkommen, Alleinstehende bis 70 000 Euro und Verheiratete bis 140 000 Euro auf der Berechnungsgrundlage von zwei Jahren. Wie sollen sich diese Leute ein Objekt für 448 000 Euro mithilfe der Eigenheimzulage leisten können? Ich denke, an dieser Stelle wird die Diskussion widersinnig. Es werden Menschen bewusst in irgendwelche Anlageobjekte getrieben, die sie sich nicht leisten können. Das wollen wir nicht. Wir wollen eine klare Regelung und denjenigen Leuten helfen, die Hilfe nötig haben. Aber wir wollen solche widersinnigen Anlageobjekte nicht fördern.

   Ein Wort noch zur FDP, zur größten Oppositionspartei. Man kann heutzutage angesichts unserer jetzigen Situation nicht jede Belastung mit einer gleichwertigen Entlastung koppeln.

(Dr. Volker Wissing (FDP): Aber nichts ist eben gar nichts!)

Sie wissen genauso gut wie ich, dass wir auf diese Weise unseren Haushalt nicht sanieren können. Deshalb können Sie nicht eine gleichwertige Steuerentlastung fordern. Das ist einfach nicht machbar. Die Zeiten haben sich geändert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Volker Wissing (FDP): Wo ist überhaupt mal eine Entlastung?)

   Ich persönlich habe mich natürlich gefreut, dass die CDU/CSU jetzt mit uns Schritte in die gleiche Richtung geht. Ich denke, das ist ein guter Weg. Ich bin optimistisch, dass wir in dieser großen Koalition noch viele große und kleine Schritte zusammen gehen werden.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Frage ist, wer den ersten Schritt macht! - Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Wir werden euch an die Hand nehmen!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat der Abgeordnete Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hans Michelbach (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine Tatsache: Nach Monaten des politischen Stillstands packt die große Koalition jetzt die Sanierung unseres Landes entschlossen an.

(Lachen der Abg. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Nur eine Woche nach der Konstituierung des Finanzausschusses wird mit Steuerrechtsänderungen und Subventionsabbau wirklich ernst gemacht. Die Verantwortung der CDU/CSU für unser Land dabei heißt: Herausforderungen annehmen - Aufgaben kraftvoll angehen. Das ist die Situation.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Volker Wissing (FDP): Das sind die kraftvollen kleinen Schritte!)

   Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, grundlegende Konsolidierungen und Änderungen bei den Steuersubventionen weiter aufzuschieben. Jede Art der Realitätsverweigerung würde einen neuen Aufschwung in unserem Land verhindern.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer hat sich denn in den letzten Jahren der Realität verweigert?)

Dieser Aufschwung ist für unser Land notwendig und ganz sicher möglich, wenn wir hier die richtigen Schritte gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei der FDP - Dr. Volker Wissing (FDP): Dann machen Sie es doch jetzt und nicht erst 2008!)

   Meine sehr geehrten Kollegen von der FDP, ich kann Ihnen nur sagen, dass ich die Kritik, die Sie an unsere Adresse richten, zurückweisen muss.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Sie geht ins Leere!)

Es ist doch kein Konzept, sich der Verantwortung einfach zu entziehen und sich in die Büsche zu schlagen.

(Widerspruch bei der FDP)

Die Union ist nicht auf den rot-grünen wirtschafts- und haushaltspolitischen Kurs der Vergangenheit eingeschwenkt.

Ich sage Ihnen, meine Herren von der FDP: Sie suchen immer noch die Milchkuh, die im Himmel gefüttert wird und auf Erden gemolken werden kann. Wir geben zu, dass auch wir diese Milchkuh sieben Jahre zusammen mit Ihnen gesucht haben. Aber sie gibt es nicht; das ist die Situation.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der SPD - Eduard Oswald (CDU/CSU): Fragen wir mal den Kollegen Seehofer! Vielleicht kennt der eine solche Milchkuh! - Zurufe von der FDP: Oh!)

   Wir haben kein Erkenntnisproblem, Frau Scheel. Wir sind vielmehr aufgrund der Verantwortung der CDU/CSU dabei, zu lernen, Kröten zu schlucken, wenn dies notwendig ist. Rot-Grün hat es nicht geschafft. Wir übernehmen die Verantwortung. Das ist für die Menschen in unserem Land auch notwendig.

   Die Lage unserer Staatsfinanzen ist nun einmal desolat und die finanzpolitische Bilanz katastrophal. Die laufenden Ausgaben des Bundes liegen deutlich über den laufenden Einnahmen, sodass ein strukturelles Defizit von mehr als 60 Milliarden Euro besteht. Mit einem Einsparvolumen von mehr als 25 Milliarden Euro müssen wir jetzt maßgeblich dazu beitragen, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte zu begrenzen. Dazu gibt es keine Alternative.

   Nur der Dreiklang aus Sanieren, Reformieren und Investieren eröffnet Chancen, unser Land nach Jahren der Stagnation jetzt wieder nach vorne zu bringen. Dafür steht die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU - Eduard Oswald (CDU/CSU): Das ist auf den Punkt gebracht!)

   Nicht alles, was wünschenswert wäre, wird in Zukunft finanzierbar sein; das sollten wir den Menschen immer wieder sagen.

(Florian Pronold (SPD): Das ist gut!)

Besonders bedenkenswert ist für mich als Mittelständler natürlich die Zustimmung zur Abschaffung der Eigenheimzulage. Tatsache ist aber: Durch das Gesetz zur Abschaffung der Eigenheimzulage kann die öffentliche Hand bis zum Jahr 2010 mit Einsparungen in Höhe von sage und schreibe 10,7 Milliarden Euro rechnen.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hätten Sie auch schon 2007 haben können!)

   Tatsache ist aber auch - das ist richtig -: Die Eigenheimzulage war immer eine Subvention,

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach nein!)

die aus unserer Sicht zur Belebung der Bauwirtschaft beitragen sollte. Man muss aber auch deutlich sehen, dass in den letzten Jahren 800 000 Beschäftigte im Baugewerbe trotz der Subvention „Eigenheimzulage“ ihren Arbeitsplatz verloren haben.

   Das heißt für mich nichts anderes als Folgendes: Keine noch so gut gemeinte schuldenfinanzierte Subvention kann auf Dauer eine wachstumsfreundliche und Vertrauen schaffende Gesamtkonzeption der Haushaltskonsolidierung ersetzen. Vorangehen muss immer die Haushaltskonsolidierung, weil dann Vertrauen geschaffen wird. Damit kann man dann zukünftig Wachstumserfolge und Beschäftigungserfolge erzielen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat aber lange gedauert!)

   Wenn unsere Koalition ihren Kurs aus Konsolidierung der Haushalte, Stärkung der Investitionen und Reform des Arbeitsmarktes mit Mut und Augenmaß fortsetzt, wird sich das Vertrauen der Verbraucher und Investoren wieder festigen. Es mehren sich ja die Zeichen für ein Licht am Ende des Tunnels.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha!)

Wir haben in der Wirtschaft einen Stimmungswechsel. Es ist erstmals wieder Hoffnung auf Verbesserungen vorhanden.

(Eduard Oswald (CDU/CSU): Jawohl! Hoffnung ist gut!)

   Wir werden auch dem Bauhandwerk eine bessere Zukunft geben, damit es wieder nach vorne kommt. Die Förderung von Gebäudesanierungen, die Unternehmensteuerreform oder auch die Fähigkeit des Abzugs von Handwerkerrechnungen werden wir in den nächsten Wochen und Monaten auf den Gesetzesweg bringen. Das wird uns letzten Endes voranbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Eduard Oswald (CDU/CSU): Das werden wir machen!)

   Ein Aufbruch für Deutschland benötigt eine Reformpolitik, eine Sanierungspolitik, weniger Staat, mehr Freiheit, mehr Leistungsbereitschaft, weniger Bürokratie und mehr Eigenverantwortung. Deutschland braucht die Kraftanstrengung aller. Wir als CDU/CSU sind bereit, uns diesen Fragen offensiv zu widmen und auch unpopuläre Maßnahmen zu verantworten.

   Ich darf Sie herzlich dazu einladen, mit diesem Anfang heute für eine bessere Zukunft der Menschen in unserem Land zu sorgen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sieben Jahre lang haben Sie etwas anderes gesagt!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat die Abgeordnete Gabriele Frechen, SPD-Fraktion.

Gabriele Frechen (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein moderner Staat benötigt zur Finanzierung seiner vielfältigen Aufgaben Einnahmen, die im Wesentlichen durch Steuereinnahmen erzielt werden. Eine wichtige Grundlage unseres Steuersystems ist die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.

   Ich halte es für nachvollziehbar, dass Steuerpflichtige jede legale Möglichkeit nutzen, um ihren Beitrag an der Finanzierung des Staates zu mindern. Mitunter tun sich durch Auslegungen der Gesetze, durch Lücken oder gar Steuerschlupflöcher so verlockende Möglichkeiten auf, die man einfach nicht ungenutzt verstreichen lassen kann. Wie gesagt, ich kann das nachvollziehen. Aber kann und will ich es hinnehmen, dass solche Gestaltungsspielräume gesucht, gefunden und zum Vorteil weniger angewendet werden? Ich sage: Nein! Der Abbau solcher Gestaltungsmöglichkeiten war in der vergangenen Legislaturperiode ein Thema für uns, das wir - unter anderem den obwaltenden Mehrheitsverhältnissen geschuldet - nicht immer so angehen konnten, wie wir wollten. Aber daran müssen wir anknüpfen. Ich denke, mit dem Gesetz zur Beschränkung der Verlustverrechnung zeigen wir, dass wir es gemeinsam sehr ernst meinen.

   In „Focus Online“ war dazu am 24. November zu lesen:

Damit machen Union und SPD mit dem Abbau von Steuerprivilegien Ernst. Durch die bisher großzügige steuerliche Verlustverrechnung gehen dem Staat jährlich Milliarden verloren. Vermögende Abschreibungskünstler haben über diese „Steuerstundungsmodelle“ ihre Abgabenlast gesenkt.

Und weiter heißt es:

Das Aus hatte sich schon seit dem Frühjahr abgezeichnet.

Darauf komme ich noch zurück.

   Die große Beliebtheit resultierte aus einer hohen Verlustzuweisung in der Anfangsphase, die bisher mit anderen Einkünften verrechnet werden konnte und so zu Steuerminderungen führte. Dies wollen wir ändern. Die Verluste werden nicht abgeschnitten, sind also nicht verloren, sondern werden künftig nur noch mit Einkünften aus derselben Quelle verrechnet. Das führt zu einer gleichmäßigen Besteuerung und dazu, dass bei Anlagen künftig die Rendite entscheidender ist als der Steuervorteil. Betroffen sind insbesondere Verluste aus Medienfonds, Schiffsbeteiligungen, New-Energy-Fonds, Leasingfonds, Wertpapierhandels- und Videogamefonds. Nicht betroffen sind - das steht ausdrücklich im Bericht - Private-Equity- und Venture-Capital-Fonds. Wir haben alle uns bekannten Modelle, also neben gewerblichen Einkünften auch Einkünfte aus Selbstständigkeit und sonstige Einkünfte, eingeschlossen, um die Gleichheit bei der Besteuerung zu gewährleisten. Ich bin mir aber fast sicher, dass auch hier das altbekannte Hase-und-Igel-Spiel die Kreativität der steuergestaltenden Köpfe herausfordern wird.

   Einigkeit über die Abschaffung dieser Modelle wurde relativ schnell erzielt. Doch wie immer steckt die Herausforderung im Detail. Hier war es das Datum des Wirksamwerdens: Rückwirkung oder Vertrauensschutz, ein Schutz der Steuerpflichtigen, der zu Recht einen sehr hohen Wert darstellt? Wir haben uns für den 10. November entschieden, also für den Tag, an dem das alte Kabinett in enger Abstimmung mit dem neuen die Vorlage unterzeichnen wollte. Leider hat der damalige Minister Trittin seine Unterschrift verweigert mit der Folge, dass die Vorlage erst vom neuen Kabinett am 24. November unterzeichnet wurde. Jetzt aber einen Vertrauensschutz für die Zwischenzeit oder gar eine Verlängerung bis zum 31. Dezember zu fordern, halte ich für ungerechtfertigt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Bereits im März beim Jobgipfel hatten sich Union und SPD geeinigt, dass diese Modelle abgeschafft werden. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt wurden die Anleger darauf hingewiesen, dass das Aus für Steuerstundungsmodelle unmittelbar bevorsteht. „Zeichnen Sie jetzt, zeichnen Sie schnell“, so lautete ab März die Devise. Nach dem 10. November wurde weiter, zum Teil auch aggressiver geworben. Allerdings wurde von den Fonds ein Rücktrittsrecht eingeräumt für den Fall, dass die Gesetzesänderung vor dem 1. Januar 2006 in Kraft tritt.

   Unter der Überschrift „Steuersparfonds werden weiter verkauft“ schrieb das „Handelsblatt“ am 16. November:

Anleger sollten keine Beteiligung ohne Rücktrittsrecht und zugesicherte Rückzahlung der Einlage inklusive Agio eingehen.

Damit ist wohl eindeutig, dass die interessierte Öffentlichkeit sehr wohl das Risiko kannte und nach dem Motto „no risk, no fun“ handelte.

   Das Risiko des entgangenen Steuervorteils nun auf die Allgemeinheit der Steuerzahler abzuwälzen, halte ich geradezu für widersinnig und auch nicht für ein schützenswertes Gut.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt die Möglichkeit der Rückwirkung genau für diesen Fall, nämlich dann, wenn der Bürger zum Zeitpunkt, auf den sich das rückwirkende Gesetz bezieht, mit der Neuregelung rechnen musste. Eine Verlängerung bis zum 31. Dezember hätte geradezu eine Schlussverkaufsstimmung ausgelöst. Genau den Modellen, die wir abschaffen wollen, hätten wir somit zu einem Riesenhype verholfen. Das kann doch wohl in diesem Hause nicht gewünscht sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Verhinderung von Steuerumgehungsmöglichkeiten ist ein wichtiger Beitrag zur Steuergerechtigkeit, die eng mit der Akzeptanz der Steuergesetze in der Bevölkerung verknüpft ist. Diese Akzeptanz und das Vertrauen der breiten Masse der Steuerpflichtigen brauchen wir dringend. Der vorliegende Gesetzentwurf ist einer von vielen Schritten in diese Richtung.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat der Abgeordnete Olav Gutting, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Vielleicht können auch diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die der Debatte erst seit kurzem beiwohnen, dem Redner zuhören.

Olav Gutting (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetzentwurf zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm leisten wir einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung der Staatsfinanzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nein, es ist nicht der große Wurf, den manch einer erwartet hat,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

aber dieser Gesetzentwurf erhebt auch nicht den Anspruch, ein großer Wurf zu sein. Er ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wir werden noch mehrere Schritte tun müssen, um zu einem einfacheren, gerechteren und auch international wettbewerbsfähigen Steuerrecht zu gelangen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Dieses Ziel werden wir weiterhin im Auge behalten. Natürlich wäre es wünschenswert, mit den erwarteten Mehreinnahmen den Einkommensteuertarif zu senken. Derjenige, der das fordert, muss aber auch klar sagen, auf welchem anderen Wege die notwendige Haushaltskonsolidierung erfolgen soll.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Die mittlerweile desaströse Situation der öffentlichen Haushalte lässt leider keinen Raum für spürbare Steuersenkungen. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Allein im Bundeshaushalt hat die strukturelle Lücke eine Größenordnung von fast 65 Milliarden Euro erreicht. In diesem Umfang sind laufende Ausgaben nicht durch regelmäßige Einnahmen gedeckt. Wer verantwortlich handelt, kann sich schon aus Respekt vor den kommenden Generationen nicht dem Schuldenabbau verschließen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Menschen wissen, dass die Schulden von heute die Steuern von morgen sind. Den Menschen fehlt das Vertrauen in die Finanzpolitik, auch deshalb sind die Steuersenkungen der letzten Jahre konjunkturell verpufft. Wo kein Vertrauen ist, kann kein Wachstum entstehen; wo kein Vertrauen ist, bleiben die Wachstumskräfte gefesselt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Das klare Bekenntnis zum Schuldenabbau ist ein Signal für mehr Vertrauen in die Finanzpolitik, ist ein Signal für mehr Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates. Dieses Vertrauen brauchen wir, um Deutschland wieder auf Wachstumskurs zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Einer dieser kleinen Schritte ist der Wegfall der Freibeträge bei Abfindungen wegen Auflösung von Dienstverhältnissen. Dies ist ein richtiger Schritt. Warum soll auch die Kassiererin in einem Supermarkt mit ihren Steuergeldern die Abfindung eines Mitarbeiters beispielsweise von Daimler-Chrysler subventionieren, der für sein freiwilliges Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis das doppelte Jahresgehalt bekommt?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Warum soll die Allgemeinheit die von Unternehmen gezahlten Abfindungen subventionieren, zumal mit dem Progressionsvorteil, der weiterhin bestehenden Fünftelregelung, Härtefälle abgefedert werden?

   Mit der jetzt noch eingefügten Verlängerung der Zeitspanne für den Zufluss der Abfindungen ist die richtige Balance zwischen Vertrauensschutz auf der einen Seite und fiskalischen Interessen auf der anderen Seite gefunden. Auch deshalb war der Änderungsantrag der Fraktion Die Linke abzulehnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Wegfall dieser Freibeträge ist auch deshalb wünschenswert, weil er hilft, Abfindungen die Attraktivität zu nehmen. Tatsache ist doch, dass die Unternehmen die Abfindungszahlungen bereits in den Lohnkosten einpreisen. Die immer weiter zunehmende Anzahl von Abfindungen geht letztendlich zulasten der regulären Gehälter. Das, was der Arbeitnehmer am Ende seines Arbeitsverhältnisses als Abfindung erhält, wurde ihm doch in den Jahren zuvor vom Lohn einbehalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Weniger Abfindung bedeutet damit mittelfristig mehr regulären Lohn. Entscheidend sind dabei die Begleitmaßnahmen. Wir müssen die Arbeitsverwaltung weiter verbessern. Wir brauchen eine effektivere, eine schnellere Vermittlung in neue Arbeitsverhältnisse und wir brauchen eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in Deutschland, für mehr Wachstum und für mehr Arbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Sicherlich, bei den insgesamt fünf Einzelmaßnahmen dieses Gesetzes gibt es auch Punkte, über die man streiten kann. Es stellt sich in der Tat die Frage, ob die von den Finanzministerien der Länder prognostizierten Mehreinnahmen tatsächlich fließen. Ich will gerne zugeben, dass ich meine Zweifel daran habe, ob die durch die Abschaffung des Sonderausgabenabzugs für private Steuerberatungskosten anvisierten 600 Millionen Euro jährlich hereinkommen. Ich zweifle nicht daran - damit Sie mich richtig verstehen -, dass die Finanzministerien richtig gerechnet haben. Die zugrunde liegenden Annahmen halte ich aber für fehlerhaft. Man unterschätzt die Kreativität, die die Menschen entwickeln, zumal wenn sie unter einer hohen Abgabenlast leiden. Ob durch die Abschaffung des Sonderausgabenabzugs für private Steuerberatungskosten 600 Millionen Euro hereinkommen, werden wir wohl nie erfahren. Es lässt sich schlicht nicht nachweisen, nicht berechnen. Darauf kommt es aber auch nicht vorwiegend an.

   Entscheidend ist, dass die Besteuerungsgrundlage insgesamt verbreitert wird. Die große Koalition hat es sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2007 ein Konsolidierungsvolumen von 35 Milliarden Euro zu erreichen. Das Fundament dafür besteht aus drei Säulen: Neben wachstumsorientierten und perspektivischen Reformen kommen wir nicht ohne Sanierungsmaßnahmen aus. Der vorliegende Gesetzentwurf ist Teil dieser notwendigen Einsparmaßnahmen. Dieser Gesetzentwurf ist von der Verantwortung für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands getragen. Stimmen Sie deshalb diesem Gesetzentwurf zu!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Hiermit schließe ich die Aussprache.

   Wir haben jetzt eine ganze Reihe von Abstimmungen und Wahlen vor uns, bevor wir zu einer weiteren spannenden Debatte kommen.

   Zunächst die Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Beschränkung der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen auf Drucksache 16/107. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/254, den Entwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Abstimmung mit dem entsprechenden Stimmenverhältnis angenommen.

   Tagesordnungspunkt 5 b: Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Abschaffung der Eigenheimzulage auf Drucksache 16/108. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/250, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen erheben sich bitte, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf mit dem vormaligen Stimmenverhältnis angenommen.

   Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/274? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Dafür haben die Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion gestimmt; die übrigen Mitglieder des Hauses haben dagegen gestimmt.

   Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/275? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt. Dafür haben die Abgeordneten der Fraktion Die Linke gestimmt; die übrigen Mitglieder des Hauses haben dagegen gestimmt.

   Ich komme zu Tagesordnungspunkt 5 c: Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm, Drucksache 16/105. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/255, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.

   Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/270? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt bei Zustimmung der Linken, bei Gegenstimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP und bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

   Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion und bei Gegenstimmen der Fraktionen der FDP und der Linken sowie bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem zuvor ermittelten Stimmenverhältnis angenommen.

   Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6; das sind weitere Wahlen zu Gremien.

   Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 6 a auf:

Schriftführer gemäß § 3 der Geschäftsordnung

- Drucksache 16/187 -

   Für die Wahl der Schriftführerinnen und Schriftführer liegen die Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/187 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die Wahlvorschläge mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Ich gratuliere den gewählten Kolleginnen und Kollegen im Namen des gesamten Hauses recht herzlich und wünsche Ihnen Spaß bei der Arbeit und eine gute Zusammenarbeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Wir kommen zu zwei Wahlen zu Gremien mit Stimmkarten und Wahlausweisen. Es handelt sich um die Wahlen folgender Gremien: Erstens, Richterwahlausschuss gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes; zweitens, Wahlausschuss gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht. An diese zwei Wahlgänge schließen sich dann noch weitere Wahlen an, die mittels Handzeichen durchgeführt werden.

   Ich bitte jetzt um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zu den durchzuführenden Wahlen mit Stimmkarte und Wahlausweis. Die Stimmkarten in den Farben Orange und Grün werden bereits im Saal verteilt. Sie benötigen außerdem Ihre Wahlausweise in den Farben Orange und Grün. Bevor Sie Ihre Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren dazugehörigen Wahlausweis einem der Schriftführer oder einer der Schriftführerinnen an den Wahlurnen. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, darauf zu achten, dass vor der Stimmabgabe der Wahlausweis übergeben wird. Die Wahlen finden offen statt; Sie können das Kreuz auf Ihren Stimmkarten also an Ihrem Platz machen.

   Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6 b:

Richterwahlausschuss gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes

- Drucksachen 16/188, 16/189, 16/190, 16/191 -

   Dazu liegen Ihnen auf den Drucksachen 16/188 bis 16/191 Listen mit Wahlvorschlägen vor. Sie benötigen für diese Wahl die Stimmkarte in der Farbe Orange. Sollten Sie diese Stimmkarte noch nicht haben, besteht jetzt noch die Möglichkeit, diese von den Plenarassistenten zu erhalten. Ich mache besonders darauf aufmerksam, dass Sie auf der orangefarbenen Stimmkarte nur einen einzigen Vorschlag ankreuzen dürfen. Ungültig sind Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, Zusätze, Bildchen oder Ähnliches enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will, nimmt bitte keine Eintragung vor. Bevor Sie die orangefarbene Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Wahlurnen Ihren orangefarbenen Wahlausweis.

   Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die erste Wahl, die Wahl zum Richterwahlausschuss.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Gibt es ein Mitglied im Hause, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Ich schließe den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.

   Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6 c:

Wahlausschuss gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht

- Drucksachen 16/201, 16/202, 16/203, 16/204 -

   Dazu liegen Ihnen auf Drucksachen 16/201 bis 16/204 Listen mit Wahlvorschlägen vor.

   Für diese Wahl benötigen Sie die grünen Stimmkarten, die im Saal verteilt wurden. Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben, besteht jetzt noch die Möglichkeit, sie sich aushändigen zu lassen.

   Ich mache darauf aufmerksam, dass Sie auf der grünen Stimmkarte wiederum nur einen Vorschlag ankreuzen können. Wer sich der Stimme enthalten will, macht keine Eintragung. Bevor Sie die grüne Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Wahlurnen Ihren Wahlausweis.

   Die Schriftführerinnen und Schriftführer haben ihre Plätze eingenommen. Ich eröffne die Wahl.

   Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein.

   Ich schließe den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen auch in diesem Falle später bekannt gegeben.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, jetzt wieder Platz zu nehmen, damit ich die Wahlergebnisse zweifelsfrei feststellen kann. Wir kommen jetzt nämlich zu Wahlen mittels Handzeichen.

   Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 6 d auf:

Gemeinsamer Ausschuss gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes

- Drucksache 16/205 -

   Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/205 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen.

   Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6 e:

Wahlprüfungsausschuss gemäß § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes

- Drucksache 16/206 -

   Dazu liegen wiederum Vorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/206 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen.

   Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6 f:

- Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Einsetzung des Gremiums gemäß Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes

- Drucksache 16/207 -

- Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes

- Drucksache 16/208 -

   Dazu liegt ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/207 vor. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.

Damit ist das Gremium nach Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes eingesetzt und die Mitgliederzahl auf neun festgelegt.

   Zu diesem soeben eingesetzten Gremium liegen Wahlvorschläge aller fünf Fraktionen auf Drucksache 16/208 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Wahlvorschläge sind wiederum einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 6 g:

Ausschuss nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss)

- Drucksache 16/209 -

   Dazu liegen Wahlvorschläge aller Fraktionen auf Drucksache 16/209 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen. Damit sind die Mitglieder und deren Stellvertreter im Vermittlungsausschuss gewählt.

   Tagesordnungspunkt 6 h:

Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (zugleich Vertreter in der Versammlung der Westeuropäischen Union) gemäß Art. 1 und 2 des Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates

- Drucksache 16/210 -

   Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/210 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen. Damit sind die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, die zugleich Vertreter in der Versammlung der Westeuropäischen Union sind, gewählt.

   Tagesordnungspunkt 6 i:

Gremium gemäß § 23 c Abs. 8 des Zollfahndungsdienstgesetzes

- Drucksache 16/211 -

   Wahlvorschläge aller fünf Fraktionen liegen auf Drucksache 16/211 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 6 j:

Mitglieder des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau

- Drucksachen 16/212, 16/213 -

   Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU sowie Wahlvorschläge der Fraktionen der FDP und der Linken vor. Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 16/212? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Das war jetzt nicht ganz klar erkennbar.

   Ich wiederhole den Wahlgang. Es liegt der Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 16/212 zur Abstimmung vor. Wer stimmt gegen diesen Wahlvorschlag? - Niemand. Wer enthält sich? - Was ist mit den Linken? Stimmen Sie mit oder stimmen Sie nicht mit?

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Denn Sie wissen nicht, was sie tun!)

Ist es richtig, dass Sie sich enthalten? -

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir enthalten uns!)

- Ich weiß, dass sich die Grünen enthalten haben.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Die Linke hat sich verweigert, Herr Präsident!)

Auch die Linke enthält sich, gut. Damit ist der Wahlvorschlag bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken angenommen.

   Wer stimmt für die Wahlvorschläge der Fraktionen der FDP und der Linken auf Drucksache 16/213? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Es ist wirklich sehr schwer, das Ergebnis festzustellen, weil in allen Fraktionen unterschiedlich gestimmt wird.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Ich wiederhole diesen Wahlgang. Es stehen die Wahlvorschläge der Fraktionen der FDP und der Linken auf Drucksache 16/213 zur Abstimmung. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Jetzt sieht es schon besser aus. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Wahlvorschläge sind von allen Fraktionen bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wenn es nicht klappt, dann muss man es eben üben. Das ist so.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

   Tagesordnungspunkt 6 k:

Kuratorium der „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“

- Drucksache 16/214 -

   Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/214 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 6 l:

Mitglieder des Beirats zur Auswahl von Themen für die Sonderpostwertzeichen ohne Zuschlag beim Bundesministerium der Finanzen (Programmbeirat)

- Drucksache 16/215 -

   Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP auf Drucksache 16/215 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Wahlvorschläge sind angenommen bei Zustimmung aller Fraktionen und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen.

   Tagesordnungspunkt 6 m:

Mitglieder des Beirats für die grafische Gestaltung der Postwertzeichen beim Bundesministerium der Finanzen
(Kunstbeirat)

- Drucksache 16/216 -

   Auf Drucksache 16/216 liegen dazu die Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Wahlvorschläge sind mit gleichem Stimmergebnis angenommen, nämlich bei Zustimmung aller Fraktionen und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen.

   Tagesordnungspunkt 6 n:

Mitglieder des Beirats bei der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen

- Drucksachen 16/247 -

   Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/247 vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen.

   Wir kommen jetzt zu Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 j sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 c auf:

23. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

- Drucksache 16/27 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Innern

- Drucksache 16/28 -

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Reform hufbeschlagrechtlicher Regelungen und zur Änderung tierschutzrechtlicher Vorschriften

- Drucksache 16/29 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung

- Drucksache 16/33 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit

- Drucksache 16/34 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Tourismus

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seeaufgabengesetzes

- Drucksache 16/35 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. April 2005 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über soziale Sicherheit

- Drucksache 16/37 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens vom 31. März 1992 zur Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und Ostsee (Gesetz zur Ausweitung des ASCOBANS-Abkommensgebiets)

- Drucksache 16/38 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 14. April 2005 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zu dem Übereinkommen von 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht sowie zu dem Ersten und dem Zweiten Protokoll über die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Viertes Beitrittsübereinkommen zum Schuldvertragsübereinkommen)

- Drucksache 16/41 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Zweiten Änderung des Übereinkommens vom 25. Februar 1991 über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (Zweites Espoo-Vertragsgesetz)

- Drucksache 16/43 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 3 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz

- Drucksache 16/47 -

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Eigenverantwortung von Bosnien und Herzegowina stärken - Verfassungsprozess unterstützen und „Bonn Powers“ des Hohen Repräsentanten abschaffen

- Drucksache 16/228 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Beendigung der Operation Althea und Einrichtung einer internationalen nicht militärischen Polizeimission in Bosnien und Herzegowina

- Drucksache 16/217 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss

   Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 24 b bis 24 h sowie den Zusatzpunkten 4 a bis 4 e. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

   Tagesordnungspunkt 24 b:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung

- Drucksache 16/106 -

(Erste Beratung 4. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

- Drucksache 16/246 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Christine Lambrecht
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Neskovic
Jerzy Montag

   Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/246, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Wie stimmen die Grünen in diesem Fall ab? - Sie haben zugestimmt. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit Zustimmung aller Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 24 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Betrieb elektronischer Mautsysteme (Mautsystemgesetz - MautSysG)

- Drucksache 16/32 -

(Erste Beratung 4. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss)

- Drucksache 16/221 -

Berichterstattung:
Abgeordneter Uwe Beckmeyer

   Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/221, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 24 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik zur Informationsgesellschaft (Informationsgesellschaftsstatistikgesetz - InfoGesStatG)

- Drucksache 16/40 -

(Erste Beratung 6. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

- Drucksache 16/248

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Joachim Pfeiffer
Dr. Rainer Wend
Martin Zeil
Dr. Herbert Schui
Matthias Berninger

   Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/248, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 24 e:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung

Einundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung

- Drucksachen 15/5994, 16/135 Nr. 2.1, 16/249 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Fuchs
Dr. Ditmar Staffelt
Martin Zeil
Dr. Herbert Schui
Matthias Berninger

   Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 15/5994 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 24 f:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung

Vierte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung

- Drucksachen 16/66, 16/135 Nr. 2.2, 16/234 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Brand
Gerd Bollmann
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl

   Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 16/66 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.

   Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/276. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung der FDP-Fraktion abgelehnt.

   Tagesordnungspunkt 24 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

Übersicht 1
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht

- Drucksache 16/244 -

   Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 24 h:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Einsetzung einer Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“

- Drucksache 16/196 -

   Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen. Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ ist damit eingesetzt.

   Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Das sind die Zusatzpunkte 4 a bis 4 e.

   Zusatzpunkt 4 a:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 1 zu Petitionen

- Drucksache 16/229 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 1 ist einstimmig angenommen.

   Zusatzpunkt 4 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 2 zu Petitionen

- Drucksache 16/230 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 2 auf Drucksache 16/230 ist einstimmig angenommen.

   Zusatzpunkt 4 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 3 zu Petitionen

- Drucksache 16/231 -

   Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 3 ist einstimmig angenommen.

   Zusatzpunkt 4 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 4 zu Petitionen

- Drucksache 16/232 -

   Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 4 ist einstimmig angenommen.

   Zusatzpunkt 4 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 5 zu Petitionen

- Drucksache 16/233 -

   Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 5 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Linken angenommen.

   Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP

Haltung der Bundesregierung zur Berufung von Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Konsortiums Nordeuropäische Gaspipeline (NEGP)

   Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion, Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erinnere mich an viele Debattenbeiträge aus früheren Zeiten vor allem von Sozialdemokraten bei Wechseln von politischen Repräsentanten aus anderen Fraktionen als der SPD in das wirtschaftliche Leben der Bundesrepublik Deutschland oder anderer Länder. Sie haben jeweils, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus einer Wolke hoch kondensierter Moral über all das geurteilt. Altkanzler Gerhard Schröder hat sich mit besonderen Beiträgen zur Sitzgestaltung von Unternehmen an der Debatte rege beteiligt. Das Wort „vaterlandslos“ war noch eine milde Beschreibung, wenn es um Ereignisse ging, wie sie auch in dem vorliegenden Fall eine Rolle spielen.

   Jetzt sagen Sie, das sei alles eine persönliche bzw. private Entscheidung des Altkanzlers. Das ist aber auch schon alles, was richtig ist. Alles andere ist falsch und nicht zu vertreten. Das wird auch in Ihren eigenen Reihen nicht bestritten.

(Beifall bei der FDP)

   Der Altkanzler Gerhard Schröder pfeift auf die Prinzipien, die er als Bundeskanzler mit tatkräftiger Unterstützung der Sozialdemokraten vertreten hat.

(Beifall bei der FDP)

Das ist nicht eine Behauptung von mir; das ist in Zeitungen nachzulesen.

(Widerspruch bei der SPD)

Ich füge noch eine Bemerkung hinzu: „Aber es ist der Stil, wenn nicht die politische Moral, der selbst enge Weggefährten abstößt.“ Das schreibt die „Zeit“ unter der Überschrift „Egotrip“. Das ist der Punkt, den wir hier besprechen müssen.

   Nennen wir es zunächst einmal ganz vorsichtig ungeschickt oder bezeichnen wir es als Zusammentreffen glücklicher wie unglücklicher Umstände. Die Zeittabelle in Bezug auf die Unterzeichnung des Abkommens stellt sich wie folgt dar: erste Meldungen aus Russland, dass der Altkanzler erwäge, eine solche Position anzunehmen; Dementi des früheren Regierungssprechers Anda; im Nachhinein hin und her gewendete Debatte, ob denn die deutschen Beteiligten schon zugestimmt hätten; Aussage des neu gewählten Vorsitzenden der SPD - im Nachhinein interpretiert -, er habe Freitag mit Mittwoch verwechselt, als die Anfrage gekommen sei.

   Es gab noch viele weitere unterschiedliche Erklärungen. Sie erinnern mich an Transfers von Spielern in der Bundesliga, von denen kluge Manager sagen, sie seien das Muster eines falsch geführten Stars. Bei dem Altkanzler handelt es sich nicht um das Muster eines falsch geführten Stars; er ist gar nicht geführt worden. Er ist noch nicht einmal beraten worden. Kein vernünftiger Mensch hätte ihm den Rat geben können, eine solche Entscheidung zu treffen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Peter Rauen (CDU/CSU))

   Jetzt will ich an die Sozialdemokraten klar sagen:

(Jörg Tauss (SPD): Bangemann!)

Sie wissen wie ich, wo das Betreiberkonsortium seinen Sitz nimmt. Wissen Sie das? Weiß das der Altkanzler?

(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Schweiz!)

Aus Angst vor der Steuerpolitik der SPD im Kanton Zug.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Was haben Sie früher über Unternehmen gesagt, die Standortentscheidungen dieser Art getroffen haben? Da versagt die deutsche Sprache, trotz ihrer durchaus kraftvollen Möglichkeiten.

(Christine Lambrecht (SPD): Haben Sie was dagegen?)

Die Zeit für den Debattenbeitrag in der Aktuellen Stunde ist zu kurz, um alles vorzulesen. Die Zeitungsausschnitte stehen auch Ihnen zur Verfügung. Ich empfehle Ihnen die Lektüre. Der Sitz des Betreiberkonsortiums soll der Kanton Zug sein. Hätten Sie sich in Ihren kühnsten Träumen vorgestellt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass ein einstmals von Ihnen gestellter Bundeskanzler in führender Funktion in ein russisches Staatsunternehmen eintritt, dessen Entscheidungsfindungen zweifellos vom Kreml bestimmt werden und dessen Entscheidungsgremium seinen Sitz auch noch im Kanton Zug nimmt? Niemals. Es gibt dafür keine Begründung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben ein Interesse an Transformationsprozessen in Russland, auch ein Interesse an einer freien Presse. Sie wissen so gut wie ich, dass Gasprom-Media nicht gerade ein Unternehmen ist, das zu einer freien Presselandschaft in Russland beiträgt.

   Sie mögen jetzt sagen: Das hat mit dem Gasgeschäft nichts zu tun. Es ist aber demselben Unternehmen zugeordnet. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ schreibt: Gasprom ist ein Monopolist mit Fernsehsender, „ein Politunternehmen im Cockpit des Kreml“. Mit dem unternehmerischen Ethos, das Sie, meine Damen und Herren von der SPD, hierzulande immer einfordern, hat das überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die deutsch-russischen Beziehungen sind wichtig. Aber Sie dürfen deshalb nicht unter den Teppich kehren, was Ihr Altkanzler hier unternimmt. In Polen, in den baltischen Staaten, in der Ukraine hören wir dieselben kritischen Stimmen, was den Pipelinebau und sämtliche Vorläufe betrifft, und dort fühlt man sich jetzt bestätigt. Ich kenne keinen einzigen internationalen Kommentar in irgendeiner Zeitung dieser Welt, der den Sachverhalt anders beschreibt, als ich ihn hier im Debattenbeitrag für die Bundestagsfraktion der FDP vortrage.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich zitiere zum Abschluss zwei hochinteressante Meinungen aus Ihren eigenen Reihen. Der Kollege Reinhard Schultz findet es im Gegensatz zu den zahlreichen von mir zitierten Kommentaren eher beruhigend, dass Schröder und nicht ein Mitglied der russischen Nomenklatura den Pipelinebau steuert. An Schlichtheit ist das nicht zu überbieten.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Der Kollege Scheer hat gesagt, Schröder habe offensichtlich der Instinkt verlassen. Ich will es etwas deutlicher sagen - bezichtigen Sie mich nicht des Plagiats, weil es ein prominentes Mitglied dieses Hauses schon gesagt hat -: Es ist wirklich instinktlos, was der Altkanzler getan hat, und deshalb muss das hier besprochen werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Das ist nicht im europäischen Interesse. Das ist noch nicht einmal im Interesse der Gewerkschaften. Sie wissen doch, was er auf dem Gewerkschaftstag gesagt hat:

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Gerhardt, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

Ich weiß jetzt, wohin ich gehöre. Auch wir wissen es jetzt.

   Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zur Geschäftsordnung hat der Kollege Koppelin das Wort.

Jürgen Koppelin (FDP):

Herr Präsident, die Fraktion der FDP hat diese Aktuelle Stunde beantragt, damit die Haltung der Bundesregierung erklärt wird. Auf der Rednerliste steht kein Mitglied der Bundesregierung. Wir beantragen daher, den Vizekanzler herbeizurufen.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Es ist also ein Geschäftsordnungsantrag gestellt worden. Meldet sich jemand zur Widerrede zu Wort? - Bitte schön, Herr Benneter.

Klaus Uwe Benneter (SPD):

Die Bundesregierung hat ihre Haltung klar dargetan.

(Lachen bei der FDP - Jürgen Koppelin (FDP): Wo denn?)

Insbesondere hat der Vizekanzler deutlich gemacht,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Aber nicht im Parlament!)

dass es im deutschen Interesse liegt, dass der ehemalige Bundeskanzler die Oberaufsicht über eine solche Gesellschaft übernimmt. Insofern spreche ich mich gegen diesen Antrag aus und rufe dazu auf, ihn abzulehnen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wir wollen Münte hören!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag ist, den Vizekanzler herbeizuzitieren, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Wir sind im Präsidium einig, dass die Mehrheit für den Antrag gestimmt hat.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Deshalb bitte ich darum, dass der Vizekanzler herbeigerufen wird.

   Bis dahin unterbreche ich die Sitzung.

(Unterbrechung von 13.35 bis 13.52 Uhr)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

   Der Herr Vizekanzler ist eingetroffen. Vielen Dank, dass Sie so schnell gekommen sind, Herr Müntefering.

   Bevor wir in der Aktuellen Stunde fortfahren, möchte ich Ihnen schnell die Wahlergebnisse bekannt geben. Wahl der Mitglieder des Wahlausschusses gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht: abgegebene Stimmen 566, davon gültig 563, Enthaltungen 4, ungültige Stimmen 3. Fraktionen der CDU/CSU und der SPD 409 Stimmen, Fraktion der FDP 54 Stimmen, Fraktion Die Linke 51 Stimmen, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen 45 Stimmen.

   Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD erhalten neun Mitglieder, die übrigen Fraktionen jeweils ein Mitglied. Nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht sind die Mitglieder in der Reihenfolge gewählt, in der ihr Name auf dem Wahlvorschlag erscheint. Die Namen der gewählten Mitglieder entnehmen Sie bitte den Drucksachen 16/201 bis 16/204.

   Sodann Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes: abgegebene Stimmen 561, davon gültig 557, Enthaltungen 1, ungültige Stimmen 4. Von den gültigen Stimmen entfielen auf die Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD 403, auf den Wahlvorschlag der Fraktion der FDP 56, auf den der Fraktion Die Linke 50 und auf den der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen 47.

   Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD erhalten 13 Mitglieder, die Fraktionen der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen jeweils ein Mitglied. Nach § 5 Abs. 2 des Richterwahlgesetzes sind die Mitglieder und ihre Stellvertreter in der Reihenfolge gewählt, in der die Namen auf den Wahlvorschlägen erscheinen. Die Namen der gewählten Mitglieder und Stellvertreter entnehmen Sie bitte den Drucksachen 16/188 bis 16/191.

   Jetzt fahren wir in der Aktuellen Stunde fort. Das Wort hat der Kollege Hermann Gröhe von der CDU/CSU-Fraktion.

Hermann Gröhe (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Die Berufung von Altbundeskanzler Gerhard Schröder zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Konsortiums Nordeuropäische Gaspipeline hat viele Fragen, viel Irritation, Verärgerung und - wohl auch unter den eigenen Anhängern - Enttäuschung ausgelöst.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Der Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Norbert Lammert, hat deutliche Worte dazu gefunden und damit sicher für viele von uns gesprochen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dankbar bin ich aber auch für eine Reihe kritischer Anmerkungen aus den Reihen der SPD, die deutlich machen: Die kritisch diskutierte private Entscheidung des Altbundeskanzlers ist nichts, was das Miteinander der Koalitionsfraktionen berührt.

   Im Hinblick auf die Haltung der Unionsfraktion möchte ich daran erinnern, dass wir bereits bei der Unterzeichnung des Vertrages über die Gaspipeline gesagt haben: Wir bejahen die darin zum Ausdruck kommende Vertiefung der deutsch-russischen Energiepartnerschaft. Zugleich kritisieren wir aber die unzureichende Informationspolitik gegenüber den baltischen Staaten, Polen und der Ukraine. - Wir müssen doch wissen, welche Ängste in diesen Staaten eine Politik auslöst, die den Eindruck erweckt, über ihre Köpfe hinweg zu geschehen. Deshalb sind wir dankbar dafür, dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Bundesaußenminister Steinmeier deutlich gemacht haben, dass wir gerade in der Zusammenarbeit mit unseren mittel- und osteuropäischen Nachbarn eine besondere Bedeutung sehen. Das ändert nichts am Ziel einer weiteren Vertiefung der deutsch-russischen Partnerschaft, stellt aber eine wichtige und, wie ich meine, notwendige Ergänzung dieser Politik dar.

   Den außenpolitischen Kommunikationsmängeln im Vorfeld der Vertragsunterzeichnung folgt nun ein persönliches Verhalten, das weitere Fragen auslöst: Wann wurde diese geschäftliche Zusammenarbeit ins Auge gefasst? Können ein ehemaliger Stasi-Offizier und ein weitgehend von einem ausländischen Staat kontrolliertes Unternehmen überhaupt, also auch jenseits der jetzt diskutierten Karenzzeiten, angemessene Partner für einen ehemaligen deutschen Regierungschef sein?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Brauchen wir einen Ehrenkodex für ehemalige Regierungsmitglieder?

   Die erste Frage kann nur der Betroffene beantworten; gute Freunde werden ihm dies sicherlich raten.

(Jürgen Koppelin (FDP): Hat er welche?)

Die zweite Frage beantworte ich mit einem klaren Nein. Intensiver sollten wir uns mit der dritten Frage beschäftigen.

   Wir jedenfalls werden uns einer ernsthaften Debatte über einen Ehrenkodex nicht verweigern.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Erste Vorschläge, beispielsweise in Anlehnung an die Regelungen für ehemalige Mitglieder der EU-Kommission, wurden bereits gemacht. Entrüstung ist für die vor uns liegende Debatte allerdings ein schlechter Ratgeber, auch die „nachgeholte Entrüstung“ der Partei des ehemaligen Bundesaußenministers über eine nun plötzlich zu enge Freundschaft Schröders mit Putin, an der man noch vor wenigen Wochen überhaupt nichts Kritikwürdiges fand.

   Ich verhehle hier aber nicht, dass ich Zweifel an einem schriftlich fixierten Ehrenkodex habe. Anstand erreicht man nicht mit einem komplizierten Regelwerk,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

das zudem sehr differenziert und folglich sehr kompliziert sein müsste. Wir wollen ja einen engeren Austausch zwischen Wirtschaft und Politik, was auch Berufswechsel zwischen diesen Bereichen einschließen muss,

(Jörg Tauss (SPD): Ach!)

Berufswechsel übrigens, die in anderen Ländern üblicher sind, was man hierzulande nicht selten beklagt. Zudem gilt Art. 12 des Grundgesetzes, die Freiheit der Berufswahl, natürlich auch für ehemalige Spitzenpolitiker. Auch mag ein schriftlich fixierter Ehrenkodex geradezu in die Versuchung führen, seine Grenzen austesten zu wollen. Aber macht es nicht gerade Anstand aus, auch nach den Buchstaben des Gesetzes Erlaubtes zu unterlassen, weil es sich eben nicht gehört?

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin (FDP))

Auch darüber sollten wir im Rahmen der Debatte über einen Ehrenkodex nachdenken.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Bodo Ramelow von der Linken.

(Beifall bei der LINKEN)

Bodo Ramelow (DIE LINKE):

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Präsident! Ich kann Herrn Gerhardt in der inhaltlichen Analyse über den hier in Rede stehenden Vorgang nur zustimmen, möchte aber erwähnen, dass die FDP als Antragstellerin dieser Aktuellen Stunde allen Grund hat, sich an die eigene Nase zu fassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Den Ehrenkodex im europäischen Rahmen haben wir schließlich Herrn Bangemann zu verdanken, der sich ja sehr bei Telefonica engagiert hat.

   Das wirft ein anderes Problem auf, über das wir, wie ich denke, viel gründlicher miteinander reden sollten:

Reicht ein Ehrenkodex für die Vorgänge, über die wir hier reden, aus oder sind nicht eher transparente Regeln für Politik und Wirtschaft notwendig?

(Beifall bei der LINKEN)

   Ich möchte das an einem aktuellen Beispiel verdeutlichen. Der Gammelfleischskandal in Deutschland zeigt, wie notwendig es ist, eine gläserne Produktion und regelmäßige Kontrollen in der gesamten Kette vom Schlachthaus bis zum Supermarkt zu haben. Eine ähnliche klare und transparente Kette bräuchten wir auch für die deutsche Politik. Das zeigt der aktuelle Vorgang.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Sie sollten Herrn Schröder nicht mit Gammelfleisch vergleichen! Das geht zu weit!)

- Sie können die Schlussfolgerungen ziehen, die Sie wollen. Ich würde mir nicht erlauben, die FDP mit Gammelfleisch zu vergleichen. Ich rede von der Kette zwischen Politik und Gesetzgebung. In dieser Kette ist einiges nicht in Ordnung.

   Das geht mit den Verhaltensregeln für unsere Abgeordneten los. Ich möchte Sie von der FDP ermuntern, Ihren Widerstand aufzugeben. Ich denke, wir brauchen transparente Regeln, die dazu verpflichten, dass alle Nebentätigkeiten von uns Abgeordneten offen gelegt werden.

(Beifall bei der LINKEN - Christine Lambrecht (SPD): Das ist schon Gesetz! - Jörg Tauss (SPD): Inklusive der Stasi!)

- Wissen Sie, Ihre Nähe zur Stasi, die Sie gerade mit Ihrem Herrn Schröder offenbaren, sollten Sie bei sich selber ausmachen. Ich finde es absonderlich, wie Sie jetzt auf andere zeigen.

   Aber, meine Damen und Herren, es gibt etwas viel Wichtigeres als Ihre dämlichen Zwischenrufe;

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP - Widerspruch bei der SPD - Dr. Uwe Küster (SPD): Wir sind nicht auf dem Jahrmarkt! - Hans Michelbach (CDU/CSU): Das ist keine parlamentarische Ausdrucksweise! - Jörg Tauss (SPD): Getroffene Hunde bellen! Volltreffer!)

das ist die Ministererlaubnis, mit deren Hilfe sich die Politik über Entscheidungen von Gerichten oder Kontrollkommissionen hinwegsetzen kann. Bei Herrn Müller wusste man nie: Ist er der Vertreter der Wirtschaft in der Regierung oder gehört er zum Parlament und wird durch dieses kontrolliert? Wir fordern deswegen die Abschaffung der Ministererlaubnis

(Beifall bei der LINKEN)

und sagen ganz klar: Auch bei der anstehenden Entscheidung zu Pro Sieben Sat. 1 und Springer darf es keine Ministererlaubnis. Wir werden eine gesetzliche Regelung einbringen und Sie dann bitten, sich klar zu entscheiden, ob Ministererlaubnisse zulässig bleiben sollen oder nicht. Wir werden die FDP klar fragen, ob die Regelungen über die Einkünfte von Abgeordneten sauber dargelegt werden.

   In diesem Sinne würde ich mir mehr Transparenz von den deutschen Politikern wünschen.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Ausgerechnet der Ramelow!)

- Sie können meine Spendenabrechnungen im Internet nachlesen. Ich würde mich freuen, auch Ihre lesen zu können. Es wäre schön, wenn sie transparent wären, aber Ihnen ist es ja schon zu viel, sie dem Präsidenten zu melden.

(Beifall bei der LINKEN)

   Mehr Transparenz in der deutschen Politik bedeutet klare Abgrenzung. Es muss deutlich gemacht werden, dass diejenigen, die zehn Tage vor der Wahl einen Vertrag unterschreiben, nicht einen Monat nach der Wahl für das gleiche Unternehmen - zudem „outgesourct“ in einem Steuersparland - die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden übernehmen können. Ich finde, Herr Westerwelle, das riecht stark nach Gammelfleisch. In diesem Sinne sind wir für Transparenz in der deutschen Politik. Wir fordern Herrn Schröder auf, das Mandat nicht anzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Obwohl das sicher ein umstrittener Beitrag war, gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Uwe Benneter von der SPD-Fraktion.

In der nächsten Zeit wird das Volumen des Erdgasimports mit Sicherheit sehr stark steigen. Das müsste jeder wissen, der sich ernsthaft damit auseinandersetzt - gerade auch die Partei der Aufsichtsräte, die sich jetzt so empört.

(Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das hat Herr Struck bei seinen Äußerungen nicht bedacht!)

Das zusätzlich produzierte Gas muss nach Europa transportiert werden. Bisher existieren dafür zwei Pipelines, eine Südroute und eine Route, die durch Polen und Weißrussland führt. Jeder weiß um die technischen und politischen Schwierigkeiten, die mit der Produktion und dem Gastransport nach Deutschland zusammenhängen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Führt die Südroute durch die Schweiz?)

Die Ostseepipeline bietet uns die Chance, unabhängig von den zwischengeschalteten Staaten direkt an die Energieversorgung angeschlossen zu werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Auch die Grünen müssten wissen, dass in der nächsten Zukunft Windkrafträder allein nicht ausreichen werden. Wir brauchen diesen Öltransport.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Es geht um Gas und um Kohle, nicht um Öl!)

- Entschuldigung. Wir brauchen diesen Gastransport nach Europa.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Pipeline wird in Greifswald anlanden. In Greifswald wird die Verteilung Richtung Nordwesteuropa erfolgen.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Und Schröder verteilt es dann!)

Das wird die wirtschaftlichen Möglichkeiten in einem Landstrich verbessern, der darauf angewiesen ist, mithilfe neuer Technologien nach vorne zu kommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Diese dritte, unabhängige Verbindung verläuft 100 Kilometer entfernt von der polnischen Grenze. Insofern kann sie auch zu einer sicheren Gasversorgung Polens beitragen.

   Der ehemalige Bundeskanzler wurde von russischer Seite angesprochen, ob er den Aufsichtsratsvorsitz für dieses europapolitisch, geostrategisch, energie- und wirtschaftspolitisch wichtige

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Galaktische!)

Projekt übernehmen will. In dieser Situation hat sich Gerhard Schröder, dem die Stärkung der deutsch-russischen Beziehungen durch ein gemeinsames, technologisch nach vorne gerichtetes Projekt immer ein Anliegen war, bereit erklärt, die Oberaufsicht über diese Gesellschaft zu übernehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Mutter Teresa!)

Über Geld ist überhaupt noch nicht gesprochen worden.

(Lachen bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Ihre Phantasie geht mit Ihnen durch. Sie von der FDP sind ja Kenner der Materie, wenn es um Aufsichtsratstantiemen geht. - Gerhard Schröder hat im ureigenen Interesse Deutschlands die Oberaufsicht für ein Projekt übernommen, das im energiepolitischen und im energiewirtschaftlichen Interesse Deutschlands liegt. Das muss jedem klar sein.

(Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das sieht Struck aber anders!)

   Gerade angesichts unserer geostrategischen Situation - allerorten hört man „Weg vom Öl!“ - und der Entwicklung der Ölpreise, die ein Erpressungs- und Nötigungspotenzial der Ölstaaten uns gegenüber nahe legt, müssen wir Wert darauf legen, dass das produzierte Gas möglichst direkt nach Deutschland und Mitteleuropa kommt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Genau diesem Projekt widmet sich Gerhard Schröder. In diesem Sinne übernimmt er die Oberaufsicht. Es liegt im ureigenen Interesse Deutschlands, wenn Gerhard Schröder sich so betätigt.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Opfert!)

   Herr Kollege Gröhe, Gerhard Schröder bewegt sich in der Linie seiner Kanzlerschaft, in der Linie dessen, was er durchsetzen wollte.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ja, ja!)

Ich sehe keinen Anlass, deshalb einen Ehrenkodex einzufordern. Außerdem hieße das ja nur: Wenn jemand eine Tätigkeit übernehmen will, hat er sie vorher anzumelden, damit dann andere darüber entscheiden können, ob er diese Position übernehmen darf oder nicht.

Ich bin sicher, dass die Bundesregierung der Meinung ist - das hat der Wirtschaftsminister von der CSU klar zum Ausdruck gebracht -, dass es im Interesse Deutschlands ist, wenn Gerhard Schröder den Aufsichtsratsvorsitz übernimmt. Ich denke, auch die CDU/CSU-Fraktion sollte das so sehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Matthias Berninger vom Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Benneter hat davon gesprochen, dass wir alle davon ausgehen müssen, dass sich Altbundeskanzler Gerhard Schröder geopfert hat. Ich stelle jedoch fest: Das Einzige, was der Altbundeskanzler geopfert hat, ist sein Ruf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Seinen Ruf so leichtfertig zu opfern ist eine politische Eselei.

   Ich denke, wir müssen uns mit zwei Fragen beschäftigen. Die erste Frage lautet: Von wem hängen wir, was unsere Energieversorgung angeht, ab? Wir hängen beispielsweise von Russland ab, was unsere Versorgung mit Erdgas betrifft, und wir hängen unter anderem von einigen arabischen Staaten ab, wenn es um unsere Versorgung mit Erdöl geht. Wir können also nicht immer nur froh und glücklich darüber sein, welche Regierungen und Konzerne dort das Sagen haben und wie die jeweiligen Machtstrukturen sind. Das ist der erste wichtige Punkt.

   Der zweite wichtige Punkt ist die Debatte darüber, ob Politikerinnen und Politiker gleichzeitig zu ihrer Tätigkeit im Parlament, im Anschluss daran oder vorher in der Wirtschaft tätig sein dürfen. Dafür gibt es viele Beispiele. Ich nenne zum einen Friedrich Merz und zum anderen Klaas Hübner von der SPD-Fraktion. Beide sind aus einer unternehmerischen Tätigkeit heraus vor den Wähler getreten und haben sich wählen lassen. Es ist absolut legitim, dass Politiker gleichzeitig zu ihrer Tätigkeit im Parlament auch in der Wirtschaft tätig sind.

   Das Problem dieser Debatte bestand darin - hier haben, wie ich finde, auch die Kollegen von der FDP überzogen -, dass man die Tätigkeit von Politikerinnen und Politikern in der Wirtschaft generell in Misskredit gebracht hat. Das Kernproblem von Gerhard Schröder ist, dass sein Verhalten eine öffentliche Reaktion hervorgerufen hat, die dazu geführt hat, dass die empörte Öffentlichkeit sofort die generelle Trennung von Politik und Wirtschaft forderte. Ich aber meine, dass Leute mit unternehmerischem Hintergrund hier im Parlament durchaus ihren Platz haben und dass sie zum Beispiel durch das Verhalten des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder in ihrer Arbeit diskreditiert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

   Der Name Bangemann ist ja schon gefallen und die Bemerkung von Herrn Söder, der gesagt hat, man dürfe Herrn Schröder jetzt nicht mehr Altbundeskanzler nennen, fand ich nicht in Ordnung. Das hat mich an dieser Debatte etwas gestört. Denn ich denke, dass sich die Empörung sehr in Grenzen halten sollte. Aufseiten der Union sollte man beispielsweise einmal an Helmut Kohl und seine Tätigkeit für Kirch denken. Darüber haben Sie von der SPD sich damals zu Recht empört. Deswegen ärgere ich mich, dass Sie jetzt vergleichsweise rückhaltlos hinter dem Bundeskanzler stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

   Ich glaube, dass es jenseits eines Ehrenkodexes, über den auch wir innerhalb der Grünen-Fraktion reden sollten, ein ganz klares Kriterium für Anstand gibt. Ich finde es unanständig, wenn der Altkanzler der Bundesrepublik Deutschland den Aufsichtsratsvorsitz einer Tochter der Gasprom übernimmt.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Nein! Im Gegenteil!)

   Lassen Sie mich das begründen. Ich finde das erstens unanständig - darauf hat Herr Gerhardt bereits hingewiesen -, weil die Gasprom in Russland aufgrund ihrer unternehmerischen Verzweigtheit nicht gerade für bürgerliche Freiheitsrechte steht, sondern im Gegenteil - siehe den Fall Chodorkowski - auch davon profitiert, dass Leute inhaftiert werden und der russische Staat seinen starken Arm zeigt. Es gibt sehr viele nicht namentlich zu nennende Personen aus dem Medienbereich, die unter der Gasprom zu leiden haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP - Klaus Uwe Benneter (SPD): Ach! Das ist eine deutsch-russische Pipeline!)

Ich finde es nicht anständig, eine Führungsposition bei der Gasprom zu übernehmen, deren Vorstandsvorsitzender ein Ex-Stasimajor ist, der zuvor zufälligerweise Wirtschaftsspionage im Bankenbereich betrieben hat und bei der Dresdner Bank tätig war; so viel zum Namen Warnig. Unanständig finde ich das auch deshalb, weil die Gasprom ein Bild von Europa hat, an dem ich Sie noch einen Moment lang teilhaben lassen möchte. Die Gasprom hat vorgestern ein Pressegespräch gemacht und dort der Öffentlichkeit den Hintergrund des Baus der Gaspipeline vorgestellt. Unter der Überschrift „Die norddeutsche Gaspipeline - Versorgungssicherheit für Europa“. wurden eine Reihe von Gründen für den Bau der Pipeline genannt. Man kann dafür oder dagegen sein, dass durch die Ostsee hindurch eine solche Pipeline gebaut wird; das ist eine wirtschaftspolitische Entscheidung. Aber dann wurde folgende Begründung genannt: Ein Grund für den Bau dieser Pipeline sei die Vermeidung unkalkulierbarer Risiken bei der Durchleitung des Gases durch das Territorium von Drittstaaten. Ich möchte hier für den ganzen Deutschen Bundestag feststellen, dass die baltischen Staaten und Polen Teile der Europäischen Union sind

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Sehr richtig!)

und dass ich deshalb nicht glaube, dass es unkalkulierbare Risiken gibt.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Sehr richtig!)

Diese Länder sind unsere Partner in der Europäischen Union. Deswegen ist es unanständig, ein solches Unternehmen mit seinem guten Namen zu schmücken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

   Herr Präsident, lassen Sie mich schließen mit einer spontanen Äußerung von Peter Struck - für mich jemand, der in seiner Tätigkeit als Politiker wirklich eine Vorbildfunktion hat -, der am Sonntag im ZDF etwas gesagt hat, womit er mir aus der Seele gesprochen hat. Er hat den schlichten Satz gesagt: Ich hätte das nicht gemacht. - Ich finde, man kann ergänzen: Herr Altbundeskanzler Schröder, verzichten Sie auf diesen zweifelhaften Job! Sie haben das nicht nötig und dieses Land hat das nicht nötig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Franz Müntefering.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dieser Aktuellen Stunde war kein Minister auf der Regierungsbank. Das ist dem Parlament gegenüber nicht angemessen und ich bedaure das; das haben wir von der Bundesregierung miteinander zu besprechen. Ich will versuchen, dafür zu sorgen, dass wir da in Zukunft besser sortiert sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

   Ich will zunächst sagen, dass diese Ostseepipeline ein Projekt von großer Sinnhaftigkeit ist; das ist von einigen Kollegen schon angesprochen worden. Es geht um die Energiesicherheit Deutschlands. Das Unternehmen, das diese Ostseepipeline errichtet, ist ein internationales: Es gehört zu 51 Prozent Gasprom und zu 49 Prozent deutschen Beteiligungen. Das Projekt an sich ist nicht neu: Wir kennen es seit einiger Zeit und haben es gestützt und gefördert. Es ist auch nicht wegzureden mit dem Hinweis, dass es bereits eine Gaspipeline gibt, die durch Polen führt. Die Pipeline, die jetzt gebaut wird, soll nicht nur Deutschland versorgen, sondern weitergeführt werden in die Niederlande, nach Großbritannien und in andere europäische Länder. Diese Bundesregierung hat, wie die Bundesregierung davor, zum Ausdruck gebracht: Sie ist für dieses Projekt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es bedeutet eine Diversifizierung, die angesichts der Probleme, die die Energieversorgung in dieser Welt bereitet, vernünftig ist. Deshalb kann doch kein Mensch in diesem Haus ernstlich infrage stellen, dass es sinnvoll ist, diese Pipeline zu bauen und noch mehr Sicherheit in unsere Energieversorgung zu bringen, indem wir sie diversifizieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dirk Niebel (FDP): Das ist nicht das Thema der Aktuellen Stunde!)

- Der Weg weg vom Öl ist ein Thema, das uns alle miteinander verbinden muss.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Nun hat die FDP eine Frage an die Bundesregierung gestellt. Genauer muss ich sagen: die Spaß-FDP; ich erkenne Sie alle wieder heute. Mit einem Augenzwinkern sind Sie unterwegs, haben geglaubt, sie könnten sich einen Jux daraus machen. Aber die Haltung der Bundesregierung zu dem Projekt dieser Ostseepipeline ist rundum positiv und zustimmend; das will ich hier noch einmal feststellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dirk Niebel (FDP): Das ist doch gar nicht nötig!)

Das hat auch damit zu tun, dass der Bundeswirtschaftsminister dabei war, als die erste Schweißnaht - das ist so eine Art Grundsteinlegung - gefeiert wurde. Die Kanzlerin hat mit unserem Nachbarn Polen darüber gesprochen, dass die Interessengegensätze, die ja vermutet werden, ausgeglichen werden können. Kurzum: Diese Pipeline kann für ganz Europa von großem Nutzen sein.

   Nun hat die FDP ja nicht nach der Haltung der Bundesregierung zu diesem Projekt gefragt, sondern dazu, dass Gerhard Schröder, der ehemalige Bundeskanzler, an die Spitze dieses Unternehmens geht. Dazu kann ich Ihnen nichts sagen, weil sich die Bundesregierung dazu keine Meinung gebildet hat.

(Dirk Niebel (FDP): Das ist aber schade!)

- Nun seien Sie vorsichtig, ehe Sie dazwischenjohlen!

   Das wäre eine interessante Frage. Aber stellen Sie sich vor, ich würde Ihnen heute hier erzählen, wir hätten im Kabinett darüber gesprochen, ob man so etwas darf oder nicht! Da müsste diese große FDP ja wohl aufspringen und sich empören, was die Regierung der Bundesrepublik Deutschland sich anmaßte, sich einzumischen, wer bei internationalen Unternehmen wie dem dort entstehenden an der Spitze stehen soll!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dirk Niebel (FDP): Wo war denn Herr Glos?)

Was stellen Sie also für Fragen?! Kleinkariert, schon im Ansatz.

(Dirk Niebel (FDP): Wo war denn Herr Glos?)

Sie haben gedacht: Da können wir die mal erwischen, jetzt pieken wir die mal eben an.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Sie sind schon dran!)

Aber das, was Sie da machen, bleibt unter Ihrem Niveau; Herr Gerhardt, das will ich Ihnen sagen.

Das gilt in Maßen auch für Sie von den Grünen. Die Geschwindigkeit, mit der sich manche hier im Raume drehen und glauben, sie könnten hier so herumspuken, finde ich interessant.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Was haben Sie denn früher dazu gesagt?)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Projekt haben wir gefördert und gefordert. Wir haben es in einer Zeit unterstützt, als noch niemand wusste, dass am 18. September Bundestagswahl sein würde.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben es unterstützt, ohne zu wissen, wie die Bundestagswahl ausgehen würde. Wir, auch Gerhard Schröder, haben es unterstützt, ohne zu wissen, dass er jetzt nicht mehr Bundeskanzler sein würde.

(Jörg Tauss (SPD): Und Fischer!)

Er hat auf den Marktplätzen gestanden und hat gekämpft. Oder wollen Sie sagen, das habe er nur gemacht, um hinterher in diese Funktion wechseln zu können? Es ist absoluter Irrsinn, was Sie da erzählen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP))

- Hören Sie auf zu schreien. Sie haben sich ein Ei ins Nest gelegt. Das wird Ihnen noch wehtun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Oh, der Vizekanzler droht uns! Jetzt haben wir aber Angst, Herr Vizekanzler! - Weitere Zurufe von der FDP: Oh!)

   Sie fordern die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland auf, sich dazu zu äußern, wenn irgendjemand in bestimmten internationalen Unternehmen an die Spitze der Unternehmen rückt. Dabei geht es zunächst einmal nicht um die Person Gerhard Schröder. Das kann man nicht auf eine Person beziehen. Dann müssten wir auch über andere Personen sprechen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Sagen Sie das auch einmal Herrn Müller!)

   Lieber Herr Gerhardt, Bundeskanzler, Regierungsmitglieder und ehemalige wichtige Politiker haben alle möglichen Funktionen übernommen. Sie beraten Verlage, schreiben Bücher und sind im Auftrag der Bundesregierung in Missionen überall auf der Welt unterwegs. Das ist alles richtig. - Sie von den Grünen schütteln den Kopf. Ich bewege mich gerade auf die entscheidende Frage zu -  ich umkreise sie nahezu -:

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ha, ha!)

Sind Sie in der Sache dagegen, dass er das macht,

(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)!)

oder sind Sie dagegen, weil er Geld dafür bekommt?

(Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Sache! - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ach Quatsch!)

Genau das ist Ihr Problem. Dass Gerhard Schröder mit seiner Kenntnis und seiner Erfahrung der letzten Jahre an dieser Stelle ein guter Mann ist und dass er diese Aufgabe übernehmen kann, werden Sie nicht bestreiten können wie auch sonst niemand hier im Raum. Das ist die schlichte Wahrheit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Es gibt Leute, die Putin schon immer nicht mochten und die deutsch-russische Freundschaft auch nicht.

(Zurufe von der FDP: Ach!)

- Das habe ich doch gelesen. Sie toben sich jetzt auch aus.

   Ich sage Ihnen: Es gibt zu diesem Fall keine Haltung der Bundesregierung, weil sie sich dazu keine Meinung gebildet hat. Als Mitglied dieser Bundesregierung sage ich Ihnen aber meine persönliche Meinung als Franz Müntefering: Gerhard Schröder konnte dieses Angebot, das ihm gemacht worden ist, annehmen. Ich bin froh, dass er das getan hat, weil er an dieser Stelle für unser Land und für Europa auch in Zukunft gute strategische Arbeit leisten kann. Dieses Projekt ist ein strategisches Projekt für ganz Europa. Man kann unterschiedlicher Meinung dazu sein, ich persönlich bin mir aber sicher, dass er das mit aller Integrität ausführen wird. Dass sie ihn gefragt haben und nicht einen Herrn Gerhardt, einen Herrn Westerwelle oder einen Herrn Brüderle, ist ein Zeichen dafür, wem sie so etwas zutrauen und wem nicht.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Herrn Struck haben sie auch nicht gefragt! Merkwürdig, dass Herr Struck das ganz anders sieht!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Brüderle von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Rainer Brüderle (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde zeigt: Die Opposition ist in diesem Parlament nicht machtlos.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

Sie hat es geschafft, dass sich gnädigerweise wenigstens ein Minister ins Parlament begeben hat. Die mangelnde Präsenz der SPD-Fraktion zeigt die innere Distanz der Sozialdemokraten zu ihrem früheren Kanzler.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN - Zurufe von der SPD: Oh! - Jörg Tauss (SPD): In welchen Beiräten sind Sie?)

   Herr Kollege Benneter, Sie sprachen immer von Öl. Ich darf Ihnen verraten: Es geht hier um Gas und um Kohle, aber nicht um Öl. Das sage ich Ihnen, damit Sie die Fakten kennen.

(Beifall bei der FDP)

   Herr Müntefering, ich möchte aufgreifen, was Sie gesagt haben, nämlich dass sich die Bundesregierung dazu nicht äußern soll und nicht äußern kann.

Der Fall Bangemann, der mir nicht gefallen hat, ist nicht vergleichbar mit dem Fall Schröder.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

- Nein, nein. Der Unterschied ist, dass dort jemand europaweit für generelle Regeln zuständig war. Daran haben Sie sich täglich abgearbeitet. Hier hat ein ehemaliger Kanzler ein konkretes Projekt eines Unternehmens gefördert, das dem russischen Staat gehört und das Instrument der russischen Politik ist. Es ist ein Unterschied, ob Sie im Einzelfall eingreifen oder für generelle Regeln zuständig sind.

(Beifall bei der FDP)

   Der Regierungssprecher von Herrn Schröder, Uwe-Karsten Heye - mancher kennt ihn noch -, hat im Fall von Herrn Bangemann öffentlich erklärt, Herr Bangemann habe dem Ansehen der Kommission einen erheblichen Schaden zugefügt.

(Jörg Tauss (SPD): Das ist wahr!)

Regierungssprecher Heye erklärte, Bangemann habe Deutschland einen schlechten Dienst erwiesen.

(Jörg Tauss (SPD): So war das!)

Herr Heye erklärte öffentlich in der „Passauer Neuen Presse“, die Bundesregierung werde sich einer mögliche Klage einiger europäischer Länder gegen den beurlaubten Kommissar anschließen. Regierungssprecher Heye sagte wörtlich, man werde sich beteiligen, wenn es darum gehe, ein Verfahren in Gang zu setzen. - Dort haben Sie sich in einem Fall, der ungleich anders war, durch den Regierungssprecher Ihrer Partei intensiv öffentlich betätigt. Heute sagen Sie, das ginge das Kabinett nichts an. Was ist denn da richtig?

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das Schlimme ist ja die innere Unaufrichtigkeit. Wirtschaftsminister Müller hat, als er der rot-grünen Regierung angehörte, in seiner Amtszeit die Fusion von Eon und Ruhrgas - auch Partner dieser Pipeline - gegen das Votum des Kartellamts und der Monopolkommission genehmigt. Der ganze ökonomische Sachverstand war dagegen, auch wegen des Marktanteils dieses Unternehmens von 87 Prozent. Später hat sich Schröder beschwert, dass die Gaspreise gestiegen sind. Einführung in die Grundzüge der Ökonomie an der Volkshochschule Mainz-Süd, zweite Stunde: Monopolpreise sind immer höher als Wettbewerbspreise.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Jetzt wissen wir, wo er in der Schule war!)

   Anschließend ist dieser Herr Müller Vorstandsvorsitzender der Ruhrkohle AG, einer Tochtergesellschaft von Eon, geworden. Staatssekretär Tacke, der das für ihn unterschrieben hat, ist anschließend Vorstandsvorsitzender der STEAG AG, einer Tochtergesellschaft von Eon Ruhrgas, geworden. Das ist die Schieflage, weshalb viele im Land sagen, dass die Politik dort nicht in Ordnung ist. Wir wollen uns nicht in Richtung einer Bananenrepublik bewegen. Hier müssen andere Maßstäbe und andere Haltungen her. Darum geht es.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es geht doch gar nicht um diese Gasleitung, die ökonomisch vernünftig ist. Es geht auch gar nicht darum, ob sie nun in Greifswald oder woanders ankommt; es geht um die Haltung. Bundeskanzlerin Merkel spricht mittlerweile liebevoll vom „Altbundeskanzler“. Da schwingt der Kanzler nach. 14 Tage war er abgewählt und aus dem Amt und schon wurde er beim russischen Staatsunternehmen Aufsichtsratsvorsitzender.

(Dirk Niebel (FDP): Pfui!)

   Wahrscheinlich wird er auch noch Ehrenbürger der Schweiz; denn er wirbt ja für den Standort Schweiz.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss (SPD): Wäre das unehrenhaft?)

Es gibt offenbar keinen besseren Beleg dafür, dass es sich nicht lohnt, ein Unternehmen in dem Land zu wählen, dessen politische Konkursmasse Rot-Grün hinterlassen hat, als nach Zug in die Schweiz zu gehen. Wahrscheinlich erhält er dort den Ehrenpreis für die Standortwerbung für die Schweiz. Was wurde vorher über die unpatriotischen Unternehmer geschimpft, die sich ökonomisch entscheiden!

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Heuschrecken!)

   Ich habe gelesen - das ist interessant -, was der Chef von Gasprom operativ alles machen soll. Aber Sie sagen ja, es gehe nicht ums Geld, also um die 1,5 Millionen Euro, von denen die „Leipziger Zeitung“ heute berichtet, sondern um die Sache. Sie sollten wirklich einmal die Kirche im Dorf lassen:

(Beifall bei der SPD)

Es ist nicht in Ordnung, dass Sie Monopole begünstigen - ein Unternehmen auf dem Gasmarkt: Marktanteil von 87 Prozent - und anschließend die politisch Zuständigen dorthin gehen. Hier ist wieder so ein Fall. Gasprom ist ja nicht irgendein Unternehmen. Misslebige Medienunternehmen werden schnell aufgekauft. In Weißrussland, wo es einen Diktator gibt, werden günstige Energiepreise gemacht. Das ist ein Instrumentarium der russischen Politik und kein Unternehmen wie Telefonica oder sonst irgendeines, bei dem es einen Markt mit Konkurrenz gibt. Hier ist ein Staatsmonopol in Russland. Dort geht der deutsche Kanzler hin und wird Aufsichtsratsvorsitzender!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Sie sollten mal überlegen, was Sie tun! Den kleinen Genossen, die bei Ihnen Plakate geklebt haben, kommt das Frühstück hoch und ein Teil Ihrer Fraktion schämt sich draußen.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Iris Gleicke (SPD): Unmäßig!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Götzer von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dirk Niebel (FDP): Das wird jetzt echt schwierig!)

Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich diese Aktuelle Stunde zunächst zum Anlass nehmen, eine grundsätzliche Bemerkung vorweg zu machen. Der Wechsel von ehemaligen Politikern, insbesondere Mitgliedern der Bundesregierung, nach ihrer Amtszeit in die Wirtschaft ist nicht nur zulässig. Wir halten es auch für sinnvoll, dass sich politischer Sachverstand im Wirtschaftsleben wiederfindet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Genauso halten wir es für richtig und wichtig, dass Unternehmer ihren wirtschaftlichen Sachverstand in die Politik einbringen, am besten dadurch, dass sie Parlamentarier werden.

   Beim heutigen Thema geht es aber nicht um diese grundsätzliche Frage, sondern um die Umstände eines solchen Wechsels. Dass allerdings gerade die FDP diese Aktuelle Stunde beantragt hat,

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Sie haben es ja nicht getan!)

verleitet zum Nachdenken darüber, wie das denn mit dem schon angesprochenen Fall des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers und EU-Kommissars Martin Bangemann

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und seinem schnellen Wechsel zum spanischen Telefonica-Konzern war.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Wiesheu hat sich mehr Zeit gelassen!)

- Ich will das jetzt nicht vertiefen.

   Ich glaube, wir sind uns einig: Fälle dieser Art werfen die Frage des politischen Stils, mehr noch des Anstands auf. Was geziemt sich für ein ehemaliges Mitglied der Bundesregierung, einen hohen Repräsentanten unseres Landes, nach Aufgabe seines Staatsamtes? Ich möchte noch einmal betonen: Es spricht aus meiner Sicht grundsätzlich nichts dagegen, dass ein solch hochrangiger ehemaliger Politiker seinen Sachverstand in die Wirtschaft einbringt. Das kann sogar im Interesse unseres Landes liegen. Aber es sollte alles vermieden werden - auch das muss ich sagen -, was auch nur den Anschein einer Belohnung für bestimmtes politisches Verhalten erwecken könnte.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

- Das ist eine grundsätzliche Bemerkung. - Es geht dabei nicht um die vor allem unter Juristen immer gleich heiß diskutierte Frage der Rechtmäßigkeit eines solchen Verhaltens. Für Zweifel daran - das möchte ich ganz klar sagen - gibt es nicht die geringsten Anhaltspunkte, auch nicht dafür, dass private Interessen mit denen des Staates verknüpft worden sind.

   Worum es hier geht, ist das Vertrauen. Es geht um Glaubwürdigkeit und um Ansehen, und zwar nicht nur des ehemaligen Bundeskanzlers, sondern letztlich aller Politiker. Wir wissen, dass das Werturteil der Öffentlichkeit in solchen Fällen meist nicht nur den Handelnden gilt, sondern auch den Politikern und damit der Politik insgesamt.

   Soweit im vorliegenden Fall Zweifel an der moralischen Unangreifbarkeit dieses Handelns geäußert werden und offene Fragen im Raum sind, die die Würde des Staatsamtes tangieren könnten, ist es meiner Meinung nach am früheren Kanzler, für Klarheit zu sorgen. Das würde ich auch begrüßen, da unzweifelhaft in weiten Teilen der Bevölkerung und parteiübergreifend Unverständnis und Unbehagen über die Umstände feststellbar sind. Aber eines ist ganz klar: Vorverurteilungen darf es nicht geben und auch keine Schnellschüsse wie etwa Forderungen nach neuerlichen Änderungen der Verhaltensregeln oder nach einem Ehrenkodex. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Verhaltensregeln haben wir erst vor sechs Monaten geändert, und zwar, wie ich meine, in einer ziemlich missglückten Weise.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist wahr!)

   Was diesen Ehrenkodex angeht: Ich habe große Zweifel, ob ein solcher Ehrenkodex ein taugliches Instrument ist, das angestrebte Ziel zu erreichen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Lassen Sie uns darüber sprechen!)

Nichts anderes hat im Übrigen der Kollege Gröhe vorher in seiner Rede zum Ausdruck gebracht. Kann man denn das, was Anstand und Common Sense fordern - also die klassischen Beispiele für ungeschriebene Gesetze -, wirklich in Paragraphen fassen? Ich glaube, nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ein Verhaltenskodex mag einen gewissen Rahmen setzen. Die schriftliche Fixierung kann aber zu Fehlschlüssen verleiten: Alles, was dort nicht als unanständig aufgeführt ist, wird man in Konsequenz daraus als anständig ansehen. Aber das muss nicht immer der Fall sein. Wir müssen andererseits darauf achten, dass nicht etwas schnell und vordergründig als unehrenhaft gebrandmarkt wird, woran an sich nichts Anstößiges ist.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht von der SPD-Fraktion.

Christine Lambrecht (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vizekanzler Müntefering hat zu Recht festgestellt, dass diese von der FDP initiierte Aktuelle Stunde den Charakter einer Juxveranstaltung habe. Viele Ihrer Beiträge bestätigen diese Einschätzung.

(Beifall bei der SPD)

   Ich möchte gern auf einige Redebeiträge eingehen und sie auf ihre Ernsthaftigkeit überprüfen. Sie von der FDP reden von Anstand, Moral und Ehre in der Politik. Ich will nicht noch einmal die Erinnerung an Herrn Bangemann strapazieren. Davon war schon so oft die Rede, dass inzwischen sicherlich jeder weiß, was das für eine faule Geschichte war.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Aber Sie messen mit zweierlei Maß!)

Ich erinnere aber an die Kollegin Flach, die Geld bezogen hat, ohne dafür irgendeine Leistung zu erbringen und ohne diese Einnahmen anzugeben. Wenn ich solche Kolleginnen und Kollegen in den eigenen Reihen hätte, dann wäre ich etwas vorsichtiger mit Begriffen wie Ehre, Anstand und Moral.

(Beifall bei der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Sie ist zurückgetreten! Sie ist ausgeschieden!)

   Völlig neu und interessant für mich ist allerdings, dass es mittlerweile aus der Sicht der FDP einem Betrieb schon vorzuwerfen ist, wenn er seinen Geschäftssitz in die Schweiz verlegt.

(Dirk Niebel (FDP): Bei der Steuerpolitik hat man ja kaum eine andere Wahl!)

Ich wusste gar nicht, dass man einem Betrieb einen Vorwurf daraus machen kann. Nach dem, was Sie, Herr Gerhardt und Herr Brüderle, vorgetragen haben, kann man nur allen Unternehmern bei einem solchen Vorhaben zur Vorsicht raten: Dafür wird man von der FDP in Deutschland ausdrücklich gerügt.

(Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das ist aber großer Unsinn!)

   Herr Berninger, Ihr Beitrag war für mich Heuchelei im Quadrat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Entschuldigung, aber Sie waren doch Staatssekretär in einer rot-grünen Regierung, die dieses Projekt beschlossen hat. Vielleicht habe ich es seinerzeit nicht mitbekommen, aber alle Kritikpunkte, die Sie eben an diesem Geschäft aufgeführt haben, habe ich vorher nicht von Ihnen gehört. Wann haben Sie denn Ihre Bedenken vorgetragen?

(Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei der Fusion! Als es um die Ministererlaubnis ging, gab es einen großen Streit darüber!)

Die Öffentlichkeit hat nichts davon erfahren. Deswegen ist es heuchlerisch, wenn Sie sich diese Position zu Eigen machen, nachdem Sie aus dem Amt des Staatssekretärs ausgeschieden sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Lieber Kollege Ramelow, Sie fordern Transparenz in der Politik und die Offenlegung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten. Herzlich willkommen in der Realität! Das haben wir in der letzten Legislaturperiode mühsam durchgesetzt, auch gegen Stimmen aus der FDP und der Union bzw. gerade gegen diese Opposition. Wir haben nämlich seinerzeit festgelegt, dass zukünftig Nebentätigkeiten hinsichtlich ihrer Art und der damit verbundenen Einnahmen offen gelegt werden müssen. Ich kann mich noch gut an die Position der Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU erinnern, die genau das nicht wollten. Ich habe zwar Verständnis dafür, dass die Öffentlichkeit und auch Sie ein Interesse daran haben, was ein ehemaliger Bundeskanzler macht. Die Öffentlichkeit hat aber auch ein mindestens genauso großes Interesse daran, zu erfahren, was die Abgeordneten machen, die sie gegenwärtig vertreten.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

   Gestatten Sie mir deswegen - auch aus Respekt vor dem Amt des Bundestagspräsidenten - einige Sätze. Wenn Herr Lammert das Geschehene als „instinktlos“ bezeichnet,

(Beifall bei der FDP)

aber gleichzeitig versucht, die Regelungen wieder rückgängig zu machen, sodass Abgeordnete in Zukunft Nebentätigkeiten nicht mehr offen legen müssen, dann verkneife ich mir lieber eine Bemerkung. Ich glaube, es interessiert die deutsche Öffentlichkeit, ob jemand wie Friedrich Merz gleichzeitig Abgeordneter ist, dem Aufsichtsrat der Deutschen Börse angehört und einen dortigen Großaktionär berät.

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Das ist sein Beruf!)

Die CDU/CSU wollte damals die Regelung zur Offenlegung verhindern. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hält man sie immer noch nicht für sonderlich sinnvoll und will sie wieder zurückschrauben.

(Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): In dieser Form!)

Auch Herr Lammert hat sich schon diesbezüglich geäußert. Wir sollten uns vielleicht langsam einigen, was wir eigentlich wollen:

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

einen Ehrenkodex, der keinerlei Auswirkungen hat, oder glasklare Regelungen, die bei Verstößen entsprechende Repressalien zur Folge haben, liebe Genossinnen und Genossen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

- So weit geht es schon fast mit der großen Koalition!

   Lassen Sie uns in diesem Sinne wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Ich freue mich auf Ihre Reaktion in der Diskussion über die Verhaltensregeln in den zuständigen Ausschüssen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Der Parteitag ist geschlossen! - Gegenruf der Abg. Iris Gleicke (SPD): Das ist eine höchst ehrenwerte Anrede!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 8. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 16. Dezember 2005,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/16008
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